Aus Gründen lese ich derzeit wieder Bücher über Nazis und habe eine meiner ersten Broschüren, die ich zu dem Thema als Jugendliche auf einem Punkkonzert erstanden habe, rausgekramt. Es ist die erste Auflage aus dem Jahr 1998. Und siehe da: Sie ist mit Binnen-I gegendert.
Überrascht mich jetzt nicht. In der linken Subkultur zu der Zeit war das Binnen - I eine zeitlang echt in, ich habe es damals auch regelmäßig benutzt (auch in den Jahresberichten meiner Ausbildung, wo ich es noch verteidigen mußte). Aber es blieb bei guten Ansätzen; irgendwann war es einfach wieder weg.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Ja, damals in den 80ern wurde das Binnen-I schon sehr häufig verwendet. Das war eh die große Zeit der Friedensbewegung, der bunten und linken Listen an der Uni, die Zeit der überall aufkommenden Bioläden und die vom Autonomen Frauenreferat, etc. Ich habe heute noch einige Exemplare der Fachschafts-Zeitung mit Artikeln inkl. dem Binnen-I. Teils auch von mir; damals noch mit Atari und Nadeldrucker.
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
dpa meldet dazu, dass eine Befragung durch Infratest Dimap Mitte Mai 2021 ergeben hat, dass es dazu eine recht klare Meinung gibt.
65 % der Bevölkerung halten gar nichts von einer Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechter in der Sprache.
Mehrheitlich werden Formulierungen wie "Zuhörende" statt "Zuhörer" und die Nutzung des großen Binnen-I abgelehnt. Ebenso abgelehnt wird die Kunstpause vor der zweiten Worthälfte (wie bei "Pendler_innen") in der gesprochenen Sprache.
Frauen bewerteten die Gendersprache positiver als Männer. Dennoch lehnten 59 % der Frauen das Gendern ab.
Die Wähler der Grünen sind mit 48 % gegen das Gendern. 57 % der SPD-Wähler lehnen das Gendern ab, 68 % der Unionsanhänger sind ebenso dagegen. Die Linken-Wähler lehnen gar zu 72 % das Gendern ab, die Wähler der FDP zu 77 %. AFD-Wähler lehnen zu 83 % das Gendern ab.
"Good taste is the worst vice ever invented" (Edith Sitwell)
"Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute sehr wütend und wurde allenthalben als Schritt in die falsche Richtung angesehen." (D.Adams)
Es kann natürlich sein, dass sich das im Lauf der Zeit ändert, wenn immer mehr junge Leute mit dem Gendern als normalem Sprachgebrauch aufwachsen, sicher ist das aber nicht. Tatsache ist, dass sich dieses Umfragergebnis mit praktisch allen anderen Umfragen deckt, das Gendern ist außerhalb einer bestimmten Blase unbeliebt. Das kann man schon mal auch akzeptieren, anstatt es ins Lächerliche zu ziehen.
Zitat von CobraBora im Beitrag #135Es kann natürlich sein, dass sich das im Lauf der Zeit ändert, wenn immer mehr junge Leute mit dem Gendern als normalem Sprachgebrauch aufwachsen, sicher ist das aber nicht. Tatsache ist, dass sich dieses Umfragergebnis mit praktisch allen anderen Umfragen deckt, das Gendern ist außerhalb einer bestimmten Blase unbeliebt. Das kann man schon mal auch akzeptieren, anstatt es ins Lächerliche zu ziehen.
Ich glaube nicht, dass es hier an Akzeptanz fehlt. So richtig überrascht ist sicherlich niemand von einem Umfrageergebnis wie diesem. Die Frage ist nur, was die Konsequenz daraus sein soll. Für eine Pflicht zur gendergerechten Sprache, tritt ja ohnehin niemand ein, von dem oder der ich je gehört hätte. Insofern verstünde ich nicht, warum man diese Umfrage zum Anlass nehmen sollte, die Bemühungen einzustellen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass es hier um eine Veränderung geht. Veränderungen haben es per se schwer, mit Gewohnheiten zu konkurrieren. Solche Prozesse dauern lang.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
die allermeisten gesellschaftlichen veränderungen, die im nachhinein als positiv bewertet werden, sind anfänglich als minderheitenprogramme von einer verständnislosen mehrheit abgelehnt, ignoriert und bekämpft worden. hätte man das frauenwahlrecht nach den ersten umfragen ad acta gelegt, wäre die genderdebatte vermutlich zum jetzigen zeitpunkt gar nicht erst aufgekommen. mich hätte in dieser umfrage übrigens mal die aufschlüsselung nach alter interessiert. erfahrungsgemäß ist es eher die denkfaulheit meiner eigenen generation, die sich selbst lächerlich macht.
Zitat von tenno im Beitrag #137mich hätte in dieser umfrage übrigens mal die aufschlüsselung nach alter interessiert.
Ich würde da auch erwarten, dass die Akzeptanz bei den Jüngeren höher ist, es ist aber sicherlich auch eine Frage des "Milieus". Ich sehe es schon so, dass das ein ziemlich elitäres / akademisches Thema ist, so ein bisschen spiegelt sich das auch in der Parteizugehörigkeit wider. Durch Sprachcodes "etwas symbolisieren", etwas "sichtbar machen" - ein Normalbürger denkt so doch überhaupt nicht. Der wendet Sprache einfach intuitiv an.
auch das war beim frauenwahlrecht genauso. die suffragetten stammten gewiss nicht mehrheitlich aus arbeiter- und kleinbürgerkreisen, und fanden dort sicherlich auch eher wenig gehör.
Der schweizer Kanton Appenzell-Innerrhoden hat das kommunale Frauenwahlrecht erst 1990, nach einem höchstrichterlichen Urteil eingeführt. In der restlichen Schweiz hat es immerhin bis in die frühen 70er gedauert, eben weil eine Mehrheit dagegen war. Elitenprojekte müssen nichts schlechtes sein, vor allem nicht, wenn es sich um eine Bildungselite handelt, im Gegensatz zu einer Geld- oder Machtelite.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Wolfgang Kubicki (FDP) sagte dazu, Sprache verändere sich durch gesellschaftlich-kulturelle Prozesse und nicht durch elitär-moralischen Zwang. Er glaube daher nicht, dass sich die Gendersprache durchsetzen würde. Sprache solle man nicht zum politischen Kampfmittel umfunktionieren.
Sahra Wagenknecht (Die Linke) meinte: „Mich wundert es nicht, dass sich die Menschen dagegen auflehnen.“ Es ginge ja auch um die Abbildung einer verschwindend kleinen Zahl von Menschen mit einem selbst definierten dritten Geschlecht. Die Mehrheit unserer Gesellschaft sei bereit, diese Minderheit zu akzeptieren. Wagenknecht: „Aber die Mehrheit hat eben auch das Gefühl, dass ihre WIRKLICHEN Probleme nicht mehr gesehen werden, dass es hier eine gewaltige Unwucht gibt“.