Los geht's mit Margaret Killjoy, einer anarchistischen trans Frau aus den USA, die dort - zumindest zeitweise - in einem Tiny House im Wald lebt. Von ihr durfte ich zwei sehr coole Kurzromane übersetzen, die mit wenig Blut, aber viel Mystik und Spannung aufwarten. Das Lamm wird den Löwen verschlingen handelt von Danielles Suche nach dem Grund für den Selbstmord ihres Freundes, die sie nach "Freedom" führt, eine Art Hippie-Kommune, die allerdings düstere Geheimnisse birgt. Zum Beispiel den mystischen Beschützer, den die Bewohner*innen regelmäßig beschwören: Ein blutroter Hirsch, der sich plötzlich gegen seine Schützlinge wendet. Das Ritual des Barrow ist die lockere Fortsetzung dazu. Danielle und ihre Freunde reisen in eine Stadt, in der sich eine okkulte Bibliothek befinden soll. Doch kaum angekommen, erfahren sie, dass hier die Toten wieder zum Leben erwachen. Viel mehr sei gar nicht gesagt, ich will ja nicht schon wieder aus Versehen spoilern. Beide Bücher sind meines Erachtens wirklich gut und spielen in interessanten Settings. Wer mal erleben will, wie man quasi nebenbei trans und nichtbinäre Personen in der Literatur darstellt, dem seien sie sehr empfohlen.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
Noch eine Frau für den Women in Horror Month: Nicole Siemer Im Emsland kann man sich auch gruseln, das beweist Nicole immer wieder. Ob Dämonen-Roman (Akuma), Psycho-Horror (Es frisst), Tier-Rächer-Thriller mit unheimlichen Elementen (Totentier) oder Thriller (Ich lüge, bis du stirbst und Du lügst, du stirbst; beide unter dem Pseudonym Gillian Hobbs), sie beschäftigt sich mit vielen Genres. Mir gefällt, wie sie es immer wieder schafft, schnell und quasi nebenbei Atmosphäre zu schaffen. Es mag keine gigantische Kunst sein, was sie schreibt, aber solide, spannende Unterhaltung ist es allemal.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
Noch eine Frau für den Women in Horror Month, die ich extrem beeindruckend finde: Faye Hell Die Österreicherin schreibt klassischen Horror in teils poetischer, teils sehr derber Sprache. Eine Mischung, die meines Erachtens prima funktioniert. Dass sie Filmhistorikerin, Lehrerin, Reisende und allgemein an so ziemlich allem interessiert ist, merkt man ihren Geschichten immer wieder an - die Frau hat eine breite Bildung, ohne arrogant-verkünstelt daherzukommen. Meines Erachtens eine Leseempfehlung für jeden, der mit dem einen oder anderen blutigen Schock umgehen kann. (Aaaaaber niemals übertrieben! Sie ist weit, weit weg von dem Splatter-Kram, den ich beispielsweise übersetze!)
You all want the whole world to be changed so you will be different.
Habe mal im Laden in Cinema Speculation von Tarantino reingelesen, weil es gute Kritiken bekommen hat. Ergebnis: geht gar nicht. Ein unfaßbar nerviger Schreibstil. Er fängt mit fast jedem Satz einen neuen Absatz an. Gefühlt. Und das geht einem recht rasant auf die Nüsse. Aber so kann man auch Seiten vollkriegen, oder, Quentin?
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Momentan bricht gerade ein Shitstorm über "Tauben im Gras" von Wolfgang Koeppen herein, weil in dem Buch so oft das N - Wort vorkommt, wenn ein schwarzer G.I. im Nachkriegsmünchen geschildert wird. Dazu sah ich ein tränenreiches Interview mit einer dunkelhäutigen Deutschlehrerin, die meinte, sie hätte sich durch die Lektüre erniedrigt gefühlt und das sei der schlimmste Tag ihres Lebens gewesen. Klar ist, daß das N - Wort heute gar nicht mehr geht; aber das Buch ist von fuckin' 1951. 1951! Damals war das leider die gängige Bezeichnung für dunkelhäutige Menschen, ohne daß sie abwertend gemeint gewesen wäre. Das Buch deswegen als rassistisch zu diffamieren und indirekt zu seiner Ächtung aufzurufen, ist infam. Und bei einer Deutschlehrerin würde ich auch erwarten, Literatur in einen zeitlichen Kontext einordnen zu können.
Die allgemeine Diskussion ist noch lange nicht zuende, und mich regt das gerade furchtbar auf. Nicht, weil sich dunkelhäutige Menschen vom N - Wort beleidigt fühlen, sondern weil man völlig undifferenziert alles über einen Kamm schert. Noch dazu wird von für den Lehrplan verantwortlichen damit argumentiert, das Buch soll Grundlage einer "Rassismusdiskussion" sein; es wird also von vornherein wohlmeinend als rassistisch eingestuft. Komischerweise hab ich davon bei der Lektüre nichts gemerkt; Reich - Ranicki hat es ja sogar kanonisiert, der alte Rassenkrieger.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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Den ersten Teil sehe ich wie du, eine Deutschlehrerin sollte in der Lage sein, ein Werk vor dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte und -epoche zu betrachten. Und wenn jemand 1951 „Neger“ schrieb, ist das mE anders zu bewerten, als wenn jemand das 2023 tut. Genau deshalb sehe ich den zweiten Teil komplett anders als du: Sowas eignet sich hervorragend für eine Rassismusdiskussion. Was ist Rassismus? In welchen Formen kommt er vor? Gibt es einen qualitativen Unterschied zwischen ideologischem Rassismus, Alltagsrassismus und rassistischem Sprachgebrauch? Wie sehr können oder wollen wir ein historisches literarisches Werk im Kontext seiner Entstehungsumstände lesen? Wie sehr können oder wollen wir ein historisches literarisches Werk losgelöst von seinen Entstehungsumständen lesen? Dafür eignet sich Koeppen, der sich zentral an der engen, spießigen, nazidurchsetzten Früh-BRD abgearbeitet hat, jetzt aber seinerseits als Produkt seiner Zeit an den Pranger gestellt wird, bestens.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
Natürlich bietet das Buch Kritikpunke: den G.I. mit dem in doppelter Hinsicht unfaßbar dämlichen Namen "Odysseus Cotton" auszustatten, gehört mit Sicherheit dazu. Der von mir durchaus geschätzte Klaus Harpprecht hat Koeppen auch in seiner Autobiographie "Schräges Licht" komplett demontiert, zusammengefaßt als prätentiösen Plagiator von beschränktem Talent.
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(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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Von Klaus Harpprecht habe ich noch nie irgendwas gelesen, der Wikipediaartikel lässt aber ein interessantes Leben durchklingen. Würdest du die Autobiographie als Erstkontakt empfehlen?
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
Ja. Habe in einem alten SPIEGEL einen Artikel darüber gelesen und sie umgehend bestellt; vorher kannte ich den auch nicht, und was anderes habe ich von ihm nicht. Mehr braucht man nicht unbedingt; das ist (mit einer jüdischen ehemaligen KZ - Gefangenen als Ehefrau) ein interessanter (und manchmal erfrischend bösartiger) Blick auf die Bonner Republik. Harpprecht starb leider kurz danach, aber durchaus in biblischem Alter.
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(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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