ich glaube halt, dass wir als gesellschaft ein paar mal falsch abgebogen sind, bis wir drauf gekommen sind, dass gesundheit (bzw medikamente und therapien) etwas ist, womit man den groesstmoeglichen profit machen sollte. dass man das nicht von einem tag auf den anderen umwerfen kann, ist mir klar, aber darueber nachzudenken, wie denn gesundheitsversorgung in der zukunft eben auch aussehen koennte, finde ich wichtig.
und das argument, dass man innovation verliert, wenn man big pharma die patente streitig macht, ist meiner meinung nach nicht komplett schluessig, ich glaube, es gibt genuegend leute, die medikamentenentwicklung auch ohne die aussicht auf unfassbare gewinne machen wuerden.
eben, mir ist klar, wieviel eine klinische studie kostet und dass diese entwicklungen nicht ohne risikoinvestition gehen. es ist eine schwierige diskussion, aber nur, weil es schwierig ist, muss man ja nicht weitermachen wie gehabt.
Nein, überhaupt nicht, aber bis jetzt habe ich nichts gehört oder gelesen, was meiner Meinung nach, gegen eine Patentaussetzung im Pandemiefall spricht. Im Moment auf Moral zu hoffen, ich weiss nicht. Es läuft doch eigentlich wie immer, Impstoff haben die reichen Länder und da setzt die Moral erst ein, wenn hier alles durchgeimpft ist. Bei uns sind also ca. 20%, in ärmeren Ländern einer von 500 Menschen geimpft. Und ganz nebenbei, auch wenn es ein anderes Thema ist, Patente auf Lebensmittel dürften überhaupt nicht vergeben werden.
Enteignungen gegen eine Entschädigung sind natürlich möglich, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie einerseits erfordert und der Zweck der Enteignung auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann. Eine Enteignung ist ja immer die vollständige oder teilweise Entziehung des Eigentums zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben.
Ein Beispiel für eine Enteignung ist z.B. das seit 2015 gültige „Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG)“. Zuvor war es immer so, dass bei der drohenden Insolvenz einer systemrelevanten Bank der Steuerzahler gehaftet hat. Die entsprechenden Einlagen wurden also ggf. vom Staat erstattet. Seit 2015 haften die Bankkunden selbst mit, bei einer Insolvenz werden sie also enteignet bzw. ihr Anlagevermögen bei der Bank fließt dann mit in die Insolvenzmasse. Hat man also bei einer insolvent gehenden Bank Giro-, Tagesgeld- oder Festgeldguthaben, Sparverträge, Schuldverschreibungen oder Sparbriefe oder Wertpapierdepots, muss man mit haften. Aktuell liegt der Freibetrag bei 100.000 Euro bzw. es werden nur Bankkunden mit höherem Geldvermögen enteignet.
Ebenso gibt es ja hier in meinem Wohnbereich die durch den Braunkohleabbau bedingten Enteignungen von Grundstücken. Da das Interesse der Allgemeinheit an der Kohle mehr wiegt als die Einzelinteressen am Erhalt der Wohnhäuser, können diese enteignet werden.+
Das Bevölkerungsschutzgesetz erlaubt auch Schritte bis hin zur Enteignung von Unternehmen. Etwa, um die Versorgung mit Medikamenten und anderen Produkten in einer Pandemie sicherzustellen.
Das aktuelle Problem ist, dass die beiden US-Firmen Moderna Inc. und Pfizer Inc. alle Pläne blockiert haben, durch Freigabe ihrer Lizenzen auch eine Impfstoff-Produktion in Entwicklungsländern zu ermöglichen. Ein Patentverzicht wäre die Enteignung des Eigentums der Pharmaunternehmen, heißt es dazu. Obwohl die Ausnahmeregelung zeitlich begrenzt sein soll und auch Nachfolgeimpfungen weiterverkauft werden könnten, blockiert dies die größte Lobbygruppe der US-Pharmaindustrie.
