Ha! Die Erstellung dieses Threads überrascht mich selbst, denn obwohl ich die inzwischen 88-Jährige basierend auf diversen Interviews u.ä. entgegen ihres vorherrschenden Images immer recht sympathisch fand, hielt ich ihr musikalisches Schaffen quasi bis vorhin für ziemlich abwegig und vernachlässigbar. Dieses Urteil musste ich in den letzten 24 Stunden aber weitgehend revidieren: Nachdem mir Youtube einen (wie ich finde großartigen) 2012er Remix eines Songs von 1980 in der Playlist packte, habe ich mich heute mal ein wenig bei Spotify durch ihren Output gehört und war sehr positiv überrascht: Gesanglich aber auch kompositorisch oft gar nicht so weit weg von Björk aber auch PJ Harvey, die Songs häufig erstaunlich eingängig und zugänglich, manchmal geradezu rührend ehrlich, stilistisch alles breit gefächert und abwechslungsreich. Entgegen kommt mir auch der Umstand, dass sie in den letzten 25 Jahren viele eher elektronische Kollaborationen gemacht hat und viele Remixe entstanden, in diesem Kontext wirkt ihr Gesang nochmal weniger befremdlich. Fürs erste poste ich jetzt mal die Songs, die mir spontan gefallen haben, hoffentlich habe ich anschließend noch die Motivation, noch etwas genauer in ein paar Alben reinzuhören.
What a bastard the world is (1973)
Where do we go from here? (1995)
Sleepless night (1984)
I'm moving on (1980)
I'm moving on (2012 Frankie Knuckles & Eric Kupper Promo Mix)
Als Beatles Fan, der schon als 13jähriger zuerst das Blaue, dann das Rote, bald auch Abbey Road, Revolver und das Weiße samt Texten relativ text- und (!) tonartgenau durchsingen konnte, und sich deshalb eine Gitarre besorgte, habe ich sie natürlich gehasst für die damals zumeist unverdaulichen Lieder der Lennon Alben. In den späten 80ern habe ich gemerkt, dass sie besser wurde, danach. Aber wo ich jetzt das 1973 Album von oben durchhöre, kann ich kaum fassen, wieviele Lieder richtig gut sind. Vor allem komplett ohne diese harten, schrillen und manchmal anstrengend schiefen Gesänge, die man als Lennon Fan auf dessen Alben fürchtet. Schon hat das Posting einen ersten Gewinn erzielt: einen schönen Ausklang, der sich erstaunlicherweise dank Yoko nun viel zu lange hingezogen hat. :-)
Ein schöner Beitrag. Ich hatte überhaupt nicht auf dem Schirm, dass sie auch "richtig" singt, man assoziiert sie ja immer nur mit irgendwelchen Urschreien und 45 minütigen Krachorgien. Da mich Lennons Solowerk bisher nie groß gereizt hat, fehlten auch diesbezüglich Berührungspunkte.
ich hatte mal für 2 wochen (oder so) das "seasons of glass"-album (das mit lennon's zerbrochener, blutverschmierter brille auf dem cover - ). das fand ich ziemlich furchtbar und hab es umgehend verschenkt (an jemanden, der es wirklich haben wollte). die stücke von "double fantasy" und "milk and honey" fand ich immer durchwachsen, aber hörbar - meistens habe ich sie aber doch geskippt. muss ich wohl mal wieder antesten. die hörbeispiele sind ja wirklich nicht übel. aber ein yoko ono-fan wird in diesem leben nicht mehr aus mir. das hier werde ich aber immer mögen:
Seltsam faszinierend finde ich auch "No no no" samt des verstörenden Videos. Spricht ja für sie, dass sie die Ermordung ihres Gatten nicht in einer kitschigen Ballade verarbeitet hat sondern in einem zugleich traurigen als auch furchteinflößenden Song, den Xiu Xiu 40 Jahre später nicht besser hinbekommen würden:
Yoko Ono & John Lennon - Unfinished Music No. 1: Two Virgin (1968) Kurz bevor die beiden sich das erste Mal körperlich näherkamen (womit das Album zumindest etwas gutes hatte, sorry Beatles) haben sie die ganze Nacht mit Equipment herumgespielt, Samples aneinander gereiht, kurze Instrumentalpassagen eingespielt und Tiergeräusche imitiert. Der Ansatz war zwar in der Tat zukunftsweisend, die Umsetzung aber einfach zu albern, entsprechend vernichtend waren die Kritiken. Seltsamerweise befindet sich auf dem Album ein Bonustrack namens "Remember love", der - Überraschung - eine richtige Akustikballade ist, die von Yoko Ono geschrieben und durchaus lieblich und charmant eingesungen wurde. Meine Wertung: * (Originalalbum) / ** (Bonus für den Bonus)
