In diesem Thread soll es um die „künstliche Verknappung“ beim Angebot von Tonträgern gehen. Sie sorgt ja nicht selten für hohe Preise oder vergebliche Kaufversuche...
Wie sich wohl jeder denken kann, geht es dabei (auch) um Geld. Wenn wir etwa einen Preis für eine Ware verhandeln, dann gibt es Angebote und Gegenangebote, teils mit Entgegenkommen. Der Preis einer Ware spiegelt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage wider. Es gilt das Prinzip, dass zum sich so ergebenden Marktpreis maximal viele Tonträger verkauft werden und auch der Gewinn dabei maximiert wird. Der Preis für etwa einen Tonträger ist so Indikator für seinen Wert.
Allerdings: weil wir eben alle glauben, dass der Preis auch tatsächlich den Wert widerspiegelt, setzt im Kopf ein Muster vom Typ billig=schlecht, teuer=gut, teurer=besser ein. Sobald der Preis steigt, ist etwas schwer zu haben; es gibt für ein dann begrenztes Angebot viele Nachfrager.
Genau hier setzt die „künstliche Verknappung“ ein. Wenn man die Verfügbarkeit einer Ware limitiert, treibt man bei eh gegebener Nachfrage den Preis hoch. Da in den Köpfen gilt teuer=gut, wird so auch die Attraktivität für ein Produkt nochmals gesteigert („das will ich auch haben“). Menschen wollen sich eben auch aus der Masse hervorheben und etwas konsumieren, was nicht jeder besitzt. Künstliche Verknappung sorgt also trotz Preisanstieg mit für einen Nachfrageanstieg.
Aus diesem Grund bieten etwa Bekleidungshäuser vielfach nur drei oder vier Exemplare an, um die Edelklamotten teuer verkaufen zu können. Da sich immer mehr Menschen auch teurere Produkte leisten können, erscheinen oft zusätzliche Premiummarken. So gibt es von Armani noch Armani Privé oder von Kenzo noch Kenzo Paris als jeweils exklusivere Marke. Die Zielgruppe zahlt höhere Preise, um so mit zum ausgewählten Kreis („ich kann es mir ja dennoch leisten“) zu zählen.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Geschäfte Artikel nur „so lange der Vorrat reicht" verkaufen. Dies sorgt für Verknappung, wechselnde Angebote, für höhere Kundenfrequenz und einen stärkeren Kaufanreiz. Erfahrungsgemäß kommen mehr Kunden in Geschäfte, in denen es günstige Angebote nur in begrenzten Mengen oder für kurze Zeit gibt. Läden mit einem ständig verfügbaren und eher gleichbleibenden Angebot machen geringere Umsätze.
Im Handel ist also wichtig: möglichst kleine Warenmengen und kurze Verkaufsphasen. Entscheidend ist heute weniger ein vorheriger Kaufwunsch („ich brauche dies“) als vielmehr die Kaufgelegenheit („ich kaufe das jetzt“). Ein Kaffeeröster wie etwa Tchibo macht derweil den größten Umsatz mit seiner wöchentlich wechselnden Aktionsware und nicht mit dem Kaffee.
Es geht also um Verknappung als Mittel zur Gewinnmaximierung. Und um Kaufanreize. Warum wohl bietet Ferrero "Mon Cherie" nur zeitlich begrenzt an? Warum gibt es von Ritter Sport immerzu nur saisonal begrenzte Neuheiten? Nein, nein, die Hersteller wollen sich ihren möglichen Umsatz so nicht etwa selbst schmälern, sondern die künstliche Verknappung sorgt für eine Nachfragesteigerung. Ich kenne dies noch aus Buchhandelszeiten: da gab es preiswerte Antiquariatsartikel, deren Umsatz sich steigern ließ, wenn man sie nur noch ab und an und zu einem deutlich höheren Preis anbot. Das ging dann oft in die Richtung: kostet ja fast nichts, ist dann wohl auch nichts…
Ebenso dient die Verknappung der Imagesteigerung. Man bietet kleine Mengen an, aber dies noch zu bezahlbaren Preisen. Die Folge: ein „Run“ auf die limitierte Ware, jeder will sie haben, jeder erlebt mit, dass die Ware später zum x-fachen Preis weiterverkauft werden kann. Funktioniert bestens, etwa bei limitierten Schuh-Serien. Oder bei Vinylplatten. Warum wohl gibt es zum zeitlich eh stark begrenzten „Record-Store-Day“ immer begrenzte Auflagen? Weil das Zeug da zumeist keiner wirklich braucht, es aber aufgrund der Begrenztheit kurzzeitig schlicht für nötige Kaufanreize sorgt.
