Schmale 90 Seiten, für 1 Euro 80 im Antiquariat mitgenommen und sofort gelesen. Ist relativ verzichtbar, aber zumindest wurde eine Frage geklärt, die mich schon immer beschäftigt hat: wie die Schwyzerdütsch - Passage in der deutschen Ausgabe im Original aussieht und wie sie zustande kam.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Das Lesejahr neigt sich dem Ende entgegen und zum Abschluss gab es nochmal ein absolutes Highlight!
Anna Haag - »Denken ist heute überhaupt nicht mehr Mode«
Anna Haag, die nach dem 2. Weltkrieg für die SPD im Landtag von Württemberg-Baden sitzt und sich dort für die Gleichstellung der Frauen und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzt, gibt in diesem Tagebuch einen Einblick in den Alltag und die Gedankenwelt einer Frau, die sich im inneren Widerstand befindet und fassungslos mit immer zunehmender Wut den Fanatismus und die Verblendung ihrer Mitmenschen beobachtet. Ein beeindruckendes Zeitdokument, immer wieder gespickt mit Ausschnitten aus Zeitungsartikeln und öffentlichen Verlautbarungen, die den vorherrschenden Wahnsinn noch greifbarer machen. Mal ein paar Auszüge:
Zitat24.1.41 [...] Zuweilen habe ich den Eindruck, als ob ein Massenwahnsinn das deutsche Volk ergriffen habe und als ob ein Gehirnschwund in großem Ausmaß um sich fräße. Denken ist heute überhaupt nicht mehr Mode. Wie wäre eine solche Geistesverwirrung sonst möglich, dass Deutsche beispielsweise begeisterte Verehrer Albert Schweitzers und gleichzeitig glühende Anhänger des Nationalsozialismus sein können! Wendet man gegen diese Zusammenstellung schüchtern etwas ein, so wird man mit einem mitleidigen Achselzucken abgetan, das etwa besagen will: »Du bist eben noch nicht so weit fortgeschritten wie ich!« Gebe Gott, dass ich nicht auch noch so weit »fortschreiten« werde! Oder heute früh wurde im Rundfunk eine Plauderei über die »Güte« verlesen. Etwas, das so unzeitgemäß ist und so weit ab von allem liegt, was der Nationalsozialismus lehrt. Und doch - ich schwöre es - werden die Hörerinnen aufatmend gesagt haben: »Wie war das schön! Wie war das gut! Wie war das richtig!« Gott verhelfe uns wieder zu unserem Verstand.
Zitat21.4.42 [...] Ich denke mir die Entwicklung anders. Es ist selbstverständlich, dass eine englisch-amerikanische und russische Besatzung dafür wird sorgen müssen, dass bei uns nicht alles drunter und drüber geht. Aber sie müssen uns behilflich sein, rasch zu einer eigenen vernünftigen Regierung zu kommen. Sie müssen uns wirtschaftlich helfen, dass die Menschen Arbeit und Brot haben und Zufriedenheit. Und dann müssen sie daran gehen, eine überstaatliche Macht zu bilden, eine Art verbesserten Völkerbunds. Dieser Institution müsste eine Militärmacht zur Verfügung stehen, damit Widerspenstige sich ihren Beschlüssen nicht widersetzen können.
Zitat28.10.42 [...] Auszüge aus einem Vortrag: Demnächst werden Russinnen zur Verfügung stehen für Haushalte. Es sei jedoch notwendig, zuerst die Haushalte auf ihre politische Zuverlässigkeit hin zu prüfen und auch nachzuforschen, wie die Ehe sei. (Nicht wahr, der Ehemann könnte sonst in Versuchung geraten.) Ausgeschlossen von der »Belieferung« mit einer Russin sind Katholiken, evangelische Kirchgänger, Anthroposophen und natürlich alle Familien, auf denen auch nur der leiseste Verdacht politischer Gleichgültigkeit lastet. Diejenigen Frauen, denen eine Russin zugeteilt wird zum Arbeiten, müssen geschult werden im Herrentum! »Sie, meine Frauen, dürfen nie vergessen, dass das russische Weib die Knute braucht!« Damit wolle die Rednerin nicht sagen, dass die deutschen Frauen ihre russischen Haushaltshilfen schlagen sollen, aber eben weil die Knuten im großen Ganzen ausscheide, müsse man Distanz wahren. So eine Russin dürfe nie ohne Aufsicht sein. Sie dürfe keine Einkäufe machen, mit keinem Menschen zusammenkommen. Sie dürfe nie mit den Kindern des Hauses spazieren gehen. Auf keinen Fall dürfe sie mit der Familie essen usf. usf. Pfui!
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen
Ich war ein sehr großer Fan von "Die Optimisten" und war daher sehr gespannt. Das hier ist so eine Mischung aus US-Justiz-Drama, College-Geschichte und Social-Media-Shitstorm-Thematik. Eine Frau kommt als Dozentin an ihre alte Uni zurück, dort hat es zu ihrer Schülerzeit einen Mord gegeben, der Sportlehrer wurde womöglich zu Unrecht verurteilt.
