Das Haldern war noch nie so laut. Mein fünftes Mal und der erste Besuch nach vier Jahren, in denen ich leider ja wirklich wenig verpasste. Und so zeigt sich auch jetzt in der Rückschau, dass ich – rein auf das Line-Up bezogen – eigentlich kein Besseres je erlebt haben sollte. Ich weinte bittere FOMO-Tränen in genau diesem Thread, nur um am nächsten Tag zu erfahren, dass ich da hin soll, ganz offiziell.
Es hat sich was getan in meinem liebsten kleinen Pop-Dorf. Die mittlere Bühne wurde eingestampft, dafür wurde im Dorf das Jugendheim und auf dem Gelände ein mittelgroßes Zelt als zusätzliche Location verpflichtet, insgesamt sieben hat das Haldern jetzt und braucht diese auch. Für mich war von Anfang an klar, dass sich trotz all der anderen feinen Namen auf dem Line-Up (das obligatorische Power-Folk-Pop-Gegähne lässt sich in diesem Jahr einfacher ignorieren als z.B. 2015) alles um black midi dreht und aus einer Zeit kommend, in jener man beim letzten Schnee schon vor dem Spiegelzelt sein eigenes Zelt aufschlagen musste, um reinzukommen, war ich vorbereitet. DONNERSTAG
Der Gruppenzwang wagte es, mich zum Einknicken zu zwingen und so stand ich mit 40 Menschen über 40 in der wunderbaren Pop Bar im Dorf um einen etwas zu ehrgeizigen Kreuzfahrtanimateur über 40 dabei zu beobachten, wie er als Kuersche mit zwei Praktikanten an Drums und Bass kreuzdämliche Schunkelpopper in das Publikum spuckte. „More and more“, der – wie sich rausstellte – fast 25 Jahre alte „Gassenhauer“ war die akustische Schlinge, die sich immer enger um meinen Hals legte. Furchtbar. So musste mal wieder die Pizza-Institution des Dorfes ran – hier bin ich mir sicher, dass die lisn neidisch war – und habe das kurioserweise wirklich vermisst. Runter zum Gelände und den Soundcheck der Checker Palace wahrnehmen, die im Zelt die Hoffnung weckten, dass ich sie doch nicht fünf Jahre zu spät sehen sollte. Die beiden EPs habe ich ja 14/15 wirklich geliebt (kauft sie, hört sie, liebt sie), das Album machte alles kaputt, vor allem, weil sie den Inselsong „Bitter“ mit unnötigem Pomp verschlimmbessern mussten. Album zwei geht klar und live war das als echter Auftakt im wie immer wunderschönen Spiegelzelt ein kleines erstes Ereignis. „Bitter“ als Abschluss habe ich gerne genommen. Thanks. Natürlich wollte ich im Anschluss nicht den Hauch an Risiko eingehen und wartete in der ersten Reihe auf die in drei Stunden spielenden black midi und ergab mich den österreichischen Garage-Dudes der Thirsty Eyes, die als Lückenfüller total in Ordnung gingen und sich nicht als horrende Poser-Peinlichkeit entpuppten.
Nun.
Die beste neue Band der Welt, die nicht Black Country, New Road heißt, ließ die zu wartende Stunde wie ein ganzes Leben erscheinen und immer wieder diesen einen Gedanken durch mein verschwitztes Hirn wabern: „Ich sehe black midi gleich live“. Ihr kennt das. Dieses Zählen der Sekunden, das Vergleichen der noch zu wartenden Minuten mit den vergangenen Minuten („Okay, es ist noch eine halbe Stunde und vor einer halben Stunde habe ich…“ etc.). Und es sollte der erhoffte Irrsinn werden. Los ging es mit allen Songs, die der Bassist zu singen hat. „Speedway“, „Near DT, MI“, auch „Talking Heads“ durfte ran, das aus einem langen Outro des ohnehin überlangen Übersongs „Western“ ins Spiel gebracht wurde. Selbst die technisch hochklassigen Momente der Songs kamen rüber und Schuld daran war immer wieder dieser unfassbare Drummer, der um keinen rhythmischen Haken verlegen war, vermutlich jetzt schon seine Jazz-Solo-Platte plant und vor allem in dem knapp 10 Minuten langen Jam zur Mitte des Auftritts zeigen durfte/musste/sollte, was ihn von allen anderen abhebt. Es war einfach nur fantastisch. Mir war heiß, ich habe getanzt, ich habe geschrien, ich habe getanzt, ich war im Spiegelzelt des Haldern Pop aber irgendwo doch ganz woanders. Danke.
