Zitat von gnathonemus im Beitrag #939a propos @Lumich : wie war's denn in berlin?
Tja, grandios!
Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich über die letzten Jahre ein wenig entfremdet hatte, was Amanda Palmer angeht. Ihr letztes Album hab ich noch immer nicht gehört. Das Drama, zusammen mit der Überlänge haben mich irgendwie abgeschreckt. Ich war mir auch nicht sicher, ob der Abend nicht in peinlich berührendem Seelenstriptease enden würde. Die Grenze dazu hat AP in den letzten Jahren hin und wieder schon angekratzt.
Die Sorgen waren zum Glück unbegründet, so persönlich wie es dann auch war. Auf eine Sache kann man sich bei Amanda Palmer immer verlassen, nämlich auf ihre Qualitäten als Performerin. Bei den vielen hundert Konzerten, die ich in meinem Leben schon gesehen habe, gab es nur sehr wenige, die eine Bühnenpräsenz wie sie vorweisen können, und aus sich selbst heraus eine Show auf die Bretter bringen, die einen ganzen Saal in Atem hält. Die Energie von dieser Frau ist einfach nur beeindruckend.
Dabei war diesmal herzlich wenig Musik im Spiel - gerade einmal 10 Stücke in 3 Stunden. Es gab auch zum ersten Mal kein Vorprogramm. Das Zeitfenster war derartig eng, dass die Show bereits pünktlich um 18:45 Uhr begann. Länger als bis 22 Uhr durfte sie nicht gehen. Inhaltlich ging es viel um Abtreibung, ihren besten Freund seit frühen Jugendtagen, der in etwa zur gleichen Zeit nach langer Krankheit verstarb, in der auch die Geburt ihres Sohnes fiel. Sie erzählte auch über ihr Hadern mit der Mutterrolle und einige Dramen aus ihrem übrigen Leben und ihrer Karriere. Es war wirklich spannend, ihr zuzuhören. Jetzt muss ich mir nur noch das letzte Album anhören.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Tiken Jah Fakoly „Wenn der so weiter macht, geht es uns hier gleich noch an den Kragen“, murmelt mein Konzertbegleiter, während wir auf die vielen Fäuste schauen, die um uns herum kämpferisch gereckt werden. Dabei hat sich der große Mann mit grauem Bart und Rastalocken vor uns auf der Bühne gerade erst richtig in Rage geredet über den Kolonialismus und seine Folgen, Armut, Waffenlieferungen und das in seinen Augen notwendige Aufbäumen der Afrikaner gegen Fremdbestimmung und Unterdrückung. Keine Frage, Tiken Jah Fakoly, Reggae-Urgestein aus der Elfenbeinküste, seit Jahren im inzwischen freiwilligen Exil in Mali, ist in solchen Momenten in seinem Element und das Publikum dankt es ihm immer wieder mit Szenenapplaus und beipflichtenden Rufen. Mutig und kompromisslos in seinen Ansichten ist der Mann, das muss man ihm lassen, was ihn mehr als einmal in seinem Leben zum Hassobjekt regionaler Machthaber sowie von Traditionalisten und Islamisten ("Non a l'excision" gegen Genitalverstümmelung, leider gestern aber nicht gespielt) sowie zur vorübergehenden persona-non-grata in seinem Heimatland und im Senegal gemacht hat. Authentisch führt er den Reggae an diesem Abend für knapp 90 Minuten dorthin zurück, wo er herkommt: In die von Gangkriegen und Unruhen geprägten Ghettos von Kingston, Jamaika der frühen 1960er Jahre, denen man sich hier im unruhigen Herzen Westafrikas näher fühlt als an irgendwelchen Standbars, mit denen dieses Genre leider ja oft assoziiert wird. Nicht nur optisch und in seinen Statements erinnert Fakoly stark an sein großes Vorbild Burning Spear, sondern auch in den meist eher düsteren Roots-Reggae Songs, die er mit seiner präzisen 10-köpfigen Band präsentiert. Statt irgendwelcher Zugeständnisse an den musikalischen Zeitgeist gibt es wie auch auf seinen Studioaufnahmen dezent eingestreute westafrikanische Elemente, die seine Musik neben den überwiegend französischsprachigen Texten auch für so manchen Reggae-Alleskenner interessant machen könnte. Toller Konzertabend! Demnächst ist er übrigens auf kleiner Europatour (Frankreich und Spanien), falls z.B. jemand am 16. November in Strassbourg weilt und noch ein Abendprogramm sucht.
