Nachdem mir das neue Album ja ausgesprochen gut gefällt, habe ich mir Konzertkarten für die Domplatte in Köln gekauft. Vorher will ich aber noch mal alle Alben nachholen.
Fangen wir an mit
Du und wieviel von deinen Freunden (2002) Ich müsste nachsehen, aber das Album steht auf meiner Wishlist, aber nicht im Schrank. Irgendwie ist das damals noch an mir vorbeigegangen. Ich bin also kein Kettcar-Fan der ersten Stunde, sondern bin erst mit dem Zweitwerk eingestiegen (und war dann bis zur aktuellen Platte auch wieder raus). Aber so in der Nachbetrachtung fällt mir zuerst die schwachbrüstige Produktion auf. Vielleicht, weil heute alles bis zum Anschlag aufgedreht ist. Nur ein Jahr später, mit Tomtes "Hinter all diesen Fenstern", hat Swen Meyer das besser hinbekommen. Auch die Musik klingt noch wie von einer Band, die sich und ihren Stil sucht. Mal wird gerockt, etwa in "Ich danke der Academy", mal wird es ruhig, Keyboardsounds verunstalten einige der Songs ("Ausgetrunken" ist da ganz schlimm). Aber es gibt auch Songtitel für die Ewigkeit ("Jenseits der Bikinilinie" und "Im Taxi weinen"). Die Entscheidung, einen so langsamen Song wie "Volle Distanz" an den Anfang zu setzen, ist gewagt. Der alles überstrahlende Song "Landungsbrücken raus", gleichzeitig auch die einzige Single, kommt mittendrin. Nein, komplett reißt mich das nicht mit. Aber schlecht ist es auch nicht. 7/10
Die letzten Sechs in der Playlist: Honeyglaze - Real Deal || Laura Marling - Patterns In Repeat || Nieve Ella - Watch It Ache and Bleed || Dawn Richard & Spencer Zahn - Quiet In a World Full of Noise || Flip Top Head - Up Like a Weather Balloon || Haley Heyndericks - Seed of a Seed
Ich war damals großer Fan von Kettcar, alle Platten von ihnen danach waren aber für mich nur (wenn auch ganz gern gehörte) Wiederholung des auf der ersten Platte durchexerzierten.
Texte immer gut, aber eine deutsche "sound like Bob Mould"-Platte reicht.
Die Platte heute zufällig auch mal wieder gehört. Meine komplett subjektive Meinung: Hier reiht sich Hit an Hit. Und eine "schwachbrüstige" Produktion höre ich hier auch nicht. Ist doch schön druckvoll abgemischt, ohne es damit zu übertreiben. Und ich bin echt froh, dass das kein bis zum Anschlag ausgesteuerter Soundbrei ist, sondern dass man jedes Instrument einigermaßen differenziert heraushören kann.
http://www.last.fm/de/user/DerWaechter ehemaliger Influencer * Downtown * Radebrecht * "Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen." (Ronja von Rönne) “The sex and drugs have gone and now it’s just the rock ‘n’ roll” (Shaun Ryder)
Ich kenne nur das Debüt, das mir damals von einer Hamburger-Schule-infizierten Freundin aufgedrängt wurde. Erinnere mich nur noch, dass ich die Musik ganz in Ordnung fand, das Sprachgepansche (inklusive des grammatikalisch falschen Titels) und Wiebuschs Art zu singen aber nicht mochte. Hab dann nie wieder was anderes von denen ausprobiert.
