Ich halte viele Teile des Gesetzespakets für fragwürdig: 1.) Es suggeriert, daß Flüchltlinge in erster Linie wegen Sozialleistungen zu uns kämen (143 Euro Taschengeld für Alleinstehende), schränke man diese ein, kämen auch weniger Flüchtlinge- eine Denkweise, die Vorurteilen und der Neiddebatte Vorschub leistet und ein Rückfall in die Denkweise der Abschreckung der 90er, ganz abgesehen davon, daß diese Regelung teurerer, bürokratisch und bevormundend ist. 2.) Eine Kürzung der Leistung bei ausreisepflichtigen Asylbewerber ist schlichtweg verfassungswidrig (wie das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt hat), da das Existenzminimum gesichert sein muß. 3.) Es vehindert Integration, denn es bindet die Flüchtlinge an die Erstaufnahmeeinrichtungen da die Sachleistungen die Mobilität einschränken. Zudem müssen Asylsuchende nun 6 Monate statt 3 Monaten in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbringen (wenn nicht über das Asylgesuch früher entschieden wurde) einhergehend mit einem Arbeitsverbot- heißt die Integration in den Arbeitsmarkt wird verhindert.
Es wird allerhöchste Zeit, dass der Staat gegen diese Hassprediger vorgeht, und zwar mit äußerster Härte. Denn wenn das nicht passiert, werden andere Menschen zu verhindern versuchen, dass diese Typen das Land vergiften.
Abgesehen davon, daß die Anerkennungsquote der Flüchtlinge aus den "sicheren Herkunftsändern" in Europa höchst unterschiedlich ist, kannst Du die Leistungen gar nicht genug kürzen um z.B. die Lebensbedingungen der Roma in den Balkanstaaten auch nur annähernd gerecht zu werden. Zudem hat der Zuzug aus diesen Ländern schon längst erheblich abgenommen (vermutlich, da sich herumgesprochen hat, daß die Aussichten auf einen positiven Asylentscheid in Deutschland recht gering sind)- insoweit ist es ein reines Placebo um das rechte Klientel zu bedienen, daß an der Situation nichts ändert.
Was soll der Satz mit "gerecht werden" denn bedeuten? Wenn ich schnell über das Bleiberecht entscheide und in dieser Zeit keine substanziellen Geldleistungen gebe, entfällt der Anreiz, für ein Begrüßungsgeld auch nur absehbar kurz nach Deutschland zu kommen. Und Du entsendest ein Signal auch in alle anderen Länder, dass es auch nicht das goldene Deutschland ist. Die Schleuser werben doch damit, dass es in Deutschland Geld gibt. Der Albaner unter unserer Afghanin wird mit seinen vier Kindern jetzt abgeschoben. Möchte nicht wissen, was die armen Leute zuhause verkauft haben, um nach Deutschland zu kommen.
Bei denen, die hier bleiben oder eine reelle Chance haben, habe ich nichts gegen Geldleistungen.
Eine positive Reflektion zum Thema von Robert Misik aus Österreich:
"Auf der Oberfläche der medialen Diskurse dominieren gerade zwei Interpretationsmuster in Hinblick auf die Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Monate: Einerseits feiert Deutschland seine Hilfsbereitschaft, wofür die Bilder der klatschenden Helfer am Münchner Hauptbahnhof stehen, die die Flüchtlinge in Empfang nehmen; und auf der anderen Seite haben wir die Diskurse der „Sorge“, der Angst vor „Überforderung“, Diskurse, die halb ernst gemeint sind, halb nur Camouflage eines irre gewordenen Rassismus, Diskurse, die von Horst Seehofer bis zur Pegida reichen. In dieser dichotomischen Diskursanordnung geht aber das Wichtigste womöglich unter.
1. Die Hilfsbereitschaft ist eine Art Aufstand
Die Zivilgesellschaft, die die Sache selbst in die Hand nahm, indem sie auf Bahnhöfen, in den Grenzgebieten, in den Kommunen Flüchtlingen hilft, sie „hilft“ nicht einfach nur, sie protestiert auch implizit. Es ist ein Protest, aber fast ohne Parolen, einer des Handelns. Es ist unübersehbar ein Protest gegen Regierungspolitik, die nur versucht, sich Flüchtlinge vom Hals zu halten, es ist auch ein Protest gegen ein Dublin-Regime, das nicht nur versucht, das „Problem“ auf die europäischen Peripheriestaaten abzuwälzen, sondern das frierende, hungernde und im Extremfall ersaufende Flüchtlinge sogar wünscht, als Abschreckung für alle andere, als Botschaft: Bleibt, wo ihr seid. Es gibt Wut über eine solche Politik, vielleicht auch eine Prise schlechtes Gewissen, schlechtes Gewissen darüber, bisher weggeschaut oder all das toleriert zu haben, was auch immer. Kurzum: ohne diese Emotionen lässt sich die Woge der Hilfsbereitschaft der vergangenen Monate nicht vollends verstehen. Hilfsbereitschaft ist damit aber nicht bloß karitativ, sie ist ein politischer Akt. Sie verändert auch die politische Landkarte. Die Woge der Hilfsbereitschaft ist eine Welle, die dann auch Politiker und Politikerinnen „reiten wollen“. Die Zivilgesellschaft, die hilft, entfaltet somit politischen Druck.
In meinem Heimatland, in Österreich, war das besonders spürbar: Wir haben eine Bundesregierung, die im Sommer kläglich bei der Unterbringung von Flüchtlingen versagte, die Elend und Misere in Erstaufnahmezentren einfach achselzuckend hinnahm (genauer gesagt: die dieses Elend erst produzierte), und wir haben eine rechtspopulistische Partei, die viel zu oft die öffentlichen Diskurse prägt. Erst die massive Hilfe der Zivilgesellschaft verschob die Ordnung der Diskurse und setzte auch die Regierung unter Druck, ihre Linie zu ändern. Die Bilder zehntausender Helfender wiederum brachten die sozialdemokratische Hälfte dieser Bundesregierung dazu, sich vorsichtig humanitär zu positionieren, und sie brachte die Wiener SPÖ dazu, im Gemeinderatswahlkampf eine prononcierte „Refugees Welcome“-Kampagne zu fahren und damit den Rechtspopulisten eine – gemessen an den Ausgangserwartungen – empfindliche Schlappe zuzufügen. Auch das, dass sich der sozialdemokratische Bürgermeister dafür entschied, diese „Woge zu reiten“ sowie die Tatsache, dass es geklappt hat, zeigt die politische Dimension des „Aufstands der freiwilligen Helfer“.
2. Solidarisches Handeln im „Post-Individualismus“
Diese Woge der Hilfsbereitschaft ist aber noch in einer anderen Hinsicht „politischer“ als man beim ersten Hinsehen vermuten mag. Zigtausende Menschen vernetzten sich mit anderen, um mit anderen gemeinsam aktiv zu werden. Man muss ja nur in diese Milieus hineinhören: Die Helfer sind ja begeistert über sich, und zwar nicht deshalb, weil sie von ihrer eigenen Hilfsbereitschaft gerührt sind, sondern über die Gemeinschaftserlebnisse, die mit dieser verbunden sind. Es gibt gewissermaßen eine Sehnsucht, die Vereinzelung zu überwinden, die eine Gesellschaft, deren vorherrschende Ideologie die Idee des Individualismus geworden ist, zur Folge hat. Dies konnte man als subkutane Tiefenströmung schon vor diesem Sommer ausmachen. Wer glaubt, die Mehrzahl der Menschen sei heute von dem Bedürfnis motiviert, nur den eigenen Vorteil im Auge zu haben, nur im Hamsterrad zu laufen, nur gegen den Nebenmann und die Nebenfrau zu konkurrieren, der kriegt nur die Hälfte der Wirklichkeit mit. Die andere Hälfte der Wirklichkeit ist, dass immer mehr Menschen eine Gesellschaft, die nach diesen Regeln funktioniert, für „irgendwie krank“ halten und deren Anforderungen so gut wie möglich zu unterlaufen versuchen. Sei das durch ehrenamtliche Aktivitäten, sei das in den Sphären der solidarischen Ökonomie, sei das auch im Job, wo nicht wenige Leute Einkommenseinbußen in Kauf nehmen, um Jobs zu machen, die sie für „sinnvoll“ erachten, in denen sie mit anderen gemeinsam kooperativ etwas tun, wofür sie sich nicht schämen müssen, sodass sie sich, wie die Redewendungen lauten, morgens „in den Spiegel schauen können“.
Die Hilfsbereitschaft ist in diesem Sinne auch ein tätiges politisches Statement von Menschen, die vorführen, wie eine solidarische Gesellschaft aussehen könnte, eine Gesellschaft, die sie sich wünschen würden. All das ist nicht unparadox: Diese Menschen sehen sich ja selbst als unverwechselbare Individuen, als Singularitäten, als Ichs unter vielen heterogenen Ichs, die keineswegs zu einem Wir homogenisiert werden wollen. Sie halten den zeitgenössischen Individualismus hoch, leiden aber zugleich an der Vereinzelung, die mit ihm einher geht. Solidarität heißt für sie nicht, dass sie in irgendwelche Kollektive hineingepresst, hineinhomogenisiert werden wollen. Sie sind, um das salopp zu sagen, für die Transformation des Individualismus in einen Post-Individualismus, der die Vielfalt nicht aufhebt, aber die Vereinzelung. Es lebt sich nicht gut als Atom. Es lebt sich besser, wenn man mit anderen kooperiert. Nicht wenige haben beinahe täglich gesagt: „Ich bin so stolz auf Euch!“ – damit aber ein Wir gemeint, zu dem sie sich selbst zählten. Dieses Wir-Erlebnis war aber eine der für sie beeindruckendsten Sachen.
3. Radikales Handeln, ohne sich zu isolieren
Im Zuge dieser Woge vollzog sich eine „Radikalisierung“ des Handelns, die gar nicht mehr als „radikal“ auffiel. Aber: Viele Menschen taten Dinge, die sie noch ein paar Wochen vorher nie getan und vielleicht auch nicht einmal goutiert hätten, wenn sie andere getan hätten – oft sogar nicht einmal für vorstellbar hielten. In Österreich war das besonders auffällig, weil unser Land ja an Ungarn grenzt. Und es wurde plötzlich eine massenhafte Aktivität, mit dem Auto nach Ungarn zu cruisen, um Flüchtende in Sicherheit zu bringen. Anfänglich noch im Geheimen, taten das viele Menschen dann völlig offen. Was früher noch als „zu gefährlich“, „illegal“ und in weiten Kreisen der Bevölkerung daher auch als „nicht zu tolerieren“ angesehen worden war, war plötzlich vollkommen normal. Fluchthilfe und die Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt wurden zu einer vollkommen akzeptierten Sache und von hunderten, wenn nicht tausenden Menschen praktiziert, das heißt aber auch, es kam zu einer Radikalisierung des Handelns, ohne dass diejenigen, die diese Handlungen setzten, in den Augen der breiten Mehrheit überhaupt als „radikal“ erschienen wären. Das setzte sich auch im Kleinen fort: Immer mehr Menschen sind bereit, Flüchtlinge privat bei sich unterzubringen. Natürlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten: Wer nur eine kleine Wohnung hat, kann nur für ein paar Tage – manchmal nur für eine Nacht - ein „Gästezimmer“ frei räumen. Nicht jede hat eine Villa mit Gästewohnung, das ist schon klar. Aber für viele Menschen wäre das vor zwei Monaten noch völlig unvorstellbar gewesen. Heute ist es das nicht mehr. Auch das ist eine „Radikalisierung“ in einem positiven Sinn, dass Dinge normal werden, die vor kurzem noch undenkbar waren. Es ist aber eine „Radikalität“, die die „Radikalen“ nicht von den „Normalos“ entfremdet.
Der Zufall will es, dass, während ich diese Zeilen schreibe, zwei Nachrichten von der Staatsanwaltschaft Wien in mein Postfach flattern. In der einen heißt es, die Staatsanwaltschaft habe das Ermittlungsverfahren wegen Schlepperei gegen mich „eingestellt“, in dem anderen Schreiben ist zu lesen, eine weitere entsprechende Anzeige gegen mich wurde „ohne Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ... zurückgelegt“.
