Ruth, nach über 20 Jahren Ehe seit wenigen Jahren verwitwet, hat sich inzwischen soweit in ihrem "neuen Leben" verankert, dass sie wieder bereit ist, mit einem Mann erste zarte, nichtplatonische Beziehungsgeflechte zu knüpfen.
Sie hat einen stabilen Freundeskreis, eine Stieftochter (die ein Baby erwartet) und zwei Söhne, zu denen sie alles in allem eine gute Beziehung hat und sich entschieden vorerst in dem von ihrem verstorbenen Mann selbst gebauten Haus wohnen zu bleiben Auch wenn die besser situierten Nachbarn darauf spekulieren, dass sie das im Vergleich unscheinbare Haus aufgibt, um dann selbst das Grundstück aufkaufen zu können.
Ruth ist als (Drehbuch)Autorin und ehemalige Fernsehmoderatorin durchaus eine Person der Öffentlichkeit, wenn auch in einem noch überschaubaren Rahmen. Als sie bei einem Treffen mit einem guten Freund auf einmal eine anonyme Nachricht erhält, die nicht sehr subtil auf die Affäre ihres verstorbenen Mannes anspielt, ist sie verunsichert, versucht sich aber erst einmal nichts anmerken zu lassen.
Doch diese Nachricht ist nur der Auftakt einer Welle von sexistischen und beleidigenden Nachrichten, die nicht nur sie selbst, sondern auch Freunde, Verwandte und ihr Arbeitsumfeld bekommen. Die Nachrichten sind gespickt mit Details, die nur Menschen kennen können, die sich in ihrem näheren Umfeld bewegen. Ruths Alltag wird immer mehr durch diese Nachrichten bestimmt. Sie fühlt sich ständig beobachtet und bewertet. Ruth vermutet die Affärenpartnerin ihres verstorbenen Mannes hinter den Hassnachrichten und versucht immer obsessiver die Beweg-/Hintergründe für die Nachrichten zu verstehen.
Ihr Umfeld wird mit zunehmender Dauer des anhaltenden Ausnahmezustandes ungeduldiger, rät ihr die Nachrichten zu ignorieren, spielt diese teilweise herunter. Man wird ihr gegenüber verdächtiger, gibt ihr unterschwellig das Gefühl Aufmerksamkeit zu suchen. Vielleicht hat sie die Nachrichten ja sogar selbst geschrieben?
Doris Knecht erzählt in packender Art und Weise diese Geschichte aus Sicht von Ruth und gestattet dem Leser einen intensiven Einblick in ihre Gedanken- und Gefühlswelt, der einen sogartig in das Geschehen hineinzieht. Man erlebt mit, wie sie sich an den Nachrichten abarbeitet, immer wieder versucht, einen neuen Umgang damit zu finden. Man erlebt auch mit, wie unzureichend ihr Umfeld ihr helfen kann, teilweise aber auch gar nicht wirklich helfen möchte, sondern das Thema einfach ausblenden will. Ein Luxus, den Ruth nicht hat.
Ein wirklich starkes Buch zu einer Problematik, die uns alle noch längere Zeit vor große Herausforderungen stellen wird und deren Leidtragende in vielen Fällen Frauen sind. Frauen, die es "wagen", in der Öffentlichkeit ihre Meinung zu sagen oder auch einfach nur Aufgaben oder Positionen übernehmen, durch die sie sich zwangsläufig im öffentlichen Leben bewegen.
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen
Bin noch nicht ganz durch, aber - tolles Buch. Sehr persönlich, sehr direkt, sehr empathisch und - nach meinem Empfinden grundehrlich.
Total off-topic, aber: erstaunlich, wie ähnlich er seinem Bruder sieht.
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?
