Volle Zustimmung, auch wenn mich Paris genauso bewegt hat wie Berlin, aber das mag daran liegen, dass ich die Stadt "persönlich" kenne. Allerdings hat mich bisher am meisten der Germanwings-Absturz umgehauen, der ja auch irgendwie ein Anschlag war.
möglicherweise bin ich abgestumpft oder gar abgefuckt, aber trotz der räumlichen nähe hat mich seinerzeit paris viel mehr erwischt. mag auch daran liegen, dass ich diesmal sehr schnell alle mir wichtigen menschen in sicherheit wusste; aber sicher auch daran, dass dieses jahr schon so viele andere schlimme dinge geschehen sind, und dieser anschlag sowohl erwartbar war als auch vergleichweise geringe wirkung hatte. das soll das leid und die trauer um die opfer nicht schmälern, aber irgendwie kann mein inneres nicht mehr überall und ständig die gleiche am-boden-zerstörtheit aufbringen. der obige text von faxe verliert dadurch aber nicht an allgemeingültigkeit. das hier bin nur ich (und ein bisschen auch der abgebrühte berliner in mir).
Es spielen ja auch sehr subjektive Dinge eine Rolle: Mir persönlich macht die Bedrohung durch einen Laster selbst nach Berlin kaum unterschwellige Ängste. Das Parisszenario finde ich bedrohlicher. Zudem kam da noch das Konzert dazu. Meinen Lebensnerv hat das stärker getroffen. Daher war mein letzter Satz allgemein, nicht persönlich gemeint.
Gestern abend hab ich mir die Berichterstattung über den Berlin-Anschlag bei CNN und BBC angeschaut, und das war schon einigermaßen seltsam (und medienpolitisch wahrscheinlich typisch): Bei der BBC wundert man sich, daß es auf einem Platz im Zentrum von Berlin keine Videoüberwachung mit "real-time face recognition" gibt (klar, wenn man über den German Xmas Market in Covent Garden geht wird wahrscheinlich in der Zentrale zeitgleich das Rückflugticket überprüft...). Und bei CNN wird tatsächlich eine geschlagene Stunde darüber debattiert, daß es in Berlin "kaum Straßensperren gibt und nirgendwo Militär zu sehen" ist: dabei "läuft ein bewaffneter Terrorist frei in der Stadt herum". "Die Deutschen haben den Ernst der Lage nicht begriffen." Außerdem sind sie über den Bürgermeister verärgert: der wurde von der CNN-Reporterin höhnisch-provozierend gefragt, "Tja, Her Bürgermeister, was lief falsch in ihrer Stadt?!" Antwort Müller (mit einem Blick als würde er sie am liebsten ohrfeigen): "Nichts lief falsch. Mit so etwas mußte leider gerechnet werden; die Polizei und Rettungskräfte waren vorbereitet und haben effektiv reagiert."
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Zitat von faxefaxe im Beitrag #2092Es spielen ja auch sehr subjektive Dinge eine Rolle: Mir persönlich macht die Bedrohung durch einen Laster selbst nach Berlin kaum unterschwellige Ängste.
Ein Anschlag mit einem LKW ist vermutlich einfach eine Spur zu abstrakt. Für was ein Maschinengewehr gedacht ist, hat jeder bereits in seiner Kindheit erlernt. Beim Bataclan kommt auch noch dazu, dass die Leute ohne größere Fluchtmöglichkeiten in einem Raum eingesperrt waren. Die klaustrophobischen Bilder, die sowas erzeugen, gehen halt wohl automatisch noch eine Spur näher
Zitat von victorward im Beitrag #2094[quote=faxefaxe|p79495] Beim Bataclan kommt auch noch dazu, dass die Leute ohne größere Fluchtmöglichkeiten in einem Raum eingesperrt waren. Die klaustrophobischen Bilder, die sowas erzeugen, gehen halt wohl automatisch noch eine Spur näher
Bei mir waren es eher die Gemeinsamkeiten, die mir das nahegehen ließen: wie oft war ich schon auf Konzerten und habe mich auf die Band gefreut. Hier waren hunderte Leute, denen es genauso ging, und dann passiert so eine Scheiße. Da war das Identifikationspotential einfach höher. Auf Weihnachtsmärkte gehe ich höchstens einmal pro Jahr, und dann werde ich zumeist mitgeschleift und finde 90% der Leute dort ganz furchtbar. Nichtsdestotrotz: im Bataclan wurde die Schwester eines guten Kumpels von mir angeschossen, auch eine unwahrscheinliche Situation, aber die Kombination "Klassenfahrt & Konzert" führte sie dahin. Zum Glück hat sie ohne bleibende Schäden überlebt. Deshalb: ich hab schon Pferde kotzen sehen. Freunde von mir in Berlin haben kleine Kinder, da ist ein Weihnachtsmarktbesuch nicht ganz abwegig. In so einem Fall kann man auch einfach einen Safebutton anklicken, und Ruhe ist. Auf Aufklärung, daß ich komplett medialer Panikmache auf den Leim gegangen wäre, verzichte ich in dem Fall gerne.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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Ja, mich wundert auch, dass in solchen Situationen die einen unbedingt die Medienreaktionen zerfieseln und kritisieren müssen und die anderen die Reaktionen von anderen.... Ich sorge mich in solchen Fällen selbst kurz um Leute, die gar nicht in Berlin leben, sondern da sein könnten... auch wenn es irrational ist. Ich freue mich jedenfalls über jeden aus Berlin, der dann den Facebook-Knopf drückt.
danke, so ist es. ich war sehr überrascht, gestern abend noch jemandem per pn lang und breit den sorgenzerstreuenden effekt dieser unspektakulären massnahme erklären zu müssen ("wieso veröffentlicht man nicht einfach opferlisten, das wär doch viel einfacher?!" ).
