Ich habe das Gefühl, als ginge es vor allem um den gefürchteten, graduellen Souveränitätsverlust zu Gunsten der Großkonzerne. Dass diese absolute Souveränität aber schon lange in der Form nicht mehr existiert (weil man sich gezielt entschieden hat, sie für andere Ziele aufzugeben), scheint dabei wenig Thema zu sein. Mir war das so auch gar nicht bewusst.
Und dass diese Verhandlungen so geheimnistuerisch geführt werden, hilft wohl auch nicht dabei, Ängste abzubauen, sondern wirkt wie eine groß angelegte Bürgerverarsche. Auch das hat mich lange geärgert, aber auch hier scheint die fehlende Öffentlichkeit ja soo unnormal wie oft beschrieben auch nicht zu sein (andere Verhandlungen dieser Art werden wohl auch nicht öffentlich gemacht, wenn ich richtig informiert bin).
Am Ende läuft es wohl darauf hinaus, ob man der europäischen Regierung zutraut, in Fragen von Konzern- und Bürger-Interessen im besten Interesse ihrer Bürger zu entscheiden. Und da mangelt es wohl deutlich an Vertrauen (und vielleicht nicht ganz zu Unrecht, wenn man sich die Privatisierungsdebatte zum Wasser ansieht).
Da hast Du recht in allem. Solche Verhandlungen werden ja selten öffentlich geführt. Die Debatte am Schluss und die Abstimmung schon. Ist eher ein allgemeiner Vertrauensverlust.
Ich denke, es geht da auch eher um Konzerne wie etwa Philip Morris bei den Tabakgesetzen in Australien oder Vattenfall beim hiesigen Atomausstieg. Per Schiedsverfahren können/könnten diese Konzerne eben hohe Entschädigungen einfordern (Investorenschutz) und so auch Druck auf vorausgehende politische Entscheidungen ausüben. Die Bundesregierung selbst sieht aktuell aber keinen Bedarf mehr für derartige Regelungen mit den USA, da man national jeweils schon genügend Rechtsschutz bieten würde…
Nun sind wahrscheinlich die meisten von uns gegen Atomkraft. Aber Vattenfall zeigt doch, warum eine neutrale Instanz auch sinnvoll sein kann. Investitionsschubs heißt ja, dass nachträglich nicht die Spielregeln geändert werden.
In dem von dir verlinkten Papier findet sich aber gleich hinter dem von dir paraphrasierten Teil auf S. 41 eine Erklärung, warum das wahrscheinlich trotzdem Teil des Abkommens wird:
ZitatAllerdings sind die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten und die USA für die Aufnahme von Investitionsschutzbestimmungen in TTIP. Viele EU-Mitgliedstaaten sehen in TTIP auch eine Chance, ihre bilateralen Investitionsschutzverträge mit den USA durch ein modernes und rechtsstaatlicheres Regime zu ersetzen. Für die USA geht es darum, in allen EU-Staaten einen hinreichenden Schutz für ihre Investitionen zu erhalten.
Es geht eben nicht nur um einen bilateralen Handelsvertrag, sondern um ein Abkommen mit vielen unterschiedlichen Ländern.
Und es ist ja nicht so, als wäre Deutschland grundsätzlich gegen solche Schutzverträge und würde sich nur von der Supermacht USA breitschlagen lassen. Gleich auf S. 43 heißt es ja dann:
ZitatDeutschland hat schon mit rund 130 Staaten Investitionsförderungs- und -schutzverträge abgeschlossen, überwiegend mit Schwellen- und Entwicklungsländern.
Um es mal polemisch auszudrücken: Wenn Deutschland im Ausland Schutz für seine Investoren durchsetzt ist das ok, wenn gleiche Regeln aber auch für Investitionen aus den USA gelten sollen, wird es ein Problem.
Und ich stimme zu, Fälle wie die Tabakindustrie, die Staaten wie Uruguay verklagt, finde ich moralisch verwerflich, weil es ganz klar um die Abwendung von Gesetzen gegen für Menschen schädliche Dinge geht. Ob das rechtlich gesehen aber relevant ist, wenn da ein Staat bestimmte Verträge mit langer Laufzeit geschlossen hat, ist die Frage. Dann ist das eigentlich Verwerfliche nicht das Schiedsgerichtsverfahren, sondern der ursprüngliche Vertrag, auf dem es fußt.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #179Das halte ich für pure Propaganda.
Das darfst du halten wie du willst. Mir hat bisher noch niemand irgendwelche Vorteile zeigen können. Bis auf "die Konzerne" vielleicht, was dann allerdings kein Vorteil für "die Menschen" bedeutet.
