Oh, selbst CSU-Politiker haben Böhmermann nicht verstanden. Ist das jetzt der Maßstab bei uns? Dann kann ich schonmal die Hälfte meiner Bücher im Garten aufstapeln...
€: Zu dem von dir zitierten Satz: Stimmt, vielleicht hat Böhmermann sich gar nicht viel dabei gedacht, sondern wird mit einem stumpfen Gag überinterpretiert. Vielleicht war Otto gar nicht lustig, sondern hat sich nur dauernd verhaspelt. Vielleicht kann der Lewandowski gar nicht Fußballspielen, sondern stolpert immer nur glücklich gegen den Ball. Kann man alles nicht widerlegen, die Erfahrungen der Vergangenheit sprechen aber dagegen.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
ZitatWenn er, wie im Fall des Erdogan-Gedichtes, als bloßer Komiker agiert, aber als Satiriker interpretiert wird, ist es ein Missverständnis, von dem er profitiert.
allerdings dahingehend interpretiert.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
ich schätze stefan niggemeier wirlich sehr. seinen geschmack in puncto fernsehunterhalung habe ich allerdings nie geteilt. dass böhmermann sich nirgendwo richtig einordnen lässt, weder als satiriker, noch als reinen komiker, zähle ich zu seinen vorzügen. harald schmidt hatte das bessere pokerface beim streben um aufmerksamkeit. in der hinsicht könnte böhmermann vielleicht noch einiges lernen. allerdings waren schmidt's tabubrüche auch deutlich eindimensionaler.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von akri im Beitrag #85Bei gut gemachter (politischer) Satire ist eigentlich sogleich klar, gegen wen es geht und warum da etwas gezielt überzeichnet wird.
ich finde, satire ist nur dann gut gemacht, wenn am ende volker pispers erklärt, wie er die welt sieht, oder ein dicker lauter mann ganz doll mit den augen zwinkert. man weiß ja sonst gar nicht mehr, was man denken soll, und wo die pointe ist.
Nun, ich hätte es womöglich anders erklären sollen: bei Satire handelt es sich ja um einen „künstlerisch gestalteten Prosatext, in dem Personen, Ereignisse oder Zustände verspottet oder angeprangert werden.“ Folglich sollte auch erkennbar sein, gegen wen es geht und warum da etwas gezielt überzeichnet wird. Bei Böhmermann ist die „Erkennbarkeit“ immer so eine Sache. Wenn er sich z.B. satirisch gegen „Deutschtümmelei“ oder „Nationalstolz“ wendet, seine Satire letztlich aber aufgrund ihrer Komplexität oder vieler ironischer Metaebenen dazu führt, dass seine „Opfer“ sich in ihrem Tun und Denken auch noch bestätigt fühlen, dann ist seine satirische Attacke aus meiner Sicht gescheitert. Dann wäre dies alles nur eine Unterhaltungsshow für Teile des Bildungsbürgertums und alle anderen eben schlicht zu doof… Böhmermann hatte ja einst auch den deutschen HipHop per Video satirisch bearbeitet. Aber war das eigentlich Satire? Wirklich? Sitzt da nicht eher ein Fatzke des sog. Bildungsbürgertums herum und macht sich über andere lustig? Und zwar deshalb, weil diese eben weniger Bildung haben, weniger besitzen, gesellschaftlich unter ihm stehen, Verlierer sind? Dumm an Leuten wie Jan Böhmermann ist eben, dass sie ihre Arroganz gar nicht erst spielen müssen und sich selbst zumeist auf Kosten anderer in Szene setzen. Wohlgemerkt: sich selbst in Szene setzen. Nun, Stiefellecker, äh, Follower, Jünger, Fans, etc. von Böhmermann gibt es ja scheinbar genug… ich selbst finde sein Getue nicht immer gut. Wenn Klamauk, Medienskandal und Überheblichkeit die neuen Satire-Zutaten sind, dann bleibe ich lieber bei der bräsigeren und langweiligeren Satire. Die verstehe dann sogar ich…
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
Zitat von akri im Beitrag #96Nun, ich hätte es womöglich anders erklären sollen: bei Satire handelt es sich ja um einen „künstlerisch gestalteten Prosatext, in dem Personen, Ereignisse oder Zustände verspottet oder angeprangert werden.“ Folglich sollte auch erkennbar sein, gegen wen es geht und warum da etwas gezielt überzeichnet wird.
