36. Disorder – Joy Division Ich besaß ein Joy-Divison-T-Shirt bevor ich auch nur ein einziges Lied dieser Band kannte. In einem Laden in Hamburg wollte ein Freund ein „Unknown Pleasures“-Shirt kaufen, und bekam ein unschlagbares 2-für-1-Angebot. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen und warf ein paar Euro mit in den Hut. „Ist das überhaupt eine coole Band?“ – „Ja, total cool.“ – „Ok, na dann.“ Natürlich wollte ich dann auch herausfinden, was das für Musik war, die ich da auf dem T-Shirt trug. Es dauerte nicht lange, bis ich das Shirt mit neuem Stolz trug. Inzwischen ist es verwaschen und eingelaufen und taugt kaum noch als Schlaf-Shirt. Die Zeit nagt an allen Dingen. Aber nicht an den großartigen Songs auf „Unknown Pleasures“, und vor allem nicht an diesem.
37. Incinerate – Sonic Youth Wie so viel Musik in dieser Liste wusste ich Sonic Youth nicht zu schätzen, als sie mir präsentiert wurden. Auf dem Hurricane Festival spielten sie an einem nieseligen Sonntagnachmittag nach den damals noch relativ nieschigen Kings of Leon und ich stand da und wusste nicht, was ich damit anfangen sollte. Cooler Gitarrensound, aber warum flippten die Leute um mich herum nur so über dieses endlose Feedbackgeschwurbel aus? Die Band hatte gerade „Rather Ripped“ herausgebracht, und spielte Songs davon beim Konzert, doch das eigentliche Album hörte ich erst viel später, als ich begriffen hatte, warum alle so ausflippten. Inzwischen ärgere ich mich darüber, die Band nicht zu einem späteren Zeitpunkt mit mehr Ehrfurcht vor Feedbackgeschwurbel gesehen zu haben, und bin gleichzeitig sehr froh, sie überhaupt noch auf der Bühne erlebt zu haben.
38. At The Hop (Live) – Devendra Banhart Wie auch schon in den „10 besten Songs überhaupt“ beschrieben ist das hier, und zwar nur in dieser Live-Version, wohl mein absoluter Lieblingssong. Devendra Banhart ist ja auch sonst ein guter, aber eigentlich nicht so wichtig. „At the Hop“ aber ist das schönste, schmerzerfüllte Abschiedslied der Welt, das schon für alles mögliche herhalten musste. Trennungen, Abschiedsfeiern, Talentabende und eigentlich jeden Tag, an dem zu viele graue Wolken am Himmel hängen. Der Song für Momente, in denen es nicht anders geht, obwohl es doch eigentlich anders gehen muss. Un-fass-bar schön. Ich bin ja eigentlich kein Freund von Musik auf Beerdigungen, weil das die Musik für alle Anwesenden immer negativ belegt und unhörbar macht, aber das hier, das hier ist ein Song, den sie getrost spielen dürften, wenn sie mich unter die Erde bringen.
39. Komm schlaf bei mir – Ton Steine Scherben Bei einem der unregelmäßigen Ausflüge in Vaters Plattenschrank zog ich die pizzakartondicke Hülle von „Keine Macht für Niemand“ von den Scherben aus dem Regal und verliebte mich sofort in diesen Sound. Ich hatte in meiner Pubertät nie die große politische Phase, aber ich liebe Rio Reisers Stimme so oder so und sang eine Weile lang jeden Tag „Allein machen sie dich ein“ auf dem Schulweg zur Musik auf meinem MP3-Player. „Komm Schlaf Bei mir“ ist das wohl schönste Lied auf diesem Album und überhaupt eines der schönsten Liebeslieder, die je geschrieben wurden. Ein toller, mir unbekannter Mensch in der Stadt, in der ich damals wohnte, schrieb den Text einmal in großen roten Buchstaben auf den Asphalt, als lange Schlange von der Haustür einer/eines Angebeteten zu der seinen. Genau wie der Song eine der schönsten Gesten, die ich mir vorstellen kann.
40. Suzanne – Leonard Cohen Indirekt hat es Cohen ja bereits einmal in diese Liste geschafft. Aber ich will Gerechtigkeit walten lassen und ihm auch noch einmal unter seinem eigenen Namen Tribut zollen. Es gibt im Grunde keinen Song, den ich von der „Songs of Leonard Cohen“-Platte mehr liebe, als die anderen. Das Album als Ganzes ist mir sehr wichtig. „Suzanne“ hat dennoch vielleicht am meisten Eindruck hinterlassen, weil es der erste Cohen-Song war, den ich hörte. Eine Anekdote gibt es dazu eigentlich nicht – außer, dass ich gerade herausgefunden habe, dass „our Lady of the Harbor“ eine Kirche in Montreal ist, was ich natürlich nicht wusste, als ich Leonard Cohen hörend durch Montreal lief. Verflixt.
Zitat von King BronkowitzMit "Incinerate" hat mich burnedcake zu Sonic Youth gebracht. Wird zwar nie meine Lieblingsband werden, aber einige Songs finde ich grandios. Siehe oben.
41. Waiting For The Great Leap Forwards – Billy Bragg „Worker's Playtime“, das hier als weißes Vinyl im Regal steht, ist insgesamt ein tolles Album, aber, von „She's got a new spell“ mal abgesehen, klingt Billy Braggs Gitarre in keinem Song so schön wie in „Waiting for the Great Leap Forwards“. Mehr noch als jeden Ton-Steine-Scherben-Song würde ich dieses Lied spielen, wenn ich irgendwen zu politischem Aktivismus anspornen wollte. Dass sich dieses Gefühl des Aufbruchs und des „einfach mal Machens" angesichts der dritten Welt, die direkt um die Ecke wartet, bei mir nicht so oft in tatsächliche Aktionen umschlägt, ist eine andere Geschichte. Kein anderer Song fühlt sich für mich aber so aufrüttelnd an. In dem Zusammenhang finde ich es aber bezeichnend, dass ich später herausfand, was der historische „great leap forward“ eigentlich war und dass das vielleicht nichts ist, auf das man im wahren Leben warten sollte. Die Welt zu verbessern ist eben doch manchmal komplizierter, als es sich so ein Mao oder ein Billy Bragg vorstellen und in fünf Strophen verpacken können. Das mag desillusioniert und ein bisschen nach Plattitüde klingen, war für mich mit 18 aber eine wichtige Erkenntnis.
