Als vor jetzt mehr als einem Jahrzehnt die Neo-Folkies mal wieder Aufwind hatten, schipperte im Windschatten der Fleet Foxes und Bon Iver ein kleiner Kahn namens Bowerbirds daher, im Laderaum ein Debütalbum mit dem Charme einer windschiefen Appalachenhütte, dessen melancholische Kargheit mich sofort gefangennahm; auch, weil es musikalisch viel komplexer war, als es sich nach außen hin gab. Auf dem dritten (und wie es aussieht, leider finalen) Werk hat das Trio die bislang bescheiden versteckte Opulenz der betörenden Songs nun auch instrumental entsprechend verpackt, und mir damit einen Klassiker für die Ewigkeit beschert, mit dem ich im vorgerückten Alter schon gar nicht mehr gerechnet hatte. Seit nunmehr sechs Jahren vergeht keine Woche, in der ich nicht wenigstens eine Melodie aus dem reichhaltigen Schatz dieser Platte unter der Dusche summe; manchmal ist es auch nur einer dieser versteckten Hooks, die in den versponnenen und gelegentlich an Van Dyke Parks erinnernden Arrangements hinter den eigentlichen Songs auftauchen (das Outro von "Death Wish" ist so gruselig und so tröstlich!). Wenn dann die CD aufliegt (leider Gottes klingt die Vinylpressung furchtbar!), entdecke ich auch heute noch immer wieder neue Details in dieser feingewebten Geschäftigkeit, die halb akustisch, halb elektronisch die unaufgeregte Schönheit von Phil Moores Stimme grundiert. Und immer noch bin ich bezaubert davon, wie bei aller Finesse jegliche Angeberpose durch Abwesenheit glänzt. Selbstverständlich gab es seither kein Mixtape, bei dem nicht wenigstens ein Stück dieser Kollektion in die engere Auswahl kam.
2. The Nits – Omsk (1983)
Einsteigern ein Album der Nits empfehlen zu wollen, wäre ein Unterfangen philosophischer Vergeblichkeit, gäbe es nicht OMSK, den Schritt von der vielversprechenden Post-Punk-Pop-Band zum mäandernden Wandertrupp in die Einzigartigkeit. Kühl und warm zugleich, versponnen, sperrig, und trotzdem zugänglich - ein Solitär.
3. Talk Talk - Spirit Of Eden (1989)
Immer wenn diese Platte dran ist, gibt es keine andere mehr neben ihr. Auf zarte atonale Mundharmonika- und Holzbläsertupfer folgt der elysische Krach von "Desire"; spätestens bei den Mantrachören von "I believe in you" ist man temporär religiös. Das wirksamste Antidepressivum meiner Sammlung.
4. XTC - Nonsuch (1991)
Meine zweite große Lieblingsband mag pophistorisch wichtigere Alben gemacht haben, aber dieses hat selbst für ihre Verhältnisse eine exorbitante Dichte großartiger Popsongs. Außerdem waren sie zuvor noch nie so entspannt wie hier, und im Steven-Wilson-Remix klingt es endlich auch grandios.
5. Stevie Wonder - Innervisions (1973)
Die Frage nach dem besten SW-Album überfordert vermutlich jeden Schöngeist; zum Glück habe ich mich schon vor längerer Zeit auf dieses festgelegt. Es enthält nämlich im Gegensatz zum gern genannten Über-Doppelalbum nicht einen einzigen Hänger. Aber natürlich steht es auch für alle anderen Stevies der Siebziger.
6. Radiohead - In Rainbows (2007)
Als Spätberufener bin ich tatsächlich erst mit diesem Album in den RH-Kosmos eingestiegen. Schon aus diesem Grund ist es mir besonders ans Herz gewachsen, und ich kehre immer wieder zu ihm zurück. Aber auch, weil ich sehr viel "Spirit of Eden" darin höre (s.o.).
7. Björk - Debut (1993)
Elektronische Musik war für mich nur Geplucker, bis Björk mir dieses Album vor die Füße warf. Stimmlich hatte sie mich schon bei den Sugarcubes erwischt; umso williger folgte ich ihr in dieses versponnene Universum der Beats und Bits, und entbrannte in Liebe.
8. Joni Mitchell - Miles Of Aisles (1974)
Dieses Live-Album ist für mich der strahlendste Moment dieser Ausnahmefrau: auf dem Gipfel des Erfolgs, an der Schwelle zu neuen Ufern - hinter sich den Folk, vor sich den Jazz - , und mit einer fantastischen Band, die noch nicht so muckerhaft routiniert klingt wie auf der "Shadows & Light".
9. Joe Jackson - Night & Day (1982)
Mein großes musikalisches Identifikationsobjekt hat ja bereits ein sensationelles Frühwerk aufzuweisen, als er sich zum erstenmal in konzeptionelle Höhen aufschwingt, und ohne Gitarren, dafür mit viel Geklapper und fantastischen Songs sein Opus Magnum fabriziert. Später verhebt er sich häufiger mal, hier ist alles rund.
