Zitat von gnathonemus im Beitrag #599das muss letztendlich der ukraine selbst überlassen werden. so lange dort der wille zur selbstverteidigung besteht (und der wird wohl noch eine weile bestehen bleiben), sollte ihr auch nach kräften geholfen werden. jetzt die unterstützung herunterzufahren, die ukraine zu schwächen, um damit die einstellung der kampfhandlungen zu erzwingen, empfände ich als verrat und kapitulation vor dem putinschen imperialismus und totalitarismus. auf nichts anderes würde es hinauslaufen.
Davon abgesehen: es wurde ja schon im Vorfeld versucht, zu deeskalieren. Hat das Putin vom Überfall abgehalten? Wird eine Kapitualtion der Ukraine Putin davon abhalten, sich dann Moldawien im Vorbeigehen auch noch einzuverleiben?
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
ich reihe mich in die zustimmungsphalanx ein. und ja, manche namen waren erwartbar, und andere enttäuschen aber ganz gewaltig. insgesamt habe ich (mal wieder) den eindruck, dass in bestimmten berufsgruppen das sendungsbewusstsein der akteure ihre intelligenz und/oder qualifikation deutlich übersteigt.
Bei allem Dissens, den ich mit diesem offenen Brief habe, geht es dabei weniger darum, den UkrainerInnen zur Kapitulation aufzufordern, als die Rolle zu diskutieren, die Deutschland dabei spielen soll. Auch ich bin der Meinung, dass das Problem sich langfristig nicht auf die Ukraine beschränken wird. Das Aufrüsten der Ukraine bietet für dieses Problem allerdings nicht die Lösung, bestenfalls erkauft man sich dadurch Zeit. Ich habe wirklich heftige Einwände gegen diesen Brief, die Reaktionen darauf stören mich zu weiten Teilen allerdings auch.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
ZitatWer sich hinstellt und sagt, dass der Krieg mit Waffenlieferungen nur verlängert werden würde, verkennt, dass es sich vermutlich genau umgekehrt verhält: Wer zu erkennen gibt, dass er sich niemals wehren wird, ist ein attraktives Ziel. Ich habe große Angst, dass der Krieg sich ausbreitet, und wir wirklich einen dritten Weltkrieg erleben. Aber noch größere Angst habe ich davor in einer Welt zu leben, in der Demokratien aus Angst vor Faschisten die Segel streichen. [...] Wenn Russlands Drohung, Atomwaffen einzusetzen, einmal Wirkung zeigt, wird sie immer wieder ausgesprochen werden, und früher oder später wird der Punkt kommen, an dem man es drauf ankommen lassen muss, will man nicht alles verlieren. Dann besser jetzt. Es ist meiner Meinung nach keine Alternative, zurückzuweichen, denn das Endziel ist erklärtermaßen die Vernichtung der freien Welt.
Irgendwie finde ich mich immer zwischen den Stühlen wieder. Die Logik „Keine Waffen = kein Krieg“ verkennt diverse Komplexitäten, die gegenteilige Meinung aber auch. Ich finde man darf die Waffenlieferungen nicht ohne die Wirtschaftssanktionen denken, und bei denen sehe ich das größte Potential, Putin aufzuhalten. Da diese nicht schnell genug wirken können, braucht es m.E. die Waffen als Zwischenlösung. Es ist aber ebenso richtig, dass letztendlich ein Frieden am Verhandlungstisch geschlossen wird. Die Höhe der Zugeständnisse, die beide Seite machen werden müssen, hängt von den jeweiligen Kriegserfolgen und/ oder -verlusten ab. Die gravierendste unbekannte Variable ist die Frage, wie Putin mit einer Niederlage umgehen würde. Da steht die Angst vor sog. taktischen Atomwaffen im Raum. Was wir jetzt gerade beobachten ist eine Zermürbungsstrategie, bei der dauerhaft auch Aufrüstung nicht helfen wird, denn irgendwann gibt es nichts mehr zu verteidigen. Die Frage stellt sich schon jetzt, was Putin mit den bisher besetzten Gebieten überhaupt anfangen möchte. Diese Städte wieder aufzubauen und später zu administrieren sollte eigentlich seine Möglichkeiten übersteigen.
Die Frage, ab wann wir zur Kriegspartei werden, finde ich im übrigen lächerlich: Ob wir uns nach rechtlichen Maßstäben auf der sicheren Seite bewegen, wird am Ende wenig ausschlaggebend sein. Herr Putin schert sich um Völkerrecht oder Kriegsrecht nicht - das ist praktisch nicht zu übersehen. Wenn er entscheidet, dass wir oder andere Kriegspartei sind, dann haben wir das Problem. „Dritter Weltkrieg“ ist ein Angstwort, das jetzt überall die Runde macht. Nüchtern betrachtet droht ein Krieg Russlands gegen den Westen. Für einen Weltkrieg müssten sich zahlreiche andere Länder mit Russland verbünden. Das kann ich soweit nicht erkennen.
Abschließend möchte ich nochmal sagen, dass ich dem offenen Brief zwar nicht zustimmen kann, aber dennoch durch diesen Fragen aufgeworfen werden, die ich im Diskurs wichtig finde, und für die es keine befriedigenden Antworten gibt. Insofern finde ich das Geschimpfe gegen diesen Aufruf nicht adäquat. Ich würde mir einen differenzierteren Umgang wünschen.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von CobraBora im Beitrag #611Bei dem vielen Geld, dass wir gerade für die Ukraine lockermachen, sollte eigentlich auch ein Benimmkurs für Melnyk drin sein.
Bei allem verständlichen Frust, kann man sich wirklich die Frage stellen, ob er für den Job des Diplomaten tatsächlich die nötige Reife besitzt. Und was Selenzkyj angeht: Wer Zeit hat, Merz zu empfangen, sollte eigentlich für jeden Zeit haben.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Bei Melnyk habe ich den Eindruck, dass da jemand ein bisschen von seiner eigenen Wichtigkeit berauscht ist. In seinem dreisten Auftreten erinnert er mich unangenehm an Trumps Kläffer Richard Grenell. Merkel hat damals genau das richtige getan und ihn kühl ignoriert, das sollte Scholz hier am besten auch tun (und macht er bislang auch).
Es ist vollkommen undiplomatisch, und sicherlich auch kontraproduktiv. Nach der ersten Solidaritätswelle wird es für die Ukraine ja wichtig, dass die Stimmung nicht kippt. Es kann von mir aus der Verteidigungsminister poltern, aber doch kein Botschafter.