Man muss den Veranstaltern schon Respekt zollen für den Mut, ein solches Lineup zuammenzustellen für eine Halle, die locker auf 2000 Leute ausgelegt und sicher auch nicht ganz günstig zu haben ist. Insbesondere wenn man bedenkt, dass sie im letzten Jahr draufzahlen mussten – was sie sich aber auch selbst zuzuschreiben haben: Es ist zwar sicher cool, ESG zu einem einmaligen Comeback-Auftritt extra einfliegen zu lassen, aber eben sicher auch nicht günstig. Und richtig toll war es letztlich musikalisch auch nicht. Auch in diesem Jahr las sich die Besetzung für mich eher wie „interessant“ als „muss ich unbedingt sehen“. Um ehrlich zu sein, ging ich auch wirklich eher hin, weil es da einfach immer sehr nett ist (die Stadthalle Mülheim hat ein sehr warmes 70er Jahre-Schulaula-Flair), man Leute trifft – und eben musikalisch auch durchaus überrascht werden kann. Vorab: Überrascht wurde ich dieses Jahr nicht. Und mein Bericht fällt auch äußerst lückenhaft aus, da ich mir bei weitem nicht alles angesehen habe (Mischung aus Müdigkeit und Desinteresse). Die Vögel hatte ich dieses Jahr (zufällig) schon in einem Club in Tel Aviv gesehen (war super), also brauchte ich am Freitag schon mal nicht bis 3 Uhr durchhalten. Auch Adrian Sherwoods Set musste ich ausfallen lassen. Ebenso Fatimas Konzert am späten Samstagabend.
Los ging’s am Freitag mit Deradoorian: Zwei sehr attraktive Frauen mit Beatbox, Gitarre und Stimme zogen das noch etwas dünne Publikum mit ihrem mal sperrigen, mal melodischen Kunstpop gleich mal vor die Bühne. Ebenso wie die Platte ist das aber wirklich was für Liebhaber und mir auch zu arty. Die wiedervereinigte Pop Group kann ich mir auf Platte auch nicht anhören. Und live war das dann auch entsprechend anstrengend. Wie bei A Certain Ratio im Vorjahr kam es mir auch hier einfach so vor, dass die Legenden einfach heute nicht mehr so spannend zu hören sind wie ganz bestimmt Anfang der 80er. Klar ist: Mit Mark Stewart möchte man keinen Streit. Dass vermutlich 2/3 des Publikums wegen The Notwist angereist waren, belohnten die Weilheimer mit einem ganz großartigen Set. Live sind Notwist eine Bank. Hit an Hit in hypnotischen, krautrockig-elektronisch verlängerten und noisigeren Versionen als auf Platte. Begeistert nach Hause. Die Eröffnung am Samstag durch Jack Name (nie gehört) habe ich verpasst, aber ich war gespannt auf die Aufführung des 1973er Albums »Genclik il elele« von Mustafa Özkent Ve Orkestrası, das ihr Nerds sicher auch jüngst wiederentdeckt habt – mir jedoch bisher völlig fremd war. Ich hätte mir die Platte ja mal vorher anhören können, dann hätte ich gewusst, dass das astreiner 70er Funk ist und sich die türkischen Einflüsse stark in Grenzen halten. Live groovte das dann so vor sich hin, ein Song war nicht vom anderen zu unterscheiden. Man wartete eigentlich immer drauf, dass Carlos Santana die Bühne betritt udn ein irres Solo spielt. Passierte aber nicht, stattdessen saß Mustafa Özkent auf seinem Stuhl und twangte so vor sich hin, stets selig lächelnd. Ja, das war OK, aber es erinnerte eben auch ein bisschen an ESG im letzten Jahr: Gut, haben wir die Legende auf der Bühne gesehen – abgehakt. Billy Childishs Auftritt kann dagegen eindeutig als „Wucht“ bezeichnet werden. Mit sehr viel Witz und Spiellaune trashte er seinen Garagenpunk runter, als dürfte er danach nie wieder eine Gitarre in die Hand nehmen. Er hatte auch viele Fans mitgebracht, denn der Applaus war immens. Moderator Dave Doughman hatte danach einen schweren Stand, ankündigen zu müssen, dass es keine zweite Zugabe geben kann und es stattdessen gleich mit Ariel Pink weitergeht. Ariel Pink habe ich dann live – ähnlich wie auf Platte – genau zwei Songs lang durchgehalten. Nach dem ersten Song forderte er erst mal den fürs Licht zuständigen Kollegen auf, das Stroboskop das gesamte Konzert über laufen zu lassen. Wow, wie originell! Wie Punk! Der Mann ist einfach ein Unsympath, da helfen auch keine Drummer in Cowboyhut, BH und Damenschlüpfer. Und musikalisch bietet der nichts, was z.B. Bobby Conn nicht schon lange viel besser macht.
