Anlässlich der jüngsten Gewalt-Debatte im „Zuletzt gesehen“-Thread, hier der Thread über kontroverse Filme, kontroverses in Filmen, kontroverses aus Filmen, kontroverse Filmschaffende, u.s.w..
Angesprochen war u.a. Quentin Tarantino, bzw. die Gewaltdarstellungen in seinen Filmen. Tarantino hat den Ansatz ganze Filme in der Meta-Ebene spielen zu lassen. Er macht also Filme über Filme. „Inglourious Basterds“ bspw. handelt nicht vom zweiten Weltkrieg, sondern persifliert die Ästhetik von Hollywood-Filmen über den zweiten Weltkrieg. Deshalb muss man das natürlich nicht mögen, allerdings für mich macht das die Gewaltdarstellungen so irreal, dass sie bei mir keinen großen Schrecken verursachen. Ähnlich geht es mir mit Horrorfilmen, auch bei denen, die ich künstlerisch weniger reizvoll finde. Die sind zu absurd, als dass mich die Gewalt zu sehr abstoßen könnte. Deshalb muss das natürlich keiner mögen, aber für mich ist das wie Geisterbahn für Erwachsene.
Ich habe in Nachrichten und Dokumentationen tatsächliche Gewalt gesehen, die mich nachhaltig erschreckt haben. Insofern unterschreibe ich die häufige Behauptung nicht, dass der Konsum von gewalttätigen Filmen zur Abstumpfung führen würde. Unter bestimmten Bedingungen mag dies zwar zutreffen, verallgemeinern würde ich das jedoch nicht. Die Gleichsetzung von dargestellter Gewalt und tatsächlicher halte ich für grundsätzlich illegitim.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Ich habe in Nachrichten und Dokumentationen tatsächliche Gewalt gesehen, die mich nachhaltig erschreckt haben. Insofern unterschreibe ich die häufige Behauptung nicht, dass der Konsum von gewalttätigen Filmen zur Abstumpfung führen würde.
Richtig! Bei mir als bekennendem & begeistertem Horror-Fan sind es tatsächlich (Anti-)Kriegsfilme, die mich fertigmachen, während der übelste Splatter mir wenig ausmacht. Full Metal Jacket? Ich hasse diesen Film! Die erste Hälfte ist so verstörend, dass ich damit nicht klarkomme, und die zweite so langweilig, dass ich fast einschlafe. (Könnte ich denn nach der ersten Hälfte schlafen ...)
Der Goldene Handschuh in seinem unbedingten Realismus der Darstellung hat mich erschreckt und verstört - das hat kein Tarantino bisher geschafft.
BTW: Trotz all der tagtäglich von mir konsumierten Gewalt, stelle ich in diesem Haus den pazifistischen Hippie.
Zitat von Mory im Beitrag #2[quote=Lumich|p148138] Der Goldene Handschuh in seinem unbedingten Realismus der Darstellung hat mich erschreckt und verstört - das hat kein Tarantino bisher geschafft.
Tarrantino Filme sind viel mehr Spaß als Schrecken, selbst die blutigsten Momente sind so abgefahren und comichaft, daß man darüber lachen kann. Nur bei Django Unchained hat es nicht durchgehend funktioniert.
Als kontrovers könnte man die unterschiedlichen Racheorgien aus dem asiatischen Raum bezeichnen, weil sich von denen doch mehr Zuschauer abwenden, wenn sie nicht mit dem Genre vertraut sind. Z.B. I Saw The Devil, The Man From Nowhere, Battle Royale, Audition (Takashi Miike). Oder die ersten beiden Hostel Filme, die ich klasse finde, weil sie gesellschaftlich durchtrieben sind und der zweite Teil dann die Geschlechterrolle auflöst.
Durch das stark Überzeichnete der Gewalt bei Tarantino würde ich seine Filme nicht mal mehr in die Rubrik "kontrovers" stecken. Da passt aber natürlich ein Film wie Hanekes "Funny Games" bestens rein. Ich sehe das so ähnlich wie das der King heute schon geschrieben hat: "Man vergißt darüber gerne mal, was Gewalt wirklich ist, und es braucht Filme wie den "Goldenen Handschuh" oder "Funny Games", um einem das mal wieder drastisch klarzumachen.".
Finde ich jedenfalls auch absolut legitim und wichtig, dass es Filmschaffende gibt, die Gewalt mit all seiner Stumpfheit und Sinnlosigkeit darstellen, was dann natürlich beim Zuschauen auch entsprechend weh tut.
Genau. Es muß auch nicht immer körperliche Gewalt sein. Eine Szene die psychische Gewalt ausdrückt und mir damals sehr nahegegangen ist, kommt aus Das Weiße Band von Haneke. In dieser erniedrigt der Arzt (Rainer Bock) seine Haushälterin. https://www.youtube.com/watch?v=j5bNBxj5cSs
Kontroverse Gewalt dürften auch die Filme von Lars van Trier ausdrücken, um die ich bisher allerdings einen Bogen gemacht habe.
Zitat von DerKleineMusicFreund im Beitrag Zuletzt gesehen Die teilweise exzessive Gewalt in den Filmen von Tarantino basiert auf reiner Fiktion. Außerdem ist sie meistens auch noch "humoristisch" unterlegt.
Eben das. Man vergißt darüber gerne mal, was Gewalt wirklich ist, und es braucht Filme wie den "Goldenen Handschuh" oder "Funny Games", um einem das mal wieder drastisch klarzumachen.