Zum ersten Mal nach einem als Ewigkeit bestimmten Zeitfenster gab es eine kostenlose Portion Frischluft, im Anschluss warteten die von mir im Vorfeld als Geheimtipp deklarierten The Robocobra Quartet, die mit sprechsingendem Slammer-Drummer, zwei Bläser und Bass eine diesige und wirre Show lieferten. Schwer unterhaltsame Ansagen, die mal direkt ins Mikro und mal direkt ins Publikum gespuckt wurden und ein kleines Highlight, für das ich dem Haldern immer wieder dankbar war. Hört euch mal die beiden Alben an, es lohnt es, würde aber viel dringender raten, mich nach Live-Terminen umzuschauen. Für Tag 1 ist es das dann gewesen. Weil ich lieber müde das Gelände abwandern wollte, sich das Wetter gnädig zeigte, ich ein bisschen Atmosphäre mitnehmen wollte und ich black midi noch immer verarbeiten musste. Sorry an Gewalt.
FREITAG
Der zweite Haldern-Tag begann erneut im Dorf, erneut in der Pop-Bar und das im schwülen unkühlen Freitags-Regen. Die alte Luft zog mit den Vorgängern der Pop-Bar aus, nur um sich nach wenigen Sekunden wieder in Richtung Tropen zu bewegen. Voller war die Bar vermutlich nie, Grund war aber sicher nicht nur das, was da aus den Wolken prasselte, sondern die famosen Gurr, die auf gefühlten 20 qm² - mal wieder – eine fantastische Show spielten. Gesehen hatte ich sie zu dem Zeitpunkt jetzt 5x und mir war nach Ende schon wieder nach der nächsten Runde. Auf das Jugendheim musste noch immer verzichtet werden, dafür konnte ich die Kirche ansteuern, in der die zweite Hälfte von stargaze & Greg Saunier für einen massiven Kontrast sorgten. Gerade noch laute Gitarren und von einem Fenster durch das andere getragene Hauptdarstellerinnen, jetzt eine etwas andere Orchesterarbeit, die nach Ende aber auch das Ende meines Aufenthalts auf den harten Kirchenbänken bedeutet hat. Ab nach unten, das Programm des restlichen Tages stand.
Das Spiegelzelt wurde erneut erobert und irrsinnig sympathisch hat Stella Donnelly für das nächste Highlight gesorgt. Live mit Sicherheit aufregender als „nur“ per Platte gab es jede Menge (notwendige) Geschichten rund um ihre Songs, die alle ziemlich viel zu sagen haben sowie ein paar legendäre Choreographien. Okay! Ohne Handbrot kein Haldern, deshalb wanderte ich mich von diversen Ersparnissen verabschiedend zum verantwortlichen Stand, flanierte lange über das Gelände und tankte die notwendige Energie für… Gurr. Sie spielten im neuen, auf dem Hauptgelände gebauten, Niederrheinzelt im Vergleich zum Vormittag vor vermutlich der vierfachen Menge an Menschen und so gab’s mein insgesamt sechstes Gurr-Konzert, das zweite an einem Tag und schon am nächsten Tag sollten sich erste Entzugserscheinungen zeigen.
Dass das Haldern immer abseits der Hauptbühne am besten ist, mag noch immer stimmen, aber da Ausnehmen die Regel bestätigen und ich irgendein Intro für diesen Absatz brauchte, packen wir mich in die dritte Reihe zu Sophie Hunger, die ich bislang immer versäumte, ob in Münster oder sogar beim 13er Haldern, als ich glaubte, das damals neue Album der These New Puritans wäre Grund genug im Zelt zu bleiben. Endlich von der Liste abgehakt. Sophie hat’s drauf. Oder? Bis auf wenige Ausnahmen bekam ich alle Songs, die ich gerne gehört hätte, bewunderte alle Musiker*innen auf der Bühne permanent für ihr Talent (das reimt sich) und hörte wie Hunger für die IDLES schwärmte, was nicht minder sympathisch wirkte. Auf die freute ich mich sehr, ging an die Sache aber relativ neutral ran, erwartete „einfach“ eine „gute Show“. Was ich aber bekam war ein mich wegfegendes, umhauendes und so schnell nicht vergessenswertes Stück Live-Wucht, das mich endgültig zum Fan werden ließ. Die Ansagen, die im engsten des Wortes welche waren, die Emotionen, die Show, die Power, die Wut, das hinter mir durchdrehende Publikum und eine Flut an Fäusten, schwitzenden Körpern und mitbrüllenden Gesichtern. Am Anschluss torkelte ich benebelt und beseelt davon und war schlicht überglücklich. Jeder Mensch auf diesem Planeten hat IDLES bitte live zu sehen. Ich danke. Leider musste ich am Abend dafür die Fountaines D.C. sausen lassen. Sie mögen es mir verzeihen.
SAMSTAG
Der Tag geriet mehr oder weniger zum luxuriösen Auslaufen. Das Pflichtprogramm war abgehakt, ab sofort ging die Veranstaltung etwas entspannter weiter. Und mit blendendem Wetter (je nach Sonnenbrille durchaus wörtlich zu nehmen). Aus Zeitgründen war das Tonstudio leider nicht zu machen, aber um wenigstens überall einmal gewesen zu sein, musste dringend das neu als Konzertraum gewonnene Jugendheim im Dort anvisiert werden. In der ersten Etage also wagte es ein mittelgroßer Mehrzweckraum, mit Kreuz an der Wand und kleiner Bühne, Manuel Troller zu begrüßen, der als wortkarges Einmann-Programm ohne Mikrofon, dafür mit Gitarre und etlichen Loop- wie Effektgeräten zwei Songs spielte. Die Länge? 30 und 15 Minuten. Diese wunderbar verträumte, rhythmische Nummer klang an nicht wenigen Stellen wie die Demo-Loops, welche die Foals vor 10 Jahren noch als Bonus-CD anboten und war optimaler Kontrast.