Fürs nächste Jahr würde ich mir etwas im Programm weniger alte Männer und etwas mehr Funk wünschen, der auch wieder jüngeres Publikum anzieht. So cool es ist, ein Festival mit abseitigen Künstlern zu veranstalten, so groß ist doch immer wieder die Gefahr, Legenden nur wegen ihres Namens zu buchen und sich dann auf einer Retro-Seniorenveranstaltung wiederzufinden. Für 2016 stand wohl Allen Toussaint auf der Wunschliste – daraus wird ja nun leider nichts. Aber wenn es musikalisch in diese Richtung geht, werde ich auch wieder etwas motivierter hingehen (und berichten) als 2015.
“Troubled times, kids, we got no time for comedy.” (Phife Dawg)
Zitat von Reverend im Beitrag #124Week-End Fest #5, 20./21.11.15 Stadthalle Mülheim (Köln)
Dass vermutlich 2/3 des Publikums wegen The Notwist angereist waren, belohnten die Weilheimer mit einem ganz großartigen Set. Live sind Notwist eine Bank. Hit an Hit in hypnotischen, krautrockig-elektronisch verlängerten und noisigeren Versionen als au Platte. Begeistert nach Hause.
Von denen hätte ich aus diesen Gründen wirklich mal gerne ein Live-Album
Einen willkommenen Ausklang nach diesem indielastigen Wochenende boten dann am Sonntagabend Blackalicious, 22.11.15 Club Bahnhof Ehrenfeld (Köln) Die neue Platte ist absolut großartig, und so kickte wirklich jeder Song extrem gut rein, nicht nur die Klassiker. Das CBE war zwar nur zu knapp 2/3 gefüllt, aber am Ende machten auch fast alle mit beim "put your hands in the air" oder "woop woop, somebody squeeze"-Spaß. 1 (auch wahnsinnig gut rappender) DJ und 2 MCs, wie sich's gehört. The Gift Of Gab ist extrem adipös und musste sich zwischendurch auch mal hinsetzen, er hat wohl auch einen Hüftschaden. Trotzdem platzten die Drei vor Spielfreude und Energie. Am Ende gab's ein Selfie mit Publikum und Peace-Zeichen (wegen der "tragic events in Paris"). Ich sag's euch: Liebe und Hip Hop sind die Antwort!
Einer der Höhepunkte war natürlich der Knaller:
“Troubled times, kids, we got no time for comedy.” (Phife Dawg)
Zugegeben, ich war etwas skeptisch, da ich keine sehr guten Erinnerungen an mein letztes Wire-Konzert vor Jahren im überfüllten Blue Shell hatte (nix gesehen, ständig Rumgeschubse und Rempeleien) und auch beim ersten Hören des selbstbetitelten Albums nicht sooo angetan gewesen bin, ABER...
Dieses Mal war alles anders: Nach anfänglichen Soundproblemen hatten die Jungs spätestens mit dem dritten Song das Publikum im gut gefülllten Gebäude (ca. 80% mittelalterliche Herren) auf ihre Seite gebracht und legten ein enorm druckvolles Konzert hin. Dabei bestand die Hälfte der Setlist aus neuen Songs (in wesentlich härteren Versionen) und die altbekannten Hits wurden erst gar nicht gespielt - von den legendären ersten drei Alben Ende der 70er (Edit) gab es gerade mal ne Handvoll Stücke, egal... Der ungefähr 30 Jahre jüngere neue Lead-Gitarrist der Band ist ein spannendes neues Element im Sound und durfte sich auf dem mächtig beeindruckenden Rhythmusteppich der drei Original-Mitglieder austoben... dann später aber den Roadies auch beim Einladen helfen (vielleicht doch kein "richtiges" Mitglied?). Jedenfalls hätte ich mir fast kein geileres letztes Konzert im Gebäude wünschen können, solange ich noch hier lebe - demnächst geht es ja dann in die vergleichsweise Diaspora nach Baden.
Übrigens hätte man für 15.- Euro Aufpreis gegen später noch zum Weekend-Fest gekonnt, The Notwist und Die Vögel gucken... haben wir aber nicht mehr gepackt.
Lieblingsalben zur Zeit: Fyfe - Control / Here We Go Magic - Be small / Iron Maiden - The book of souls Letztes Konzert: Wire / Gebäude 9 Letzter Kinofilm: Er ist wieder da (von David Wnendt)
Zitat von ZeroUno im Beitrag #127von den legendären ersten drei Alben Anfang der 80er gab es gerade mal ne Handvoll Stücke, egal...
Nicht egal. Ich habe Wire bislang dreimal gesehen. Die gespielten Stücke der ersten drei Alben hielten sich immer in Grenzen, aber tatsächlich waren sie niemals so gut. Schade, auch wenn diese Band natürlich alle meine Sympathien genießt. Mich hält das von einem weiteren Besuch ab
Courtney Barnett, 23.11.15 Bürgerhaus Stollwerck (Köln) Erwartungsgemäß volle Bude in diesem innen so steril-biederen Bürgerhaus, dessen Konzertraum allerdings doch ein angenehmes Ambiente und guten Sound bietet (war auch schon bei fka Twigs sehr gut). Das Publikum bestand endlich auch mal aus U30ern, die dann auch erfreulich schnell einen Moshpit bildeten. Später wagte sich einer sogar tanzend auf die Bühne, da er sich aber das Tambourin schnappte und nicht rechtzeitig wieder losließ bzw abhaute, wurde er von der Security geschnappt und rausgeschmissen. Lustiges Intermezzo jedenfalls. Das Konzert war super, begann auch gleich mit einer allerdings etwas wenig eurphorischen Version von "Avant Gardener". Mir waren die Songs hier auch - wie auf der Platte - auf Dauer etwas zu eintönig, aber dank Fuzzbox und dem schönen Gesang, sowie vor allem dem Mähnengeschüttel der Band machte das doch sehr viel Spaß. Courtney sagte dann auch nach ca 50 Minuten: "This is fun. Best show we've done in ages." Sagt sie das immer?
“Troubled times, kids, we got no time for comedy.” (Phife Dawg)
Richard Hawley Combo im Heimathafen Berlin (23. 3. 2015) Eigentlich alles wie üblich – Herr Hawley präsentiert seine Sammlung wunderschöner Gitarren, der zweite Gitarrist sieht nach wie vor aus wie der Doppelgänger von Hannes Jaennicke, und der Bassmann spielt einen Hofner Violin-Bass. Und natürlich fantastische Musik – "Let's Ballad!" mit psychedelischen Tang-Gitarren. Stellenweise hören sich besonders die mehr rockenden Songs an wie Oasis theoretisch immer hätte klingen müssen (allerdings mit einem erwachsenen Sänger). Hawley war etwas nachdenklicher als üblich ("next gig is Paris… wish us luck!"), daher diesmal keine Schwiegermutter-Witze zwischen den Songs. Aber als dritte Zugabe gab's dann das wunderbare "Ocean"!
