Hab ich ja im "Ich ..." - Thread schon gebührend abgefeiert. Definitiv lustiger als die Comicstrips, allein schon der Goldt'schen "Regieanweisungen" wegen. Herrlich absurder Humor, gute Bahnlektüre, um sich immer mal wieder drei - vier Szenen reinzutun.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Ein Sammelband mit unveröffentlichten Erzählungen aus dem Nachlaß. Die Erzählungen selbst schwanken erheblich in ihrer Qualität ("Der blutende Biber" ist geradezu sensationell schlecht) und reichen von Falladas Jugend bis zu seinem frühen Tod 1947. Auf jeden Fall: hat man sich da durchgebissen, folgt ein ausführlicher Anhang, der interessanter ist als der Rest und biographische Bezüge zu Falladas Leben herstellt, das ja eine ziemlich verkorkste Existenz war. Muß man nicht haben, aber da ich den Autor sehr mag, hab ich das dann doch mit Gewinn gelesen.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Kennt ihr das, wenn ihr feiern geht und ein euch unbekannter Betrunkener labert euch an der Bar über sein Leben voll, während ihr einfach nur schnell neue Biere für euch und eure Freund*innen holen wollt? So ist dieses Buch. Irgendwie geht es auch um den Selbstmord seines Sohnes und diese Stellen sind wirklich gut. Eingerahmt wird das Ganze allerdings mit assoziativem Blabla, das sehr, sehr zäh ist.
Serhij Zhadan - Internat
Ich habe sehr lange gebraucht, um das Buch durchzulesen. Nicht, weil es zäh wäre, sondern weil es wirklich starker Tobak ist. Pascha macht sich irgendwo in der Ost-Ukraine auf den Weg, seinen Neffen aus dem Internat zu holen, nachdem die Region im Krieg versinkt. Die Handlung zieht sich über drei Tage und der Text ist so flott und abgehackt geschrieben, dass es sich anfühlt, als würden wir hinter Pascha herhecheln und ihm über die Schulter linsen. Furchtbare Szenen werden angedeutet, aber nie grafisch ausgebreitet, was das Ganze fast noch furchtbarer macht. Man erahnt die Grausamkeit, aber erfährt nie genau, was geschehen ist. Ich kann euch allen das Buch empfehlen, denn es hat natürlich eine unfassbare Aktualität und setzt sich meiner Meinung nach auch komplett über literarische Geschmacksgrenzen hinweg.
Christelle Dabos - Die Verlobten des Winters
Das hatte ich auf meiner Lesewunschliste, weil ich das Buch mal im Buchhandel entdeckt hatte und das Cover wunderschön fand. Genau wie "Internat" habe ich es sehr langsam gelesen - allerdings in diesem Fall, weil es sich etwas gezogen hat. Die Welt des Buches besteht aus so genannten "Archen" - gewissermaßen eine Mischung aus Schiff, Insel und Kontinent. Hauptprotagonistin ist Ophelia, die durch Berührung die Geschichte von Gegenständen lesen kann und an einen schrägen Typen auf einer eisigen Arche verheiratet werden soll. Die Idee mit diesen Archen finde ich absolut fantastisch. Allerdings passiert leider nicht viel in dem Buch. Es war jetzt auch nicht unbedingt langweilig, aber eben am Ende des Tages nur ganz okay. Klassische Young Adult-Fantasy würde ich sagen, und das ist einfach nicht so ganz mein Genre.
Mary Shelley - Frankenstein
Mein literarischer Aha-Moment der Woche: "Frankenstein" ist überhaupt kein Horror-Roman, sondern eigentlich ein Drama. Fast 200 Jahre hat das Buch jetzt schon auf dem Buckel und das merkt man ihm absolut nicht an. Die Erzählebenen empfand ich als unnötig überladen: da bekommt eine Dame Briefe von ihrem Gatten auf arktischer Expedition, der Victor Frankenstein trifft, der seine Lebensgeschichte erzählt, in der dann auch Frankensteins Kreatur selbst erzählt. Das hätte man ohne rhetorischen Verlust eigentlich darauf eindampfen können, dass Victor Frankenstein einfach gleich selbst erzählt - aber was weiß ich schon. Es war auf jeden Fall spannend mal zu sehen, wie die ursprüngliche Geschichte zwischen Frankenstein und seiner Kreatur funktioniert. Vom Hocker gerissen hat es mich nicht.