42. Du bist ganz schön bedient – Tocotronic Tocotronic begleiten mich seit Jahren, doch mit jedem Album seit „Pure Vernunft“ spricht ihre Musik weniger und weniger zu mir. „Kapitulation“ war noch relativ gut, doch was danach kam, war mir in der Regel zu verkopft und großspurig, oder – im Falle des letzten Albums – ein bisschen zu albern. Es klingt außerdem, als hätte Dirk von Lowtzow irgendwann Gesangsunterricht genommen. Eher zum Nachteil der Musik, möchte ich meinen. Inzwischen klingt das alles so kunstvoll und weniger direkt und dringlich, als es zum Beispiel „Du bist ganz schön bedient“ konnte.
43. While You Were Sleeping – Elvis Perkins „While You Were Sleeping“ ist eigentlich ein bisschen zu monoton und auch ein bisschen zu lang. Trotzdem eines der schönsten, beruhigendsten Lieder, die ich kenne. „While you were sleeping I tossed and I turned. I closed my eyes but the future burned through.“ Es ist einfach wunderschön, wenn am Ende dieses Songs die Angebetete "Honeybee" erwacht und sie gemeinsam wach sind. Ein leicht kitschiger Text, aber im Grunde genau die richtige Menge Kitsch.
44. Monkey & Bear – Joanna Newsom Ich wartete Wochen auf die Vinyledition von „Ys“. Der Plattenladen meines Vertrauens, der um die Ecke aufgemacht hatte, hatte wohl noch keine besonders gute Beziehung zu seinem Lieferanten. Die Wartezeit machte den Moment, in dem die Nadel das erste Mal die Harfentöne von „Monkey & Bear“ aufnahm zu einem noch besondereren Moment. „Ys“ war das erste Album von einer zeitgenössischen Band oder Künstlerin, dass ich je auf Vinyl kaufte. Ich habe sonst eine leichte Aversion gegen aktuelle Musik auf Vinyl. Bei den meisten Sachen erscheint es mir irgendwie wie eine unpassende Romantisierung von Moderne. Ich weiß, dass das die meisten Vinylkäufer hier anders sehen, und ich bin von diesem Standpunkt inzwischen auch ein wenig abgerückt, aber es gibt nur wenige aktuelle Alben, die ich mir auf Vinyl kaufen würde. Zu mancher Musik passt das meiner Meinung nach einfach nicht. Joanna Newsom ist aber so eine Künsterlin, die ich überhaupt nur ungern irgendwie anders höre, als vor meinem Plattenspieler.
45. Dream – Dizzee Rascal Ich hasste Hip Hop. Das war die Musik von Leuten, die mich in der Schule nervten und von Partys, auf denen ich mich unwohl fühlte. Dass das ungerechte Vorurteile waren und dass ich mich damit einer Menge Spaß und guter Musik beraubte, fand ich erst ziemlich spät heraus. Auslöser dafür war Dizzee Rascal. Ich weiß nicht mehr, woher die Inspiration kam, mir das anzuhören, doch irgendwann saß ich mit meinem Nachbarn vor Youtube und suchte nach Dizzee. „Dream“ war der erste Song, den wir uns anhörten, und er war erfrischend anders als der Chart-Hip-Hop von 50 Cent und Konsorten, der für mich bis dahin Inbegriff dieser Musikrichtung war. Heute ist mir „Dream“ eigentlich ein bisschen zu brav, aber es gefällt mir immer noch gut. Erwähnt werden sollten aber auch noch die tollen „Fix Up, Look Sharp“ und „Where's Da Gs“.
Zitat von G. FreemanAuf Dizzes erstes Album lasse ich auch nichts kommen, Boy In Da Corner war noch großartiger Grime, wie er danach leider immer seltener wurde.
Zitat von Spaceballs Schöön. Aber heute beurteilt, würde ich bei Billy Bragg sagen- mit 18 die noch wichtigere Erkenntnis: Life gets dangerous... Pure Vernunft, sage ich mal. Mit einem Lächeln im Gesicht.
Zitat von Velvet Skyist zwar nicht mein favorit auf dem album ("emily" <3), trotzdem mit abstand bester beitrag bislang. billy bragg und elvis perkins sind natürlich auch ganz famos (hier heißen meine favoriten "a new england" und auch "while you were sleeping").
ich gehe mal schwer davon aus, dass sufjan stevens auch noch zu ehren kommt.
Zitat von QuorkVon der "Ys" einen einzelnen Song auszuwählen ist ohnehin eigentlich nicht vernünftig, weil das vor allem als Album funktioniert, finde ich. So oder so, alles wunderschön.
Sufjan Stevens kommt in meiner Liste allerdings nicht vor. Ich mag seine Alben in der Regel gern ("Age of Adz" war allerdings streckenweise schon anstrengend), aber ich habe nie eine besondere Bindung zu ihm aufgebaut.
Zitat von Berthold HeisterkampIm Grunde könnte ich meinen Thread auch zumachen und meine Kommentare zu deinen Songs ergänzen. Bei "Ys" habe ich dasselbe "Problem" wie du, es wird aber wohl "Only Skin" werden.