Der Albtraum wäre also, wenn man von einer Platte massig Exemplare presst, der Preis daher mit der Zeit fällt und sich dann jene Kunden auch noch ärgern, die alles anfangs teurer bezahlt haben. Die kaufen erst wieder ein, wenn der Preis dann auf ein erwartetes Level fällt. Dann eben lieber gleich die Platte verknappen, sie für Kunden und Sammler im Wert interessant halten. Egal was dann auch an neuen Werken noch so kommt: kauft sich in der Szene sofort jeder, der Gelegenheit hat, weil es ja schnell noch etwas teurer wird und ggf. auch später teuer genug verkauft werden kann.
Verknappung ist also nicht Ausdruck einer falschen Markteinschätzung, sondern durchaus ein Mittel zur Gewinnmaximierung. Eine bestimmte Menge lässt sich so ganz gut vorab kalkulierbar komplett zu einem eher hohen Preis abverkaufen. Und so lange alle Konsumenten dabei denken: teuer=gut und knapp=begehrenswert funktioniert dies auch bestens.
Schaut man etwa auf die Sammlerszene beim Krautrock, so werden dort alte Platten hoch gehandelt, die damals teils privat in recht kleiner Auflage von durchschnittlichen Bands veröffentlicht wurden. Von der Musik her oft komplett irrelevant – es zählt eben die reine Rarität als Sammlerstück.
Man kann nun sogar die freche These wagen, dass auch so manche heutige Platte eher aufgrund ihrer (künstlich erzeugten) Knappheit in bestimmten Kreisen von etwas größerem Interesse ist und NICHT deshalb, weil die Musik darauf wirklich so immens interessant ist. Siehe Krautrock.
Wer sich statt für bestimmte Tonträger eher für Musik interessiert, sollte ein „für mich gut und hörenswert und preiswert“ im Kopf haben. Preiswert meint dabei: seinen Preis wert.
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
ich gehe bei solchen verkaufsstrategien fast immer automatisch auf distanz und tendiere zum nicht-mit-mir, auch wenn das produkt eigentlich gut wäre, siehe giegling.
Über den Record Store Day hör ich in letzter Zeit viel Gemecker. Es mag Beispiele geben, wo dem Fan, der seine Sammlung komplett halten will, hie und da tief in die Tasche gegriffen wird, für irgendein Zusatz-Schmankerl, welches man auch ruhig etwas günstiger hätte anbieten können. Man muss auch dieses Eventgehabe nicht mögen, allerdings scheint es Plattenläden zu helfen, Kunden in ihre Läden zu locken, und das halte ich erstmal für eine gute Sache. Dass Strategien, mit Musik Geld zu generieren auf reflexhaften Widerstand stoßen, halte ich in vielen Fällen für egoistisch und/ oder unreflektiert.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von Lumich im Beitrag #3Dass Strategien, mit Musik Geld zu generieren auf reflexhaften Widerstand stoßen, halte ich in vielen Fällen für egoistisch und/ oder unreflektiert.
wenn du damit mich meinst, ich kann, glaube ich, behaupten, dass ich, was meinen musik-konsum betrifft, eher zum nicht egoistischen anteil der bevölkerung gehöre.
Mir ist jetzt, ehrlich gesagt, nicht klar, wo es eine "künstliche Verknappung" auf dem Musikmarkt gibt. Record-Store-Day, ok, aber das sehe ich eher als Ausnahme. Und auch hier sind die Ausgabepreise der limitierten Sachen selten überbordend. Ansonsten ist mir das noch nicht begegnet. Sicherlich gibt es inzwischen häufiger irgendwelche Deluxe-Ausgaben und -Boxen, die sind ja aber meist ein Zusatzangebot.
Ich mag den RSD nicht, wenngleich zumindest der Black Friday den ein oder anderen Schatz hervorbrachte. Entweder nice to have oder überflüssig. Dazu ein Haufen anstrengender Leute. Yada Yada. Ich weiß aber nicht, ob er nicht trotzdem ein notwendiges Übel ist, welches ich einfach ignorieren sollte, meinen Läden aber hilft? Das glaube ich schon, würde mich da für Zahlen unbedingt interessieren. As in: Umsatz am RSD im Vergleich zum gesamten Jahr.