Wie üblich habe ich zum Veranstaltungsort mehr zu sagen als zur Musik: Das Heppel & Ettlich war eigentlich ein 70er-Jahre-Kabarett-Theater, wobei ich im Nachhinein bei Wikipedia gelernt habe, dass es ursprünglich ganz wo anders, in der Kaiserstraße, war und erst 2009 in das ehemalige Belle Etage zog. Jedenfalls, ich war noch nie dort und hätte es auch nie gefunden, wenn ich mir nicht die genaue Adresse, Feilitzschstr. 12, gemerkt hätte, auch so bin ich erst 2x daran vorbei gelaufen. Es ist im ersten Stock über dem früheren Drugstore, das sich heute Hamburgeria nennt. Ich dachte zwar, ich hätte in den 00er-Jahren mal die Lovely Eggs im Heppel & Ettlich gesehen, aber das war definitiv ein anderes Lokal, im Parterre, wenn auch ebenfalls eine ex-Kabarettbühne und in Feilitzschstraße oder Umgebung. Unterton vielleicht? Heppel & Ettlich ist jedenfalls relativ kleiner und nüchterner Raum, der eher nach Wohnung als nach Theater oder Club aussieht.
Eintritt war aus Anlass des 1. Geburtstags des Heppel & Ettlich unter dem jetzigen Management frei. Vorgruppe waren Chinga Ling Twins, ein lokales Duo, bestehend aus einem Elektrofrickler und einem Xylophonisten/Bratschisten. Keine Songstrukturen, kaum Melodien. Eine Viertelstunde lang war es interessant, nach einer halben Stunde begann es zu langweilen, nach einer dreiviertel Stunde extrem zu nerven, aber leider dauerte es über eine Stunde. Die (nicht sonderlich zahlreichen Zuschauer) hielten ihre Unterhaltungen immer angeregter und lauter, was normalerweise verachtungswürdig ist, in diesem Fall war es eher ein Gewinn. Euroteuro kamen 3- satt 5-köpfig: Nijare di Angelo und DJ Kaktus fehlten, blieben Elke aus Wien (Gitarre, manchmal Gesang), Peter T. (Gesang, Computerknöpchendrücken, manchmal Gitarre) und Cash Storm (Keyboard, manchmal Gesang). Ja, lustige Künstlernamen. Und die Hits, zu denen es auch Videos gibt, lassen eine Liebe zu NDW-/Eurodisco-Trash erkennen. Die reduzierter Besetzung stellte sich aber keineswegs als Manko raus: Die Stimmen der abwesenden Damen unterscheiden sich nicht wahnsinnig von denen der anwesenden. Gerade in der ersten Hälfte des Konzerts zeigte die Band auch ihre düsterere Seite, tendenziell waren das eher die Tracks, die das eine männliche Mitglied der Band singt, der in den Videos eher wie ein Sidekick wirkt, live aber eher den Frontman und Conferencier gab (mit der erfrischenden Arroganz, die die Münchner immer an den Wienern und z.B. auch an den Hamburgern bewundern). In Besprechungen zu Euroteuro taucht ja immer das Schlagwort NDW auf, nicht zu unrecht, aber die Einflüsse kommen nicht nur von der Pop- sondern auch von der Underground-Seite der NDW, bzw. auch der nicht-deutschsprachigen 80er-New-Wave. Zeitweise träumte ich, im Madrid des Jahres 1981 gelandet zu sein.