Zitat von QuorkOberhalb der 50 kommen da noch ein paar Sachen, bei denen du froh sein wirst, deinen eigenen Thread zu haben. Aber bis dahin :prost:
46. Mercury – Bloc Party Das hier ist nicht mein Lieblingslied von Bloc Party. Da müssten andere herhalten („This Modern Love“, „She's Hearing Voices“, „Positive Tension“, „So Here We Are“, ach, eigentlich die ganze „Silent Alarm“), aber es ist der Song, mit dem ich die intensivsten Erinnerungen verbinde. „Mercury“ war gerade als Single erschienen, da verschlug es mich auf Schüleraustausch nach Montreal. Der Song wurde mein erster iTunes-Download, denn ich konnte einfach nicht auf das Album warten. In Montreal angekommen erfuhr ich, dass Bloc Party gerade auch dort waren. Doch ich würde an genau dem Wochenende, an dem sie ein paar Konzerte in der Stadt spielten, auf Ausflug sein. Tief geknickt warf ich die Event-Zeitschrift in den Müll, setzte mich in den Bus und ließ mich grummelnd nach Quebec fahren. Mit meinen Mitschülern bestieg ich dort zwei Tage später am Abend einen Hügel über der Stadt und blickte auf ein Stadion hinunter. Bunte Lichter tanzten über die Bühne und krachende Gitarrentöne wehten aus dem Openair-Stadion zu uns herüber. Bloc Party, gleichzeitig mit mir nach Quebec gereist, stimmten als Opener „Mercury“ an. Von weiter weg habe ich wohl nie ein Konzert beobachtet, aber glücklicher war ich auch während weniger Konzerte.
47. Autumn in New York – Billie Holiday Im Auto meiner Gastmutter in Montreal lief Billy Holiday. „Hör dir Strange Fruit an, oder am besten gleich alles“, empfahl ihr Sohn enthusiastisch. Aye, sagte ich und kaufte eine Best-of-Box von Billie, die bestimmt 60 Songs umfasste. Autumn in New York wird auf ewig mein Favorit sein. Nicht, dass ich schon mal in New York gewesen wäre, aber seit ich diesen Song kenne, existiert der Punkt „einmal im Herbst durch New York laufen und Billie hören“ auf meiner Bucket List. Die beste Sängerin der Welt.
48. Deuces – Achozen Ich und Hip Hop, das war noch immer eine fragile Freundschaft. Doch der Intro-Track des ziemlich bescheuerten Vin-Diesel-Films „Babylon A.D.“, den ich ebenfalls auf jenem Schüleraustausch in Kanada sah, blieb hängen. Als der Film aus war und wir ein Bier auf Montreals größter Pub-Straße getrunken hatten, stand ich irgendwann allein und verloren in dieser Millionenstadt voller Französisch sprechender Leute, die so taten als verstünden sie kein Englisch, und versuchte herauszufinden, warum die U-Bahn nicht mehr fuhr. Ein bisschen Angst hatte ich schon, da jetzt auf der Straße die Nacht verbringen zu müssen und musste lachen ob meiner eigenen Feigheit und dem Textfetzen „You ain't ever seen a bigger threat“ in meinem Kopf. Dann fuhr meine Gastmutter im Auto vor und packte mich ein. Hardcore street style. So macht man das.
49. Da draussen in der Wachau – Richard Tauber Im Leistungskurs Deutsch nahmen wir „Geschichten aus dem Wiener Wald“ durch und sahen auch diesen hervorragenden Film von Maximilian Schell mit dem großartigen Helmut Qualtinger. Mein Deutschlehrer war nicht nur ein bisschen verrückt und nutzte den Stoff eher als Grundlage für Diskussionen über die Edelprostitution Ehe und Datingseiten im Internet, doch er konnte nicht von diesem wunderschönen Lied ablenken, dass die Marianne vorsingen muss, als sie sich als Burlesk-Tänzerin in einem „Etablissement“ (shh) bewirbt. Diese absolut verlorene Stimme, die weiß, dass sie sich gerade in die Hölle verkauft, und dazu dieses unfassbar zuckersüße Stück Lokalfolklore. Gänsehaut. Außerdem ist Österreich immer in meinem Herzen. Meine Großeltern haben sich in der Wachau verliebt und verlobt. Und Winzerhäuser. Winzerhäuser!
50. Thanatos – Soap & Skin Noch so eine Österreicherin. Soap & Skin war der Soundtrack zu stundenlangem Wälzen von Geschichtsbüchern vor dem Abitur. Ich habe dieses Album bestimmt dreimal täglich gehört während ich drinnen saß und paukte und draußen der Frühling kam. Das klingt jetzt viel depressiver als es war, funktionierte so oder so aber ganz gut. Ich verdanke Anja Plaschg die ein oder andere gute Note. Wenn sie irgendwann mal aufhört, Schokolade voller Schweineblut zu verkaufen, verrate ich ihr das vielleicht sogar.
Zitat von Berthold HeisterkampIm Grunde könnte ich meinen Thread auch zumachen und meine Kommentare zu deinen Songs ergänzen. Bei "Ys" habe ich dasselbe "Problem" wie du, es wird aber wohl "Only Skin" werden.
das wäre bei mir nr. 2 (eben gerade bemerkt, das bill callahan auch mitsingt). ich bin ja beruhigt, dass sich die grandiosität dieser frau auch den meisten anderen erst mit "ys" erschlossen hat und nicht schon mit "the milk-eyed mender".
Zitat von Von KrolockSonderapplaus für Billie Holiday, die ich unendlich liebe, zu der ich aber keine Geschichte habe. Und "Thanatos" würde mir grundsätzlich auch sehr gut gefallen, ich mag nur dieses Durchhacken der Sechzehntel nicht. Macht für mich alles kaputt. Stört mich bei den Dresden Dolls auch häufig
Zitat von tenno
Zitat von Von KrolockSonderapplaus für Billie Holiday, die ich unendlich liebe, zu der ich aber keine Geschichte habe.
hier auch. soap & skin hingegen stresst mich nur. (das kann sich aber erfahrungsgemäß noch ändern, so in 10, 20 jahren, wenn alle anderen schon wieder genervt die augen verdrehen.)
Zitat von QuorkIch habe schon bei "Vater" auf Album Nr. 2 angefangen, genervt die Augen zu verdrehen. Aber für den Moment, in dem das Debüt schwebte, war es großartig.
