Der Weg über das Zivilrecht hätte Erdogan ja ohnehin offengestanden. Ich habe das auch so verstanden, dass die Bundesregierung die Anwendung dieses Staatsoberhauptparagraphen ganz unabhängig von der juristischen Bewertung - die eben Sache der Richter ist, sofern sie zum Zuge kommen - durch ein Veto blockieren kann. Wenn ich das richtig verstehe, gibt es jetzt also zwei Verfahren. Eines hätte doch wirklich gereicht.
Das ist richtig, bezogen auf Erdogan. Aber wenn er den Paragraph zieht, ist der Normalzustand wohl, dass die BR das durchwinkt - außer, es droht diplomatischer Ärger (hier ja eher, wenn sie das nicht täte). Aber es tun jetzt viele, als könne die BR entscheiden, ob das nun Kunstfreiheit ist oder nicht. Dafür sind ja dann die Gerichte d.
Ich wollte gerade schreiben: "Grundsätzlich ist es natürlich vernünftig, als Bundesregierung in dieser Sache jetzt einen Schritt zurück zu treten und zu sagen: Die Entscheidung sollte nicht politisch, sondern juristisch gefällt werden. Also lasst die Gerichte ran." Dann habe ich noch einmal ein bisschen gegoogelt und diesen, wie ich finde, interessanten Text gefunden: http://verfassungsblog.de/erlaubte-schma...an-boehmermann/
ZitatBei der Erteilung dieser Ermächtigung ist die Bundesregierung allerdings nicht völlig frei. Das Strafrecht bildet insoweit lediglich die Folie für die dahinter liegende verfassungsrechtliche Problematik, die das Verhalten der Beteiligten – und damit zunächst dasjenige der Bundesregierung – zu leiten hat. Danach dürfte es zwar zulässig sein, wenn die Bundesregierung ihre Ermächtigung verweigert, obwohl sie das Verhalten für strafbar hält. Hier liegt es also in ihrem politischen Ermessen, wie sie in einem solchen Fall verfährt. Wohl unzulässig wäre es aber, die Ermächtigung zu erteilen, obwohl das zu Grunde liegende Verhalten verfassungsrechtlich als von der Meinungsfreiheit gedeckt und damit zugleich als notwendig straffrei anzusehen wäre. Entscheidend ist damit also auch hier zunächst, inwieweit das Vorgehen Böhmermanns als (noch) von der Meinungsfreiheit gedeckt angesehen werden kann.
Der Autor erklärt dann noch eine Weile, warum Böhmermanns Äußerungen verfassungsrechtlich gedeckt seien und kommt zum Schluss:
ZitatIm Ergebnis ist das Verhalten Böhmermanns damit von der Meinungsfreiheit gedeckt. Er hat sich in ausreichender Form vom Inhalt der dargestellten (fiktiven) Schmähkritik distanziert, sie nicht völlig anlasslos präsentiert und diese zudem in einen edukatorischen Gesamtkontext gestellt, so dass dieser ausnahmsweise ein ausreichender sachlicher Bezug zukam. Über das Niveau mag man sich streiten, verfassungsrechtlich ändert sich dadurch nichts. Die Bundesregierung ist daher verfassungsrechtlich gehalten, die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu verweigern. Der Umstand, dass die Bundeskanzlerin in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten von einer „bewusst verletzenden Äußerung“ Böhmermanns gesprochen hat, führt zu keiner anderen Bewertung. Angela Merkel dürfte mit dieser wenig glücklichen Aussage die Hoffnung verbunden haben, dass der türkische Präsident von einem Strafantrag letztlich absieht. Erreicht hat sie möglicherweise genau das Gegenteil. Nachdem sich diese politische Hoffnung jedenfalls zerschlagen hat, übernimmt jetzt wieder das Verfassungsrecht. Wie Angela Merkel persönlich über das Verhalten Böhmermanns denken mag, spielt dabei keine Rolle. In ihrer Funktion als Bundeskanzlerin ist sie Adressat der Grundrechte, nicht deren Träger. Und diese hat sie nun zu schützen.