Es war kein normales Konzert für Arabella Rauch aka in der Stadt, in der sie aufgewachsen ist und alles - wirklich alles, wie sie noch einmal betonte - zum ersten Mal erlebt hat. Nach einem Song (ich glaube, es war "Burning (for a New Start)" dankte sie für den Jubel zwischendurch mit den Worten: "Das warst du doch Mama!" Und ganz am Ende kam, als die Lichter schon angingen, kam sie wieder zurück ins Studio 672 und machte Selfies mit ihren Freundinnen. 75 Minuten hat das Konzert gedauert. Natürlich waren alle Songs ihres Debütalbums "In the Blank Space" dabei. Aber auch ein neuer, namenloser, den sie "Cooperate" nennen will und der vor zwei Monaten bei Sessions mit Olafur Arnalds entstanden ist ("Ich weiß gar nicht, ob ich den schon spielen darf, aber ich tu's jetzt einfach"). Man muss sich zunächst ein wenig einlassen auf den Sounds. Gerade die ersten Lieder haben wieder diesen Radiohead-Bezug. Man könnte sogar sagen: Josin bedient sich schamlos einiger Elemente. Da wabern elektronisch verfremdete Stimmsamples wie bei "Everything In Its Right Place", manche spärlich nur mit Piano unterlegte Songs erinnern frappierend an den "Pyramid Song", auch "Daydreaming" hört man immer wieder raus. Auch wie Josin ihre Stimme einsetzt ist sehr nah an dem, was Thom Yorke macht. Aber bevor es dann zur Radiohead-Kopie wird, ist Josin doch sehr sie selbst. Sie erklärt die Beweggründe einiger Songs, etwa das "Feral Thing" ein Lied über unerwiderte Lieben ist - und das sie bei "Midnight Sun", einem ihrer "Oldies", entgegen ihrer üblichen Arbeitsweise zuerst den Text geschrieben hatte. Den "positiven Lovesong" fand eine ihrer Freundinnen beim Probehören dann todtraurig. Überraschend für mich: Ausgerechnet der Titeltrack, der sogar Opener ihres Debütalbums ist, entstand zuletzt. Sie habe sich gequält, weil sie leer gewesen sei, als sie den Song "In the Blank Space" geschrieben hat. Unfassbar, dass meiner Meinung nach ausgerechnet dieser Song der vielleicht beste auf dem Album war. Ganz allein steht sie auf der Bühne. Rechts von ihr ein Notebook, vor ihr ein E-Piano, links von ihr ein Synthesizer, den sie "neuen Freund" nennt und dessen Einstellungen sie noch nicht beherrscht und deshalb von einem Spickzettel abliest. Aber hey, in Köln darf sie alles. Manchmal spielt Josin beides gleichzeitig, einmal (bei "Feral Thing") greift sie zur Gitarre hinter sich, spielt die paar Akkorde und fügt ihrem Sound eine neue Nuance hinzu. Das alles wird mit viel Applaus bedacht. Ihr größtes Plus ist ohnehin ihre Stimme, die man nicht einordnen kann zwischen Mann und Frau, die immer luftig klingt und gleichzeitig kräftig und klar. Bei "Evaporation" ist die Gänsehaut da, wenn sie in die hohen Bereiche vordringt. Kein Wunder übrigens, dass sie mit Isländern arbeitet - Sigur Ros ist nicht weit entfernt. Im Gegensatz zur Gesangsstimme ist Josin ansonsten leise, wenn sie sich bedankt, wenn sie ansagt. Überhaupt ist es ein beinahe hypnotisches Konzert. Nur einmal bricht es aus ihr raus, sie tanzt minutenlang zu dicken Beats aus dem Club. Es ist fantastisch.