Zitat von tennowenn du jetzt schon drehst, kann der moment nicht mehr weit sein, an dem ich plötzlich verstehe, was ihr alle habt.
51. I Wanna Kill – Crocodiles Sommer, Abitur in der Tasche und ein Busticket nach Spanien. Abifahrt nach, jaja, Lloret de Mar. Einmal im Leben wollte ich das gesehen haben, um hinterher sagen zu können „Halleluja, was für ein Mist.“ Lauter betrunkene Idioten und einer, der gegen den Strom schwimmen muss, weil das alles nervt. „I wanna kill“ war da der perfekte Soundtrack.
52. Für immer jung – Bushido feat. Karel Gott Sommer, Abitur in der Tasche und ein Busticket nach Spanien. Lauter betrunkene Idioten und einer, der entschieden hat, das gegen den Strom Schwimmen für ein paar Tage sein zu lassen, weil das anstrengend ist und keinen Spaß macht. Außerdem bleibt einem nicht viel anderes übrig, als sich der Situation zu ergeben und es passieren zu lassen, wenn man sowieso jeden Morgen von den anderen im Zimmer mit Bushidos „Für immer jung“ geweckt wird. Hier setzte wohl zum ersten Mal das musikalische Stockholmsyndrom ein, das mich später noch mehrfach heimsuchen sollte (das wird dann der richtig anstrengende Teil dieses Threads. Ich sag's nur). Wenn ich das Lied heute höre, sind das trotz lauter betrunkener Idioten (oder ihretwegen?) doch Erinnerungen, die ich nicht missen will. Außerdem gucke ich dieses Video einfach zu gerne, wie Bushido im Auto durch die Felder fährt. Hol jetzt die Ray Ban, die Blue Jeans, sing für sie, Karel Gott!
53. Don't Haunt This Place – The Rural Alberta Advantage Alles an diesem Song ist für mich perfekt, außer die Tatsache, dass ich das nicht singen kann, ohne mich ständig an der gleichen Stelle zu verhaspeln. Der hektisch rattelnde Rhythmus, der viel zu schnell für die Melancholie der Melodie scheint, die brüchige Stimme, die Duett-Parts. „And we tremble in the night, for the things we're wishing were right, because we need this oh so bad, because I need you oh so bad.“ Hach.
54. I Got Nothin' – Iggy and the Stooges Das hier klingt vielleicht nicht nach den typischen Stooges, aber vielleicht gefällt es mir gerade deshalb so ausnehmend gut. Nicht, dass ich die typischen Stooges nicht mögen würde, aber unter all dem wütenden Gepolter großartiger Alben wie „Raw Power“ eine solche, traurige Perle zu finden, ist eine umso schönere Überraschung. Vieles erinnert mich an diesem Song an „All the Young Dudes“ (textlich natürlich nicht), aber weniger abgenudelt und ein Stück weniger pathetisch.
55. Big Hole – M. Walking On the Water Mein Nachbar muss ein sträflich modernistischer Mann gewesen sein. Stellte er eines Tages doch seine gesamte Vinylsammlung von etwa 40 Platten auf die Mülltonne vor dem Haus. Selbst Schuld, wer das nicht mehr wertzuschätzen wusste. Ich machte die Hälfte der Platten zu Geld und fügte die andere in meine eigene Sammlung ein. Natürlich nicht, bevor ich nicht alles (bis auf die Elton-John-Platten) einmal durchgehört hatte. M. Walking On the Water blieben hängen und wurden unbekannterweise nicht verkauft. Ein bisschen Recherche ergab, dass dieses Album irgendwann einmal Album des Monats im Musikexpress gewesen war. Die Entscheidung mag ein bisschen vorschnell gewesen sein, ist doch das meiste auf dieser Platte anstrengend, doch der Opener „Big Hole“ rechtfertigt schon viel. Ein bisschen klingt das für mich nach einem Smiths-Abklatsch, dann auch wieder nicht. Man kann jedenfalls ganz toll mit jemandem langsam dazu tanzen, wenn man will.
Zitat von tenno kommen bei mir auch noch (wenn auch mit anderem song von anderem album)! "the holy night of rosemary" ist übrigens auch ganz ganz großartig. und "love"! und "day to day"! und der titelsong!!
Zitat von QuorkIch bin ja wie gesagt sonst nicht der größte Fan, ich lasse mich aber in deinem Thread dann gerne vom Gegenteil überzeugen
56. (Sittin' on) The Dock of the Bay – Otis Redding Mit dem Abitur in der Tasche reiste ich im Herbst einen Monat mit einer Freundin durch die USA. Von Atlanta in Georgia aus ging es nach Kalifornien. Mehr durch Zufall als durch passende Auswahl landete dabei Otis Reddings „(Sittin' on) The Dock of the Bay“ auf dem Mp3-Player und füllte auf einmal über die Boxen im Mietwagen die kalifornische Highway-Luft in einer Vorstadt von San Francisco. „I left my home in Georgia, headed for the Frisco bay“ singt Otis, und ich fühle mich ihm verbunden, auch wenn ich später nur am Dock saß, um auf die Touristenfähre zu steigen, und nicht um Arbeit als Packer zu finden.
