Zitat von RegularJohn im Beitrag #1006 Im Prinzip Torture Porn in Buchform und das Genre find ich schon filmisch extrem abstoßend.
Ähm, nein. Torture Porn schaut ganz voyeuristisch so genau wie möglich hin, weidet sich an den dargestellten Qualen und will sie detailliert und so explizit wie möglich zeigen. (Und SEHEN.) Ketchum dagegen bemüht sich um die Entlarvung der Mechanismen dahinter, durchleuchtet die Gründe, die Menschen haben könnten, um sich so etwas wie Torture Porn hinzugeben. Er will wissen, wie es passieren kann, dass Menschen hinschauen, wenn anderen Gewalt angetan wird, warum das für so viele Leute so faszinierend ist. Mit dem Roman bietet er eine mögliche Erklärung an und illustriert obendrein, dass es eben wirklich JEDEM passieren kann - viele Leser empfinden den Roman als schwer erträglich und kaum lesbar, aber ich kenne niemanden, der ihn deshalb abgebrochen hätte.
Ich habe keine Ahnung von der Materie, daher ist die Anmerkung völlig unqualifiziert. Ein wenig klingt das für mich, wie wenn RTL II einen beitrag über die Abgründe der Pornoindustrie bringt und dabei viel nackte Haut zeigt ;-)
Ach, ich bin zu schlecht darin, das zu erklären, glaube ich. Also: Im Gegensatz zu einem Torture-Porn-Stück erzählt Ketchum die meiste Folter gar nicht explizit. Sie wird lediglich angedeutet. (Was sie natürlich schwerer erträglich macht, weil des Lesers Fantasie die Leerstellen füllt. Das ist das GEGENTEIL von Torture Porn, wo die Fantasie absolut nicht gefragt ist!) Der Roman funktioniert also, um Faxes Analogie zu benutzen, eher so, als würde RTL II einen Beitrag über die Abgründe der Pornoindustrie bringen, ihn mit Ausschnitten aus Pornos untermalen, aber immer dann abbrechen, wenn die stümperhaft geschauspielerte "Handlung" in eine Fickszene übergeht.
Ich bin da wirklich anderer Meinung. Die Folter und Gewaltszenen werden doch gerade extrem detailliert beschrieben und nicht zwischen den Zeilen. Vielleicht ist Torture Porn trotzdem der falsche Begriff. Sagen wir so: Für mich war das Buch deshalb so grausam, weil Ketchum mir als Leser keine Erklärung für das Beschriebene anbietet (was ja auch beabsichtigt ist). Was bleibt ist Ohnmacht und Fassungslosigkeit. Damit komme ich persönlich nur schwer zurecht. Anders als z.B. bei "American Psycho", das sicherlich noch mal eine Ecke expliziter ist, aber bei dem das Motiv einfach klar ist.
hört sich nach "funny games" in buchform an. obwohl ich "funny games" wirklich nie, nie, nie mehr wieder sehen will, ist jetzt mein interesse an "evil" geweckt.
Da ich Jack Ketchums Werk wirklich aufrichtig bewundere, würde ich ein beliebiges anderes Werk für den Einstieg empfehlen - der Mann hat es wirklich nicht verdient, auf fehlverstandenen Torture-Porn-Kram reduziert zu werden. (Der von "explizit" und "Torture Porn" etwa so weit entfernt ist, wie man das in der Szene härteren Horrors überhaupt sein kann. Ganz ehrlich: Ich habe schon diverse Bücher übersetzt, die um Längen detaillierter und wegen mir auch diskussionswürdiger waren, als alles, was Ketchum je geschrieben hat. Er ist nicht hart, weil er so explizit ist, er ist hart, weil er so klug und schreiberisch geschickt ist.) Seine Kurzgeschichten sind zugänglicher, oder, wenn man es härter verträgt, die Romane "The Lost" oder "The Woman".
ich kenne ketchum nur über bande - die verfilmung von "the woman" hat mich seinerzeit nachhaltigst beeindruckt. und obwohl es mir mit dem film so geht wie gnatho mit "funny games", und ich mich in der folge auch nicht in der lage sehe, jemals ein buch von ihm überhaupt nur zu beginnen, geschweige denn durchzulesen, habe ich durch ihn höchsten respekt vor ketchum. verrückt, aber wahr.
Blöder Titel, blödes Cover auch, der englische Titel „The Price You Pay“ ist so viel besser. Jack Price führt ein florierendes Ein-Mann Drogenimperium. Irgendwann setzt jemand die Seven Demons, eine global operierende HighEnd-Killertruppe auf ihn an. Doch Jack Price wehrt sich. Das Buch ist sehr temporeich angelegt, hat einige abgedrehte Wendungen und trieft nur so vor Zynismus. Aidan Truhen ist ein Pseudonym und dass hier wohl ein erfahrener Autor am Werk ist, spürt man auch. Jedenfalls ist der Roman ein ziemlich großer und unterhaltsamer Spaß. SpOn schrieb dazu: "Man hatte es schon fast vergessen, dass Kriminalromane so sein können, dass Literatur so sein kann. So rotzig wie der Punk der Siebziger, so zynisch wie Bret Easton Ellis' "American Psycho", so rasant wie der Don Winslow der Nullerjahre. Und so zeitgemäß, dass einem schwindelig wird.“
Am Anfang hatte ich meine Schwierigkeiten, mich in das Buch reinzufinden, aber nach ca. 100 Seiten hat es mich dann doch ziemlich gefesselt. Es gibt sehr viele Erzähltstränge, die Menasse im Verlauf ineinander verwebt. Es geht viel um Schweine, Auschwitz und Friedhöfe - eine verrückte Mischung, die trotzdem funktioniert und Sinn ergibt. Nur das Ende war mir leider etwas zu abrupt.
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?
Das ist mal wieder ein Werk, das von seiner Authentizität lebt, den wirklich schreiben konnte Charrière nicht. Eiin atemloses Gehechel, das im Rekordtempo Ereignisse und allerlei Figuren durchschleust. Das liest sich manchmal ebenso rasant weg, wie es darin seitenlange Passagen gibt, die grauenhaft zäh sind, so daß ich das Buch mehrfach weglegen mußte (um dann nach der Wiederaufnahme des Lesens sofort erneut im Ganzen drin zu sein). Alles in allem ist der Stil so, als würde an einem Kneipenabend ein Typ am Nebentisch fünf Stunden lang sein bewegtes Leben erzählen. Charrière war ja ein durchaus kontroverser Charakter, und man weiß nicht, was erfunden, was zusammengeklaut und was authentisch ist. Ich weiß auch nicht, ob ich das Buch empfehlen kann, denn "gut" im herkömmlichen Sinn ist es sicher nicht, eher auf eine merkwürdige Art und Weise faszinierend.
Ach ja: der Film hat damit wirklich nur am Rande zu tun. Ihm gebührt der Verdienst, dieser Geschichte Struktur verpaßt zu haben. Nur ein Beispiel: Dega (gespielt von Dustin Hoffman) taucht im Buch nur als ein Häftling von vielen auf und ist für die Story weitgehend unwichtig. Für mich auch wenig überraschend, daß gefühlt 40 % der Figuren im Buch (vor allem andere Sträflinge) Korsen sind, aber nicht aus politischen Gründen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren bei uns Blutrache und Banditentum noch an der Tagesordnung, und sogar mein Vater hat als Kind noch Schießereien und Familienfehden mitbekommen..
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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