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?
Erstmal chapeau an Sylvie Schenk, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und die dann so ein wunderschönes Buch auf Deutsch abliefert. Und damit sogar auf der Shortlist des deutschen Buchpreises gelandet ist. Schenk zeichnet die Lebensgeschichte ihrer Mutter nach. Und dabei noch so einige andere Lebensläufe von Frauen in ihrem Umfeld (autofiktional versteht sich). Es ist wirklich anrührend geschrieben und ich habe es praktisch in eins weggelesen.
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?
Schön, dass hier so viel los ist. Neil Stephenson: Amalthea Ich hab Anfang des Jahres gedacht, ich müsste mal wieder Science Fiction lesen – leider hat das mein Lesejahr ziemlich blockiert, da ich sehr ungern Bücher abbreche. Und das wäre auch unfair, denn die Handlung ist durchaus spannend: Der Mond zerfällt, die Trümmer drohen auf die Erde zu stürzen, was die Atmosphäre so aufheizen würde, dass Leben einige Jahrtausende lang nicht möglich sein wird. Zwei Jahre hat die Menschheit Zeit, alles zu evakuieren, was geht, um danach eine neue Zivilisation aufzubauen. Neben „Fiction“ beinhalten die über 1000 Seiten aber eben jede Menge Science, die dann doch in ihrer Kleinteiligkeit irgendwann ermüdend ist. Wer das mag, ist hier absolut richtig. Ich lass mir jetzt wieder ein paar Jahre Zeit mit dem Genre.
Ayelt Gundar-Goshen: Wo der Wolf lauert Eine israelische Familie im Silicon Valley, auf einer Party stirbt ein Mitschüler, was dazu führt, dass der zurückhaltende pubertierende Sohn Opfer antisemitischer Anfeindungen wird. Seine Mutter versucht, die Familie zu schützen und herauszufinden, was passiert ist. Spannender Thriller, interessante Einblicke in die Gesellschaft der in den USA lebenden (nichtreligiösen) Juden, intensive Schilderung der Mutter-Sohn-Beziehung.
Philipp Oehmke: Schönwald Die Schönwalds, eine bürgerliche westdeutsche Familie, trifft sich während der Eröffnung einer queeren Buchhandlung in Neukölln, die von Aktivisten gestört wird, die den Gründerinnen – darunter die Tochter Schönwald – vorwerfen, sie würden hier Nazi-Geld investieren. Rückblickend werden die Geschichten der fünf Familienmitglieder erzählt, schon recht geschickt miteinander verwoben und eingebettet in aktuelle Zeitdebatten. Aber den Vergleich mit Jonathan Franzen, der sich aufgrund der Konstellation durchaus aufdrängt und wahrscheinlich auch gewollt ist, hält Oehmke nicht stand. Zu oberflächlich sind die Personen gezeichnet, zu bemüht sind die Zeitgeistbezüge, zu sehr rattert die Handlung dann doch vor sich hin. Schade, da hab ich irgendwie mehr erwartet.
Andrea Wulf: Fabelhafte Rebellen (Sachbuch) Sehr unterhaltsamer Überblick über die Jenaer Frühromantik, die sich auf die Biografien der einzelnen Protagonisten (und Protagonistinnen!) beschränkt und Geistesgeschichte nicht zu intensiv verhandelt. Wirklich sehr lebendige Schilderung, wie sich Schiller, die Schlegels, Schelling, Novalis, Fichte, Humboldts u. a. (ab und zu schaut Goethe vorbei) Ende des 18. Jahrhunderts in Jena niederlassen, mit dem Furor der Jugend weltverändernde Ideen entwickeln, das Ich entdecken, neue Freiheiten ausloten und die kleine Universitätsstadt für ein paar Jahre zum geistigen Zentrum Europas machen. Die englische Historikerin sieht das Buch auch als Kommentar zu aktuellen Freiheitsdiskussionen. Hab ich gern gelesen.