Ob "man" über fiktional inszenierte Gewaltdarstellung vergisst, was Gewalt wirklich ist, kann ich nicht sagen. Ich vergesse es nicht und brauche daher keine filmische Aufbereitung tatsächlich geschehener Gewalt. Ist mir zu brutal und erschüttert mich zu sehr.
An "Der Boxer von Auschwitz" und "Der Hauptmann" hatte ich einige Zeit zu knabbern. So etwas tue ich mir nur sehr selten an und lasse daher den "Der goldene Handschuh" aus.
Dass auch fiktionale Gewalt ein Publikum an seine Grenzen bringen kann, habe ich damals 1994 im Kino bei "Pulp Fiction" erfahren: ca. 10% der Zuschauer haben die Vorstellung sehr frühzeitig verlassen. So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt.
Zitat von DerKleineMusicFreund im Beitrag #6 Dass auch fiktionale Gewalt ein Publikum an seine Grenzen bringen kann, habe ich damals 1994 im Kino bei "Pulp Fiction" erfahren: ca. 10% der Zuschauer haben die Vorstellung sehr frühzeitig verlassen. So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt.
Ist aber die Frage, ob sie alleine aus diesem Grund den Kinosaal verlassen haben. Der Film überraschte seinerzeit ja auch mit der originellen Erzählweise, was sicher nicht jedermann Geschmack war. Da können drei Stunden Laufzeit schon ganz schön lang werden und zur entsprechenden Geduldsprobe
Zitat von Krautathaus im Beitrag #5Genau. Es muß auch nicht immer körperliche Gewalt sein. Eine Szene die psychische Gewalt ausdrückt und mir damals sehr nahegegangen ist, kommt aus Das Weiße Band von Haneke. In dieser erniedrigt der Arzt (Rainer Bock) seine Haushälterin. https://www.youtube.com/watch?v=j5bNBxj5cSs
Kontroverse Gewalt dürften auch die Filme von Lars van Trier ausdrücken, um die ich bisher allerdings einen Bogen gemacht habe.
Die erwähnte Szene aus "Das weiße Band" ist wirklich hart. Lars von Trier kann eindrucksvoll physische und psychische Gewalt darstellen. "Antichrist" hat mich damals echt fertig gemacht.
wobei "antichrist" so stark mit fantasy-elementen durchzogen ist, dass ich die gezeigte gewalt auch eher auf einer meta-ebene wahrgenommen habe und relativ gut wegstecken konnte. für mich um ein vielfaches schlimmer, da es sehr realistisch rüberkommt: was emily watson so alles in "breaking the waves" angetan wird. ich will den nie nie nie mehr wieder sehen (zweimal hab ich ihn geschafft und ich war jedes mal fix und fertig).
Da gebe ich dir vollkommen recht, gnathonemus! Meine Freundin (ja wir sind trotzdem noch zusammen), meinte vor ein paar Jahren, dass ich unbedingt mal einen Lars von Trier Film sehen müsste. War mein erster und einziger und das wird auf alle Ewigkeit so bleiben. Total verstörend. Ein mal (diesen Film) und nie wieder etwas von Trier.
Zitat von DerKleineMusicFreund im Beitrag #10Da gebe ich dir vollkommen recht, gnathonemus! Meine Freundin (ja wir sind trotzdem noch zusammen), meinte vor ein paar Jahren, dass ich unbedingt mal einen Lars von Trier Film sehen müsste. War mein erster und einziger und das wird auf alle Ewigkeit so bleiben. Total verstörend. Ein mal (diesen Film) und nie wieder etwas von Trier.
das ist eine bedauerliche selbstbeschränkung. versuch's doch mal mit "melancholia". der ist weitgehend gewaltfrei und ganz einfach wunderbar.
Für diese Kaum-Auszuhalten-Filme schätze ich Lars von Trier sehr, wobei Breaking the Waves m.E. durch sein Ende gründlich verdorben wird, aber vielleicht fehlt mir da der Humor für. Lars von Trier ist einer der ersten Namen, die mir einfallen, wenn es um kontroverse Filmschaffende geht, sei es durch provokante Äußerungen (meist nicht ganz so schlimm, wenn man den Zusammenhang kennt) oder durch die Art und Weise, wie er mit seinen Schauspielern umgeht. Jeder, der sich seine Filme nicht antun will hat mein vollstes Verständnis. Für mich sind das hochspannende Grenzerfahrungen.
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Zitat von Lumich im Beitrag #13Für diese Kaum-Auszuhalten-Filme schätze ich Lars von Trier sehr, wobei Breaking the Waves m.E. durch sein Ende gründlich verdorben wird, aber vielleicht fehlt mir da der Humor für.
Nein, das ist halt wieder Lars von Trier und seine ungefilterte Art, dem Zuschauer seinen Glauben um die Ohren zu schlagen.
Zitat von DerKleineMusicFreund im Beitrag #6 Dass auch fiktionale Gewalt ein Publikum an seine Grenzen bringen kann, habe ich damals 1994 im Kino bei "Pulp Fiction" erfahren: ca. 10% der Zuschauer haben die Vorstellung sehr frühzeitig verlassen. So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt.
Ist aber die Frage, ob sie alleine aus diesem Grund den Kinosaal verlassen haben. Der Film überraschte seinerzeit ja auch mit der originellen Erzählweise, was sicher nicht jedermann Geschmack war. Da können drei Stunden Laufzeit schon ganz schön lang werden und zur entsprechenden Geduldsprobe
Vergessen darf man dabei aber auch nicht, es war 1994. Wäre der so heute rausgekommen, hätte man für die Gewaltdarstellung nur ein müdes Lächeln übrig gehabt.