Der Weg runter auf das Festival-Gelände sollte mich dann wieder ins Zelt führen. Daughters, der nächste eher laute Grund auf dieses Festival zu gehen. Bei 700 Grad erwies sich Sänger Marshall als selbstgeißelnder Springinsfeld, der sich anrotzend und das Mikro über den Boden schleifend einer Vielzahl betont wütender Gesten hingab. Woher dieser Cut an seiner Stirn kam? Warum dieser große rote Fleck auf seiner Brust? Die Imagination hatte nicht viel zu tun, die Folgehandlungen gaben fleißig Antwort. Immer wieder schepperte sich dieser übereifrige Showman das Mic an die Stirn, klatschte es sich an die Brust. Dass er mich in der ersten Reihe stehend nicht einfach aufgegessen hat, schien da ein mittelgroßes Wunder zu sein. Irgendwann lehnte er sich über mich und drückte mir das Mikro in die Hand, als er sich endgültig des Hemdes entledigte. Es waren sehr, sehr lange 20 Sekunden. Im Anschluss dieser fröhlichen wie feinen Veranstaltung rannte ich zur Desinfizierung zum nächsten Waschbecken und wusch mir Marshalls Blut, Schweiß und Spucke von den Händen.
Ich legte mich im Anschluss neben das Zelt, schaute wahlweise in den komplett blauen Himmel, schloss die Augen oder blickte auf die Leinwand, die 5K HD bei ihrem feinen Elektro-Pop zeigten. Irgendjemand hat mal gesagt, dass es ihm gut geht, ich glaube so was ja nicht, eigentlich gibt es das ja gar nicht, aber das hier war so ein Moment, an dem konnte ich nachvollziehen, was das bedeuten könnte. Schöne Sache. Zurück zur Hauptbühne, da haben sich die Beatboys von Brandt Brauer Frick[ um die Unterhaltung gekümmert, aber so wirklich wollte in diesem Jahr der Funke nicht überspringen, was auch die völlig deplatzierten Khruangbin betraf. Alles ganz nett, gerade die synchronisierten Frisuren der Hauptakteur*innen, aber der sichtlich demotivierte Drummer, der vermutlich zwei Tage zuvor mit neidischem Blick das black-midi-Konzert sah, und die immer gleichen, langsamen Schläge vollführen durfte, machte diese sich ziehende, schleppende Veranstaltung wirklich nicht besser. Da half auch das Telefon nicht, das die Requisite zur Selbstbespaßung auf die Bühne brachte. Danke. Nein danke.
Im Niederrheinzelt sollte dann Jason Bartsch irgendwas zwischen Karneval und Poetry Slam zum Besten geben und da ich mich zur Sicherheit noch ein paar Mal umdrehte und niemanden sah, der mich kannte, habe ich es einfach geschehen lassen. Der „ultimative Abriss“ – wie mein 16-Jähriges Ich es formuliert hätte – folgte zum würdigen Abschluss. Ich sollte ein letztes Mal in ein komplett volles und bebendes Zelt springen, in dem Haiku Hands in Peaches und Major Lazor getauchte Ed-Banger-Reminiszenzen ins Publikum spuckten. Ich habe nichts mehr gesehen, geschmeckt, gerochen, gehört. Ich habe nur Party. Wuff.
Ich mag das Haldern. Sehr. Und als im Zug meine Kopfhörer dank eines Wackelkontaktes Stella Donnellys Album kurz leise durch das volle Abteil hauchten und links von mir jemand zum High Five ansetzte, stimmte das erst recht.
Sehr schön. Ach ja, es gab natürlich jemanden bei Jason Bartsch, der dich kannte... ;-)
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Das finde ich auch. Es war aber auch ein schönes Festival...
Ich weiß jetzt schon, dass ich nächstes Jahr, wenn ich hinfahre, nur zwei Tage kann, denn mein Cousin feiert am Samstag seinen 50. Geburtstag. Da muss ich dann überlegen, ob ich wirklich 130 Euro auf den Tisch lege. Spaß hat's auf jeden Fall gemacht.
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Die ersten Acts sind bekannt: Shame Anna Calvi Altin Gün Thees Uhlmann Tom Rosenthal Black Country, New Road (@G. Freeman !!!) Viagra Boys Crack Cloud Squid Ghum Girl Band Dan Deacon
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Ich überlege ja immer noch, ob ich es für zwei Tage machen soll.
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Das schmerzt wirklich immer mehr gerade, hatte mich in diesem Jahr auf nichts mehr so sehr gefreut. Black Country, New Road, Squid, Crack Cloud... seufz.