Yoko Ono & John Lennon - Unfinished Music No. 2: Life with the lions (1969) Trotz oder aufgrund der vernichtenden Kritiken gab es direkt noch einen Nachfolger. Weniger albern als Teil 1 aber insgesamt ebenso eine krude Toncollage, die ganz bewusst unfertig wirken sollte, da es dem Hörer oblag, dem Gehörten einen Sinn zu geben, was besonders bei "Two minutes of silence" (exakt das!) herausfordernd ist. Wieder gibt es mit "Song for John" eine durchaus anhörbare Akustikballade, gesungen von Ono, als Bonus. Meine Wertung: * (Originalalbum) / ** (Bonus für den Bonus)
Yoko Ono & John Lennon - The Wedding album (1969) Man ahnt es: Zwei epische Soundcollagen, bei der ersten dienen Herztöne als Rhythmus und die beiden rufen gegenseitig ihre Namen und scheinen auch körperlich Spaß zu haben, die zweite besteht aus Interviewsequenzen. Meine Wertung: *
Plastic Ono Band - Live Peace in Toronto 1969 Für ein Festival stellen die beide auf die Schnelle eine richtige Band u.a. mit Eric Claption und Yes Drummer Alan White zusammen und spielen sich auf Seite A durch drei Rock'n Roll Klassiker, "Yer Blues" (vom Weißen Album), "Give peace a chance" und die Lennon Komposition "Cold Turkey", auf der B-Seite gibt es zwei Ono Kompositionen. Selbstverständlich war das Feedback für die konventionelle erste Hälfte damals verhalten positiv und für die beiden Ono Songs vernichtend. Ich würde das heute durchaus anders sehen, gerade "Don't Worry Kyoko (Mummy's only looking for her hand in the snow)" wandelt beeindruckend Verzweiflung (Yoko Onos über die de fakto Entführung ihrer Tochter Kyoko durch ihren Ex-Mann in eine christliche Sekte, obwohl sie das Sorgerecht hatte) in laut John Lennon "one of the fuckin' best rock 'n' roll records ever made", bei dem Yoko Ono fünf Minuten lang über ein einziges Gitarrenriff den Namen ihrer Tochter schreit. Schön anzuhören ist das nicht, soll es aber ja auch gar nicht. Treffer. Meine Wertung: ***
Das offizielle Debütalbum von Yoko Ono wurde damals von Öffentlichkeit und Kritik gleichermaßen abgestraft und bestenfalls ignoriert. Dass die Kritiken über die Jahre und Jahrzehnte bis heute immer besser wurden und es heute als zukunftweisend und Blaupause für ganze Generationen wütender weiblicher Sängerinnen gilt, zeigt, dass Yoko Ono auch deshalb oft verkannt wurde, weil sie so manches mal ihrer Zeit tatsächlich weit voraus war. Die beiden Opener "Why" und "Why not" sowie "Touch me" verknüpfen alte japanische Gesangstechnik, Urschreie und dekonstruierten Rock an der Grenze zum späteren Post Punk und klingen damit heute noch sehr herausfordernd, genauso "AOS" bei dem Ono ihre Stimmakrobatik als Jazzinstrument in das Ornette Coleman Quartet einbringt. Bei "Paper Shoes" wandelt sich Onos Gesang in ein fernes Wehklagen das sich über Vodoodrums und einen minimalistischen Basslauf legt, da dürften u.a. Siouxie Sioux aber auch Robert Smith (besonders für die B-Seite "Splintered in her head") ganz genau hingehört haben. Höhepunkt des Albums ist für mich aber "Greenfield morning I pushed an empty baby carriage all over the city": Wieder dient Trauer (diesmal über die Fehlgeburt des ersten gemeinsamen Kindes mit John Lennon) als Triebfeder, für den Sound wurden ein Sample des Sitarspiels von George Harrisson und ein entfremetes Drumloop von Ringo Starr mit Echo Effekten ergänzt, darüber singt Ono extrem langgezogene Satz- und Wortfragmente des Titels. Beim Blindhören hätte ich den Track frühestens im Jahr 1995 verortet, da darf man ruhig mal das Prädikat "visionär" verleihen.
Mein Urteil: **** (****** für "Greenfield morning...")
Greenfield morning I pushed an empty baby carriage all over the city
Zitat von LFB im Beitrag #9Ich würde das heute durchaus anders sehen, gerade "Don't Worry Kyoko (Mummy's only looking for her hand in the snow)" wandelt beeindruckend Verzweiflung (Yoko Onos über die de fakto Entführung ihrer Tochter Kyoko durch ihren Ex-Mann in eine christliche Sekte, obwohl sie das Sorgerecht hatte) in laut John Lennon "one of the fuckin' best rock 'n' roll records ever made", bei dem Yoko Ono fünf Minuten lang über ein einziges Gitarrenriff den Namen ihrer Tochter schreit. Schön anzuhören ist das nicht, soll es aber ja auch gar nicht. Treffer.
Pro Tipp: Auf "Some Time In New York" kann man der Verzweiflung 16 Minuten lang lauschen, was durchaus beeindruckend ist.
http://www.last.fm/de/user/DerWaechter ehemaliger Influencer * Downtown * Radebrecht * "Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen." (Ronja von Rönne) “The sex and drugs have gone and now it’s just the rock ‘n’ roll” (Shaun Ryder)
Danke, ich galoppiere ja einmal chronologisch durch den Output, so ist zumindest der Plan, dazu komme ich also noch. Dass ich das 16 Minuten lang durchhalte, kann ich aber nicht versprechen.
Das Gegenstück zu John Lennons "Imagine" Album war nicht weniger avantgardistisch als der Vorgänger "Plastic Ono Band" und macht keine Gefangenen: Im Titelstück imitiert Ono 23 Minuten lang und weitgehend ohne musikalische Begleitung eine Fliege, das kurze "Toilet Piece/Unknown" besteht hingegen aus dem wiederholten Betätigen einer Toilettenspülung, dazu gibt es fast auf jedem Track ausführliche Stimmexperimente zwischen Tiergeräuschen und Schreien, auf klassische Songstrukturen wird hingegen fast durchweg verzichtet. Zu Recht wird dem Album auch eine gewisse Ziel- und Konzeptlosigkeit vorgeworfen, denn die teilweise bereits zuvor veröffentlichten und dem Album vorangestellten Post-Bluesrocker "Midsummer New York", "Mind Train" und "Don't worry Kyoko..." wirken stilistisch wie Fremdkörper. Trotzdem lohnt sich (zumindest selektiv) die nähere Beschäftigung mit dem Doppelalbum: "Mind Holes", "O'Wind (Body Is the Scar of Your Mind)", "Airmale" und "Don't count the waves" nehmen zwischen fernöstlichen Harmonien, Ambientklängen, sich zu angedeuteten Rhythmen vereinenden Alltagsgeräuschen und obskurer Stimmakrobatik viele Stilmittel vorweg, die vor allem The Orb in den frühen 1990er Jahren ganz ähnlich eingesetzt haben, was diese Stücke auch in musikhistorischer Hinsicht interessant macht. Höhepunkt des Albums ist aber "Mrs. Lennon", vordergründig ein Liebeslied, in Wahrheit aber eine gespenstische Ballade über den Verlust ihrer künstlerischen Identität als vermeintliches bloßes Anhängsel ihres berühmten Gatten. Lohnend ist auch der Bonustrack "Will you touch me?", den man beim Blindhören beinahe PJ Harvey zuordnen könnte. Meine Wertung: (noch knapp) ***
John Lennon & Yoko Ono - Some Time In New York City (1972)
Ziellloses und überambitioniertes Doppelalbum bei dem das ausgeprägte politische Sendungsbewusstsein als Klammer nicht reicht, um die stilistische Bandbreite und die wilde Mischung aus Studio- und Liveaufnahmen in zwei verschiedenen Besetzungen (darunter einige Songs mit Frank Zappa und den Mothers of Inventions, bei denen deren gesangliche Beiträge allerdings nachträglich fast komplett ausgeblendet wurden, auch das kein sympathischer Ansatz) zusammenzuhalten, heute würde man das ganze vermutlich als "Mixtape" wohlwollender bewerten. Schade, ein gutes Soulalbum hätte sich um Tracks wie "Woman is the nigger of the world", "Born in a prison" und "Sunday Bloody Sunday" basteln lassen, die Rockabilly Songs hätten eine ordentliche EP ergeben und die zweite Hälfte des Albums hat als kraftvolles Livealbum durchaus ihre Momente: Die bereits angesprochene 16-minütige Liveversion von "Don't worry Kyoko" ist in der Tat ein bewegendes Livedokument und "Well (Baby, Please don't go)" strotz ebenfalls vor Kraft, auch wenn die schrillen Schreie Yoko Onos ein gewisses Maß an Toleranz erfordern, an dem ganze Generationen von Musikhörerinnen und -hörern gescheitert sind. Insgesamt wäre weniger mehr gewesen, aber die beiden hatten eben damals viel (politischen) Schwung. Meine Wertung: ***