Ein Leben ohne Angst davor, dass beim nächsten Anruf am anderen Ende der Leitung Bruder Herbert losröhrt, ist in der Tat eine Herausforderung, vermute ich
Zitat von LFB im Beitrag #2448Ein Leben ohne Angst davor, dass beim nächsten Anruf am anderen Ende der Leitung Bruder Herbert losröhrt, ist in der Tat eine Herausforderung, vermute ich
was, wenn ein flugzeug zwei mal landet, und sowohl das fluggerät als auch jedes lebende und tote atom des fluggeräteinhaltes absolut identisch sind? das alte thema "was, wenn man sich selbst gegenübersteht" (natürlich hat die eine hälfte ein paar monate "vorsprung"), neu beleuchtet. geschildert wird all das anhand einer ganzen mannschaft von charakteren, um ja auch möglichst ALLE variationen von verschiedenen lebensentwürfen und dem jeweiligen impact der kopie darauf mitzunehmen, die alleinerziehende mutter, der krebserkrankte flugkapitän, der auftragskiller ohne skrupel, hier darf jeder mitmachen. hätte was werden können, wurde es aber nicht, am ende ist das buch weder ernst noch kurzweilig, weder philosophisch noch vergnüglich, vielleicht komme ich auch einfach mit dem "stil" von tellier nicht klar - falls es einen solchen gibt. so bleibt mein fazit: das ist schludrig heruntergeschrieben und am ende bleibt nichts übrig, hätte ich mir in der zeit die fußnägel lackiert, hätte ich nicht viel verpasst.
Coates schreibt Spukhaus-Romane und sonst - soweit ich weiß - nix. Aber das macht sie solide und da ich Spukhaus-Romane mag, hab ich mal ein bisschen bei ihr gestöbert. "Der Fluch von Carrow House" hat mir dabei besonders gefallen. Die junge Remy macht seit einigen Jahren Führungen durch das berüchtigte Carrow House, in dem es heftiger spukt als irgendwo sonst. Selbst hat sie bisher noch keinen Geist gesehen, nicht so richtig - aber vielleicht kommt das ja noch! Eines Tages bekommt sie das Angebot, mit dem reichen Unternehmer Mark und einer kleinen Gruppen von Geisterforschenden ganze zwei Wochen in dem Haus zu verbringen - eine Chance, die sie sich nicht entgehen lässt. Und dann sieht sie auch ihre Geister - oder ist es nur ein übelmeinender Mensch, der sich in die Gruppe geschmuggelt hat? Das ist schön erzählt, spannend und auch ziemlich actionreich. Bis zum Schluss weiß man nicht, ob es wirklich übernatürliche Gefahren sind, die die Gruppe dezimieren, oder nicht doch ein Mensch. Leseempfehlung für Liebhaber*innen leichten Grusels.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
"Von Norden rollt ein Donner" erzählt die Geschichte von Jannes, einem 19-jährigen Schäfer in dritter Generation in der Lüneburger Heide, und alle damit zusammenhängenden Themen spielen mit: Ein Coming-of-Age der Landjugend, Isolation und Fremdheit, die aufkommende Demenz des Vaters, die vielleicht die eigene wird, die Natur der Heide, der Wolf als Bedrohung der Herde, der Nachbarshof in völkischer Hand und nicht zuletzt die Geschichte des Ortes zu Zeiten des dritten Reiches selbst. Das alles klingt wie jeder x-beliebige Dorfroman, der seit Jahren in den Buchhandel gespült wird und sich aus unerfindlichen Gründen verkauft wie warme Semmeln, "Von Norden rollt ein Donner" ist und kann aber viel, sehr viel, mehr. Die Charakterzeichnung des Jannes ist - wie auch jene der anderen Figuren - kunstvoll und gelungen, und aus all den Versatzstücken entsteht eine meisterhaft verwobene Geschichte, die - teils sogar über den Umweg eines "Geisterromanes" - gegen Ende eine große Dichte erreicht und deren Auflösung, wenn auch zum Teil vorhersehbar, mich in Ihrer Mischung aus Realität, Traumbildern und ernüchternder Gesellschaftskritik stark beeindruckt hat. Dazu kommt die Sprache, und gerade in den Naturbeschreibungen ist diese einfach meisterhaft: knorrig, archaisch und rauh. Als einziges Manko sehe ich, dass vielleicht doch ein bis zwei Referenzen zu viel herangezogen werden, um unbedingt zu belegen, dass all das Beschriebene im Hier und Heute, in unserer Welt, spielt, aber das ist wirklich Jammern auf allerhöchstem Niveau. Schade, dass Thielemann es "nur" auf die Shortlist des letzjährigen Buchpreises geschafft hat, ich selbst hätte ihn ihm mit Schleifchen überreicht.
"Aus unerfindlichen Gründen" verkaufen sich diese Romane so gut, weil sie zum einen den Fokus aufs Lokale legen, auf die heile Welt, und zudem gerne den Wunsch nach einem einfacheren, überschaubaren Leben erfüllen.
