Ich hatte bis vor kurzem noch NIE einen Christie gelesen und dachte immer, das wäre Rosamunde Pilcher in Krimiform. Ist es aber nicht. Hercule Poirot ist eine wunderbare, wenn auch höchst simpel gezeichnete Figur. Der Vorfall im Orientexpress wird durch eine Abteilkarte ergänzt, damit das Verwirrspiel für den Leser noch vertrackter wird und man sich ertappt, immer wieder zur Karte zurückzuschlagen, um zu prüfen, ob das denn angehen kann.
Weil ich auch nie eine der Verfilmungen gesehen hatte, war die Auflösung für mich überraschend. Ein toller Schreibstil ist es nicht, aber höchst unterhaltsam, sympathisch und einfach eine klassische WER HAT ES GETAN Geschichte.
Mein erster Gedanke: Ein Buch über Schach? Doch dann war ich plötzlich drin in diesem Büchlein, eben dieser Novelle, in der zwei unterschiedliche Menschen am Ende eine denkwürdige Schachpartie spielen. Auf der einen Seite der Schach-Weltmeister Czentovic, ein Taugenichts, der nur am Schachbrett genial ist. Auf der anderen Seite der mysteriöse Dr. B, der, warum auch immer, ein echter Herausforderer für Czentovic ist. Warum Dr. B ein großartiger Schachspieler ist, verrät er dem Erzähler - und es ist eine Erinnerung an die Folter der Nationalsozialisten. Stefan Zweig gelingt eine packende kurze Geschichte, sehr spannend geschildert. Toll!
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War ja Nummer eins in den USA, und umstritten wegen des Themas kulturelle Aneignung (mit dem ich, ehrlich gesagt, wenig anfangen kann). Eine Mutter flieht mit ihrem Sohn vor einem Drogenkartell, nachdem der Rest der Familie ermordet wurde. Sie schließen sich dem Flüchtlingszug von Mexiko in die USA an. Gutes Thema, auch durch die Verknüpfung mit Migration und schon leidlich spannend. Als Roman hat das Buch für mich Schwächen. Die Charaktere etwas klischeehaft, und es geht etwas in Richtung Drehbuch. Das Kartellghema macht Winslow zudem natürlich besser.
bin noch mittendrin, aber guten mutes, dass ich das bald durchhabe (im gegensatz zu sehr vielen angefangen liegengelassenen schwarten der letzten jahre). ist natürlich schon eher very special interest, und herr emerick wird durchaus recht spezifisch in den tontechnischen erläuterungen, aber er umschifft dann doch ganz prima die klippen des technikerlateins, und erklärt das ganze recht anschaulich auch für laien (weniger wäre hier auch weniger gewesen, immerhin ist es der zentrale bestandteil seines jobs und die grundlage seiner verdienste). nicht minder interessant ist auch die beschreibung der rigiden hierarchien und regeln bei der damaligen EMI (das erinnert dermaßen an die ineffiziente struktur kommunistischer wirtschaft, dass man sich fragt, ob hier nicht auch ein schlaglicht auf die gründe für den wirtschaftlichen niedergang großbritanniens in den folgenden jahrzehnten geworfen wird), und selbstverständlich die handelnden figuren - emerick beschreibt john als clown und zyniker (wie man's kennt), paul als kumpel (der ihn sogar regelmäßig im exil des masteringstudios besuchen kommt), george als humorlosen sauertopf, und ringo als großen schweiger. dass ihm mit howard massey ein journalist unter die arme gegriffen hat, ist überwiegend positiv zu bewerten - es liest sich gut, strukturiert und bildhaft. natürlich fragt man sich, wieviel journalistische fantasie in den details steckt, die sich olle geoff nach all den jahren scheinbar gemerkt hat; und natürlich ist die einleitung mit creative-writing-holzhammer-dramaturgie erstellt worden, aber hey.
