Autobiographisch geprägter Roman einer herzlosen Familie. Beherrscht wird die Familie von der Mutter, die die Kinder, die sich hassen, gegeneinander ausspielt. Interessantes Buch, wegen der Loops und Redundanzen (es sind die immer gleichen Streitigkeiten, Manches wird mehrfach erwähnt) eher etwas für Vielleser.
Ne, das hat mir jetzt nicht wirklich gefallen. Ein paar Lacher sind dabei, aber insgesamt war mir das zu übertrieben Fäkalsprache und zu repetitiv. Immerhin ist das Ende aber gut gelungen.
Ein großartiges Debüt hat Nathan Filer da geschrieben. Aber es ist kein leichtes Buch, denn es zieht den Leser tief hinab in die Abgründe von psychischer Erkrankung und Trauerbewältigung. Das wühlt natürlich emotional auf. Ich musste den Roman manchmal zwischendurch weglegen, weil er mich so beunruhigt hat. Filer wählt eine interessante, ungewöhnliche Erzählstruktur und spielt mit verschiedenen stilistischen Mitteln herum. Auch optischen, denn ein Teil des Buches ist beispielsweise in Schreibmaschinenschrift verfasst, weil der Ich-Erzähler keinen Zugang mehr zum Computer hat. Und diese verblasst dann, weil sein Farbband zur Neige geht. (Schicke Ideen, Filer gibt nicht umsonst selbst Kurse in kreativem Schreiben.) Würde ich Punkte für Bücher vergeben, hier stünde die Höchstzahl.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #968Boschwitz - Der Reisende
Angesichts der literarischen Qualität erstaunlich, dass das erst jetzt auf deutsch erschienen ist (Böll hatte sich mal dafür eingesetzt aber vergeblich). 1938 geschrieben, über einen Juden, der in der Reichspogromnacht aus seinem Leben fällt (fast schon kafkaesk die Situation, wenn man es nicht besser wüsste) und im Zug durch Deutschland reist, ohne einen Ausweg zu finden. Lesenswert.
Ich hab's nun auch gelesen, und trotz weniger Längen habe ich dieser Kritik im Großen und Ganzen nichts hinzuzufügen. Sich angesichts der Entstehungsgeschichte über Kleinigkeiten auszulassen, ist ebenfalls kleinkariert. Unterm Strich bleibt ein sehr beklemmendes Buch.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #968Boschwitz - Der Reisende
Angesichts der literarischen Qualität erstaunlich, dass das erst jetzt auf deutsch erschienen ist (Böll hatte sich mal dafür eingesetzt aber vergeblich). 1938 geschrieben, über einen Juden, der in der Reichspogromnacht aus seinem Leben fällt (fast schon kafkaesk die Situation, wenn man es nicht besser wüsste) und im Zug durch Deutschland reist, ohne einen Ausweg zu finden. Lesenswert.
Ich hab's nun auch gelesen, und trotz weniger Längen habe ich dieser Kritik im Großen und Ganzen nichts hinzuzufügen. Sich angesichts der Entstehungsgeschichte über Kleinigkeiten auszulassen, ist ebenfalls kleinkariert. Unterm Strich bleibt ein sehr beklemmendes Buch.
Ich habs auch vor zwei Wochen fertig gelesen und sag einfach dito zu allem.
In weiten Teilen könnte man glauben, ein Buch aus den 1950er-Jahren zu lesen, dabei erschien die Originalausgabe 1994. Sowohl die Geschwindigkeit als auch die Sprache wirken irgendwie aus einer anderen Zeit und die modernsten vorkommenden Errungenschaften der Technik sind TV-Antennen. Was eigentlich nichts schlimmes ist, aber kombiniert mit einer chronischen Griesgrämigkeit macht es die Sache anstrengend. Was mich die 576 Seiten durchhalten ließ, war das Interesse am Thema: Ich reise gerne durch Portugal, wobei ich interessemäßig quasi null Überschneidungen mit Saramago habe: Er interessiert sich in erster Linie für das Innere von Kirchen und beschreibt gerne ausführlich die Suche nach dem Schlüssel zu verschlossenen Kirchen. Ich wusste gar nicht, dass man sich überhaupt den Schlüssel zu verschlossenen Kirchen geben lassen kann. Das war mein zweiter Versuch mit dem Nobelpreisträger ("Der Doppelgänger" war zwar leichter zu lesen, ließ mich aber ratlos zurück) und wahrscheinlich mein letzer. Das Cover dieser Ausgabe hat übrigens nichts mit dem Inhalt zu tun: Lissabon kommt nur kurz vor und die Straßenbahn überhaupt nicht.