"The Secret Commonwealth" ist der zweite Teil von Philip Pullmans "The Book Of Dust"-Trilogie, die wiederum ein Sequel zu "His Dark Materials" darstellt. Ist fast so gut wie der erste Teil der neuen Trilogie, aber ich habe Angst, dass sich Pullman im letzten Buch wieder komplett verzettelt. Aber schreiben kann er, Figuren und Welten erschaffen beherrscht er perfekt.
Zitat von kafkaktus im Beitrag #2060Schön, dass hier so viel los ist. Andrea Wulf: Fabelhafte Rebellen (Sachbuch) Sehr unterhaltsamer Überblick über die Jenaer Frühromantik, die sich auf die Biografien der einzelnen Protagonisten (und Protagonistinnen!) beschränkt und Geistesgeschichte nicht zu intensiv verhandelt. Wirklich sehr lebendige Schilderung, wie sich Schiller, die Schlegels, Schelling, Novalis, Fichte, Humboldts u. a. (ab und zu schaut Goethe vorbei) Ende des 18. Jahrhunderts in Jena niederlassen, mit dem Furor der Jugend weltverändernde Ideen entwickeln, das Ich entdecken, neue Freiheiten ausloten und die kleine Universitätsstadt für ein paar Jahre zum geistigen Zentrum Europas machen. Die englische Historikerin sieht das Buch auch als Kommentar zu aktuellen Freiheitsdiskussionen. Hab ich gern gelesen.
Das klingt nach etwas, das mir gefallen könnte - danke für den Tipp!
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?
Erich Maria Remarque: Schatten im Paradies [...] Der Protagonist ist erstaunlich unsympathisch und lädt nicht wirklich dazu ein, ihm gegenüber empathisch zu sein; vor allem eine Stelle im Buch gibt es, mit der ich echt ein großes Problem habe (es geht darum, sich in James - Bond - Manier eine widerspenstige Frau gefügig zu machen, und das ist erstaunlich ekelhaft). [...]
Ja, das war wirklich ekelhaft. Generell legt der Protagonist des Buches ein ziemlich erbärmliches Frauenbild an den Tag. Da gibt es noch mehr Stellen, bei denen die Fremdscham einsetzt. Ein etwas antiquiertes Rollenbild ist auch in Remarques anderen Romanen durchaus mal vorhanden, aber so unangenehm misogyn war es in den anderen von mir gelesenen Büchern nicht einmal ansatzweise. Die Szenen, die sich mit den Problemen/Gesprächen/Träumen der Emigranten befassen, finde ich durchaus gelungen, auch wenn dort viel Resignation, Missgunst und Zynismus beschrieben wird. Aber die "Liebesgeschichte" hat mir das Buch nachhaltig verdorben. Muss man nicht lesen.
Nino Haratischwili - Das achte Leben (Für Brilka)
Beeindruckend, wie Haratischwili es schafft, eine absolut packende und bewegende Familiengeschichte zu erzählen, die über knapp 1.300 Seiten keinerlei Längen aufweist und bis zuletzt mit wortgewaltiger, teilweise poetischer, Sprache aufwarten kann. Erzählt wird ein Jahrhundert der Geschichten der Familien Jaschi & Eristawi anhand von acht Mitgliedern der Familie Jaschi. Startpunkt ist die Geburt von Stasia Jaschi im Jahr 1900, der Tochter eines bekannten georgischen Schokoladenfabrikanten, dessen Produkte über eine fast schon magische Anziehungskraft verfügen. Endpunkt ist die Begegnung von Niza (Ur-Enkelin von Stasia) & Brilka Jaschi (Ur-Ur-Enkelin von Stasia) im Westeuropa des Jahres 2006, die als Ankerstelle alle Fäden der Handlung verbindet. Dazwischen liegen Geschichten von Liebe, Hass, Gewalt, Verlust, (unerfüllten) Träumen u.v.m., also all den Elementen einer jeden Familiengeschichte, vor dem Hintergrund zweier Weltkriege, zahlreicher Umbrüche und Systemwechsel. Die Geschichte Europas (mit Schwerpunkt Georgien) wird quasi im Vorbeigehen miterzählt. Ein Buch, das mich durchgehend gefesselt und, gerade im letzen Kapitel, sehr bewegt hat. Wen dicke Wälzer nicht abschrecken, kann ich das Buch nur ans Herz legen.
