Die Kritik richtet sich nicht dagegen, dass Weidel der Veranstaltung fern blieb. Sondern dagegen, dass sie die Kapitulation des Nazi-Regimes als »Niederlage des eigenen Landes« wertet.
Ist auch meine Meinung, aber aus einem anderen Blickwinkel. Deutschland wurde erobert und besetzt. Punkt. Und die Deutschen wurden nicht von der Naziherrschaft "befreit", die sie bis zuletzt mit Zähnen und Klauen verteidigt haben. Sie wurde ihnen weggenommen.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Nichts "häh"? Deutschland wurde zweifelsohne verdient und selbstverschuldet zu Klump gebombt und erobert, nicht "befreit". Befreit wurden politische Häftlinge, Zwangsarbeiter, Juden und Kriegsgefangene, nicht Deutschland. Was bezwecken solche Euphemismen? Gutgemeint ist noch lange nicht gut, und so schafft man einen hervorragenden Opfermythos, als wäre die Naziherrschaft wie ein Fluch über das deutsche Volk gekommen, und die Alliierten hätten dieses Joch von ihm genommen. Denn insgeheim fand die Nazis ja jeder scheiße und wußte ansonsten von nichts. Das ist absolut lächerlich. Nochmal: Deutschland hat den Krieg verloren, wurde zerstört, erobert und besetzt. Das hört sich zwar nicht toll an, ist aber ein Fakt, an dem es nichts schönzureden gibt. Wieviele Berliner Frauen haben den Russen eigentlich damals für ihre Befreiung gedankt? Ich frag ja nur. Die wollten sich auch nur bei den Deutschen revanchieren, weil die sie vorher auf noch rabiatere Art fast vom Bolschewismus befreit hatten. Es ist doch alles ein Geben und Nehmen. Entschuldigung für meinen Sarkasmus.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Ich glaube die Frage stellt sich, wer "die Deutschen" waren, bzw. von welcher Einheitlichkeit man ausgehen kann. Vielleicht stellt sich auch die Frage, ob diejenigen, die sich nicht befreit fühlten, es am Ende vielleicht doch waren. Die Kapitulation des Nazi-Regimes war in erster Linie die Niederlage des Nazi-Regimes und keine der deutschen Bevölkerung – unabhängig vom jeweiligen eigenen Erleben. Man kann ohne Zweifel sagen, dass das Deutsche Reich, aus dem Bundesrepublik und DDR erwuchsen zunächst von einer extrem (selbst-)zerstörerischen Diktatur befreit wurden, auch wenn das sicherlich gewaltsam und zunächst ohne Zustimmung vieler Betroffener geschah.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Ich sehe das absolut nicht so, und da finden wir auch keinen Konsens. Ironischerweise führte die Befreiung zur Gründung der DDR, was auch wieder eine Diktatur war, wenn auch im Vergleich zur Naziherrschaft eine geradezu lächerliche; aber zumindest können sich zumindest die Ostdeutschen auch mal als Opfer fühlen, während im Westen genau die gleichen Kriegs - und Arisierungsgewinnler und Exnazis wieder zu Geld und guten Posten kamen, bis sie viel zu spät zur Rechenschaft gezogen wurden, wenn überhaupt. Schleyer, Werner Höfer, Filbinger, Josef Neckermann, Hermann Josef Abs, Kiesinger ... ach, man könnte noch eine zeitlang so weitermachen.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #860Ironischerweise führte die Befreiung zur Gründung der DDR, was auch wieder eine Diktatur war, wenn auch im Vergleich zur Naziherrschaft eine geradezu lächerliche; aber zumindest können sich zumindest die Ostdeutschen auch mal als Opfer fühlen,
Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #858so schafft man einen hervorragenden Opfermythos, als wäre die Naziherrschaft wie ein Fluch über das deutsche Volk gekommen, und die Allierten hätten dieses Joch von ihm genommen. Denn insgeheim fand die Nazis ja jeder scheiße und wußte ansonsten von nichts.