"Buch": Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. Ich lese das ca. einmal im Jahr und finde immer wieder Stellen zum Unterstreichen, obwohl der Text so kurz ist.
Richard Yates - Zeiten des Aufruhrs (Original: Revolutionary Road)
Oft gehört, auch vom Film, aber nie gelesen oder angeschaut. Was Yates hier kreiert ist ganz großes Tennis. Die brutale Sezierung einer "typisch amerikanischen Ehe", von den ersten Spannungen bis zur düsteren Eskalation. Der Aspekt, der mir besonders imponiert hat: alle bekommen ihr Fett weg, es gibt nicht den Allein-Schuldigen, auch wenn der männliche Part schon mehr Scheiße baut als die Frau.
Nebenbei noch eine punktgenaue Schilderung des amerikanischen Alltags der 1950er und 1960 Jahre.
Florian Illies - 1913 (Der Sommer des Jahrhunderts)
Eine großartige Idee, die Illies hier umgesetzt hat. In einem süffisanten und absichtlich antiquiertem Ton, der hier und da an "Imperium" von Christian Kracht erinnert, schildert das Buch monatsweise Anekdoten und Tagebucheinträge aus den Künstler- und Literatenzirkeln. Zeitgleich kommt es zu "wtf"-Momenten, wenn beispielsweise ein gewisser Adolf Hitler demutsvoll seine Vermieterin Abend für Abend um einen Krug Wasser fragt. Der Kniff, dass wir als Leser wissen, was ein Jahr später in Europa losbrach, ist der entscheidende Dreh, um dranzubleiben und immer wieder zu denken "wenn ihr wüsstet". Sehr lustig auch die Art und Weise, wie Franz Kafka um die Hand seiner Geliebten anhält, indem er sie zweimal fragt, ob sie sich sicher sei, sich einem Leben mit so einem hinzugeben, SO EINEM?? Wirklich????
Auf Länge ist es aber dann manchmal doch zu teaser-haft, reicht nicht für perfekt. Aber seht unterhaltsam allemal.
Ich bin großer Grossman-Fan, vor allem „Kommt ein Pferd in die Bar“ fand ich toll. Hier ist eine authentische Geschichte Basis. Eine Jüdin muss in Jugoslawien entscheiden, ob sie ins Gefängnis geht und ihre kleine Tochter im Stich lässt, oder ihren toten Mann verrät, die große Liebe. Sie wählt das Gefängnis, ihre Tochter und später deren Tochter leiden sehr darunter. Zum 80. Geburtstag fahren sie zusammen auf die Gefängnisinsel. Eine bewegende Geschichte, gut erzählt.
Für mich nicht ganz klar, weder Fisch noch Fleisch. Die Geschichte fesselte mich schon, und ich mag auch den Aufbau, in Episoden die Vergangenheit der Geschwister skizzenhaft nachzuzeichnen und so den jeweiligen Umgang mit dem Verlust der Eltern vor Augen zu führen. Was ich nicht mochte, war der Grundton, die Sprache. Es gibt hier und da schöne Formulierungen und auch glaubhafte Dialoge, aber es kam mir ein wenig vor wie von jemamdem, der einen Schreibkurs besucht hat und dann knallhart versucht, eine Geschichte gewollt literarisch zu Papier zu bringen. Es wirkte affektiert, nicht ganz glaubhaft. Das gelingt am Anfang noch ganz ok, aber in der zweiten Hälfte wird es zum Kitsch.
Ich tue mich schwer, weil ich selbst versuche zu schreiben und ja auch schon veröffentlicht habe, wenn auch (bisher) keine Romane. Aber das hier blieb mir am Ende zu anbiedernd, es schien mir auf eine Masse zugeschrieben, was scheinbar ja auch geklappt hat. Nicht ganz so stumpf und schlecht wie Martin Suters LILA LILA, davon hebt es sich schon ab. Aber gepackt hat Wells mich halt auch nicht.
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