57. Ashtray Christ – Soft Black Auf diesen Song wurde ich durch einen Mp3-Blog aufmerksam und suchte nach mehr von dieser Band, die sich so wunderbar zwischen Country, Folk und Indie verwurzelte und dabei nicht abgeschmackt klang. Ich fand – nichts. Außer eine spärlich bestückte Internetseite, auf der man ein Album auf Vinyl ordern konnte. Ich war in Abenteuerlaune und schlug zu. Und wartete. Und wartete. Dann schrieb ich eine Email und fragte, wo denn das Album bliebe. Vin, der Sänger der Band selbst, antwortete, es sei ihm äußerst peinlich, alles sei jetzt in der Post und er hoffe, ich möge seine Musik. Als das Paket aus New York endlich bei mir ankam, hatte Vin zusätzlich noch eine CD des ersten Albums mit reingelegt, als Entschuldigung. Leider konnten weder Album #1 noch #2 mit „Ashtray Christ“ so recht mithalten. Das nahm ich dann auf dem Mp3-Player ebenfalls mit nach Amerika und hörte es auf der verlängerten Rückbank unseres Mietwagens, während wir durch Kalifornien fuhren. Von „Ashtray Christ“ lässt sich leider nirgends ein vernünftiges Video finden, außer dieser wackeligen Liveaufnahme. Im Player auf der Bandseite kann man aber das gesamte zweite Album anhören, darunter auch diesen Übersong. Seit dem sind vier einhalb Jahre vergangen und es hat sich auf der Internetseite der Band nie wieder etwas getan, es gibt keine neuen Alben oder Konzertdaten. Ich hoffe, die vielen Gratis-Alben, die Vin ungeduldigen Kunden wie mir in die Pakete legte, haben nicht zum Bankrott der Band geführt. Dafür war das viel zu schöne Highway-Musik.
58. Piazza, New York Catcher – Belle & Sebastian Belle & Sebastians „Dear Catastrophe Waitress“ war eine der ersten CDs, die ich mir kaufte (eine Weile nach den Nirvana- und Ramones-Anfängen), doch so richtig zündete das erst mal nicht. Was für ein großartiger Song zum Beispiel „Piazza, New York Catcher“ ist, habe ich lange nicht begriffen. Seit dem Trip nach San Francisco ist er aber mit dieser Reise untrennbar verbunden, und seit dem habe ich auch ein größeres Herz für Belle & Sebastian. Und das, obwohl ich es vor lauter Amerika ganz vergaß, stilecht am Tenderloin herumzuhängen, wie der Song es vorschlägt. Die nette Frau, bei der wir dort wohnten, sagte am Ende die weisen Worte „Wo es einem besonders gut gefällt, sollte man immer etwas unerledigt lassen. So hat man einen Grund, wiederzukommen.“ Danke Peggy, wird gemacht. Jetzt erinnert mich "Piazza, New York Catcher" immer daran, dass da noch etwas unerledigt ist.
59. Lies Lead to Lies – Doug Paisley Der gleiche großartige Mp3-Blog, der mir Soft Black nahe brachte, stellte mir auch Doug Paisley, den hässlichsten Schnauzer im Folk-Geschäft, vor. Der Blog hat inzwischen dicht gemacht, während Doug noch immer countryeske Akustikgitarrensongs spielt. Ab und zu hat er dabei auch Leute wie Feist oder ein Überbleibsel von The Band in seinen Songs versteckt. Zuletzt wurde das immer mehr zu der Art Country, die mich eher langweilt, auch wenn in seinen Videos immer mehr Männer mit ganz famosen Bärten ihre gakeligen Altherrenhände über einen Flügel zucken lassen. Auf Dougs neuster Single, die er zum Record Store Day 2014 veröffentlichte, tauchte als B-Seite der Song „Lies Lead to Lies“ auf, allerdings neu eingespielt und aufpoliert. Das kann man eigentlich getrost vergessen, denn so schön wie die intime Demo-Aufnahme, die ich 2009 im Internet entdeckte, ist das lange nicht (für ein paar Minuten war der Song mal irgendwo auf Soundcloud). Leider scheinen im Zuge der Veröffentlichung der neuen Aufnahme alle Spuren der alten Version aus dem Internet verschwunden zu sein. Weil es nun im Internet weder die neue noch die alte Version zu hören gibt, wenn man nicht die Vinylsingle besitzt, kann ich hier leider nur auf einen anderen schönen Song von Dougs Debütalbum verlinken, das übrigens auch von vorne bis hinten wunderbar ist. Hier sogar mal ohne Schnauzer. Das ist allerdings nur ein schwacher Ersatz. Ich bin sicher, hättet ihr „Lies lead to lies“ gehört, wärt ihr morgen alle losgelaufen und hättet Doug-Paisley-Alben gekauft. So wird es vermutlich bei einem Achselzucken bleiben. Schade, Doug, wirklich schade. Your loss, buddy.
60. O.N.E. – Yeasayer Dieser Song ist Sommer. Dieser Song ist Tanzen. Dieser Song ist keine Worte verlieren. Yea.
Zitat von Velvet Skydas letzte gefällt mir am besten.
Zitat von CobraBoraDen Song von Yeasayer kannte ich noch gar nicht, der ist wirklich toll! Belle & Sebastian sind auch immer gern gehört, aber da ist eher Nullerbank der Spezialist.
Bei der Gelegenheit möchte ich mal loswerden, dass ich all deine Anekdoten sehr gerne lese!
Zitat von QuorkDabei dachte ich, O.N.E. sei so etwas wie der Yeasayer-Allgemeinplatz. Aber vielleicht auch nur auf meinem iPod
Und dass die Anekdoten gefallen freut mich natürlich sehr! Ich selbst komme mit dem Lesen im Moment kaum noch hinterher und werde mir wohl alle Threads nach und nach mal in Ruhe vornehmen müssen, um anhören und würdigen zu können, was hier im Moment alles passiert.
Zitat von drosophilaso etwas ähnliches dachte ich mir gestern auch. ich lese das alles mal in ruhe durch und ich gelobe, dass ich mir alles anhöre, was ich nicht schon kenne.
61. One Of Us – Rivers Cuomo Weezer gehörten zu den ersten Bands, die ich mochte, als ich mit 13 anfing, mich wirklich für Musik zu interessieren. „Make Believe“ lief auf Dauerrotation. Das war allerdings schnell wieder vorbei, bis ich irgendwann dieses Cover von Rivers Cuomo fand. Bisher habe ich niemanden gefunden, der dabei nicht sofort zusammenzuckt, weil er das Original von Joan Osborn eine Million Mal im Radio gehört hat. Ich kannte den Song bis dahin tatsächlich gar nicht, weil ich versuche, das Radio so gut es geht zu ignorieren. Seit ich mich in diese Akustikversion verliebt habe, taucht der Song nun auch häufiger auf Facebook-Pinnwänden bibeltreuer Bekannter auf (nicht in der Rivers-Cuomo-Version allerdings), was ich relativ merkwürdig finde, denn für mich erzählt der Song eine Geschichte, die gar nicht so positiv der Kirche oder dem blinden Gottvertrauen gegenüber klingt, das die gleichen Menschen sonst in kitschigen Botschaften in meinen Newsstream kotzen. Vielleicht sheen wir aber auch einfach andere Dinge in diesem Text. Ich selbst bin gar nicht gläubig, habe aber aus Gründen, die ich hier jetzt nicht ausbreiten muss, einen Softspot für dieses schöne Stück kitschiger Akustikmusik entwickelt.