Kannte ich erstaunlicherweise noch nicht, ist ja schon älter. Dicker, aber sehr unterhaltsamer Roman, und man lernt viel über Indien. Ein Verbrecher ist in Australien aus dem Gefängnis ausgebrochen und flieht nach Indien. Dort lebt mehrere Jahre, der Roman ist autobiographisch geprägt.
Schönes Buch über die Kunst des Reisens, das sich sehr flott weg liest. Sprachlich echt schön und vor allem wiederholt Alain de Botton nicht einfach stumpf, was alles toll am Reisen ist und schon 500.000 Mal an anderer Stelle angeprisen wurde, sondern fokussiert sich ein bisschen auf die negativen Aspekte des Reisens. Angenehme Abwechslung.
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?
Eine Liebe in den 60er-Jahren aus der (aus für die Tochter der Verstorbenen Mutter) unerklärten Gründen nichts geworden ist. Nah am Pathos, aber ein sehr stilles, zartes Bich, das einen ein wenig traurig zurücklässt. Aus Gendergründen ist das unangemessen, aber fällt bei mir in die Kategorie „gefällt eher Frauen“ (mit gefallen Bücher dieser Kategorie, daher ist das nicht absolut). Mir hat es noch besser gefallen als das viel gelobte Debüt Die Glücklichen. Das neue mochte zumindest der Spiegel nicht.
Es gibt Romane, die faszinieren und überfordern den Leser gleichzeitig - und am Ende kann man nicht mal sagen, ob einem gefällt, was man da gelesen hat. So geht es mir mit dem zweiten Buch des irischen Schriftstellers Peter Murphy. Er bastelt aus vielen Versatzstücken eine eigenwillige mystisch-religiös-übernatürliche Geschichte zusammen, die sich in einer Kleinstadt abspielt und verschiedene Personen streift. Neben der charismatischen Hauptfigur werden viele andere nur kurz gestreift, man versteht nie, wie sie zusammenhängen. Alles wirkt zerrissen, momentaufnahmenhaft. Ich las den Roman im Original, weil es gar keine Übersetzung davon gibt, und: Leck mich am Jameson, das ist mal eine anspruchsvolle Sprache! (Dringender Tipp für dich, An Nette.) So viele unbekannte englische Worte sind mir noch nie untergekommen. Aber das wild-poetische von Murphys Sprache macht dann andererseits einen Großteil der Wirkung aus und hat mich schnell reingesaugt. Ein sehr seltsamer Roman, den ich sicher nicht morgen vergessen haben werde.
Das Dilemma: wenn man Kollegen persönlich kennenlernt und sympathisch findet, sie einem ein Buch mit persönlicher Widmung schenken, und es ist dann nicht gut. Ein Kriminalroman im Rockstarmilieu mit ungefähr sovielen Logiklöchern wie unwitzigen Witzen. Immerhin habe ich es komplett gelesen, warum auch immer.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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Im Januar starb der amerikanische Schriftsteller Jack Ketchum. Im Juli erschien dann sein in gewisser Weise allerletztes Werk: Eine Sammlung von Kurzgeschichten, die er noch selbst ausgesucht und zur Übersetzung freigegeben hatte. Natürlich ist diese limitierte Sammlerausgabe längst ausverkauft. Schade eigentlich, denn sie zeigt sehr eindrucksvoll, wie gut Ketchum geschrieben hat. Auf wenigen Seiten erschafft er Figuren, die dem Leser sofort nah sind, gibt ihnen mit ein paar Worten eine Vergangenheit und lässt sie dann einfach so Unvorstellbares erleben. Da sterben Menschen, die das nie wollten, und diejenigen, die es wollten, überleben; Da werden Menschen zu Mördern, die das nicht erwartet hätten und andere zu Rettern. Da kommen Katzen zu ihren Besitzern zurück, um sie ein letztes Mal zu trösten und Liebe lässt Menschen unsterblich werden. Ketchum hatte ein breites Spektrum und beherrschte seine Kunst meisterhaft.