Zitat von faxefaxe im Beitrag #2086Ich bin beim "auch Deutsche unter den Opfern" völlig anderer Meinung (als viele, die ich kenne). Ich finde Nähe bei Emotionen einen völlig legitimen Aspekt, der auch eine wichtige Funktion erfüllt.
Wenn meine Mutter stirbt beschäftigt und trifft mich das stärker, als wenn es die Nachbarin trifft. Bei der Nachbarin trifft es mich mehr, als wenn es im Nachbardorf passiert. Wenn im Nachbardorf ein Kind bei einem Verkehrsunfall stirbt, bewegt mich das mehr, als wenn es in Norddeutschland passiert. Und wenn eine deutsche Lufthansa-Maschine abstürzt, beschäftigt mich das mehr als wenn eine in Kasachstan abstürzt.
Das ist meiner Meinung nach ein wichtiger Schutzmechanismus, damit man überhaupt noch Emotionen empfinden kann. Die das kritisieren und sagen, sie bewege jedes Unglück eher gleich, empfinden oft gar keine Empathie, vermute ich.
Das ist auch nicht "ungerecht", denn dafür sind ja die Menschen in Norddeutschland oder Kasachstan bewegter, wenn es bei ihnen passiert und nicht ganz so star, wenn bei uns.
Aber: die Nähe kann und muss auch hergestellt werden, wenn etwas weiter weg passiert. Wenn das Unglück dort zu groß ist, wenn globale Werte zerstört werden. Und man kann und muss diese Nähe dann auch herstellen, in dem man sich einliest, etwas über Schicksale erfährt. Mir geht es um die emotionale Reaktion. Da finde ich es völlig natürlich, wenn einen Berlin mehr bewegt als Paris und Paris mehr als Mumbay.
alles richtig, nur so soll es dann bitte auch nicht aussehen:
hier geht es nicht um räumliche nähe, hier wird die herkunft, bzw. die abstammung der opfer thematisiert. damit wird künstlich eine trennung erzeugt. das darf man getrost ekelhaft finden.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
So rum finde ich das auch unangenehmer, als wenn Du bei einem Attentat in Thailand darauf hinweist, dass auch zwei Deutsche unter den Opfern sind (Herstellung von Bezug). Das "alles Deutsche" finde ich auch ekelig, da würde ich warten, bis man ggfls schreiben muss "darunter eine Italienerin".
Zitat von Mychael im Beitrag #2093Gestern abend hab ich mir die Berichterstattung über den Berlin-Anschlag bei CNN und BBC angeschaut, und das war schon einigermaßen seltsam (und medienpolitisch wahrscheinlich typisch): Bei der BBC wundert man sich, daß es auf einem Platz im Zentrum von Berlin keine Videoüberwachung mit "real-time face recognition" gibt (klar, wenn man über den German Xmas Market in Covent Garden geht wird wahrscheinlich in der Zentrale zeitgleich das Rückflugticket überprüft...). Und bei CNN wird tatsächlich eine geschlagene Stunde darüber debattiert, daß es in Berlin "kaum Straßensperren gibt und nirgendwo Militär zu sehen" ist: dabei "läuft ein bewaffneter Terrorist frei in der Stadt herum". "Die Deutschen haben den Ernst der Lage nicht begriffen." Außerdem sind sie über den Bürgermeister verärgert: der wurde von der CNN-Reporterin höhnisch-provozierend gefragt, "Tja, Her Bürgermeister, was lief falsch in ihrer Stadt?!" Antwort Müller (mit einem Blick als würde er sie am liebsten ohrfeigen): "Nichts lief falsch. Mit so etwas mußte leider gerechnet werden; die Polizei und Rettungskräfte waren vorbereitet und haben effektiv reagiert."
die diskussion nimmt derzeit bizarre züge in verschiedenen richtungen an. wenn es um das aufstellen von betonpfeilern geht, wird allen ernstes darüber debattiert, ob das die weihnachtsstimmung versaut. mein gott, dann malt das scheissding doch an!?! der aufwand ist denkbar gering, und zumindest eine form des anschlags wäre damit zumindest erheblich erschwert. dass es ausgerechnet um die gedächniskirche herum es kein sicherheitskonzept gegeben hat, dass diesen namen verdient hätte, ist in der tat kritikwürdig. in anderen städten hat man nach nizza die sicherheitskonzepte für die weihnachtsmärkte angepasst. ich halte nichts von aktionismus, aber es gibt schon massnahmen, wie diese betonblöcke, gegen die in meinen augen nichts spricht.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
ZitatDie Polizei verfolgt nach übereinstimmenden Medienberichten eine neue Spur zum Anschlag in Berlin. Unter dem Fahrersitz im Lastwagen fanden die Ermittler demnach eine Duldungsbescheinigung. Sie soll auf einen tunesischen Staatsbürger ausgestellt sein, der 1992 geboren wurde. (weiter auf tagesschau.de)
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.