Das klingt erst mal alles schlüssig für mich und man könnte direkt zum Schluss kommen: "Sie hätte nein sagen müssen." Das eigentliche Problem scheint dann aber wohl zu sein, dass der entsprechende Paragraph der Bundesregierung eine verfassungsrechtliche Entscheidung auferlegt. Und das scheint in dieser Sache ja nun gerade nicht gewollt zu sein, dass die Regierung selbst hier quasi ein Urteil fällen muss, ob Böhmermanns Nummer verfassungsrechtlich gedeckt ist. Insofern ist das weiterreichen an die Gerichte vielleicht doch nachvollziehbar. Und in dem Zusammenhang auch verständlich, dass sie im gleichen Atemzug den Paragraphen loswerden wollen.
... wenn der paragraph hinterher tatsächlich abgeschafft würde, aber um so inkonsequenter.
wobei, so weit ich das verstanden habe, die spd die treibende kraft für die abschaffung ist. wenn es dann aber mit hilfe der cdu tatsächlich passiert, müssten sie sich schon die frage gefallen lassen, was das für ein herumgeiere ist.
Das typische Herumgeiere der Diplomatie bzw des Abwägens zwischen Vor- und Nachteilen dieser oder jener Entscheidung. An dieser "Ermächtigung" war ja bemerkenswerterweise nicht nur das Kanzleramt und das Justizministerium, sondern auch das Außenministerium beteiligt, und Merkel hat in ihrer Begründung ja das Verhältnis zur Türkei besonders hervorgehoben.
“Troubled times, kids, we got no time for comedy.” (Phife Dawg)
Wie ist denn bei anderen Gesetzesbrüchen der gängige Vorgang? Ist es normal, dass man plant, ein Gesetz abzuschaffen und deshalb den schon passierten Gesetzesbruch, der deutlich vor der Abschaffung steht, einfach nicht mehr vor Gericht gehen lässt?
keine ahnung, ich kann es mir nicht vorstellen. aber bei den meisten gesetzen gibt es ja nicht diesen ermessensspielraum wie bei diesem paragraphen. wenn ich also vor hätte, ein gesetz abzuschaffen und diesen ermessensspielraum hätte, warum bringe ich es dann noch ein letztes mal zu anwendung?
Zitat von Reverend im Beitrag #365Das typische Herumgeiere der Diplomatie bzw des Abwägens zwischen Vor- und Nachteilen dieser oder jener Entscheidung. An dieser "Ermächtigung" war ja bemerkenswerterweise nicht nur das Kanzleramt und das Justizministerium, sondern auch das Außenministerium beteiligt, und Merkel hat in ihrer Begründung ja das Verhältnis zur Türkei besonders hervorgehoben.
Die Bundesregierung ist zur Abwägung der diplomatischen Folgen beteiligt (ob man das für sinnvoll hält oder nicht), warum ist da die Beteiligung des Aussenministeriums bemerkenswert?
Mit "bemerkenswert" meinte ich, dass die Beteiligung Steinmeiers noch mehr unterstreicht, wie sehr die Bundesregierung hier auf die Außenpolitik konzentriert ist.
“Troubled times, kids, we got no time for comedy.” (Phife Dawg)
Wenn ich das weiter recht verstehe ist sie aber nur wegen der außenpolitischen Fragen involviert (und prüft dabei noch die generelle Zulässigkeit, daher auch Justiz).
Ist ja im Grunde aber kein Wunder. Und auch keine Überraschung, dass man in dem Fall "ja" sagt, aus diplomatischer Sicht. Damit ist Böhmermann ja noch nicht den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Aber ja, man kann das als Arschkriecherei sehen, wenn man will. Oder als vernünftigen diplomatischen Schritt, der auch wehtut. Wenn man glaubt, auf einen Partner Türkei angewiesen zu sein, dann kann man ihm eben nicht zu viel vor den Latz knallen. Ob man auf die Türkei mit Erdogan angewiesen ist, ist dann eine andere Frage, die ich ehrlich gesagt nicht zu beantworten weiß.
der fall wird interessant. insofern freue ich mich, dass die gerichte sich damit befassen. die regierung steht mal wieder unsouverän da. keine ahnung, ob böhmermann sich derzeit darüber freuen kann.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Die Tatsache, dass er eine Unterlassungserklärung hätte abgeben und damit viel Ärger hätte abwenden können, das aber abgelehnt hat und zu seinem Gedicht steht, lässt mich vermuten, dass er geplant hatte, es auf einen Prozess ankommen zu lassen.
den "arschkriecher" hab ich hier so aus dem ersten impuls reingehackt, bringt aber insgesamt meinen ärger über den umgang mit erdogan (und sonstigen despoten, die einem politisch gerade ganz gut in den kram passen) zum ausdruck.