62. First Day of My Life – Bright Eyes Wunderschöner Kitsch Teil II. Ich weiß, das habe ich in diesem Thread schon häufiger geschrieben, aber „First Day of My Life“ ist tatsächlich eines der schönsten Liebeslieder, die es gibt; und es lässt sich auch ganz schön auf dem Klavier spielen. Wahrscheinlich ist jemand anders viel besser darin zu beschreiben, warum das toll ist, denn ich bin da von so viel lächelnden Pärchen und Liebesbekundung immer ein bisschen überfordert. Und ohnehin bin ich sicher, dass dieser Song auch in mindestens zwei anderen Threads auftaucht. Vielleicht nur noch dieses: Der Song gewinnt für mich vor allem deshalb noch mal enormes Gewicht, weil er so im Kontrast zu vielem steht, was Conor Oberst sonst in seiner rotweinschwangeren Phase von sich gegeben hat, und ist damit umso mehr verliebter Lichtblick in der (wunderschönen) Traurigkeit, die Bright Eyes lange ausmachte (ich muss zugeben, seit „Cassadaga“ nichts mehr neues aus seiner Feder gehört zu haben).
63. Tape Song – The Kills The Kills brennen alles weg, was es an „cooler“ Schraddelgitarrenmusik sonst noch so gibt auf diesem Planeten. Erzählt mir was ihr wollt, aber so schnell wird es keine Band geben, die an Kaltschnäuzigkeit und Kompromisslosigkeit für mich an den Sound der Kills herankommt. Wie wichtig da sowohl Jamie Hinces Gitarre als auch Alison Mossharts Stimme sind, wird deutlich, wenn man sich The Dead Weather anhört, die schon auch gut sind, aber Meilen vom Level der Kills entfernt bleiben. Dass „Midnight Boom“ der Kills bisher beste Platte ist, ist bei den meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, Konsens (korrigiert mich, wenn ihr anders denkt), denn eigentlich ist jeder Song auf diesem Album ein Hit. „Tape Song“ stach für mich schon beim ersten Hören des Albums besonders mit seinem Refrain hervor, den ich bestimmt ein Jahr falsch verstand, bis ich mal die Lyrics suchte und verstand, dass „You've got to go steal ahead“ nicht nur keinen Sinn ergibt, sondern auch nicht das ist, was die Mosshart da singt. Textverständnis macht den Song allerdings nur besser. Anhören, Tanzen gehen!
64. Saturday Sun – Nick Drake „Five Leaves Left“ ist eines der schönsten und vor allem rundesten Alben, die mir einfallen. Es ist perfekt positioniert zwischen dem vergleichsweise skizzenhaften „Pink Moon“ und den glatteren, echten Songs. „Saturday Sun“ geht dabei tendenziell eher in die Richtung der aufwändig orchestrierten, glatten Songs, die mir bei Nick Drake eigentlich weniger gut gefallen, als seine extrem reduzierten Akustikgitarrenstücke (manche seiner schönsten Stücke finden sich als Demoaufnahmen der „Family Tree“. „Blues Run The Game“ ist auch nur ein Quäntchen weniger schön als „Saturday Sun“). Trotz leichter Fahrstuhlmusikhaftigkeit bringt der Song aber eine sonnendurchflutete Melancholie auf den Punkt, die ich jederzeit allen anderen seiner Songs vorziehen würde.
65. Sun Hands – Local Natives Local Natives waren eine Zufallsentdeckung. Mein leitender Redakteur zu der Zeit drückte mir eines Tages die CD in die Hand und sagte „schreib mal was“. Ich kannte die Band nicht und war anfangs eher gelangweilt von diesem Weltmusikindie-Sound, den seit Vampire Weekend so viele amerikanische Bands kultivierten (inzwischen scheint er weitgehend wieder ausgestorben zu sein). Doch die Rezension zwang mich dazu, „Gorilla Manor“ noch einige Male mehr zu hören, und irgendwann machte es während des krachenden Gitarrensolos in „Sun Hands“ und des geschrieenen Refrains "klick", und seit dem liebe ich dieses Album und seinen sonnigen Ton. Wenn ich irgendwann im Lotto gewinne und ein Strandhaus an der Pazifikküste der USA kaufen kann, wird dort den ganzen Tag „Gorilla Manor“ laufen. „World News“ und das Talking-Heads-Cover „Warning Sign“ sind außerdem noch sehr empfehlenswert. Schade nur, dass das zweite Album der Local Natives so langweilig geworden ist. Ich glaube kaum, dass da noch viel Spannendes kommen wird.
Zitat von Velvet Skywitzig, wo du's sagst. ich fand die anfangs auch eher langweilig, zumal damals jede zweite indie band so oder so ähnlich klang. mit der zeit überwog aber ganz klar die wertschätzung, vor allem "shape shifter" ist ein ziemliches brett. das zweite album war dann aber wirklich nur noch interessant für langweiler.
und sonst: weezer, na klar. das blaue album ist immer noch ein meilenstein und eines der wenigen alben, auf dem ich wirklich jeden song mag. zustimmung auch zu the kills in allen punkten.
Zitat von CobraBoraLocal Natives kannte ich bisher noch nicht, aber der Song gefällt mir richtig gut.