------------------------------ "Be good to your neighbor, and you have better neighbors." (Ernest Tubb)
wird gemacht: zum vorprogramm gab es erstmal eine halbe stunde steve mason (ex-beta band), solo mit gitarre. ein ausgesprochen sympathischer mensch, der solides songwriting mit eingängigen melodien bot. hat nicht genervt, aber spannend fand ich es auch nicht unbedingt. trotzdem mag ich nichts schlechtes über ihn sagen.
guy garvey war sogar für seine eigenen verhältnisse gut gelaunt. die kunst, sein publikum auf charmante art einzubeziehen, ist keine häufig anzufindende. garvey beherrscht dies perfekt. man muss diesen mann einfach mögen. das berlin-konzert, so liess er uns wissen, war überhaupt das allererste in dieser formation. begleitet wurde er von dem i am kloot-gitarristen pete jobson an der gitarre und manchmal e-piano, sowie alex reeves an den drums, nathan sudders am bass und drei jungen damen an den bläsern und teilwweise am e-piano, sowie percussion. guy garvey spielte hin und wieder keyboard und einmal melodica.
jobson und garvey verbindet eine lange freundschaft, was für stoff für einige witzige anekdoten sorgte. jobson durfte gegen ende des gigs auch zwei seiner eigenen stücke zum besten geben. das album wurde komplett aufgeführt, angela's eyes als zugabe sogar ein zweites mal. als erste zugabe gab es zunächst aber eine akustikversion mit zwei gitarren und gesang von "i don't want to set the world on fire" von fats domino.
alles in allem kamen sie so immerhin auf eine länge von ca. 85 minuten, die eindeutig zu schnell vorüber waren.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Danke! :) Mir kam Guy Garvey bisher bei Liveauftritten eigentlich immer ganz gut gelaunt vor, von daher wundert mich das nicht. ;) Sehr schön auf jeden Fall, dass auch die Bläser-Passagen live dargeboten wurden, das wird ja relativ häufig (vor allem bei kleineren Bands) vernachlässigt. Klingt alles in allem sehr fein, da wäre ich auch gerne dabei gewesen! Angela's Eyes stelle ich mir live schon sehr episch vor :)
Project Pitchfork, Das Bett, Frankfurt. Freitag Abend, welches Datum auch immer. Was soll ich sagen? Die Pitchies waren mal wieder grandios, es war eine regelrechte Best-of-Show in strahlender Laune und zum Glück immer noch mit den beiden begnadeten Schlagzeugern, die dem Set erst so richtig WUMMS geben. Conjure, Alpha/Omega, Timekiller, Souls - alles dabei, was ich hören wollte, und auch einiges, das ich ewig nicht gehört habe. Mitsingen war machbar und zum Glück ist die Band immer noch so laut, dass das dann keiner hört. Aber Das Bett -- ohhhh, Das Bett ... der Laden darf einfach nicht ausverkauft sein, oder es wird eng, stickig, feucht - saunamäßig halt. Das ist in der Sauna total klasse, in einem Club eher nicht so. Feiern war also durchaus drin, schließlich standen da die Pitchies auf der Bühne, aber es tat ein bisschen weh, war ein bisschen eklig und danach fühlte ich mich dreckig, obwohl ich gar nix Dreckiges angestellt hatte. Und die Vorbands ... über die Vorbands sprechen wir lieber nicht. Nur soviel: Diese Vorbands (ja, es waren zu allem Überfluss ZWEI) haben mich mal wieder davon überzeugt, dass es überhaupt kein Problem, ja, oftmals gar die bessere Idee ist, nicht allzu pünktlich zum Konzert zu kommen. Bäh waren die, bäh!
Ich möchte hier kurz festhalten, dass Savages das beste Preis-Leistungs-Verhältnis dieser Konzertsaison bieten. Die Mainstream-Sorgen mancher Forenmitglieder sollten sich dann auch bald legen.
Dieser Platz ist bei mir noch unentschieden zwischen Savages und Gisbert zu Knyphausen. Aber auch nur, weil der einen Platz in meinem Herzen hat, den so schnell niemand streitig machen wird. Die Rahmenbedingungen waren bei seinem Konzert ungleich schlechter als bei den Savages. Was allerdings auch nicht schwer ist, kann man mit dem kleinen Rahmen der Berghainkantine mit ca. 200 Zuhörern doch eigentlicht nicht konkurrieren.