Mein Kettcar-Einstieg - und ich mag's. Mit "Deiche" geht's direkt gut los (anders als beim schleppenden Einstieg des Debüts), wie beim aktuellen Album gibt es eine Zustandsbeschreibung der Bundesrepublik bzw. der damals auch schon nicht mehr ganz so neuen Bundesländer. Natürlich ist das stilistisch ähnlich wie beim Erstling. Aber ich finde es musikalisch etwas ausgearbeiteter. Liegt aber vielleicht auch eben daran, dass es mein erstes Kettcar-Album war. Oder eben, dass ich Tomtes "Hinter all diesen Fenstern" so großartig fand/finde. Ein Song wie "48 Stunden" berührt mich heute natürlich ganz anders als früher, jetzt, wo ich selbst eine Fernbeziehung führe. Das Ende von "Einer", bei dem mit der Zeile "es hört auf" wirklich Schluss ist, mag ich immer noch. "Balu" ist natürlich immer noch eine wundervolle Ballade über ein Paar, das aus zwei total unterschiedlichen Menschen besteht. "Stockhausen, Bill Gates und ich" ist immer noch einer meiner Favoriten, bei dem ich nicht weiß, warum der nicht als Single veröffentlicht wurde. Der schreiende Kinderchor, die absurde Geschichte von den dreien im Aufzug - das ist großes Kino! 8/10
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Sylt (2008) Keine Ahnung mehr, wie das damals rezipiert wurde. Aber mich hat es damals nicht angesprochen. Ungewöhnlich, dass hier gleich drei Produzenten (neben Swen Meyer auch Moses Schneider und Tobias Siebert) zuständig waren. Schön natürlich, dass Niels Frevert hier bei "Am Tisch" eine Strophe singt. "Sag zum Abschied leise fick dich" aus "Wir müssen das nicht tun" ist eine ebenso schöne, wie typische Songzeile von Kettcar, wo bekannte Sätze abgeändert werden. "Fake for Real" mit seinen Störgeräuschen finde ich beeindruckend, auch mit den Verweisen auf 9/11 und die Unmenschlichkeit in manchen Konzernen. Aber es gibt auch doofe Songs. "Agnostik für Anfänger" etwa ist - da muss ich mal den Song zitieren "so was von langweilig". Ein okayes Album, aber auch nach 16 Jahren will der Funke nicht so recht überspringen. 6/10
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Zwischen den Runden (2012) Bis eben wusste ich nicht mal mehr, dass es das Album überhaupt gibt. Und da ich Kettcar ja lange nicht mehr verfolgt habe (und vielleicht deshalb vom neuen Album so positiv überrascht war), fällt mir als erstes die deutlich heisere Stimme von Marcus Wiebusch auf. Ansonsten tue ich mich schwer, hier irgendwas großartig Neues über die Musik oder das Album zu schreiben. Außer: Wie kann es sein, dass die Platte am Ende immer besser wird und ein Song wie "3.26" nur ein Bonus-Track der Deluxe-Edition ist? Highlights sind für mich "R.I.P.", "Nach Süden" und das Tom-Waits-ähnliche "In deinen Armen". Den Abschluss machen zwei der schönsten Kettcar-Songs überhaupt: die Balladen "Erkenschwick" mit der großartigen Zeile: "Während die Weisen hier noch stehen und grübeln, erobern die Dummen längst den Berg" und das ebenso schöne wie traurige "Zurück aus Ohlsdorf". Ein paar Songs haben wieder sehr schöne Texte ("Rettung"). Es sind viele Lieder über Liebe, egal ob die guten oder schlechten Seiten. Und auch wenn mich ein paar musikalische Spielereien wieder fraglos zurücklassen, gelingt "Zwischen den Runden" es, mich doch zu packen. 7/10
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Laut last.fm ist das das am dritthäufigsten gescrobbelte Album bei mir, seit ich mit last.fm scrobble. Wenn man das herunterrechnet, habe ich es ungefähr dreißig mal am PC oder mit dem Smartphone angehört.
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Ich find's spannend, dass das komplett an mir vorbeigegangen ist. Wenn ich nur die vier gehörten Alben einsortieren müsste, wäre das auf Platz zwei.
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Ich vs. Wir (2017) Das letzte Album für sieben Jahre. Und wie zur Hölle konnte mir das denn entgehen? "Ich vs. Wir" nimmt alles, was das neue Album hat, vorweg. Die Politik. Die Gegenwärtigkeit. Die Gesellschaftskritik. Schonungslos. Offen. Ehrlich. Ja, mit "Ankunftshalle" beginnt die Platte noch versöhnlich, denn man kann sich einfach mit einem Ritual die ganze Dummheit der Menschen schön denken. Nur für einen Moment steht das Ich nämlich mal nicht im Mittelpunkt, sondern es gibt auch noch ein Du oder ein Ihr und zusammen das große Wir. Doch direkt danach machen Kettcar diese Vorstellung mit dem Bulldozer platt, das Magnum Mandel ist aufgegessen, die Colaflasche leer. Viele doofe Ichs werden zu einem nervigen und gefährlichen Wir, perfekt zu beobachten seit Anfang 2020, aber da die Platte von 2017 ist muss das auch schon vorher, durch Pegida und Co., sehr klar gewesen sein. Noch deutlicher und plakativer ist "Mannschaftsaufstellung". "Liebling, ich bin gegen Deutschland" sagt da jemand am Abendbrottisch - zumindest das Deutschland aus dem Song, das aus dem Gesocks besteht, das derzeit hetzt und polarisiert (und das heute beim Fußball sagt, dass man gegen Deutschland ist, weil dort angeblich keine Deutschen mehr spielen und dann gibt es ja auch noch rosa Trikots!). Aber es sind auch wieder die kleinen Geschichten. "Benzin und Kartoffelchips", "Trostbrücke Süd". Alltagsbeschreibungen. Doch sie sind diesmal untergeordnet. "Ich vs. Wir" ist das bis dahin wichtigste Kettcar-Album. 9/10
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Bevor du zum neuen Album springst, vergiss nicht den Nachklapp zu Ich vs. wir aus dem Jahr 2019: Der süße Duft der Widersprüchlichkeit. Ist zwar nur eine EP oder Mini-LP, aber die Songs darauf sind auch stark.
