Kommt in einer Runde die Diskussion auf Jazz zu sprechen, geht es um Miles Davis und um Miles Davis. Dann wird "Take Five" erwähnt, dann "A Love Supreme", weil es ja angeblich das zweitbeste Jazz-Album aller Zeiten ist und dann ist wieder Miles dran. Miles ist ein Gott, ohne Frage, aber dort, wo er Visionen für neue Klänge und Stile hatte, konnte Trane die jeweiligen Richtungen bis an ihre Grenzen treiben. Während Miles seine Ohren für allerlei Klänge in Amerika und Europa öffnete, war Coltrane stark an afrikanischen, indischen und arabischen Stilen interessiert. Miles musste sein Spiel einfach halten, er hatte nicht die technischen Möglichkeiten eines Clifford Brown. Für Trane waren Töne nie ein Problem, egal wie viele, egal wie schnell. Zudem waren beide höchst unterschiedliche Typen, Coltrane war zu introvertiert für die großen Schlagzeilen. Trane war ein musikalischer Erbe Charlie Parkers, war sich mit Miles schnell einig, was das modale Spiel betraf. Zudem bestach er in seinen frühen Tagen durch seine "Sheets Of Sound", diese Hochgeschwindigkeits-Arpeggien, die die einzeln gespielten Töne für das Ohr in manchen Fällen nicht mehr wahrnehmbar machen ließen. Und sein langjähriges Quartett mit Elvin Jones am Schlagzeug, McCoy Tyner am Klavier und Jimmy Garrison am Bass ist für mich besser als jede andere klassische Besetzung im modernen Jazz.
Zu seinem Werk gehören ja auch ungezählte Platten als Saxofonist in unterschiedlichsten Besetzungen, in der er kein Bandleader war. Meine Platten von Trane als Leader:
- Interplay For 2 Trumpets And 2 Tenors (1957) - Dakar (1957) - Coltrane Prestige 7105 (1957) - Blue Train (1957) - Lush Life (1958) - Soultrane (1958) - Coltrane & Haden - Mainstream (1958) - Black Pearls (1958) - Bahia (1958) - Giant Steps (1959) - Coltrane Jazz (1960) - Coltrane & Don Cherry - The Avant-Garde (1960) - Like Sonny (1960) - My Favorite Things (1960) - Coltrane Plays The Blues (1960) - Coltrane's Sound (1960) - The Complete Africa/Brass Sessions (1961) - Olé (1961) - Live At The Village Vanguard (1961) - Impressions (1961) - Ballads (1961) - At Birdland (1962) - Coltrane (1962) - Duke Ellington & John Coltrane (1962) - The Paris Concert (1962) - Coltrane & Johnny Hartman (1963) - Dear Old Stockholm (1963) - Crescent (1964) - A Love Supreme (1964) - The John Coltrane Quartet Plays - Ascension (1965) - Kulu Sé Mama (1965) - Sun Ship (1965) - Om (1965) - Meditations (1965) - Live At The Village Vanguard Again (1966) - Stellar Regions (1967) - Expression (1967) - Interstellar Space (1967) - Living Space 1965 (1998) - John Coltrane & Thelonious Monk At Carniegie Hall 1957 (2005)
Leider habe ich nur 12 davon auf Vinyl, aber dabei wird es nicht bleiben
Was mich bei beiden gleichermaßen fasziniert, ist- so unterschiedlich die Ansätze und die Character- die unglaubliche Rastlosigkeit mit denen sich beide entwickelten, schlicht weg atemberaubend (bei Coltrane ist es fast so, als hätte er seinen frühen Tod geahnt). Wobei mir Coltrane als der radikalere der Beiden erscheint. Miles konnte z.B. Freejazz nie etwas abgewinnen, Monk hielt er für einen schlechten Pianisten etc., Coltane hingegen förderte die "jungen Wilden" soweit es ging und führte- als Elder Statesman bei Impulse, der etabliert war- den Freejazz mit zum Durchbruch. Was die Technik und den Stil von Miles Davis betrifft- so ist glaube ich eher Dizzy der Bezugspunkt (dem er technisch weder folgen konnte noch wollte), zu dem er mit seinem Stil (beeinflusst von Lester Young) eine Alternative als Nachfolger bei Charlie Parker bildete. Wenn ich fünf Platten von Coltrane mit auf die Insel nehmen dürfte so wären es (spontan und ohne Reihenfolge) Giant Steps, Live At The Village Vanguard (eines der besten Livealben ever), A Love Supreme, Sun Ship, Interstellar Space.
Liest sich alles sehr interessant, gerne mehr davon. Habe von Coltrane nur die hier:
Die habe ich mir, als ich von Jazz wirklich noch überhaupt keine Ahnung hatte (und bis heute habe ich nicht viel) hauptsächlich wegen des Covers gekauft. Und finde sie leider stinkelangweilig, habe sie aber schon lange nicht mehr gehört.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
- "Crescent", die dunkle Seite von - "A Love Supreme"
und dann nach Tagesform
- "Complete Africa/Brass Sessions" - "Olé" - "Ascension", bei dem ich auf der Insel die Zeit hätte, die Klänge und Instrumente in ihre Bestandteile zu zerlegen oder wahlweise als Wall Of Sonstwas zu genießen. Für mich viel, viel besser als Colemans "Free Jazz".
"Interstellar Space" ist mir dann zu kräftig auf die Zwölf, die kann ich zwar hören, aber selten am Stück und auch dann reicht es wieder für ein Jahr
Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #3Liest sich alles sehr interessant, gerne mehr davon. Habe von Coltrane nur die hier:
Die habe ich mir, als ich von Jazz wirklich noch überhaupt keine Ahnung hatte (und bis heute habe ich nicht viel) hauptsächlich wegen des Covers gekauft. Und finde sie leider stinkelangweilig, habe sie aber schon lange nicht mehr gehört.
Die kenne ich jetzt nicht. Die Besetzung finde ich interessant, merkwürdig aber, dass eine Einspielung von 1958 erst 1963 veröffentlicht wurde, als Coltrane schon Lichtjahre weiter war. Ich höre mal rein
Wenn "Postbebop" jede stilistische Entwicklung nach Bebop ist, dann ist die Bezeichnung wenigstens nicht falsch, wenn auch ziemlicher Unsinn.
"Blue Tain" ist ja extrem populär, was aber vermutlich erstens am Cover und zweitens an dem Umstand liegt, dass es die einzige Coltrane-Veröffentlichung auf Blue Note ist. "Blue Train" ist schon nahe am klassischen Hardbop, sehr eingängig und Lee Morgan sorgt für die feurigen Momente, wenn er auch auf anderen Veröffentlichungen viel besser ist. Gleiches gilt für Curtis Fuller. Wenn es denn ein "Einsteigeralbum" von Trane sein soll, würde ich "Ballads" in jedem Fall vorziehen.
Ich denke auch, daß Coltrane seine besten Aufnahmen als Leader ab 1959 gemacht hat- beginnend mit Giant Steps (was nicht bedeutet, daß es vorher nichts hörenswertes gibt). Wenn einem von Miles Davis Kind of Blue gefällt würde ich als Einstieg tatsächlich A Love Supreme empfehlen mit seinem "klassischen" Quartett (beides modaler Jazz, wobei letztere eine der Platten war, die meine Begeisterung für Jazz mit auslöste).
Puh, das sehe ich schon ziemlich anders. Auch aus eigener Erfahrung. "A Kind Of Blue" ist tatsächlich ein idealer Einstieg in den Jazz, was nicht bedeutet, dass man das Album schnell über hat, im Gegenteil. Aber "A Love Supreme" ist schon ein deutlich anderes Kaliber und verlangt einem schon deutlich mehr ab. Nach "A Kind Of Blue" würde ich eher zu sowas wie "Chet" von Chet Baker greifen. Für den Einstieg in die Welt von Coltrane empfehle ich die drei "angenehmen" Alben "Ballads", "Duke Ellington & John Coltrane" sowie "John Coltrane & Johnny Hartman".