Also hab ich auch noch zwei seiner Romane nachgeschoben:
"Off Season" von 1981 war sein Debut und wurde prompt vom Verlag gekürzt und verfälscht - zum Glück wurde Ketchum trotzdem berühmt und konnte viele Jahre später - wenn schon nicht das seinerzeit frustriert entsorgte Original - eine unzensierte Version mit dem korrekten Ende (!) veröffentlichen. In dem ausgesprochen brutalen Roman, der am ehesten dem damals aufkommenden "Splatterpunk" zuzurechnen ist, geht es um eine Gruppe New Yorker, die ein paar Tage in einer einsamen Hütte an der Küste von Maine verbringen wollen. Dummerweise lebt in der Gegend eine degenerierte Sippe von Kannibalen, die in den sechs Städtern ideale Beute sehen und prompt auf die Jagd gehen. Es wird genauso blutig, wie die Story das schon andeutet. (Und erstaunlich bewegend, denn siehe oben: Ketchum verstand es, seine Figuren lebendig zu machen.) Schön der Dreh, dass die anfangs eingeführte, vermeintliche Protagonistin rasch den Platz mit ihrer Schwester tauscht, die dann den Rest des Romans bestreiten muss. Die vermeintlich schwache Schwester entpuppt sich als Badass und macht Dinge mit, die man sich kaum vorstellen kann. Das ist übrigens typisch für Ketchum: Er schrieb häufig über Frauen, ließ sie in grausame Situationen geraten und zeigte dann auf, wie unfassbar hart im Nehmen sie sind. Seine Frauen mögen zwar gequält werden, gebrochen werden sie nicht.
Gar nicht blutig, aber ungeich verstörender: The Girl Next Door. Der Roman basiert auf dem grauenvollen Schicksal der Teenagerin Sylvia Likens, die in den 60ern in Indianapolis von ihrer Pflegemutter und deren Kindern (!) zu Tode gefoltert wurde. Ketchum erzählt das Ganze aus der Sicht des Nachbarsjungen David, der anfangs fasziniert, später abgestoßen und am Ende vollkommen entsetzt bei den Vorgängen im Nachbarkeller zusieht. Er beteiligt sich zwar nie direkt an den Schlägen und Erniedigungen, denen sich das Mädchen ausgesetzt sieht, aber er tut auch nichts, um es zu verhindern - und macht sich so seines Erachtens mitschuldig. Am Ende will er etwas tun und das Mädchen befreien, sieht aber selbst ein, dass es im Grunde längst zu spät ist. Ein sehr, sehr fieses Buch, das sich auf Andeutungen dessen, was in diesem Keller passiert, beschränkt, aber so noch unmittelbarer und grausamer darlegt, wie das Mädchen leiden musste. Schwer verdaulich, ganz schwer verdaulich. Faszinierend daran: Ketchum zeigt uns anhand von Davids Reflektionen, dass wir Leser nicht "besser" sind als er. David geht immer wieder rüber in den Keller, weil er die Faszination dessen, was da passiert, nicht abschütteln kann. Er will weiter zusehen, so wie wir Leser weiterlesen wollen. David legitimiert das Geschehen für sich damit, dass ja die Pflegemutter federführend ist - eine Erwachsene, die das ihr unterstellte Kind bestraft, wenn es sich daneben benimmt. Wir Leser können uns damit trösten, dass es ja "nur ein Buch ist". Ist es aber nun mal nicht.