Und wieder: nein! Nur weil definitionsgemäß Zustände angeprangert werden, muss nicht sofort ersichtlich sein, wer der Böse und wer der Gute ist. Für sowas muss man dann wirklich zu Pispers, oder vielleicht gleich zu Mario Barth, der sagt einem bequemerweise vor der Pointe, worüber man gleich lachen soll: "Frauen, ne...". Bei Böhmermann ist es ein bisschen komplizierter, da wird teilweise auf mehreren Ebenen gearbeitet, mit einer Aktion gegen beide Seiten gleichzeitig ausgeteilt, ohne dass es noch einfache Gewissheit gäbe. Als Rezipient muss man sich da die Mühe machen, sich Gedanken zu machen über die eigene Haltung bzw. die eigene Position in diesem Geflecht. Das kann zu Erkenntnisgewinn führen, aber dazu muss man sich eben auch drauf einlassen.
ZitatBei Böhmermann ist die „Erkennbarkeit“ immer so eine Sache. Wenn er sich z.B. satirisch gegen „Deutschtümmelei“ oder „Nationalstolz“ wendet, seine Satire letztlich aber aufgrund ihrer Komplexität oder vieler ironischer Metaebenen dazu führt, dass seine „Opfer“ sich in ihrem Tun und Denken auch noch bestätigt fühlen, dann ist seine satirische Attacke aus meiner Sicht gescheitert. Dann wäre dies alles nur eine Unterhaltungsshow für Teile des Bildungsbürgertums und alle anderen eben schlicht zu doof… [...] ein Fatzke des sog. Bildungsbürgertums
Zur Form: Das nimmt ja Wombi-Züge an hier - du bist nicht zufällig mal von einem Menschen mit Bildung gebissen worden? Die Verwendung von "Bildungsbürgertum" als Kampfbegriff ist gleichermaßen pervers und dämlich wie die des "Gutmenschen". Da frage ich mit Hagen Rether: Ja was denn sonst? Wie kommt man dazu, Menschenfreundlichkeit und Bildung abzuwerten? Zum Inhalt: Was wäre so falsch daran, wenn sich mal eine Unterhaltungssendung nicht am kleinsten gemeinsamen Nenner orientiert? Vielleicht geht es Böhmermann gar nicht in erster Linie darum, den Dummnazi zu erreichen, vielleicht möchte er diejenigen, die sich als Teil einer reflektierten Elite sehen, dabei ihre eigene Position aber genau so wenig hinterfragen, wie die PEGIDA-Würste, dazu bringen, sich kritisch mit ihren eigenen Positionen auseinanderzusetzen.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
Die Schwierigkeit mit Böhmermann und Konsorten liegt für mich darin daß die Aufmerksamkeit zum größten Teil nicht auf dem Ziel der Satire (oder was immer das ist) liegt, sondern primär über Machart, Medium, Zeitpunkt etc. diskutiert wird… also alles auf Medienrummel hinausläuft (speziell auf die Online-Rezeptionen). Bei Tucholsky haben eben nicht die Feuilletons und Literatursalons darüber diskutiert, ob er etwas ernst gemeint hat, oder es vielleicht hätte prägnanter formulieren sollen, damit es der Zensor auch kapiert, oder ob er vielleicht nur sein neues Buch bewerben wollte…
Das ist halt die Böhmermann-Show – ob er ein Rap-Video macht, eine Satire abfeuert, oder in einer Talkshow auftritt.
------------------------------ "Be good to your neighbor, and you have better neighbors." (Ernest Tubb)
Natürlich inszeniert er sich damit auch selbst. Neben seinem Narzissmus dient das in meinen Augen aber auch der Sache, denn nur so bekommt sie Gehör. Ob der Schwerpunkt des nachfolgenden Diskurses dann richtig liegt, und ob daran Böhmermann die Schuld trägt oder diejenigen, die den Diskurs führen, kann man vermutlich unterschiedlich bewerten. Mir persönlich ist es so immer noch lieber, als wenn sich derartiges brav irgendwo unter Ausschluss der Öffentlichkeit im siebzehnten Spartenkanal der ÖR versendet.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
ZitatHahaha, Merkel sagt, Böhmermanns Erdogan-Verse seien "bewusst verletzend".* Ich nenne Merkels Flüchtlings- und Türkei-Politik bewusst verletzend. Ethik 2.0: Das Abschieben- und Erschießenlassen outsourcen.
