Echte Männer (sorry, bitte durch "echte Musikfreunde" ersetzen) hören handgemachte Musik. Techno, Hiphop und Euro-Dance sind neumodisches Zeug, das nur von Leuten gehört wird, die Ihren Lebensunterhalt am Autoscooter verdienen. Wer etwas auf sich und seine Bildung hält, wer am Stammtisch über Musik diskutieren will, ohne direkt puterrot zu werden, der hört Wave, Post-Punk, Grunge, oder Alternative Rock.

Das ist das dumme Vorurteil, dessen sich der Bericht auf Seite 60/61 bedient. Denn das 90er-Revival, dass sich angeblich nicht mehr verleugnen lässt, ist bereits seit 2012 in vollem Gange. Seine Protagonisten heißen Rudimental, Route 94, KDA, Jess Glynne und seit kurzem auch Chemical Brothers. Denn die 90er waren eben das Jahrzehnt von House, Rave, Jungle, Gabba, Euro-Dance, Big, British und anderen obskuren Beats. Grunge hingegen war nur der unangestrengte Neuaufguss der Musik, die unsere Eltern bereits in den 70ern gehört haben, Querverweise an den Alternative Rock der 80er hin oder her. Warum also, so fragt man sich, hält der ME an einer solch reaktionären Haltung fest, die man eher dem RS unterstellen wollen würde?

Aber es geht ja noch mehr im Heft. Zum Beispiel Taylor Swift und (auf einer Doppelseite) Miley Cyrus. War 2015 denn wirklich so scheiße? Hat man keine Protagonisten gefunden, die ein wenig mehr ME und etwas weniger BRAVO gewesen wären?

Die gesamte Hilflosigkeit der Internet-User spiegelt sich indessen auf Seite 47 wieder. Weil "das asoziale Netzwerk" ein pars pro toto ist und das Internet schon immer ein "asozialer Ort" (a.a.O.) war. Und weil Facebook-Nutzer schon seit Jahren wissen, dass FB Plattform für üble Hetzkampagnen ist, das fing nicht erst mit der aktuellen Flüchtlingdebatte an, erst vergangegen Winter wurde mehrfach gefordert Weselsky und "dieses Lokführerpack" aufzuknüpfen.

Und da wäre dann noch Stefanie Sargnagel, die auf drei Seiten genau die Event-Hilfsbereitschaft schildern darf, die die Antilopen Gang (das gute Gewissen Deutschlands) kurz vorher noch im großartigsten aller Interviews kritisieren durfte. Den letzten Satz des Berichtes möchte man der Sargnagel um die Ohren hauen.

Und da liegt dann für mich die wahre Krux der angeblich aktuellen Ausgabe: Pluralismus und Meinungsfreiheit sind etwas schönes, aber mit dem vorliegenden Heft will man anscheinend alle abholen: Punker, Hipster, Gutmenschen, Bunte-Leser, jeder findet hier seinen Lieblingsartikel/seine Lieblingsrubrik. So ähnlich stelle ich mir das neue Album von Adele vor: Balladen für die Muttis, nicht zu wild, ein paar Midtempo-Nummern für den Nachwuchs, eine Nummer, die richtig nach vorne geht und zu der man nach dem dritten Bier tanzen möchte und vielleicht noch eine ausgesuchte Coverversion für die ganze Familie.

Und dann waren da noch die Seiten 28/29. Auf dem der Koch eine Großchance vergibt und genau dem Lobbyismus nachgeht, dem er hier mal so richtig ins Gesicht spucken könnte. Denn "der Jude hat sich noch nie beschwert, wenn ich Witze über Schwule mache, und der Schwule noch nie, wenn ich Witze über Neger mache" (Serdar Somuncu). Und wenn ein paar Fußballfans oder Menschen am anderen Ende der Welt in die Luft gesprengt werden, dann entlockt das dem gemeinen Musikfreund in unseren Breitengraden allenfalls ein Schulterzucken. Aber wenn ein Anschlag auf ein Konzert der EODM verübt wird, dann ist der Terror auch in unserer Lebensrealität angekommen. Schreibt`s und macht's nach.

Außerdem erhält der ME von mir eine Rüge ( ) für den Begriff "Geschlechtsangleichung". Wenn diesen Begriff einer der Protagonisten benutzt, ist das ja ganz süß, aber es gibt keinen Grund für das unreflektierte Nachgeplappere von Außenstehenden. Aus deren Blickwinkel betrachtet ist das nämlich immer noch eine Geschlechtsumwandlung. Und Sprache hat eben deshalb auch eine wichtige Funktion, weil sie die Menschen nicht zu Tode kuscheln soll, sondern weil sie bisweilen auch extrem sein muss, weil sie nicht ständig auf Konsens ausgerichtet ist, sondern auch auf Abgrenzung. Und weil sie so einfach wie möglich sein sollte, damit sie auch der kleine Mann versteht. Aber was weiß man schon vom kleinen Mann, wenn man 15 Jahre lang Gender Theories studiert hat?

Wer jetzt noch keinen Augenkrebs hat, kann sich als weiterführende Lektüre gerne die letzte Staffel von South Park geben. Ich geh jetzt heulen.

Zitat von Dick Van Dale im Beitrag #91

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Grunge hingegen war nur der unangestrengte Neuaufguss der Musik, die unsere Eltern bereits in den 70ern gehört haben,

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