Sehe ich ähnlich. Investitionsschutz bedeutet in dem Fall Schutz der Anleger. Und zwar am Ende auf Kosten der Allgemeinheit. Hier wird ein weiteres Konstrukt geschaffen, das nur denen nützt, die eh schon viel haben. Unternehmerisches Risiko soll auf alle verteilt werden, von den Gewinnen profitieren nur wenige.
http://www.last.fm/de/user/DerWaechter ehemaliger Influencer * Downtown * Radebrecht * "Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen." (Ronja von Rönne) “The sex and drugs have gone and now it’s just the rock ‘n’ roll” (Shaun Ryder)
Es geht doch aber nicht darum, irgendwelche Gewinne zu garantieren und im Falle von Misserfolgen die Allgemeinheit dafür geradestehen zu lassen (was ich als normales unternehmerisches Risiko verstehen würde). Was so ein Investorenschutz bewirken soll ist doch, dass in dem Fall, dass ein Vertrag über Investitionen geschlossen wird, und dieser Vertrag dann einseitig aus politischen Gründen von einem Staat verletzt wird, für den Investor eine Instanz besteht, vor der gegen diesen Vertragsbruch vorgegangen werden kann.
Das mag erst mal klingen, als führe die Industrie den Staat an der Leine. Man kann das aber auch so sehen: Wenn dir jemand sagt, du könntest auf seinem Stück Land für einen gewissen Pachtbetrag ein Haus bauen und dort 20 Jahre leben, du dann für viel Geld ein Haus baust und nach drei Jahren der Besitzer des Grundstücks entscheidet, dass er dich da doch nicht mehr wohnen haben will (und im Extremfall sogar dein Haus abreißt), dann wünscht du dir doch auch eine rechtliche Instanz, die deinem Grundstücksbesitzer klar macht, dass er dich dafür entschädigen muss, oder?
Zitat von Johnny Ryall im Beitrag #201 Sehe ich ähnlich. Investitionsschutz bedeutet in dem Fall Schutz der Anleger. Und zwar am Ende auf Kosten der Allgemeinheit. Hier wird ein weiteres Konstrukt geschaffen, das nur denen nützt, die eh schon viel haben. Unternehmerisches Risiko soll auf alle verteilt werden, von den Gewinnen profitieren nur wenige.
ich finde diese pauschalisierung immer wieder problematisch. mag sein, dass die unternehmerischen gewinne nur den anlegern zugute kommen; das ist im kleinen wie im großen bestandteil auch des unternehmerischen risikos (und damit für mich auch nicht per se verwerflich). dass aber länder und regionen großes interesse daran haben, dass sich gewerbe und industrie bei ihnen ansiedeln, weil das nämlich strukturell zumeist allen direkt oder indirekt zugute kommt, wird mir bei dieser argumentation zu oft unterschlagen. ich fühle mich ein bisschen an die impfdiskussion erinnert, wo in den augen mancher die gelegentlichen schädlichen nebenwirkungen den eigentlichen nutzen vollkommen überdecken.
@Quork: Das kann aber auch heißen, wenn ein Staat die Umweltgesetze verschärft, können Unternehmen dagegen klagen. Auch gegen ein Verbot von genmanipulierten Nahrungsmitteln, oder wenn US-Unternehmen sich irgendwie "diskriminiert" fühlen.
M.E. muss ein Staat das ultimative Recht haben, solche politischen Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen, das müssen Unternehmen halt zähneknirschend hinnehmen. Bei EU-Staaten ist ja nicht anzunehmen, dass das in wilde Willkür ausartet.
Ein großes Problem liegt ja auch darin, dass es sich um private, geheim tagende Schiedsgerichte handeln soll, gegen deren Spruch keine Klage vor einem ordentlichen Gericht möglich ist. Eine Paralleljustiz sozusagen, was Tür und Tor für Manipulationen öffnet.
Ich finde auch, dass solche Verhandlungen nicht unbedingt geheim stattfinden sollten, in den letzten zehn Jahren sind allerdings auch schon einige dieser Institutionen dazu übergegangen, schriftliche Entscheidungen zu veröffentlichen.
Es ist ja auch in der Regel nicht so, dass da einfach irgendwelche Richter sitzen, die niemand kennt. Zumindest bei dem Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, das ja scheinbar als Vorbild (oder sogar Plattform?) der Gerichte unter TTIP fungieren soll, wird so ein Tribunal zu gleichen Teilen aus Vorschlägen beider Konfliktpartner zusammengesetzt, plus einer weiteren Person, auf die sich beide Parteien einigen können. Und es gibt da feste Regeln, um die Unabhängigkeit der Schiedsrichter abzusichern, die zumindest nach dem, was ich bisher gelesen habe, in der Vergangenheit ganz gut funktioniert haben.
Emotional würde ich genau so denken, dass Staaten dieses "ultimative Recht" haben sollten, Gesetze im eigenen Staatsgebiet frei zu schaffen und zu ändern. Logisch betrachtet muss man sich dann aber fragen, wo das ultimative Recht anfängt, und wo eine Situation anfängt, in der jeder ausländische Investor von heute auf morgen all seine Investitionen verlieren kann, wenn es dem Staat gerade so passt.
