Fand gerade keinen passenden Thread und wollte ihn nicht "Antisemitismus" nennen, Dachte, ich lasse mehr Möglichkeiten offen.
Habe mich ja in den letzten Tagen vermehrt mit ihm hier beschäftigt ... SpongeBOZZ, der erste offen jüdische Deutschrapper:
Im Gegensatz zu @beth s Vermutung ist der übrigens keineswegs weg vom Fenster, sondern ist mittlerweile deutlich erwachsener geworden und sieht nun leider aus wie Max Herre. Habe mir aber auch viele seiner neuen Sachen angehört, und die sind richtig gut (wobei ich das da auch für einen ziemlichen Banger halte; hab halt doch ein Herz für Assirap); er kann tatsächlich was und scheint echt was auf dem Kasten zu haben, auch wenn er aus der tiefsten Gosse kommt. Aber darum soll es hier nicht gehen. Das Stück ist von 2017, und der ebenfalls jüdische SPIEGEL - Autor Dmitrij Kapitelman schrieb dazu: Was hat das mit dem Judentum zu tun? Was soll damit transportiert werden? Ich verstehe es nicht. Tut ein Jude alles, was er tut, wie ein Jude? Sollen jüdische Symbole bei der vornehmlich jungen Leserschaft neu konnotiert werden und so das Recht der Juden auf Asozialität erstritten werden?
Über den letzten Satz bin ich massiv gestolpert. Natürlich haben Juden ein Recht, asozial zu sein; sie dürfen genauso Säufer, Schläger, Koksdealer, Zuhälter und Arschlöcher sein wie jeder andere Hinz und Kunz auch; zumindest prinzipiell. Irgendwie existieren jüdische Menschen (um Frauen miteinzuschließen) in der Öffentlichkeit vorwiegend als (potentielle) Opfer. Man erwartet von ihnen, daß sie schwer an ihrem Kollektivschicksal tragen, in öffentlichen Verlautbarungen entweder empört oder betroffen sind oder flammende Appelle für Toleranz in irgendwelche Mikrophone absondern ... alles schön und gut, aber man drängt sie damit auch in eine Rolle. Man erwartet von ihnen, die ewigen Opfer zu sein, die man mit Samthandschuhen anzufassen hat und erschafft somit das Klischee von Juden, wie sie in den Augen der deutschen (bzw. der in Deutschland lebenden) Öffentlichkeit gefälligst zu sein haben. Insofern war es allerhöchste Zeit für jemanden wie SpongeBOZZ, der allen mal zeigt: wir können auch anders. Nämlich genauso wie ihr. Interessanterweise tappte ich auch in die Klischeefalle und erwartete eine Art Gymnasiastenrap à la Blumentopf, weil: er ist ja Jude. Noch was anderes, was infolge meiner Beschäftigung mit dem Thema auftauchte: interessant sind auch jüdische Mitbürger, die gerne übelste Witze über Juden machen (die es laut diversen Artikeln, die ich gelesen beziehungsweise überflogen habe auch gibt); natürlich finde ich das erstmal grundsympathisch, aber irgendwie ist das auch ein zweischneidiges Schwert. Manchmal provoziert man damit auch das befreite Lachen derjenigen, die nun ohne schlechtes Gewissen Witze abfeiern, die sie gerne selber machen würden, aber sich nicht trauen, weil sich das nicht gehört.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #1Man erwartet von ihnen, die ewigen Opfer zu sein, die man mit Samthandschuhen anzufassen hat und erschafft somit das Klischee von Juden, wie sie in den Augen der deutschen (bzw. der in Deutschland lebenden) Öffentlichkeit gefälligst zu sein haben.
"Die Integration der lebenden Juden in Deutschland hapert daran, dass man zu ihren Füßen so schlecht einen Kranz niederlegen kann." (Henryk M. Broder)
Hier verstehe ich sowohl den SpongeBozz, als auch den Herrn Kapitelman. Ich verstehe, wie SB sich mit seiner Rolle auseinandersetzt, wie er sich möglicherweise aus einem für ihn zu engem Korsett aus Rollenerwartungen befreien möchte, andererseits verstehe ich auch Herrn Kapitelman, der sich durch SB unfreiwillig eingemeindet fühlt in einen Habitus, der so gar nicht seiner ist.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Ich verstehe nicht, warum immer wieder geschrieben wird, dass Sun Diego der einzige jüdische Deutschrapper sei. Das stimmt schlicht und ergreifend nicht. Ben Salomo hat mit Rap am Mittwoch immerhin min. eine halbe Dekade lang den Deutschrap-Untergrund, v.a. in Berlin, geprägt. Über sein Format sind einige Rapper überhaupt erst groß geworden (Stichwort: Capital Bra oder Karate Andi).