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Ich nehme mir Jacks Besprechungsreigen mal zum Anlass, mal wieder wohlwollend in den Output reinzuhören. Nach anfänglichem Interesse hatte ich selbiges nämlich schnell wieder verloren, weil mir Band, Texte und Musik insgesamt einfach zu bieder erschienen.
Der süße Duft der Widersprüchlichkeit (Wir vs. Ich) (2019) Der EP-Nachklapp zu "Ich vs. Wir"? Teilweise. "Palo Alto", der Song über das "Früher war alles vielleicht nicht besser, aber anders", über technischen Fortschritt und was er bedeutet. "Scheine in den Graben" darüber, dass die Reichen ab und zu auch mal ein bisschen Wohltätigkeit zeigen - fürs Selbstwertgefühl und mit vielen Gaststars. Das sind zwei Songs, die auch auf "Ich vs. Wir" gut gepasst hätten. Doch dann wird es etwas beliebig - bis zum Gänsehautsong "Weit draußen" über eine Frau, die mit einem behinderten Kind aufwächst und mit Songzeilen, die weh tun. 7/10
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Gute Laune ungerecht verteilt (2024) Kann man hier schon vom Comeback-Album reden? Sieben Jahre nach der letzten LP (und fünf seit der EP) feiert die Band ihre Rückkehr. Es war vielleicht einfach an der Zeit für Zustandsbeschreibungen unserer Gesellschaft, für die großen und kleinen Geschichten. Und es ist wieder einmal ein erstaunliches Album geworden. Eines, das genau so aktuell ist, wie "Ich vs. Wir". Ein Album, von dem alleine zwei Songs gereicht hätten, um die vielleicht wichtigsten deutschsprachigen Stücke des Jahres zu sein. "Auch für mich 6. Stunde" könnte dabei die Fortsetzung von "Wagenburg" sein. Die Welt ist noch ein Stück zynischer geworden. Der Anblick eines toten Flüchtlingskindes ruft nur noch Schulterzucken hervor. Für noch wichtiger halte ich aber "München". Wie Wiebusch hier seine Freundschaft mit einem nicht deutsch aussehenden Menschen beschreibt, der sich von kleinauf dem Alltagsrassismus widersetzen muss, ist bitter. Der Dialog: "Ich guckte dich an und sagte: Wir sind uns so ähnlich, sind uns so gleich. Und du sagtest zu mir: Ja, dass sind wir, aber wir sind es nicht hier" tut weh. Und dann geht es um die Helden der Pandemie, die Pflegerinnen und Paketzusteller, für die wir auf Balkonen geklatscht haben, es geht um Cancel Culture und die Trennung von Werk und Künstler. Aber Kettcar können auch kleiner. Geschichten aus dem Mikrokosmos. Vom Einkaufswahnsinn. Und sie sprechen das aus, was viele Eltern sich nicht zu sagen wagen: Mal etwas ohne Kinder zu machen, ist auch schön. "Was wir sehen wollten" hingegen ist wieder eine dieser kleinen Songs mit einer so traurigen Geschichte wie "Zurück aus Ohlsdorf". 8/10
Die letzten Sechs in der Playlist: Honeyglaze - Real Deal || Laura Marling - Patterns In Repeat || Nieve Ella - Watch It Ache and Bleed || Dawn Richard & Spencer Zahn - Quiet In a World Full of Noise || Flip Top Head - Up Like a Weather Balloon || Haley Heyndericks - Seed of a Seed