* Natürlich sind die Verse ehrverletzend. Um einen satirischen Beitrag beurteilen zu können, muss man aber Böhmermanns Einleitung dazunehmen und darf nicht, wie das der Großteil der Kommentatoren getan hat, lediglich plumpe Beleidigung attestieren. Als Reaktion auf Erdogans idiotisches Verhalten in Bezug auf extra3 nämlich diesem mal fein säuberlich den Unterschied zwischen legitimer Satire und ehrverletzender Pöbelei zu erklären - das ist beste TITANIC-Machart. Und selbstverständlich erlaubt.
So, und jetzt wieder zum Tagesgeschäft; der Mittagsschlaf wartet!
(Martin Sonneborn via Facebook)
“Troubled times, kids, we got no time for comedy.” (Phife Dawg)
Yeah. Ich werde erstmals seit anno 2003 mit Wombi verglichen! Tataa – tataa! Nein, mich hat keiner gebissen. Ich habe mein Abi gemacht, studiert, im Buchhandel gearbeitet und bin nun für ein US-Unternehmen tätig. Man könnte mich selbst durchaus mit zum Bildungsbürgertum packen. Mario Barth mag ich nicht sonderlich, ich schaue aber gern die Mitternachtsspitzen (also Becker, Knebel, Schmickler und Co.) und mag schon rein solidarisch das Stierweibchen Carolin Kebekus. Hagen Rether finde ich voll ok – da weiß man, was man hat. Bei Böhmermann wäre es mir mitunter irgendwie lieber, er würde ab und an auch sagen, worüber ich eigentlich warum lachen soll.
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
Zitat von akri im Beitrag #101Yeah. Ich werde erstmals seit anno 2003 mit Wombi verglichen! Tataa – tataa! Nein, mich hat keiner gebissen. Ich habe mein Abi gemacht, studiert, im Buchhandel gearbeitet und bin nun für ein US-Unternehmen tätig.
Zitat von Mychael im Beitrag #98Bei Tucholsky haben eben nicht die Feuilletons und Literatursalons darüber diskutiert, ob er etwas ernst gemeint hat, oder es vielleicht hätte prägnanter formulieren sollen, damit es der Zensor auch kapiert, oder ob er vielleicht nur sein neues Buch bewerben wollte…
zu tucholskys zeiten lagen die dinge vielleicht auch klarer auf der hand, und satire als solche musste noch keine metaebenen bedienen. wer heute einen missstand humorig anprangern will, kann nicht einfach nur hugenberg, die dvp, oder die menschliche unzulänglichkeit per se ins feld führen, weil er sonst tatsächlich gleich wieder mit der heimorgel auf der kabarettbühne sitzen und erwartungshaltungen füttern kann. wer heute mit satire etwas erreichen will, muss sich darüber klar sein, welche rezeptionsebenen mit ins spiel kommen. und ohne großer böhmermann-fan zu sein: er ist momentan (neben vielleicht noch sonneborn) der einzige, der mich mit seinen aktionen tatsächlich ernsthaft zum nachdenken bringt; eben weil nie von vornherein klar ist, ob er das offensichtliche ziel meint, oder die, die sich drauf eingeschossen haben, oder vielleicht sogar mich.
Zitat von MrMister7 im Beitrag #104Weshalb muss man heute Metaebenen bedienen?
vielleicht deshalb, weil in der art, wie informationen aufgenommen und verbreitet werden, heutzutage eher der schlüssel zu unseren problemen zu suchen ist, als im inhalt der informationen selbst. krieg, ausgrenzung, arm-reich-schere - das hat es alles schon zu tucholskys zeiten gegeben (und vieler hinsicht extremer). was sich geändert hat, ist das bewusstsein, dass das pure gut-böse-schema bei der bewältigung dieser probleme nicht zu helfen scheint. wenn satire heute erhellend sein, und nicht nur meine meinung bestätigen soll, dann muss sie mich selbst an der frage packen, wie ich mich zu informationen und stimmungen verhalte; wie ich mit der empörung umgehe, und welche bequemen meinungen vielleicht der sand sind, in den ich in momenten großer ratlosigkeit meinen kopf stecke. böhmermann leistet dies.