Ich tu mich schwer damit, einen Sun Diego bzw. SpongeBozz als Kämpfer gegen den Antisemitismus wahrzunehmen. Jahrelang für Kollegah als Ghostwriter zu arbeiten und über JuliensBlog dann die Figur SpongeBozz zu etablieren, welcher später dann wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, weil er streikenden Lokführer*innen nach Auschwitz schicken wollte...klar, der große Kollegah-Skandal und das JuliensBlog-Urteil waren jeweils später, aber bei beiden sind diese Ausfälle nicht vom Himmel gefallen. Na ja.
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?
Ben Salomo hatte ich auch auf dem Schirm, aber der hat ja hauptsächlich als Veranstalter und Mann im Hintergrund gewirkt, oder täusche ich mich da? Es gibt ja - sah ich in einer Dokumentation über Antisemitismus im Deutschrap - auch eine jüdische Bookerin/Managerin. Als Frau und Jüdin ist das Ganze natürlich nochmal eine Spur härter.
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Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #1Man erwartet von ihnen, daß sie schwer an ihrem Kollektivschicksal tragen
Wen meinst Du mit "Man", der/die/das da etwas erwartet?
Ist wahrscheinlich auch über Gebühr verallgemeinernd, aber die meisten Menschen sind wohl irritiert, wenn sich jüdische Menschen nicht so benehmen, wie man es von ihnen allgemein erwartet. Siehe oben.
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Apropos: es gibt ja auch die JAFD, genau: die Juden in der AfD. Für die ist es das kleinere Übel, mit Höcke in einer Partei zu sein, als noch mehr Moslems ins Land zu lassen. Das entzieht sich wiederum MEINEM Verständnis.
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Ich glaube, es ist schon fair zu sagen, dass Jüdinnen und Juden von einem bestimmten Narrativ begleitet werden. Auch für mich ist es schwer, bzw. fast unmöglich, nicht an Holocaust zu denken, wenn der Begriff „jüdisch“ fällt. Das Thema begleitet mich seit meiner frühen Kindheit, und andere Berührungspunkte in meinem persönlichen Umfeld hatte ich kaum.
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Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #8Apropos: es gibt ja auch die JAFD, genau: die Juden in der AfD. Für die ist es das kleinere Übel, mit Höcke in einer Partei zu sein, als noch mehr Moslems ins Land zu lassen. Das entzieht sich wiederum MEINEM Verständnis.
Das ist wie Schwule und Lesben in der CDU. Auf der anderen Seite sollte man von niemandem grundsätzlich klügeres oder integreres Verhalten erwarten, auch wenn deren eigene Betroffenheit eigentlich beste Voraussetzungen für Empathie bieten sollte.
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Mal eine historische Frage (die nur peripher diesen Thread streift, aber ein anderer fällt mir nicht ein):
es geht um das Massaker von Babyn Jar, etwas, das ich nicht nur angesichts seiner Monstrosität schwer faßbar finde. Irgendwie will es mir auch nicht in den Kopf, daß da 33 000 Menschen schlangestanden, die wohl instinktiv ahnten, was passiert, und geduldig darauf warteten, sich abschlachten zu lassen. Gibt es da irgendwelche Untersuchungen über die Hintergründe dieses Fatalismus? Hatte das religiöse Ursachen? Kennt sich jemand in der Materie aus und kann etwas verlinken? Danke im voraus.
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Kürzlich gab es im Deutschlandfunk ein zweiteiliges Hörspiel zu Babyn Jar. Es ist keine wissenschaftliche Untersuchung, und ob es für dich das Geschehen irgendwie begreifbarer macht, weiss ich nicht. Aber ich fand es, nachdem ich mich nach ein paar Minuten an die Machart des Hörspiels gewöhnt hatte, durch die ganzen nachgesprochen Tagebucheinträge und Zeitzeugenberichte sehr eindrucksvoll.
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen