Zitat von Mirabello im Beitrag #645 Ein Argument ist doch völlig unabhängig vom Aussprechenden.
Das wünschen du und ich uns vielleicht, aber in der Welt da draußen sieht es anders aus. Da ist es durchaus davon abhängig, wie die Sympathie für den Aussprechenden des Argumentes aussieht, die eigene Stimmung in diesem Moment liegt und weitere Faktoren dieser Art. Es mag Menschen geben, die das alles ausblenden und rein sachlich bleiben können. Ich denke aber, die Mehrheit der Menschen kann das nicht.
Es ist doch etwas völlig anderes, sich über die Präsentation eines bestimmten Gedichts in einem bestimmten Zusammenhang an einem bestimmten Ort zu empören oder jegliche Kunst, die formal oder inhaltlich ähnlich ist, zu verbannen. Warum man sich über das Gedicht an diesem Ort in dem Zusammenhang nicht ärgern darf, wenn man eine Leonard-Cohen-Platte im Plattenschrank hat, verstehe ich nicht. Ein Plattenschrank ist eben - genau wie ein Museum - keine öffentliche Häuserwand an einer Hochschule. Dass ich aus historischem Interesse eine Kopie von "Mein Kampf" im Regal stehen habe, macht mich nicht zu einem Nazi. Trotzdem würde ich mich guten Gewissens darüber ärgern, wenn an einer Häuserwand in meiner Nachbarschaft Auszüge aus eben jenem Buch an der Wand stünden. Damit will ich nicht sagen, dass dieses Gedicht oder ein Leonard-Cohen-Song mit "Mein Kampf" vergleichbar wäre, aber mein Bücherregal ist eben auch nicht vergleichbar mit einer Häuserwand.
Ich finde das alles wahnsinnig schwierig und habe keine abschließende Meinung, der Unterschied könnte aber sein, dass niemand aus "historischem Interesse" eine Cohen-Platte besitzt, sondern, weil sie/er den Künstler - und somit seine Inhalte - mag. Ich finde durchaus, dass lumich in seinem Konsequenz-Argument einen Punkt hat. Wir alle suchen uns schon ganz gerne aus, wo wir den Schwerpunkt setzen, denn das was wir mögen, kaufen, konsumieren, hören, sehen, findet nicht nur im Verborgenen oder im heimischen Regal statt, sondern ist letztlich ebenso öffentlich wie eine Häuserwand, wenn es auf Konzerten, im Fernsehen, im Kino oder sonstwo stattfindet.
Zitat von Mirabello im Beitrag #645 Ein Argument ist doch völlig unabhängig vom Aussprechenden.
Das wünschen du und ich uns vielleicht, aber in der Welt da draußen sieht es anders aus. Da ist es durchaus davon abhängig, wie die Sympathie für den Aussprechenden des Argumentes aussieht, die eigene Stimmung in diesem Moment liegt und weitere Faktoren dieser Art. Es mag Menschen geben, die das alles ausblenden und rein sachlich bleiben können. Ich denke aber, die Mehrheit der Menschen kann das nicht.
Diese These wage ich mal anzuzweifeln.
Die da draußen kenne ich doch gar nicht. Weder diejenigen, die sich gegen das Gedicht ausgesprochen haben noch die Unileitung oder wer sonst noch dafür ist. Ich weiß nicht mal, ob die Cohen Platten haben und wenn ja, wer von denen. Und wenn ich die kennenlerne, werde ich das Gedicht nicht wieder an die Wand malen, weil die sich als Unsympathen herausstellen.
Ich kenne auch kaum Politiker, NGOler oder Demonstranten, die was fordern. Ich finde zum Beispiel Siegmar Gabriel total unsympathisch - trotzdem teile ich manche seiner Aussagen und manche nicht. Und Gregor Gysi total sympathisch, trotzdem überzeugen mich nicht alle seine Argumente. Und ich weiß, dass ich die nur aus dem Fernsehen kenne oder mal von einem live Auftritt und dass dies eine sehr schlechte Basis meines Sympathieempfinden ihnen gegenüber ist. Einen solchen Reflexionslevel würde ich erst mal den meisten zugestehen und dies auch für den Normalfall halten.
Und mit meinen Freunden streite ich auch mal rum und nur weil die mir sympathisch sind, esse ich trotzdem kein Fleisch und halte das auch weiterhin für falsch - nur mal so als Beispiel. Oder finde alles, was die sagen, überzeugend. Und was ich sage, überzeugt die auch nicht alle.
Und ich ändere eigentlich auch nicht meine politischen oder moralischen Überzeugungen oder die Zustimmung/Ablehnung eines Argumentes je nach momentaner Stimmung. Ich habe auch noch kaum einen getroffe, bei dem ich ein solches Verhalten bemerkt hätte.
Wenn mir irgendwas egal ist - da kann ich mir vorstellen, einfach was anzuerkennen oder abzulehnen, je nach dem ob ich jemanden gefallen möchte oder nicht. Aber nicht bei Themen, die mir wichtig sind.