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen
Zitat von kafkaktus im Beitrag #2060 Philipp Oehmke: Schönwald Die Schönwalds, eine bürgerliche westdeutsche Familie, trifft sich während der Eröffnung einer queeren Buchhandlung in Neukölln, die von Aktivisten gestört wird, die den Gründerinnen darunter die Tochter Schönwald vorwerfen, sie würden hier Nazi-Geld investieren. Rückblickend werden die Geschichten der fünf Familienmitglieder erzählt, schon recht geschickt miteinander verwoben und eingebettet in aktuelle Zeitdebatten. Aber den Vergleich mit Jonathan Franzen, der sich aufgrund der Konstellation durchaus aufdrängt und wahrscheinlich auch gewollt ist, hält Oehmke nicht stand. Zu oberflächlich sind die Personen gezeichnet, zu bemüht sind die Zeitgeistbezüge, zu sehr rattert die Handlung dann doch vor sich hin. Schade, da hab ich irgendwie mehr erwartet.
Schade, das hab ich seit einiger Zeit auf meinem Einkaufszettel. Ich hoffe noch auf entschiedene Gegenrede hier (@Marla Singer@faxefaxe ?).
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
Zitat von kafkaktus im Beitrag #2060 Philipp Oehmke: Schönwald Die Schönwalds, eine bürgerliche westdeutsche Familie, trifft sich während der Eröffnung einer queeren Buchhandlung in Neukölln, die von Aktivisten gestört wird, die den Gründerinnen – darunter die Tochter Schönwald – vorwerfen, sie würden hier Nazi-Geld investieren. Rückblickend werden die Geschichten der fünf Familienmitglieder erzählt, schon recht geschickt miteinander verwoben und eingebettet in aktuelle Zeitdebatten. Aber den Vergleich mit Jonathan Franzen, der sich aufgrund der Konstellation durchaus aufdrängt und wahrscheinlich auch gewollt ist, hält Oehmke nicht stand. Zu oberflächlich sind die Personen gezeichnet, zu bemüht sind die Zeitgeistbezüge, zu sehr rattert die Handlung dann doch vor sich hin. Schade, da hab ich irgendwie mehr erwartet.
Schade, das hab ich seit einiger Zeit auf meinem Einkaufszettel. Ich hoffe noch auf entschiedene Gegenrede hier (@Marla Singer @faxefaxe ?).
Vielleicht klingt das zu scharf, ich will da gar nicht den Stab komplett brechen. Das kann durchaus auch gefallen, ich hab nur irgendwie keinen Zugang zu den Figuren gefunden. Oehmke ist Kulturjournalist (u.a. beim Spiegel gewesen), anscheinend gut vernetzt und dementsprechend wurde der Roman in meiner medialen Bubble stark beworben. Vielleicht hat das die Latte dann einfach zu hoch gelegt.
Zitat von Larry Iutbally im Beitrag #2063Generell legt der Protagonist des Buches ein ziemlich erbärmliches Frauenbild an den Tag. Da gibt es noch mehr Stellen, bei denen die Fremdscham einsetzt. Ein etwas antiquiertes Rollenbild ist auch in Remarques anderen Romanen durchaus mal vorhanden, aber so unangenehm misogyn war es in den anderen von mir gelesenen Büchern nicht einmal ansatzweise.
Das zeigt mal wieder sehr schön, warum es für mich keine Säulenheiligen gibt. Auch ein durchaus integrer Autor hat seine Fehler. Wie ich in meiner Kritik zu "Station am Horizont" schrieb: laut Anhang war er in seiner Anfangszeit ein überheblicher, versnobter Dandy, der nicht sonderlich beliebt war. Da hat ein gewisser Kern bis zum Ende überdauert, denn connaisseurhaftes Geschwafel über Frauen ist halt seit 50 Jahren echt nicht mehr angebracht und sorgt bei mir bei Autoren der alten Schule immer für Befremden.
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