Zitat von Olsen im Beitrag #2454"Aus unerfindlichen Gründen" verkaufen sich diese Romane so gut, weil sie zum einen den Fokus aufs Lokale legen, auf die heile Welt, und zudem gerne den Wunsch nach einem einfacheren, überschaubaren Leben erfüllen.
wahnsinnsbuch. in etwa so, als würde man "100 jahre einsamkeit" und "studio ghibli" in den thermomix werfen und schauen, was dabei herauskommt. erzählt wird eine generationengeschichte, die nicht an märchenhaften momenten und immer wieder eingeschobenen geschichten spart, den weg zur eigentlichen erzählung aber immer wieder zurückfindet. im zentrum des ganzen stehen eine ziegelbrennerei, die frau, die sie aufgebaut hat, deren tochter, ein sprechender elefant, eine einäugige imkerin und ein kinopalast in der koreanischen provinz, "der wal" macht freude, wenn man es auch mal länger mit einem buch aushält und nicht darauf besteht, dass nach 300 seiten die geschichte erzählt sein muss. ich bin schwer angetan.
Ich war in Jugendjahren großer Garcìa Marquéz Fan. Beim Wiederlesen war der magische Realismus von 100 Jahre Einsamkeit dann nicht mehr so recht was für mich. Mit Murakami kann ich leider auch nix anfangen.
Ich selbst habe Iowa von Stefanie Sargnagel gerade sehr gern gelesen. Sie ist mit Christiane Rösinger befreundet, die hat sie in die USA zu einem Lehrauftrag begleitet. Ich mag ihren Ton (auch in den Podcast-Gesprächen, die ich anlässlich der Bucherscheinung gehört habe). Es funktioniert auch gut, dass Rösinger per Fußnote kommentiert, was Sargnagel über sie schreibt. Was Nettes für zwischendurch.
Mir fehlen gerade die mentalen Kapazitäten für eine eigene Zusammenfassung, deshalb "leihe" ich mir mal den Verlagstext:
Zitat»Alleinstehend. Mit Hamster«, so beschreibt sie sich selbst. Suzu lebt in einer japanischen Großstadt. Unscheinbar. Durchscheinend fast. Der neue Job aber verändert alles. Ein umwerfender Roman über Nachsicht, Umsicht und gegenseitige Achtung.
Herr Ono ist unbemerkt verstorben. Allein. Es gibt viele wie ihn, immer mehr. Erst wenn es wärmer wird, rufen die Nachbarn die Polizei. Und dann Herrn Sakai mit dem Putztrupp, zu dem Suzu nun gehört. [...]
Suzu lernt schnell. Und sie lernt schnell Menschen kennen. Tote wie Lebendige, mit ganz unterschiedlichen Daseinswegen. Sie sieht Fassaden bröckeln und ihre eigene porös werden. Und obwohl ihr Goldhamster sich neuerdings vor ihr versteckt, ist sie mit einem Mal viel weniger allein.
Wollte das Buch mit diesem Beitrag nur mal schnell allen hier ans Herz legen, denn es ist richtig gut.
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen
Mir fehlen gerade die mentalen Kapazitäten für eine eigene Zusammenfassung, deshalb "leihe" ich mir mal den Verlagstext:
Zitat»Alleinstehend. Mit Hamster«, so beschreibt sie sich selbst. Suzu lebt in einer japanischen Großstadt. Unscheinbar. Durchscheinend fast. Der neue Job aber verändert alles. Ein umwerfender Roman über Nachsicht, Umsicht und gegenseitige Achtung.
Herr Ono ist unbemerkt verstorben. Allein. Es gibt viele wie ihn, immer mehr. Erst wenn es wärmer wird, rufen die Nachbarn die Polizei. Und dann Herrn Sakai mit dem Putztrupp, zu dem Suzu nun gehört. [...]
Suzu lernt schnell. Und sie lernt schnell Menschen kennen. Tote wie Lebendige, mit ganz unterschiedlichen Daseinswegen. Sie sieht Fassaden bröckeln und ihre eigene porös werden. Und obwohl ihr Goldhamster sich neuerdings vor ihr versteckt, ist sie mit einem Mal viel weniger allein.
Wollte das Buch mit diesem Beitrag nur mal schnell allen hier ans Herz legen, denn es ist richtig gut.
vielen dank für den tipp, so etwas benötige ich gerade dringend. hab vor jahren "ich nannte ihn krawatte" von der autorin gelesen, was mir sehr gut gefallen hat. sie erzählt sehr reduziert und behutsam. werde ich mir auf jeden fall besorgen.
und "iowa" steht auch schon lange auf meiner liste, war mir aber für "mal eben zwischendurch" bisher zu teuer.