"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug." Stefan Zweig
Zitat von Quork im Beitrag #657Es ist doch etwas völlig anderes, sich über die Präsentation eines bestimmten Gedichts in einem bestimmten Zusammenhang an einem bestimmten Ort zu empören oder jegliche Kunst, die formal oder inhaltlich ähnlich ist, zu verbannen. Warum man sich über das Gedicht an diesem Ort in dem Zusammenhang nicht ärgern darf, wenn man eine Leonard-Cohen-Platte im Plattenschrank hat, verstehe ich nicht. Ein Plattenschrank ist eben - genau wie ein Museum - keine öffentliche Häuserwand an einer Hochschule. Dass ich aus historischem Interesse eine Kopie von "Mein Kampf" im Regal stehen habe, macht mich nicht zu einem Nazi. Trotzdem würde ich mich guten Gewissens darüber ärgern, wenn an einer Häuserwand in meiner Nachbarschaft Auszüge aus eben jenem Buch an der Wand stünden. Damit will ich nicht sagen, dass dieses Gedicht oder ein Leonard-Cohen-Song mit "Mein Kampf" vergleichbar wäre, aber mein Bücherregal ist eben auch nicht vergleichbar mit einer Häuserwand.
nun, es mag zwar eine unterstellung sein, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die wertvorstellungen, bezogen auf das gedicht im öffentlichen raum (bzw. hochschulischen kontext), in dieser wirklich extremen schärfe im privaten auch nur halbwegs durchgehalten werden kann. leonard cohen ist nur ein beispiel für einen künstler, von dem ich stark annehme, dass er in diesem geisteswissenschaftlichen millieu zu den stärker antiziperten gehört. ich will damit auch nur exemplarisch versinnbildlichen, wie jemanden mit verve die beseitigung dieses gedichtes fordert, weil er/ sie es unerträglich findet, aber gleichzeitig mit genuss die lieder von cohen hört, dessen texte keineswegs so harmlos sind wie das gomringer-gedicht. da fehlt die stringenz.
daraus ergibt sich meine forderung, bestimmte dinge, insbesondere im künstlerischen kontext, einfach auszuhalten, und verschiedene sichtweisen einfach zuzulassen, anstatt paternalistisch nach reglementierung zu rufen, was in meinen augen eine unreife und unsouveräne haltung widerspiegelt, weil quasi nach einer macht gerufen wird, die den störfaktor abstellt, anstatt sich diesem argumentativ zu stellen.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von G. Freeman im Beitrag #658Ich finde das alles wahnsinnig schwierig und habe keine abschließende Meinung, der Unterschied könnte aber sein, dass niemand aus "historischem Interesse" eine Cohen-Platte besitzt, sondern, weil sie/er den Künstler - und somit seine Inhalte - mag. Ich finde durchaus, dass lumich in seinem Konsequenz-Argument einen Punkt hat. Wir alle suchen uns schon ganz gerne aus, wo wir den Schwerpunkt setzen, denn das was wir mögen, kaufen, konsumieren, hören, sehen, findet nicht nur im Verborgenen oder im heimischen Regal statt, sondern ist letztlich ebenso öffentlich wie eine Häuserwand, wenn es auf Konzerten, im Fernsehen, im Kino oder sonstwo stattfindet.
Meiner Meinung nach ist das zwei Trugschlüsse. Das Private ist zwar politisch, aber es gibt trotzdem einen Unterschied zwischen Privatspähre und Öffentlichkeit.
Scheinheilig wäre es nur, wenn man Leonhardt Cohen nur wegen seiner sexistischen Texten hört und die Werte dahinter teilt, sich öffentlich aber gegen Sexismus ausspricht. Es gibt aber unendlich viele andere Gründe, warum jemand Leonard Cohen hört. Ich kann auch gegen Gewalt sein und mich regelmäßig von der Domina meines Vertrauens auspeitschen lassen. Das ist meiner meinung nach kein Widerspruch.
Ehrliche Frage: Und ist es eigentlich auch scheinheilig, wenn man das Gedicht auf Wand verteidigt, aber die vielen Wandgemäle, die täglich in Berlin verschwinden (wegen Neubauten - und ich meine keine Graffities) und sich nicht dagegen ausspricht?
"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug." Stefan Zweig
Zitat von Lumich im Beitrag #660[quote=Quork|p115441] daraus ergibt sich meine forderung, bestimmte dinge, insbesondere im künstlerischen kontext, einfach auszuhalten, und verschiedene sichtweisen einfach zuzulassen, anstatt paternalistisch nach reglementierung zu rufen, was in meinen augen eine unreife und unsouveräne haltung widerspiegelt, weil quasi nach einer macht gerufen wird, die den störfaktor abstellt, anstatt sich diesem argumentativ zu stellen.
Was ist daran paternalistisch? Es wird auch nicht nach Reglementierungen gerufen. Und die Bewertung unreif und unsouverän ist ebenso wenig treffend wie die der Scheinheiligkeit. Es wurde auch nicht nach einer Macht gerufen, die den Störfaktor abstellt und es wurde sich schließlich argumentativ gestellt. Und falls das jemand behauptet hat: Es wurden sich auch nicht in Ton vergriffen.
Wie ich darauf komme? Ich habe mir jetzt tatsächlich mal den Brief des Astas an das Rektorat der Alice Salomon Hochschule ergoogelt und durchgelesen. Und da wird völlig sachlich argumentiert. Es wird auch gar nicht die Entfernung des Gedichts gefordert, sondern eine Diskussion darüber im Akademischen Senat der Hochschule angeregt. Mit der Bitte um Beteiligung an der Diskussion.
"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug." Stefan Zweig
Zitat von Mirabello im Beitrag #662Es wird auch gar nicht die Entfernung des Gedichts gefordert,
ZitatEine Entfernung oder Ersetzung des Gedichtes wird an unserem Sicherheitsgefühl nichts ändern. Dennoch wäre es ein Fortschritt in die Richtung, dass es unsere Degradierung zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, die uns Angst macht, nicht auch noch in exakt solchen Momenten poetisch würdigen würde.
Aus diesen Gründen fordern wir folgendes:
eine Stellungnahme, von wem und mit welcher Begründung dieses Gedicht für die Hochschulwand ausgewählt wurde
die Thematisierung einer Gedichts-Entfernung/-ersetzung im Akademischen Senat zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Wir würden es begrüßen, wenn zu dieser Sitzung alle Unterzeichnerinnen des Briefes eingeladen werden.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
ich weiß nicht, ob ich mich damit als krümelkacker oute, aber für mich ist die forderung nach einer thematisierung der entfernung etwas anderes als die forderung nach einer entfernung.
"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug." Stefan Zweig
Ich finde, grundsätzlich muss niemand in einem Lebensbereich alles richtig machen, um nach einer Veränderung in einer gewissen Nische zu fragen. Ich muss auch nicht ohne Smartphone leben, um finden zu dürfen, dass sich an den Produktionsbedingungen von Smartphones etwas verändern sollte. Ich muss nicht erst Vegetarier werden, um an den Lebensbedingungen von Nutzvieh etwas ändern zu wollen. Und ich muss nicht erst aufhören, Leonard Cohen zu hören, ehe ich um die Entfernung eines Gedichts bitten kann, das mich im öffentlichen Raum stört. Die Welt ist zu komplex und voller moralischer Fallstricke, als dass ich von jedem Menschen erwarten würde, alles richtig zu machen, bevor er oder sie sich für eine Verbesserung der Zustände einsetzen darf. Ich finde es sogar relativ gefährlich, sich selbst in dieser Manier zu beschneiden, denn dann steht bald niemand mehr für irgendetwas ein, weil niemand ohne Sünde ist.
der erste markierte satz, parphrasiert: wir fordern nicht die entfernung, fänden es aber besser, wenn es passierte. der zweite markierte satz, paraphrasiert: wir fordern nicht die entfernung, wollen aber über eine entfernung/ ersetzung dikutieren.
das ist beides jeweils einen verhärmten trippelschritt von dieser forderung entfernt.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von Quork im Beitrag #666Ich finde, grundsätzlich muss niemand in einem Lebensbereich alles richtig machen, um nach einer Veränderung in einer gewissen Nische zu fragen. Ich muss auch nicht ohne Smartphone leben, um finden zu dürfen, dass sich an den Produktionsbedingungen von Smartphones etwas verändern sollte. Ich muss nicht erst Vegetarier werden, um an den Lebensbedingungen von Nutzvieh etwas ändern zu wollen. Und ich muss nicht erst aufhören, Leonard Cohen zu hören, ehe ich um die Entfernung eines Gedichts bitten kann, das mich im öffentlichen Raum stört. Die Welt ist zu komplex und voller moralischer Fallstricke, als dass ich von jedem Menschen erwarten würde, alles richtig zu machen, bevor er oder sie sich für eine Verbesserung der Zustände einsetzen darf. Ich finde es sogar relativ gefährlich, sich selbst in dieser Manier zu beschneiden, denn dann steht bald niemand mehr für irgendetwas ein, weil niemand ohne Sünde ist.
ich habe selbst mehrfach darauf hingewiesen, dass es mir nicht um ein perfektes leben geht, dass zu erreichen erst zu kritikfähigkeit qualifizieren würde. ich würde bitten, diesen quatsch endlich zu beenden, weil ich das nie gesagt habe.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von Lumich im Beitrag #667der erste markierte satz, parphrasiert: wir fordern nicht die entfernung, fänden es aber besser, wenn es passierte. der zweite markierte satz, paraphrasiert: wir fordern nicht die entfernung, wollen aber über eine entfernung/ ersetzung dikutieren.
das ist beides jeweils einen verhärmten trippelschritt von dieser forderung entfernt.
aber genau dieser verhärmte trippelschritt trennt in meinen augen zwei fundamental unterschiedliche haltungen: a) "wir wollen, dass das wegkommt! pronto!" b) "wir wollen, dass das wegkommt, und sind fest entschlossen, zu diesem zweck in den zuständigen gremien überzeugungsarbeit zu leisten."
vielleicht ein kleiner trippelschritt für einen poeten, aber ein großer für die menschheit.