Man vertraut darauf, dass die Marktwirtschaft für eine weltweite Verteilung des Impfstoffs sorgt. Eben über die Lizenzvergabe an Generikahersteller aus ärmeren Ländern.
Problem: es funktioniert nicht! 90 % der Menschen aus ärmeren Ländern können 2021 nicht geimpft werden. Denn reiche Länder haben sich über 50 % der weltweiten Impfstoff-Produktion gesichert, obwohl sie nur 14 % der Weltbevölkerung ausmachen. Der Impfstoff wird weltweit weiterhin knapp gehalten und es gewinnt immer der Höchstbietende.
So gibt es in Indien Labore für innovative mRNA-Impfstoffe. Da aber Patente verletzt würden, darf man dort den Impfstoff von etwa Biontech oder Pfizer nicht nachbauen.
Kritiker verweisen auf die Regelung bei der HIV-Bekämpfung. Noch bis in die 2000er Jahre hatten nur wenige Pharmafirmen ein Monopol auf HIV-Medikamente. Diese wurden für mehrere 1000 Dollar pro Patient vertrieben. 2003 kam dann die Wende und man einigte sich auf eine Aufweichung des Patentschutzes. Große Erfolge bei der HIV-Bekämpfung gebe es seitdem, weil mit günstigen Generika nun auch in vielen Entwicklungsländern behandelt werden kann. Damals zwangen Regierungen die Unternehmen, die Produktion von Imitaten der HIV-Medikamente zu erlauben.
In der Corona-Pandemie muss sich zeigen, ob das wirtschaftliche Interesse von Pharmakonzernen über die Probleme zu stellen ist, die sich aus der Nichtimpfung weltweiter Bevölkerungsgruppen ergeben. Denn natürlich geht es nur ums Geld. Die reichen Industrieländer sollen daher nun auch Lizenzen von Pharmakonzernen ankaufen und diese kostenfrei an qualifizierte Generikahersteller vergeben.
Allerdings: die britische BBC hat ermittelt, dass bei vielen Impfstoffen öffentliche Mittel den Großteil der Entwicklungskosten ausgemacht haben. Vier der acht gängigsten Impfstoffe sind komplett mit Geldern von Staaten und Stiftungen finanziert worden. Bei zwei Impfstoffen, darunter dem von Biontech/Pfizer, hat der Steuerzahler über die Hälfte der Entwicklung finanziert.
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
Als EntwicklerIn jeglicher Art von Innovation braucht es einen großen Geldgeber, der ein Patent überhaupt anmelden und finanzieren kann. Diese tun das natürlich nicht uneigennützig. Das Prinzip "Patent" gehört vielleicht mal vom Kopf auf die Beine gestellt, da es dem/ der Einzelne/n kaum Schutz bietet oder Zugang zu einem solchen. Fraglich, ob das jemals passieren wird. Gegen die weltweite Ausbreitung eines mutierenden Virus sollte m.M.n. entschlossen gehandelt werden. Die Opfer, die man der Bevölkerung zumuten musste, könnte man auch Konzernen abverlangen. Gleichwohl muss es natürlich eine Art der Rechtssicherheit geben, die in Zukunft zumindest hohe Hürden stellt für eine derartige Ausnahmeregelung. Die darf auf der anderen Seite aber auch nicht so hoch sein, dass uns die nächste Pandemie unweigerlich dahinraffen wird.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Was zumindest gar nicht gilt, sind Argumente, die in die Richtung gehen, da würde dann künftig kein Unternehmen mehr forschen und tätig werden. Das sind ja eben reine Geschäftemacher und alles keine Idealisten. Daher werden die auch alle wieder mit dabei sein, wenn ein neues Medikament oder ein neuer Impfstoff notwendig wird und neue Umsätze locken.