Da sehe ich einen Widerspruch in der Argumentation: Zwar wurde die DDR-Diktatur durch die Sowjetunion installiert, und war auch bis zum Schluss alles andere als unabhängig von denen, dennoch wurde die DDR von Ostdeutschen regiert und aufrecht erhalten. Einen legitimen Opferstatus für alle Ostdeutschen würde ich somit nicht herleiten wollen. Erfolgreich fortgesetzte Karrieren von Nazi-Funktionären gab es in der DDR übrigens auch.
Aber wie dem auch sei: Ich finde es nicht sonderlich kühn davon auszugehen, dass 1945 die Mehrheit der Deutschen, unabhängig vom eigenen Verhältnis zum Nationalsozialismus, kriegsmüde war, und insofern einem Ende des Krieges auch ohne Endsieg hoffnungsvoll entgegen sahen. Keine Befreiung sahen bestenfalls die ganz ideologisch verstrahlten in der Kapitulation des NS-Regimes, wenn auch sicherlich ein größerer Anteil der Bevölkerung Schmach empfunden haben mag. Aber wie gesagt, würde ich die geschichtliche Bewertung nicht vom augenblicklichen Empfinden in dieser Zeit abhängig machen.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #860Ich sehe das absolut nicht so, und da finden wir auch keinen Konsens.
Ich seh's genau wie du, King.
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?
Ich prinzipiell auch, aber die Gefahr, missverstanden zu werden, war mir zu groß. Dank der plötzlich als solche bejubelten "Befreiung" hat sich ein Land von Millionen Täter/-innen und Mitläufer/-innen über Nacht zu Opfern stilisiert, vor allem wohl getrieben von der Hoffnung, dadurch einer Aufarbeitung, juristischen Verfolgung und massiven Reparationszahlungen zu entgehen. Die These, dass die Alliierten den Krieg geführt haben um Deutschland von der Diktatur zu befreien, muss diese selbst überrascht haben, wurde aber vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden kalten Krieges vermutlich sogar dankbar aufgegriffen, um die Loyalität der Bevölkerung in West und Ost für die neuen politischen Ordnungen zu gewinnen. Es lässt sich nur darüber spekulieren, wie die Besetzung Deutschlands ohne den sich abzeichnenden Ost-West-Konflikt umgesetzt worden wäre.
Dass man das Kriegsende und die Besetzung durch die Alliierten als Spätgeborener aufgrund des Laufs der Geschichte trotzdem als Befreiung deuten kann, ist davon ja unbesehen.
Deshalb habe ich ja auch mehrmals darauf hingewiesen, dass die Frage, ob es sich um eine Befreiung handelte, nicht (allein) am Empfinden der unmittelbar betroffenen ZeitzeugInnen festmachen kann. Ausgangspunkt waren die Äußerungen von Frau Weidel, die von einer Niederlage sprach. Von einer Niederlage kann man tatsächlich nur sprechen, wenn man sich mit dem besiegten faschistischen Regime identifiziert. Für alle anderen ist das Ende dieses Regimes kein Verlust, sondern ein Gewinn, bzw. eine Befreiung.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von Lumich im Beitrag #865 Von einer Niederlage kann man tatsächlich nur sprechen, wenn man sich mit dem besiegten faschistischen Regime identifiziert. Für alle anderen ist das Ende dieses Regimes kein Verlust, sondern ein Gewinn, bzw. eine Befreiung.
Ich fürchte, da reden wir aneinander vorbei. Zum einen hat das Deutsche Reich nun mal den Krieg verloren und deshalb bedingungslos kapituliert. Das ist eine rein auf Fakten beruhende, vollkommen wertungsfreie historische Feststellung, die nichts mit einer Identifizierung mit dem Nazi-Regime zu tun hat und auch nicht bedeutet, dass man diese Niederlage bedauert. Zum anderen ist es ja überhaupt kein Widerspruch, wenn man feststellt, dass die militärische Niederlage zugleich faktisch die Befreiung vom Nazi-Regime bedeutete und als solche natürlich auch begrüsst und gefeiert werden durfte und darf bzw. muss. Aber das primäre Kriegsziel der Alliierten war nun einmal nicht die Befreiung Deutschlands von jenem Regime und ein Großteil der deutschen Bevölkerung dürfte sich im Lauf des Krieges auch nicht als Verbündete der Alliierten gegen Hitler & Co. gesehen haben, auch wenn man sich danach dazu stilisiert hat. Für mich wird bei dieser Frage Ursache und Wirkung verwechselt und die primäre Motivation dafür (gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit) war der Wunsch, sich moralisch reinzuwaschen.
Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #860Ironischerweise führte die Befreiung zur Gründung der DDR, was auch wieder eine Diktatur war, wenn auch im Vergleich zur Naziherrschaft eine geradezu lächerliche
Ist nur ein kleiner Nebenaspekt und ich weiß, wie es gemeint ist, aber als "lächerlich" empfanden die Angehörige von Mauertoten, die Opfer von staatlicher Spitzelei und Disziplinierung oder politische Gefangene die DDR vermutlich nicht. Ist vermutlich grundsätzlich fragwürdig, Diktaturen und Regime nach dem Grad ihrer Schrecklichkeit zu sortieren, wobei sich der angerichtete Schaden in Menschenleben natürlich schon messen lässt.
Zitat von Lumich im Beitrag #865 Von einer Niederlage kann man tatsächlich nur sprechen, wenn man sich mit dem besiegten faschistischen Regime identifiziert. Für alle anderen ist das Ende dieses Regimes kein Verlust, sondern ein Gewinn, bzw. eine Befreiung.
Ich fürchte, da reden wir aneinander vorbei. Zum einen hat das Deutsche Reich nun mal den Krieg verloren und deshalb bedingungslos kapituliert. Das ist eine rein auf Fakten beruhende, vollkommen wertungsfreie historische Feststellung, die nichts mit einer Identifizierung mit dem Nazi-Regime zu tun hat und auch nicht bedeutet, dass man diese Niederlage bedauert. Zum anderen ist es ja überhaupt kein Widerspruch, wenn man feststellt, dass die militärische Niederlage zugleich faktisch die Befreiung vom Nazi-Regime bedeutete und als solche natürlich auch begrüsst und gefeiert werden durfte und darf bzw. muss. Aber das primäre Kriegsziel der Alliierten war nun einmal nicht die Befreiung Deutschlands von jenem Regime und ein Großteil der deutschen Bevölkerung dürfte sich im Lauf des Krieges auch nicht als Verbündete der Alliierten gegen Hitler & Co. gesehen haben, auch wenn man sich danach dazu stilisiert hat. Für mich wird bei dieser Frage Ursache und Wirkung verwechselt und die primäre Motivation dafür (gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit) war der Wunsch, sich moralisch reinzuwaschen.
Wir mögen zwar nicht so weit entfernt voneinander sein in unseren jeweiligen Argumentationen, was ja erstmal erfreulich ist, jedoch möchte ich nochmal auf den Kontext verweisen. Denn Frau Weidel sprach nicht nur von einer Niederlage, anstatt einer Befreiung, sie begründete ihr Fernbleiben von einer dezidierten Veranstaltung damit, dass es sich bei dem, was hier „Befreiung“ genannt wird, in Wirklichkeit um eine Niederlage handelt. Und so kann man tatsächlich nur argumentieren, wenn man sich mit dem besiegten Regime identifiziert.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Ist nur ein kleiner Nebenaspekt und ich weiß, wie es gemeint ist, aber als "lächerlich" empfanden die Angehörige von Mauertoten, die Opfer von staatlicher Spitzelei und Disziplinierung oder politische Gefangene die DDR vermutlich nicht.
Natürlich ist es für direkt Betroffene immer schlimm, und ich heiße die Verbrechen der SED - Diktatur auch nicht gut ... wobei die mit ehemaligen NS - Verbrechern doch erfreulich konsequent aufgeräumt haben, im Gegensatz zum Westen.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Ich setze mich lieber mit jemandem an den Tisch, der die Niederlage feiert, als mit jemandem, der der Befreiung ambivalent gegenübersteht. Ich verstehe die Debatte über den Begriff, das Problem sehe ich aber in der Weigerung, das wie auch immer zu benennende historische Faktum zu feiern.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."