Die letzten Sechs in der Playlist: Honeyglaze - Real Deal || Laura Marling - Patterns In Repeat || Nieve Ella - Watch It Ache and Bleed || Dawn Richard & Spencer Zahn - Quiet In a World Full of Noise || Flip Top Head - Up Like a Weather Balloon || Haley Heyndericks - Seed of a Seed
king gizzard and the wizard lizard, knorkatorhalle berlin
knallvoll wars in der zur zeit nicht columbiahalle heißenden columbiahalle, als nach den wirklich guten, aber leider kaum enden wollenden supportacts stonefield (komplett weiblich besetzter, krautig-schwerfälliger dronerock) und ORB (komplett männlich besetzter, krautig-schwerfälliger dronerock) um kurz vor zehn endlich die sieben durchgeknallten zauberechsen auf die bühne stürmten. und um alles mit wenig worten zu sagen: mächtig gewaltig wars; leider war ich ob angegriffener gesundheit und angesichts anderntagigen fortflugs (diese worte schreibe ich auf gate 44) dem gewühl und gehüpf nicht mehr gewachsen, und musste vorzeitig (und mit ein paar tränen im knopfloch) die segel streichen. immerhin war ich da, und kann es auch nur jedem anderen anempfehlen, wenn sich ihm die gelegenheit bieten sollte.
ein gesundheitlich besser aufgestellter mit-fan hat ein paar hübsche videos ins netz gestellt, die mir im nachhinein noch mal etwas freudige wehmut bereitet haben.
jo, gestern auch bei king gizzard gewesen, 90 min stromgitarrenmusik in jeder form, auf die fresse. das erste mal hatte ich sie auf einem festival gesehen, da war der wumms etwas dünn, diesmal ging der lärm tief in die gedärme. ihr usp ist im grunde die tatsache virtuoser als alle anderen zu sein, während es einem vorkommt dass sie eigtl einen einstündigen song aus snippets und licks spielen, weil alles so bekannt und ähnlich klingt. sie spielen auf jeder station ihrer welttournee eine völlig andere setlist, scheissen komplett auf “hits & classics“ , und eine zugabe gabs trotz ohrenbetäubender forderung des aufgegeilten publikums keine. grossartig.
Die Halle bis Konzertbeginn erschreckend leer, pünktlich zum Beginn dann doch noch einigermaßen gefüllt. Kurzum, Chromatics live sind eine lohnende Angelegenheit. Die visuelle Ästhetik ihrer Videos und der ganzen Italiansdoitbetter Cover-Artworks wird eindrucksvoll auf die Bühne gebracht. Jede Geste, jeder Videoschnipsel und Lichtfall harmoniert perfekt mit ihrem Vintage-Synthpop. Eigentlich ist das Ganze schon mehr Inszenierung als Konzert, aber sie bringen diese Künstlichkeit immer recht symphatisch und nahbar rüber. Musikalisch war das zudem eine gelungene Best-Of Chromatics, mit dem Cover von "Running Up That Hill" als krönendem Schlusspunkt. Ein recht gelungener Abend, was der ebenso anwesende @gnathonemus sicherlich auch so sieht
Die letzten Sechs in der Playlist: Honeyglaze - Real Deal || Laura Marling - Patterns In Repeat || Nieve Ella - Watch It Ache and Bleed || Dawn Richard & Spencer Zahn - Quiet In a World Full of Noise || Flip Top Head - Up Like a Weather Balloon || Haley Heyndericks - Seed of a Seed
Ja, geht mir allerdings auch so. Hatte 100 km Anreise, was noch ok wäre. Aber mit A9 und bis zur Muffat insgesamt über 2 h nervige Anfahrt. Heimfahrt dann in exakt 60 Minuten. Tja
@der rest: ist natürlich gelogen. sie waren mal wieder großartigst. tight, funky und hits hits hits, wobei sie sich aber auch nicht scheuten, das publikum mal mit ein paar instrumentals herauszufordern, aber da waren alle schon dermaßen angefixt, dass auch da alle mitgingen. originalton joseph mount: "this is a friday audience - on a monday. wouh!" gegen ende des regulären sets "the look" und "love letters" sind so unglaublich gefeiert worden, ich musste mir die ohren zuhalten, um nicht taub zu werden. dann noch die kokette albernheit "sex emoji" und dann wurde ebenfalls ohrenbetäubend die zugabe gefordert. und sie kamen nochmal mit drei tollen stücken - "salty caramel ice cream" als schlusspunkt und haben dann selbst dem publikum fast genauso lang beifall gespendet wie wir selbst. toll, was das für ein spaß war.