Allein der Gewinn (nicht der Umsatz) für Biontech lag im März schon bei über 5 Milliarden Euro. Biontech wurde zum drittgrößten deutschen Pharmahersteller und hat sogar Merck überholt…
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
Zitat von faxefaxe im Beitrag #5017Es ist wohl auch nicht trivial, selbst nach Patentfreigabe das Nachzumixen, wenn der Patentinhaber beim Aufbau der Produktion nicht unterstützt.
Ich bin kein Experte, aber gerade was die vektorbasierten Impfstoffe angeht, glaube ich nicht, dass kleinere Pharmahersteller damit zu große Probleme hätten.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von akri im Beitrag #5018Was zumindest gar nicht gilt, sind Argumente, die in die Richtung gehen, da würde dann künftig kein Unternehmen mehr forschen und tätig werden. Das sind ja eben reine Geschäftemacher und alles keine Idealisten. Daher werden die auch alle wieder mit dabei sein, wenn ein neues Medikament oder ein neuer Impfstoff notwendig wird und neue Umsätze locken.
Allein der Gewinn (nicht der Umsatz) für Biontech lag im März schon bei über 5 Milliarden Euro. Biontech wurde zum drittgrößten deutschen Pharmahersteller und hat sogar Merck überholt…
Die Logik verstehe ich nicht. Es geht ja um die Allokation.
Man könnte shon Modelle finden, die eine allgemeine Nutzung neuer Medikamente ermöglichen würde und Pharmafirmen dennoch zu Geld komme. Ließe. Dazu fehlt aber der politische Wille. Es gibt da ja durchaus seit langem Ideen zu - nicht nur in einer Pandemie. Man könnte Markteintrittsprämien aus öffentlicher Hand vergeben, wenn auf Basis öffentlich finanzierter Grundlagenforschung neue Dinge entwickelt werden, zum Beispiel. Dann wäre die Gewinn-Logik der Unternehmen bedient aber das Patentmonopol gebrochen. Und es gibt ja bereits Mechanismen für Gesundheitskrisen, in denen Staaten Notfalllizenzen erwirken können usw., das ist aber nicht so einfach, soweit ich weiß.
Welche absurden Folgen das derzeitige Patentkonzept in der Welt hat, wenn man auf die Medizin schaut, lässt sich ja nicht nur bei Covid-19 beobachten. HIV ist noch so ein Beispiel, Hepatitis C und Tuberkulose ebenfalls.
Dass die USA bei den Impfstoffen nun dafür sind, ist großartig und eine ziemliche Überraschung.
Auf Basis des bestehenden Systems wurden in anderthalb Jahren ein Impfstoff entwickelt und Milliarden Menschen geimpft. Die ungerechte Verteilung hat ja auch andere Ursachen. Mag sein, dass es anders noch besser ginge. Aber diese andere Variante des „Impfversagen“-Vorwurfs finde ich auch seltsam.
Die Entwicklung der Impfstoffe und der in vielen Ländern zügige Fortschritt bei der Verimpfung sind eine enorme Leistung, die wirklich Anerkennung verdient. Allerdings sollte man darüber nicht vergessen, was das Ziel der Impfkampagne ist. Jetzt könnte man sagen, dass es aus Sicht der Hersteller nicht von Nachteil wäre, wenn das Virus in armen Ländern weiter mutiert, und man sich für die reichen Länder einen stetigen Markt erhält, der regelmäßig neue Impfstoffe braucht zum Auffrischen. Die reichen Länder können daran aber kein Interesse haben. Selbst wenn man jegliche humanitäre Gründe ausklammert, ist es ein finanzieller Wahnsinn, jedes Jahr die gesamte Bevölkerung durchzuimpfen, zumal die Disziplin im Laufe der Jahre sicherlich nachlassen wird. Es ist insofern absolut im Interesse der reichen Länder, dieses Virus weltweit auszurotten - und das muss schneller gehen, als bei den Pocken. Wenn man sich dieses Ziel vor Augen hält, muss man sagen, dass trotz aller Errungenschaften, wir bisher noch nicht sehr nah am Ziel sind.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.