Die Kritik am „Record Store Day“ basiert - aus meiner Sicht - vor allem darauf, dass dort zu viel alter Wein in neuen Schläuchen angeboten wird. Es sind ja auch nicht unbedingt außenstehende Leute, die sagen: interessiert mich alles nicht. Sondern die Kritik kommt oft von ex-Kunden, die nach einigen Einkäufen für sich feststellen: eh alles Abzocke dort. Oder eben überflüssiger Kram. Und die sich fortan abwenden. Auch Albert Koch hat ja noch seine Dead Kennedys-Box als Symbol für die Fragwürdigkeit des „Record-Store-Day“ im Regal stehen.
Aus meiner persönlichen Sicht (und es ist ja eher die eines Konsumenten) stehen bei Tonträgern vor allem die Fragen im Raum: was finde ich gut, was brauche ich, was macht mich glücklich, was will ich mir gerne leisten, etc. Gegen eine „künstliche Verknappung“ als Kaufanreiz hat man ja spätestens dann nichts mehr, wenn man ein Objekt der Begierde auch ergattern möchte und kann und dies womöglich auch noch als Schnäppchen. Ich treffe öfter auf solche Verknappungen: jüngst noch eine CD mit Auflage 100 Stück, bei Marsheaux eine limiterte Cassette, bei zwei Filmsoundtracks Auflage je 500 Stück.
Problematisch wird es, wenn eine „Verknappung“ mich nur noch frustriert. Weil ich mir das Objekt der Begierde trotz aller Bemühungen nicht kaufen kann oder weil es mir zu teuer ist. Oft geht es mir dabei ja gar nicht um die seltene Erstpressung X oder eine limitierte Deluxeversion. Ich möchte mir vielleicht nur gerne die Filmmusik X auf CD kaufen und anhören. Muss aber schlicht zur Kenntnis nehmen, dass ein CD-Kauf nur noch als Gebrauchtware und erst ab 80 Euro möglich ist. Womit der Kauf entfällt. Weil eben auch die Alternative fehlt: eine bezahlbare Neuauflage. Und in anderen Fällen ist es so, dass ich mir zwar etwas kaufen könnte, dies aber eben nicht per CD, sondern vielleicht nur als Vinyl oder nur per Download.
Auch bei einem Spielfilm ärgert es ja teils, wenn eine DVD seit Jahrzehnten außer Sicht ist und alles nur als alte überteuerte VHS-Kassette zu haben wäre. Erinnert mich jetzt an einen Kunden, der ein Buch zur Fußball WM 1974 kaufen wollte und völlig fassungslos war, warum es von einem derart bedeutenden Ereignis schlicht keinerlei Nachdrucke der alten Bildbände aus den 70ern gibt.
In solchen Fällen gilt, dass die Nachfrageseite nicht befriedigt werden kann, weil ein entsprechend passendes Angebot am Markt fehlt. Und dies genau ist dann wieder negativ für den Handel: Kunden nicht das geben/verkaufen zu können, was sie eigentlich gerne kaufen würden. Natürlich gilt bei allem auch: man kann nicht alles haben im Leben und man wird sich auch nicht alles leisten können.
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
Bei mir basiert sie auf einer Kombination aus Begleitumständen (verstopfte Presswerke, anstrengende Leute, sinnlose Releases, Event-Charakter, die immer gleichen KünstlerInnen etc.). Dennoch bin ich unter gewissen Parametern bereit, dem Buhei eine Daseinsberechtigung zu attestieren, wenn wirklich verbrieft wäre, dass sie den Läden helfen, die ich die anderen 364 Tage im Jahr unterstütze. Das würde mich wirklich interessieren.
Zu den immer gleichen Rereleases: Deshalb ist ja meine dokumentierte Liebe zu Music From Memory, Minimal Wave oder den We Release...-Labels so groß, weil sie mir nicht Musik anbieen, die seit 40 Jahren durch den Industriepansen gejagt wird, sondern Schätze beinhaltet, die damals eigentlich kaum jemanden interessiert haben und jetzt ihre verdiente Aufmerksamkeit bekommen.
An sich: Knappe Auflagen nerven mich nur dann, wenn es "problemlos" auch höhere hätte geben können. Inwieweit das bei Platten aber wann wie in den jeweiligen Fällen rentabel ist - gerade bei Winz- und Independentlabels (!) - kann hier vermutlich eher niemand zuverlässig beurteilen, weshalb ich meinen Zorn eher in Richtung der Discogsdödel lenke, die zu einer der schlimmsten Menschengruppen gehören, die es gibt (neben denen, die meinen, die Musikwelt schulde ihnen was).
Eigentlich war der Record Store Day ja zur Förderung der Independent-Plattenkultur gedacht. Die Ware sollten auch nur die Indie-Plattenläden bekommen. Eigentlich!
Mit den Jahren ist aus dem „indie“ immer mehr ein „major“ geworden. Denn die Läden dienen allein zur Vermarktung der ja von Majors reichlich produzierten Releases nur für diesen einen Tag. Mit fatalen Folgen: nach einer Frist von 21 Tagen landen die Platten vom Record-Store-Day auch bei Media Markt oder Saturn. Zu dann oft viel attraktiveren Preisen. Bedeutet: Konsument x kauft im Plattenladen die Platte und sieht, dass sie einige Wochen später woanders viel billiger zu haben ist. Und sagt sich: Scheiß-Plattenladen“. Tolle Werbung...
Es gab Fälle, da haben Label Reissues zum RSD veröffentlicht und sie mitsamt Aufkleber „Exklusiv zum RSD“ in den normalen Vertrieb gebracht. Zudem sponsern Label den RSD: „Record Store Day—der Tag der unabhängigen Plattenläden. Gesponsert von Universal, Warner und Jever“. Ein irgendwie crazy Mix. Und auch manche Store-Besitzer stehen in der Kritik, weil sie recht gut gehende Ware nicht weiter am RSD verkauft haben, sondern erst tags drauf zum x-fachen Preis per amazon und Co. Nun ja, ist alles eben auch freie Marktwirtschaft...
Ein Problem für die Läden: Stores können im Regelfall Ware, die sich nicht verkauft, letztlich wieder an die Label retournieren. Bei der Record Store Day-Ware geht das aber nicht und ein Store trägt das Risiko der Vorfinanzierung. Kauft er zu viele „Ladenhüter“ an, bleibt er darauf sitzen… In England gab es gegen den RSD Proteste aus ganz anderem Grund: die Majorlabel lassen vor einem RSD-Tag derart viele Platten pressen, dass kleinere Indie-Label erst nach ein bis zwei Monaten wieder von den Presswerken beliefert werden können. Fast schon so etwas wie eine Umkehrung ursprünglicher RSD-Absichten…
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
Aus Großbritannien habe ich Zahlen zum RSD 2017, die belegen, dass in der Woche des Record Store Day im Vergleich zur Vorwoche 197% verkauft wurden. Bezieht man alle Plattenläden ein, beträgt die Steigerung 213%. Der RSD sorgt also für eine Verkaufswoche mit doppeltem Umsatz. Bei den Vinylplatten stieg der Umsatz auf 484% und bei den 12”s gab es zum RSD eine Steigerung um 4350%.
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
Zitat von Lumich im Beitrag #3Dass Strategien, mit Musik Geld zu generieren auf reflexhaften Widerstand stoßen, halte ich in vielen Fällen für egoistisch und/ oder unreflektiert.
wenn du damit mich meinst, ich kann, glaube ich, behaupten, dass ich, was meinen musik-konsum betrifft, eher zum nicht egoistischen anteil der bevölkerung gehöre.
Nein, dich habe ich nicht gemeint. Ich hatte jetzt niemand speziellen im Blick.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Weiß nicht, ob man das Thema Verknappung an dem RSD auslassen muß, wenn regelmäßig Neuerscheinungen mit einer zusätzlichen Special-Limited-Edition angeboten werden, sowohl als CD als auch LP (z.B. farbigem Vinyl oder Beilagen7"). Und das 365 Tage im Jahr. Das zieht ja auch ganz gut.
Andererseits gibt es wohl auch noch genügend Konsumenten die auf Billigkompilationen abfahren, weil sie da für möglichst wenig Geld, möglichst viel Musiktitel ins Regal bekommen. Da zahl ich dann doch lieber den dreifachen Preis für eine gesuchte seltene CD, die dann auch meine Wertschätzung erfährt.
Special Editions finde ich überhaupt nicht verwerflich, da ist die Zielgruppe klar gesteckt und reguläre Ausgaben gibt's ja trotzdem noch. Ich bin ja selbst schuld, wenn ich mir wie z.B. bei AZD von Actress die komische Tüten-Version hole und nicht die einfache Platte. Das sind Bonus-Verdienste, welche die Künstler von mir aus gerne haben können, wenn sie helfen. Die Entscheidung liegt ja bei mir.