Zitat von Johnny Ryall im Beitrag #201 Sehe ich ähnlich. Investitionsschutz bedeutet in dem Fall Schutz der Anleger. Und zwar am Ende auf Kosten der Allgemeinheit. Hier wird ein weiteres Konstrukt geschaffen, das nur denen nützt, die eh schon viel haben. Unternehmerisches Risiko soll auf alle verteilt werden, von den Gewinnen profitieren nur wenige.
ich finde diese pauschalisierung immer wieder problematisch. mag sein, dass die unternehmerischen gewinne nur den anlegern zugute kommen; das ist im kleinen wie im großen bestandteil auch des unternehmerischen risikos (und damit für mich auch nicht per se verwerflich). dass aber länder und regionen großes interesse daran haben, dass sich gewerbe und industrie bei ihnen ansiedeln, weil das nämlich strukturell zumeist allen direkt oder indirekt zugute kommt, wird mir bei dieser argumentation zu oft unterschlagen. ich fühle mich ein bisschen an die impfdiskussion erinnert, wo in den augen mancher die gelegentlichen schädlichen nebenwirkungen den eigentlichen nutzen vollkommen überdecken.
Naja, ich hoffe mal nicht, dass ich wie ein Impfgegner argumentiere. Ich habe einen Aspekt aufgegriffen, der mir aufgefallen ist. Zu einer Diskussion gehört, dass alle Argumente vorgebracht werden. Und was die Regionen und das Profitieren von Unternehmen angeht, das war einmal. Heute zahlen die Unternehmen quasi keine Steuern mehr, nutzen aber die Infrastruktur, wofür sie auch nichts bezahlen. Und die Lohnkosten drücken sie wo es nur geht, so dass die Bevölkerung letztlich auch nichts davon hat.
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Zitat von Quork im Beitrag #205Emotional würde ich genau so denken, dass Staaten dieses "ultimative Recht" haben sollten, Gesetze im eigenen Staatsgebiet frei zu schaffen und zu ändern. Logisch betrachtet muss man sich dann aber fragen, wo das ultimative Recht anfängt, und wo eine Situation anfängt, in der jeder ausländische Investor von heute auf morgen all seine Investitionen verlieren kann, wenn es dem Staat gerade so passt.
Staaten haben ein Interesse an Investitionen, insofern werden sie dieses Recht nicht überstrapazieren (es sei denn, ein radikales Regime übernimmt das Ruder, aber das dürfte sich um irgendwelche Hobelspäne ohnehin nicht scheren). Grundsatzentscheidungen wie ein Atomausstieg oder ein Verbot von genmanipulierten Pflanzen müssen aber möglich sein, auch wenn Großkonzerne ihre Marktchancen beschnitten sehen.
Im Übrigen weiß ich jetzt immer noch nicht, wo genau der Zusammenhang zwischen TTIP und VW / FIFA besteht. Glücklicherweise sieht ja nicht mal TTIP vor, das amerikanische Rechtssystem zu übernehmen, nach dem VW jetzt Strafzahlungen in irrsinniger Höhe drohen, die sogar existenzbedrohend sein können. Daran können wir nun wirklich kein Interesse haben.
Das trieft ja nur so vor Klischees. Es gibt einige wenige große US-Konzerne, die fast keine Steuern zahlen. Schlimm genug, da wird dran gearbeitet das zu ändern. Lies Dir mal in den Geschäftsberichten durch, wie viele Milliarden die DAX-Konzerne an Steuern zahlen, von den kleinen Firmen vor Ort mal nicht zu reden. Und natürlich haben oft auch die Beschäftigten was davon. Ein Ingenieur bei BMW verdient nun wirklich gut, bei 15 Monatsgehältern. Zudem sind wir aktuell nah an der Vollbeschäftigung. Da ist nicht alles großartig, viele Jobs sind zu schlecht bezahlt, etc pp. Aber hier herrscht nicht massenhaft Verelendung. Bei Siemens halten übrigens Mitarbeiter fünf Prozent der Aktien.
Zu Klischees können ja nur Dinge werden, die tatsächlich existieren. Siemens gibt die Aktien als Prämie aus. Machen auch einige andere Firmen. Schön und gut. Auch hier gilt das Prinzip, dass die, die eh schon viel haben, noch mehr bekommen. Und das ändert nichts daran, dass immer weniger Menschen die Arbeit in den Firmen machen. Bereiche werden ausgegliedert oder gleich ganz verkauft, Arbeit ist ein Kostenfaktor und die Menschen dahinter interessieren nicht. Das ist eine Erfahrung, die ich gemacht habe. Und dann machen die Firmen Hunderte von Millionen Gewinne nach Steuern (noch ein Klischee, ich weiß). Da ist also noch Luft für ein Engagement zugunsten der Allgemeinheit. Wir haben hier mehrere große Konzerne in der Umgebung, die alle eine Menge Geld verdienen - mit immer weniger Mitarbeitern - und trotzdem ist die komplette Infrastruktur hier marode. Man kann auch die Augen zumachen und das nicht sehen wollen.
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Jedenfalls sehe ich nicht, dass es Vereinbarungen zwischen den unterschiedlichen Wirtschaftsraum braucht, in denen festgelegt wird, das etwaige Schiedsverfahren jenseits der öffentlichen Gerichtsbarkeit abgehalten werden müssen. Eben weil der Unternehmenszweck aller Konzerne nur der ist, möglichst viel Gewinn zu generieren. Auch wenn es kein Unternehmen so offen sagt.
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