Das ganze erinnert bissl an Donna Tartts Geheime Geschichte (früher hieß es, sie veröffentliche alle zehn Jahre einen Roman, doch seit dem großartigen Distelfink Pustekuchen!). Im ersten Drittel ist es sehr ok, im mittleren fragt man sich etwas, welches Buch sie eigentlich erzählen will, und das Schlussdrittel ist dann wieder gut. Insgesamt dann habe ich es schon gern gelesen.
Timo Feldhaus: Mary Shelleys Fenster (Sachbuch) Das Buch widmet sich dem Jahr 1816 – dem sogenannten „Jahr ohne Sommer“ –, als ein Vulkanausbruch das Weltklima erheblich beeinflusste, was zu schlechtem Wetter, Missernten usw. geführt hat. Dabei konzentriert es sich auf einige Figuren der Weltgeschichte, vor allem Künstlerinnen und Künstler wie Mary Shelley, Goethe, Caspar David Friedrich, aber auch etwa Napoleon (obwohl der etwas in der Luft hängt). Episodenhaft erzählt bildet sich ein Mosaik dieses Jahres und seiner (kulturgeschichtlichen) Folgen. Recht unterhaltsames Buch, wobei es mir als regelmäßiger Leser historischer Sachbücher zu wenig Fakten und Zusammenhänge liefert und dafür mit zu viel „literarischem Reenactment“ aufwartet. Das ist aber eher mein Problem: Ich mag diese Illies'sche Schreibweise nicht sehr. Andererseits finde ich die Biographie Mary Shelleys – und die Entstehungsgeschichte „Frankensteins“ – immer wieder spannend. Vielleicht ist das was für @Marla Singer
Robert Seethaler: Das Café ohne Namen Mann eröffnet in den 1960er Jahren aus heiterem Himmel ein Café in der Nähe des Wiener Praters und schließt es irgendwann wieder – das ist es im Prinzip. Durch die Gastronomie wird dann eine Menge schablonenartiges Personal geschleust, natürlich vorrangig klischeehaft verkrachte Existenzen, alles passiert relativ zufällig. Prinzipiell hab ich nichts gegen handlungsärmere Romane, aber das hier ist schon alles recht kitschig und dick aufgetragen, trotz recht nüchterner Sprache. Zumindest habe ich aber zufällig im vergangenen Sommer eine Woche in genau dem Wiener Stadtviertel verbracht habe, in dem das Buch spielt, was es zumindest zu einem netten Erinnerungsspaziergang gemacht hat. Liest sich auch ungefähr so schnell. Aber mit Seethaler und mir wird das wohl nichts mehr.
Sebastian Barry: Tausend Monde Eines der besten Bücher, was ich in den letzten zwei, drei Jahren gelesen habe, war der Western „Tage ohne Ende“ des irischen Autors Sebastian Barry, in dem sich zwei junge, schwule Soldaten auf Seiten der Nordstaaten durch den Amerikanischen Bürgerkrieg schlagen und unter anderem ein Lakota-Mädchen adoptieren. Dies ist nun eine Art Fortsetzung aus der Perspektive besagter Adoptivtochter. Nicht ganz so gut wie der Vorgänger, weil das Buch irgendwie zu große Räder drehen will und dabei das erweiterte Personal etwas zur Kulisse wird, aber die Grundstory ist schon nach wie vor spannend und stark erzählt.
Danke für den Tipp, kafkaktus! Das klingt tatsächlich so, als könnte es mir gefallen. Das Café ohne Namen habe ich auch mal auf meine Liste gesetzt. Klingt zwar nicht sehr berauschend, aber ich habe in Wien genau da gewohnt. Darum könnte es trotzdem interessant sein.
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?
Recht schnell zu lesende Erzählung im Stil einer Montage. Erinnert mich vom Aufbau lustigerweise an "The Mercy Seat" von Nick Cave; ein Arzt wird von dem Vorwurf freigesprochen, seine Ex - Frau erdrosselt zu haben, aber in ziemlicher Redundanz entspinnt sich ein imaginäres Verhör in seinem Kopf, in dessen Verlauf immer mehr auf ihn als Täter hindeutet. Ist zwar recht spröde, hat mir aber gut gefallen, und läßt einige Deutungen offen.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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team faxe: ich habe seethaler wirklich gerne gelesen, aber das "café ohne namen" ist nicht mehr als eine hübsche feel-good-tralala-geschichte. schade eigentlich.
„Trafikant“ und „Ein ganzes Leben“ fand ich toll, „Die weiteren Aussichten“ eher mäßig. „Der letzte Satz“ steht auf der Wunschliste, um das „Café ohne Namen“ werde ich trotz Wien-Affinität erstmal einen Bogen machen.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
Deutscher Buchpreis 2023. Ich habe es gern gelesen. Ein gehobener Coming-of-Age-Roman oder ein bisschen mehr. Der Protagnoist geht auf ein Wiener Elite-Gymnasium (oder was sie da haben). Der Lehrer ist ein Bildungs-Tyrann, der Schüler zweitbester der Welt bei einem Computerspiel (und mit den üblichen Jugendsorgen). Sehr angenehm im Ton, mit vielen interessanten Einblicken und Einsichten.