10. Nikko & The Passion Fruit - Bird In A Cage (1994)
Nikko Weidemann, alter Kämpe of u.a. Flucht-nach-vorn-Fame, will's so richtig wissen, und landet den Flop seines Lebens. Guy Chambers kriegt danach Robbie Williams, Nikko nur ein Auge ausgeschlagen (dafür schreibt er jetzt die Hits für "Babylon Berlin"). Die Band ist der Hammer, der Sänger sowieso, und das Konzert bis heute eins der besten meines Lebens.
Zitat von tenno im Beitrag #16. Radiohead - In Rainbows (2007)
Als Spätberufener bin ich tatsächlich erst mit diesem Album in den RH-Kosmos eingestiegen. Schon aus diesem Grund ist es mir besonders ans Herz gewachsen, und ich kehre immer wieder zu ihm zurück. Aber auch, weil ich sehr viel "Spirit of Eden" darin höre (s.o.).
Ich muss zugeben, das Talk Talk-Abum nur einmal vor Unzeiten gehört zu haben, erkenne aber beim erneuten Reinhören jetzt relativ direkt, was du meinst. Grund genug, sich mal intensiver damit auseinanderzusetzen. Denn "In Rainbows" ist ja in der Tat großartig.
Danke Long John Tenno, Nikko & The Passion Fruit war musikalisch auch für mich ganz grosses Popkopfkino. "Love Is the Leader" hatte ich länger auch auf meiner Vormerkliste.
Ich packe dann mal die "Nonsuch" wieder aus, die ich nach dem Erscheinungsjahr gar nicht mehr gehört habe, währen "Drums & Wires", "Black Sea" oder "Oranges & Lemons" regelmäßig laufen.
Zitat von Von Krolock im Beitrag #4Ich packe dann mal die "Nonsuch" wieder aus, die ich nach dem Erscheinungsjahr gar nicht mehr gehört habe, währen "Drums & Wires", "Black Sea" oder "Oranges & Lemons" regelmäßig laufen.
möglicherweise wird dir die hysterische komponente der vorgenannten alben etwas fehlen. ich finde "nonsuch" aber tatsächlich noch besser als "O&L", die ja schon in die gleiche richtung zielt, aber unter ein paar etwas unstringenten partridge-füllern und vor allem aber unter diesem klirrigen, undynamischen exciter-sound leidet. auf der nonsuch hingegen: kein ausfall. nicht einer.
Yeah, ein Björk-Album! Talk Talk wären bei mir auch fast reingekommen, allerdings mit "The Colour Of Spring". Beim Rest muss ich allerdings erst reinhören.
Die Bowerbirds und Nikko sagen mir hier zunächst nichts; interessant finde ich die Nits (habe tatsächlich eine 3er-CD namens Nitshits)... Und von Joni Mitchell mag ich auch gerne mehr hören...
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
Die Nits nicht auf der 1 ist ja ein Skandälchen! Immerhin das einzige für mich hörbare Radioheadalbum rausgepickt. Klingt schon alles sehr interessant, Joe Jackson und Bowerbirds kommen direkt mal auf die dringende Liste.
Just a MF from hell.
Rotation:
Cindy Lee - Diamond Jubilee | Being Dead - Eels | Shellac - To All Trains
Ich bin immer noch eine untergebildet, was die Nits angeht (abgesehen von der Urk und der Ting, die habe ich) Ich nehme es zum Anlass und beginne dann endlich nächste Woche mit der oben genannten.
ME-Leser 1984 bis 2016 - ME-Forum seit 30.04.2003 - Erster Beitrag: "Wo kann ich mich hier wieder abmelden?" Heavy Rotation → ◉ Jake Bugg (2024) A Modern Day Distraction ◉ Julie (2024) The Ant-Aircraft Friend ◉ Towa Bird (2024) American Hero ◉ The Courettes (2024) The Soul Of... The Fabulous Courettes ◉ Noga Erez (2024) The Vandalist
ich kenne nur "in the dutch mountains". lief dauernd im radio. mir reicht das.
die "innervisions" wäre auch meine wahl gewesen. da sind zwar keine superhits wie "sir duke" oder so drauf aber es ist einfach von vorne bis hinten makellos.
die bowerbirds werde ich mir jetzt auch mal vorknöpfen. klingt als sei das was für mich.
und danke für "carey". es sprudeln die glückshormone wenn ich diese preziose zu gehör bekomme.
Hm, ich hätte hier mehr Soul erwartet. Andererseits hätte ich das bei mir auch. Man steckt nicht drin.
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Zitat von gnathonemus im Beitrag #12ich kenne nur "in the dutch mountains". lief dauernd im radio. mir reicht das.
das ist das problem der one-hit wonder mit dem komplexen backkatalog... ich könnte mir vorstellen, dass das frühwerk durchaus was für dich ist, zb der hier. und die omsk allemal.
Zitat von Der Lokus im Beitrag #13Hm, ich hätte hier mehr Soul erwartet. Andererseits hätte ich das bei mir auch. Man steckt nicht drin.
als funky chicken hatte ich natürlich massenweise solchen kram auf der longlist, aber ich musste feststellen, dass ich die meisten derartigen alben selten am stück höre, weil sie doch meist recht inkonsistent sind. auf jeden knaller folgen meist ein bis zwei öde stampfer und/oder generische balladensülze. also nix für diese liste (bis auf stevie, natürlich).