Ich begehe ein Sakrileg. Denn ich werde eine Best-of-CD bejubeln. Jammert, nennt mich Banause, aber es muss sein. Noch schlimmer: Dieses Best-of mit Songs von Billie Holiday trägt auch noch den Namen eines ihrer regulären Alben, ist aber eben nicht dieses Album. Im Interesse der Wahrhaftigkeit möchte ich mir keines ihrer anderen Alben heraussuchen, als sei es mein Lieblingsalbum meiner Lieblingssängerin. Denn auf diesem Best-of finden sich alle meine Lieblingssongs dieser Frau, und mit ihm hat meine Liebe zu Billie Holiday begonnen. 2008 steckte ich in Montreal auf Schüleraustausch im Auto meiner Gastgeberin im Stau fest und hörte zum ersten Mal „Strange Fruit“. Ich war sofort hin und weg von dieser Stimme, die so viel Verzweiflung, so viel Liebe, so viel Drama, Hoffnung und Wehmut transportieren konnte (ironischerweise erschien das erschütternde „Strange Fruit“ 1956 auf dem Album „Lady Sings the Blues“, findet sich aber nicht auf der Compilation). Drei Tage später besaß ich diese Billie-Holiday-CD und verlor mich völlig in diesen verlorenen, vergangenen Klängen. Heute erinnern sie mich an meine ersten Schritte auf nordamerikanischem Boden, an mein Herantasten an eine Kultur, die ich bis dahin als plump und langweilig empfunden hatte. Billie war ein erster Hinweis, dass es in Amerika mehr und schöneres gibt als Gangsterrap und George Bush. Später traf ich Billie Holiday immer wieder: als ich mit Jack Kerouac in Kalifornien unterwegs war, als ich mich von meiner ersten Freundin trennte, als ich glücklich verliebt durch New York wandelte. Überhaupt, New York. Vom „Autumn in New York“ singt Billie Holiday hier unter anderem. Einer der wohl schönsten Songs der Welt, intoniert von einer der wohl schönsten Stimmen der Geschichte. Und Grund für einen Lebenstraum. Eines Tages, Billie, eines Tages komme ich im Herbst zu dir nach New York.
Nick Drake - Five Leaves Left (1969) Es gibt kein besseres Lied als „Saturday Sun“ um im Licht des Sonnenuntergangs auf dem Sofa ein Schläfchen zu halten. Das allein würde dieses Album für so eine Liste qualifizieren. Da aber auch jeder einzelne andere Song auf diesem Album ein Meisterwerk ist, steht das hier ganz oben.
Tom Waits - Orphans (Bawlers) (2006) Noch so ein Album, das gar kein Album in dem Sinne ist. Die zweite Disc der B-Seiten- und Raritäten-Sammlung „Orphans“ versammelt so ziemlich alles, was man am schnulzigen Tom Waits lieben muss. Und der schnulzige Tom Waits ist wirklich ausgesprochen liebenswert.
Alt-J - An Awesome Wave (2012) Alt-J hat sich mit diesem Album ein überragendes, unkaputtbares, unüberwindbares Hindernis in den Weg gelegt – und mir ein Herzensalbum gegeben, dass mich durch indische Großstädte, bolivianische Bergwelten, kolumbianischen Dschungel und amerikanische Kleinstädte begleitet hat.
Bob Dylan - Blonde on Blonde (1966) Es gibt Alben mit schöneren Songs von Bob Dylan. Doch es gibt kein Album, mit so vielen schönen Songs von Bob Dylan. Perfekter als auf hier hat er nie wieder diesen Sound gefunden, der irgendwo zwischen wunderbar perlenden Liebesliedern und schnodderigem Hochmut liegt.
Wolf Parade - Apologies to the Queen Mary (2005) Wenn es ein Album gibt, dass mich fast seit Beginn meines Interesses an Popmusik zuverlässig j.e.d.e.s Mal beim Hören fast zum Heulen bringt und gleichzeitig mit so tiefen Trauer- und Glücksgefühlen füllt, dann ist es dieses. It's getting better all the time.
Nils Frahm – Screws (2012) Nils Frahm kann mit neun Fingern und einem gebrochenen Daumen immer noch achtmal so gut Klavier spielen, wie ich mit zehn Fingern. Nachtbusfahrten? Nils Frahm. Lärmende Nachbarn? Nils Frahm. Stress bei der Arbeit? Nils Frahm. Habe ich jemals das Ende dieses Albums in wachem Zustand erlebt? Egal.
Bon Iver - For Emma, Forever ago (2007) Eines der Alben, die ich im Leben so oft gehört habe, wie kein anderes. Es gab Zeiten, da stieß mir das alles direkt und wunderbar ins Herz. Es ist fast schön, dass das vorbei ist, denn heute kitzelt es beim Hören nur noch ein bisschen unter den Rippen. Aber kitzeln ist schön.
Future Islands – Singles (2014) Jaja, die goldene Zeit ist vorbei, usw. usf. Stimmt ja gar nicht. Ich habe mal versucht, hier Lieblingssongs rauszusuchen. Ging nicht. Es macht mich einfach glücklich. Diese Stimme. Dieser Schwermut. Diese Leichtigkeit. Deshalb hier auch kein Buchstabe zu viel.
Gisbert zu Knyphausen – Hurra! Hurra! So nicht. (2010) Gisbert fand ich immer doof. Bis dieses Album kam und ich endlich verstand, warum das alles nicht doof sondern großartig war. Kräne aus morschem Holz in seltsamem Licht, Gespenster auf dem Rastplatz Krachgarten und graue Melancholie. Das ist quasi das deutsche Blonde on Blonde.
Yeah, bis auf den Knyphausen ( , haha) versammeln sich hier mir bekannte Künstler/Werke. Werde da zunächst mal bei Wolf Parade reinhören, dann bei Bon Iver...
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
Das Album von Nils Frahm war ja seinerzeit kostenlos erhältlich, wenn ich mich nicht irre. Was es nicht schlechter macht. Schwer, bei ihm ein Highlight herauszusuchen.
Zitat von Quork im Beitrag #1Alt-J - An Awesome Wave (2012) Alt-J hat sich mit diesem Album ein überragendes, unkaputtbares, unüberwindbares Hindernis in den Weg gelegt – und mir ein Herzensalbum gegeben, dass mich durch indische Großstädte, bolivianische Bergwelten, kolumbianischen Dschungel und amerikanische Kleinstädte begleitet hat.
Lustig, dass du das schreibst, denn für mich ist Alt-J eine dieser Bands, wo es total darauf ankommt, wo ich gerade bin. In Hannover habe ich sie punktuell gehört und fand beispielsweise "Fitzpleasure" immer großartig. Komplett abgeholt haben sie mich aber nicht. Wenn ich sie bei Berlin-Besuchen gehört habe, waren sie komischerweise eingängiger. Jetzt habe ich "An Awesome Wave" in Wien angehört und fühle mich ebenfalls sehr abgeholt. "Bloodflood" and "Taro" sind mir vorher noch gar nicht so ins Ohr gesprungen, aber landen jetzt definitiv erstmal in der Heavy Rotation.
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?
Ja, das Album funktioniert für mich völlig unabhängig von Ort und Zeit eigentlich immer. Es gibt da auch eigentlich keinen schlechten Song drauf für mich, eher Songs, die länger brauchen als andere, um so richtig zu landen. Es kann aber auch sein, dass das eben die schönen Reiseerinnerungen sind, die ich mit der Musik verbinde, die eben wieder aufkommen, ganz egal wo ich das Album höre.