66. City of New Orleans – Steve Goodman Ich habe neben dem Studium immer gearbeitet und nicht wirklich das faule Studentenleben gelebt, dass das Klischee verbreitet. Trotzdem hatte ich manchmal die Vormittage frei und saß zuhause, während alle anderen irgendwo im Seminar waren. Das hat mich mit einigen Fernsehserien vertraut gemacht, die ich sonst sicher nie angesehen hätte. Alf zum Beispiel, den ich als Kind nur selten gesehen hatte. Nicht immer war Alf lustig, aber manchmal wirklich schön. In einer Folge erzählt Willy von seiner wilden Zeit als Tramper, in der er auf Frachtzüge sprang und quer durch die Staaten fuhr. Alf will das auch und läuft davon, um zum Tramp zu werden. Auf einem Güterbahnhof finden sich die beiden wieder und philosophieren über's Jungsein, über Sesshaftigkeit und das ewige Reisen. Im Hintergrund läuft der Tramper-Song „City of New Orleans“ und begeistert mich, jenseits von Alf und anderen Aliens wie David Hasselhoff, der diesen Song auch schon vergewaltigte. Überhaupt gibt es ganz viele schmerzhafte Versionen von „City of New Orleans“, doch das Original ist ein wirklich schöner Folksong.
67. Forever Young – Bob Dylan Eigentlich ist es eine Schande, dass Bob Dylan erst so spät in dieser Liste auftaucht, denn er begleitet mich schon viel länger mit seinem umfangreichen Werk durch alle möglichen Lebenslagen. Es fällt mir schwer, überhaupt einen Song herauszupicken, denn es gibt so viele unterschiedliche Dylans, unterschiedliche Sounds und Songs, die für so viele verschiedene Lebenssituationen stehen. Am Ende fiel die Wahl auf „Forever Young“. Nicht weil das zwingend der schönste Dylan-Song auf der Welt ist (da mag ich mich nicht festlegen und nicht einmal Alternativen anbieten, denn die Liste würde wirklich, wirklich lang). „Forever Young“ ist es geworden, weil ich am Klavier sehr häufig Dylan-Songs spiele und dieser Song der erste war, den ich je vor Publikum zum Geburtstag meines Vaters zusammen mit seiner Band gespielt habe. Das war ein qualitativ sehr mittelprächtiger aber emotionaler Auftritt und gehört zu den schöneren Erinnerungen aus dieser Zeit. Außerdem hat dieser Song einen fundamentalen Refrain, der mir jedes Mal wieder eine Gänsehaut verpasst (und mich an meine stimmlichen Grenzen bringt, wenn ich ihn singen muss).
68. Massenkompatibel – Rainald Grebe Rainald Grebe ist ein Clown, so wie er als Kind immer einer war. Erzählt er in seinem Programm „Das Rainald Grebe Konzert“, in dem er sein Leben rekapituliert. Zur Auftaktveranstaltung des Rainald-Grebe-Konzerts in Hannover saß ich in der zweiten Reihe direkt vor dem elektrischen Lagerfeuer, dass er unter seinem Flügel knistern ließ. Dass so ein Clown in dieser Liste auftaucht, liegt daran, dass Grebe doch nicht nur Clown ist, sondern auch einer, der es schafft, Songs auf der Grenze zwischen Lachen und Weinen zu schreiben, die immer einen Fuß breit über die Linie treten, aber nie ganze sicher sind, auf welcher Seite sie sich gerade befinden. „Massenkompatibel“ ist einer von diesen Songs, die so funktionieren, und vielleicht der schönste von Grebes Kloß-im-Hals-Lachern. Die letzte Strophe finde ich dabei besonders berührend: "Und dann kamst du, womit hab ich das verdient ? Du warst die Erste, die mich wollte, wie ich bin. Du hast gesagt: Was hast du denn? Du bist doch nicht alleine! Du hast doch auch nicht mehr als zwei Arme und zwei Beine! Ich will doch für alle sein, für alle Leute. Ich bin das Beste aus der 70ern, 80ern, 90ern, ich bin das Beste von Heute." Großartig, traurig, lustig. Mit großen Augen und einem Reinhold-Beckmann-Schlüsselanhänger. "Ich bin ein Liebeslied, das überall gefällt" – schön wär's. Verdient hätte er's.
69. Skinny Love – Bon Iver „Skinny Love“ wiederum ist ein trauriges Liebeslied, das scheinbar wirklich überall gefällt. Ein paar Jahre lang sah man ständig irgendwelche Fotos von Hipster-Tattoos und anderen Formen der Verarbeitung für die traurigen Zeilen, die den Refrain von „Skinny Love“ ausmachen. Das war schon leicht nervig, konnte dem großartigen Song aber nichts anhaben. Seine reduzierte Zerbrechlichkeit ist jedes Mal wieder atemberaubend.
70. Goin' To Acapulco – Calexico & Jim James Es gibt nicht viele Dylan-Cover, die sich wirklich lohnen. Normalerweise erwecken Kopien des Meisters dieses immer präsente Gefühl, dass der Bob das doch besser gemacht hat. Dass Dylan inzwischen klingt, als würde er selbst auch nur noch mediokre Coverversionen seiner eigenen Lieder spielen, macht es nicht besser. „Goin' To Acapulco“ aus dem Soundtrack des wunderschönen Films „I'm Not There“ ist allerdings mal ein Cover, dass sogar das Original übertrumpft (ich bin ohnehin kein zu großer Fan vom Sound der Basement Tapes mit The Band). Jim James Stimme und die getragene Atmosphäre, der Eskapismus und dazu das Video dieser hochgradig merkwürdigen Trauerfeier in Dylans metaphorischem Geheimversteck, mit Pat Garrett und Billy the Kid unter den Trauergästen, machen den Song zu einem überragenden Erlebnis. Weder Calexico noch Jim James sind ansonsten meine großen Lieblinge, aber was hier zusammenkommt ist mehr, als die Summe seiner Teile.