Was für eine beeindruckende Flucht nach vorne: Yoko Ono tritt selbstbewusst aus dem Schatten John Lennons (der auf dem Album nur noch als Gitarrist fungiert) und komponiert im Alleingang ein komplettes Doppelalbum, singt auf einmal "richtig" (und technisch durchaus ordentlich, wobei sie ihre bisher charakteristischen und überwiegend wohl gefürchteten expressiven Schreie und Laute nur noch als seltenes Stilmittel einsetzt), vor allem aber beweist sie ihren zahlreichen Spöttern, dass sie sich ihren Weg zum Abstrakten entgegen aller Vorurteile über das Beherrschen des Konventionellen erarbeitet hat. Schon der Opener "Yang Yang" ist prima gealtert und erinnert in seiner schwungvollen Art an Sly and the Family Stone, hätte als Coverversion von Prince sicher auch eine gute Figur abgegeben. Anschließend der frühe Höhepunkt des Albums: "Death of Samantha" nimmt in sechseinhalb Minuten die Melancholie Portisheads vorweg, der Text über die Verleugnung der eigenen Verletztlichkeit und Ängste für ein souveränes, starkes Äußeres ist heute so aktuell wie damals. Kein Wunder, dass sich nach dem Song nicht nur eine Post Punk Band der frühen 80er benannte, sondern bis heute würdige Coverversionen (zuletzt Boy Gearge sowie Sinnead O'Connor) erscheinen. Das funkige "What did I do!", das überdrehte "Cat Man" der tanzbare "Kite Song" oder die Swinging Sixites Hommage "What a mess" dürften noch heutzutage auf jeder Party funktionieren (Tipp: Erst hinterher verraten, dass es Songs von Yoko Ono sind), während des viel zu kurze "Have you seen a horizon lately" ein würdiges textliches und musikalisches Gegenstück zu Nick Drakes "Northern Sky" abgibt. "Peter the Dealer" hingegen ist nicht weit weg von den damaligen Stones (also "Exile on Main St."), vielleicht ja auch eine Folge des Auftauchens Mick Jaggers bei den Aufnahmesessions? Ein weiterer Höhepunkt ist für mich "What a bastard the world is": Wurde ein weltpolitischer und emanzipatorischer Kampfaufruf jemals charmanter mit einer Liebeserklärung verknüpft als in den Zeilen "Are you listening, you jerk, you pig, you bastard, you scum of the earth, you good for nothing? Are you listening? Oh, don't go, don't go, please, don't go, I didn't mean it, I'm just in pain."? Ein ähnlicher Kontrast gelingt "I felt like smashing my face in a clear glass window" das einen lolitahaft beschwingten Vortrag mit einem bedrohlichen Text verbindet. Dass ein Teil der Balladen etwas zu harmlos geraten ist, machen das dreisprachig auf japanisch, französisch und engllisch gesungene "Shiranakatta (I Didn't Know)", das verletzliche "I have a woman inside my soul" und die finale Klavierballade "Looking over from my hotel window" wett. Ein tolles, würdig gealtertes und abwechslungsreiches Doppelalbum ohne Ausfälle, ich finde das gerade ziemlich großartig, auch weil es so unerwartet kommt, dafür packe ich bei der Bewertung zumindest vorübergehend ein Euphoriesternchen drauf: ****** (heute) ***** (ab morgen)
p.s.: Höchste Charposition (USA): 193. Fuck off, what a bastard the world is
p.s. 2: Welcher Song hat denn das Gitarrenriff von "Move on fast" geklaut? Oder war es andersherum? So was macht mich ja immer nervös, wenn ich da nicht drauf komme.
01. Yang Yang ***** 02. Death Of Samantha ****** 03. I Want My Love To Rest Tonight *** 04. What Did I Do! **** 05. Have You Seen A Horizon Lately ****** 06. Approximately Infinite Universe **** 07. Peter The Dealer **** 08. Song For John *** 09. Catman (The Rosies Are Coming) ***** 10. What A Bastard The World Is ****** 11. Waiting For The Sunrise **** 12. I Felt Like Smashing My Face In A Clear Glass Window ***** 13. Winter Song **** 14. Kite Song ***** 15. What A Mess ***** 16. Shiranakatta (I Didn't Know) ****** 17. Air Talk **** 18. I Have A Woman Inside My Soul ****** 19. Move On Fast ***** 20. Now Or Never *** 21. Is Winter Here To Stay? **** 22. Looking Over From My Hotel Window *****