Die Akzeptanz „radikalen“ Handelns hab ich damit quasi amtlich."
“Troubled times, kids, we got no time for comedy.” (Phife Dawg)
Womit die Schleuser werben weiß ich nicht (ich kenne keine). Ich weiß aber, daß die meisten Flüchtlinge auf die bösen Schleuser angewiesen sind. Meine Vermutung ist allerdings, daß nicht die Schleuser die Ursache für Flucht sind, es sind die Verhältnisse in den jeweiligen Ländern. Hier etwas zur Situation der Roma in Serbien: http://www.bpb.de/internationales/europa...-die-roma?p=all. Wie denkst Du also müsste das Asylverfahren aussehen, damit es keine Verbesserung gegenüber dieser Situation bedeutet?
Das ist für mich halt in der konkreten Situation viel Blabla. Der Albaner, der sein Auto verkauft, weil ihm der goldene Westen versprochen wird, hierherkommt und wieder abgeschoben wird, kehrt dann in die selben Verhältnisse zurück.
Reverends Text wiederum gefällt mir sehr gut. Manche dogmatische Linke haben sich meiner Meinung nach eher unwohl gefühlt, als die breite Masse willkommensbereit war. Da hätte man eigene Vorurteile überdenken müssen.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #580Reverends Text wiederum gefällt mir sehr gut. Manche dogmatische Linke haben sich meiner Meinung nach eher unwohl gefühlt, als die breite Masse willkommensbereit war. Da hätte man eigene Vorurteile überdenken müssen.
Ja, da ging es wohl v.a. um die applaudierenden, jubelnden Helfer an den Bahnhöfen. Fand ich zT auch etwas befremdlich, wollte es aber auch nicht kritisieren, weil es eben eine positive Botschaft war, sowohl an die eigene Gruppe, aber eben vor allem auch an die Angekommenen. Dass das dann kurzzeitig propagandistisch gerade von denen, die vorher entweder versagt oder sogar gehetzt haben (Regierung, Bildzeitung) ausgeschlachtet wurde, ließ sich halt leider nicht verhindern.
“Troubled times, kids, we got no time for comedy.” (Phife Dawg)
Schade, daß Du dich nicht mit den Fluchtursachen und der Situation der Roma auseinandersetzen möchtest (ein sehr sensibles Thema der deutschen Geschichte)- denn gerade dort sehe ich den Ansatzpunkt um die auf die Beitrittskandidaten zur EU Druck auszüben und damit den Zuzug zu vermindern (indem man deren Situation verbessert), statt einfacher und populistischer Lösungen das Wort zu reden. Richtig im Übrigen waren m.E. die Kampagnen vor Ort, den Leuten zu verdeutlichen, daß die Aussicht auf Asyl gering ist- um zu verhindern, was Du beschreibst. Ansonsten halte ich eine Vereinfachung der Einwanderungsgesetze für sinnvoll um die Asylverfahren zu entlasten.
Ja, das findest Du bestimmt sehr schade. Es sind zwei paar Stiefel: Die Ursachen in den Herkunftsländern und die Frage, wie man kurz- und mittelfristig mit dem Problem in Deutschland umgeht. Wer über das eine spricht, kann sich genauso für das andere interessieren. aber das weißt Du ja, ist Polemik.
Naja, um Auswirkungen einer veränderten Anreizstruktur bei uns einzuschätzen, muss man schon auch einen Blick auf die Fluchtursachen werfen. Flüchte ich, um mein Leben zu schützen, ist mir die Frage "Bargeld oder Wertmarke" komplett egal. Flüchte ich aus ökonomischen Gründen, kann das schon anders aussehen. Ungeachtet der eigenen Haltung zu den Themen "Sachleistungen" und "Wirtschaftsflüchtlinge" sollte man das anerkennen.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
ja, aber beim Thema Fluchtursachen sind wir uns ja weitgehend einig - und wir brauchen auch nicht darüber diskutieren, dass sie in Eritrea andere sind als in Syrien und dass es in Albanien beides gibt. Du wirst mit Einzelmaßnahmen ja immer nur einen kleinen Teil erreichen, wenn Du die Zahl etwas verringern willst.