Der bekannten "Blue Train" fehlt m.E. noch einiges von dem, was Trane in seinem Spiel auszeichnete.
Was findest Du so schwer zugänglich an dem Album? Schliesslich ist A Love Supreme der Bestseller in seinem Katallog (die Stückzahl ist keineswegs typisch für ein Jazzalbum damals- seine Bedeutung ging auch weit über den Jazz hinaus) und letztenendes ist es die logische Konsequenz aus Kind of Blue, indem er die Möglichketen des modalen Jazz weiter erforscht und erweitert hat (wie auch z.B. auf Crescent), andererseits seine tiefgehende Spiritualität konsequent in seine Musik einfliessen ließ (im Grunde genommen ist es ein Gebet- siehe auch Innencover, ein Gottesdienst aber nicht an einen weißen Gott). Das Buch von Ashley Kahn darüber ist übrigens durchaus lesenswert (auch wenn Bono, wie zu allem, seinen Senf dazu gibt).
Ich finde nicht, aber ich fand. Nicht schwer zugänglich, aber anstrengender. Komplexer, schriller, nur ein Blasinstrument. Heute ist das im Vergleich zu bspw. "Interstellar Space" oder vielen anderen Jazzinterpretationen sehr zugänglich, damals habe ich das nicht so empfunden. Das modale Spiel ist hier gar nicht so wichtig, da gibt es deutlich zugänglichere Hardbop Alben mit herkömmlichen Akkordfolgen. Meine Ehefrau bewegt sich bei "Kind Of Blue" im normalen Pulsbereich, während sie bei "A Love Supreme" deutlich aggressiver wirkt und beim Verlasssen des Zimmers durchaus mal das Wort "Jazz-Scheiße" leise zu vernehmen ist.
Na ja, manchmal will man auch seine Ruhe haben. Andererseits: Coltrane ist heute so sehr Mainstream, daß es nur wenig im Jazz gibt, was wirklich vollkommen außerhalb seiner Tradition steht (damals natürlich Revolutionär).
Mich schon öfter gefragt, in welches Licht ich mich setzen würde, wenn ich meine musikalischen Meinungen hier zum besten gäbe, dass verglichen mit "Kind Of Blue" mir "A Love Supreme" fast schon wie Pipifax vorkommt und Miles im Vergleich mit Coltrane wie ein Gott.
Zitat von Merseburg im Beitrag #13Mich schon öfter gefragt, in welches Licht ich mich setzen würde, wenn ich meine musikalischen Meinungen hier zum besten gäbe
Dann ist es ja gut, dass du es nicht machst.
Obwohl sie zusammen gespielt haben, diverse Ideen gemeinsam forcierten, das modale Ding weiter entwickelten usw. fand ich beide immer so verschieden, dass ich sie nicht miteinander vergleichen möchte und dies vermutlich überhaupt weniger täten, wenn dieser Beste-Jazz-Platte-aller-Zeiten-A-Kind-Of-Blue-oder-A-Love-Supreme-Vergleich nicht wäre. Ich finde nämlich beide Platten nicht nur unglaublich unterschiedlich sondern grundsätzlich bedienen/lösen aus ganz andere Stimmungen.
Deshalb bleibe ich dabei, dass Coltrane besser war, weil er mehr Noten schneller spielen konnte und Davis auch besser war, da er weniger Noten langsamer spielen konnte
Zitat von Back Door Man im Beitrag #12Coltrane ist heute so sehr Mainstream, daß es nur wenig im Jazz gibt, was wirklich vollkommen außerhalb seiner Tradition steht
Ja, mit ein paar hundert Stunden an Jazzhörerei kann man das so sagen. Finde ich ja auch mittlerweile. Man brächte einen, der beide nicht kennt und dessen Jazzerfahrungen sich auf Randy Brecker und Sade beschränken, für einen Selbstversuch