71. Wer kann sich schon entscheiden? – Gisbert zu Knyphausen Gisbert zu Knyphausen hat bis heute keinen einzigen schlechten Song veröffentlicht. Warum ich ihn dennoch lange ignoriert habe, kann ich gar nicht sagen. Irgendwann während der Recherchen für eine Konzertankündigung, die ich schreiben musste, habe ich dann aber doch aufgeholt. Das „Gisbert zu Knyphausen“ betitelte Debüt und besonders sein zweites Album „Hurra! Hurra! So nicht“ sind uneingeschränkt zu empfehlen. Die Texte in all seinen Liedern sind wohltuend unprätentiös und direkt, oftmals schmerzhaft ehrlich und berührend. Die drei Konzerte, die ich von ihm sehen konnte, waren allesamt großartig. Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, konnte ich nicht einmal bis zur Zugabe bleiben, denn der letzte Zug zurück nach Hause ging um kurz nach Mitternacht und zwang mich zu gehen, bevor „Wer kann sich schon entscheiden“ gespielt wurde. Eine absolute Schande, ist das doch Gisberts bisher schönster Song, mit dem ich sehr viel verbinde. „Meine Güte, das ist aber mal wirklich Musik, die man auf keinen Fall mit Liebeskummer hören sollte“ sagte mein Vater einmal nicht recht begeistert dazu, als er gezwungen war, sich das mit mir anzuhören. Ich bin geneigt, ihm da zu widersprechen. Das ist Musik wie geschrieben für Liebeskummer. Auch das macht sie so großartig.
72. China Girl – David Bowie Ich bin nicht der größte Bowie-Fan auf Erden, doch ein paar seiner Songs liebe ich sehr. Vielleicht passt es da ganz gut, dass mein Bowie-Liebling „China Girl“ gar nicht ursprünglich von Bowie gesungen wurde. Iggy Pops Version dieses Liedes ist natürlich auch ganz toll, aber der klirrend klare Sound in Bowies Version gibt mir immer noch ein bisschen mehr. Wenn ich diesen Song höre, muss ich immer an den Paul-Auster-Roman „Moon Palace“ denken, in dem die Hauptfigur Marco Fogg (was für ein bekloppter Name. Sorry, Paul.) sich in die schöne Kitty Wu (noch so ein bekloppter Name) verliebt. In meiner Vorstellung war die lange die schönste Frau in der ganzen weiten Belletristik.
73. Heart of Glass – Blondie Ich kannte den Song eigentlich so lange ich denken kann, denn das Mainstream-Radio hat ja manchmal auch seine goldenen Minuten. Doch lange Zeit war das für mich nur einer von vielen Songs, die am Wochenende zwischen der Fußballberichterstattung gespielt wurden. Alles, was Fußball unterbricht ist mir zwar ein Segen, aber mehr als wahrgenommen hatte ich den Song nie, bis ich eine Folge Gilmore Girls sah (jajaja), in der Lane ihren Typen heiratet, dessen Namen mir nicht einfallen mag. Auf der Hochzeitsparty wurde als erster Song des Abends „Heart of Glass“ gespielt – und ich war hin und weg. Nicht wegen der Gilmore Girls, aber weil da auf einmal ein Song war, der plötzlich so viel größer war, als ich ihn je wahrgenommen hatte.
74. Far Far Away – Slade Slade sind so eine Band, die ich eigentlich doof finden wollen würde, aber ich kann es einfach nicht. Genau wie „Heart of Glass“ war „Far Far Away“ eigentlich schon immer da, aber nie von Bedeutung. Erst, als ich gegen Ende meines Bachelor-Studiums anfing, einen langen Auslandsaufenthalt zu planen und voller Fernweh Praktikumsbewerbungen in alle Welt schickte, packte mich dieser Song. Dieses Gefühl, schon viel zu lange auf der Stelle zu treten und dringend mal etwas von dieser Welt zu sehen, von der immer alle reden, ist hier großartig zusammengekocht. Der Song war für mich deshalb gefühlt der Auftakt einer langen Zeit voller Reisen und Geschichten, die später auch noch von ein paar Songs erzählt werden. Und deshalb wird der Song für mich immer dieses Gefühl von Aufbruch und Fernweh transportieren. „And all those arigato smiles stay in your memory for a while; there still seems more to come.“ Ja, bitte.
75. Way Down in the Hole – The Blind Boys of Alabama Ein Vortrag eines Kulturwissenschaftlers auf einer Konferenz in der Uni machte mich zum ersten Mal auf Fernsehserien als ernstzunehmendes Kulturgut aufmerksam. Der Kerl sprach über Serien wie die Sopranos, Breaking Bad und The Wire als wären es Romane. Ich hob ein wenig die Augenbraue, war aber doch angefixt von seinen Analysen. Zufälligerweise lag die erste Staffel von The Wire“ gerade bei Saturn für 9 Euro im Sonderangebotsstapel. Die Serie wurde so für mich zum Einstieg zur großen Welt des amerikanischen Quality-TV. Die weit verzweigte Geschichte einer Drogenbande in Baltimore und der Sondereinheit der Polizei, die sie zu schnappen versucht, ist mit das beste, was ich je im Fernsehen gesehen habe. Verflucht gute Dialoge, behutsame Erzählweise, Witz, Ernsthaftigkeit, glaubhafte Charaktere, nicht zu aufdringliche Sozialkritik und eine kühle, souveräne no-bullshit-Attitüde, die einfach Spaß macht. Ich habe die fünf Staffeln der Serie inzwischen schon mehrfach gesehen und könnte sie immer wieder gucken, so sehr sind mir diese Charaktere ans Herz gewachsen. Im Vorspann der Serie läuft jede Staffel eine andere Version des Tom-Waits-Stücks „Way Down in the Hole“, mal vom großen Grummler selbst gesungen, mal von einem R'n'B-beeinflussten Schülerchor, mal von den Blind Boys of Alabama. Letztere Version eröffnet die erste Staffel, die für mich auch die beste der Serie ist. Allein die ersten Töne ziehen mich in diese Welt voller liebgewonnener Thugs und Po-Pos.