Zitat von Lumich im Beitrag #680hier hat sich m.e. eine besonders laute meinung durchgesetzt, von der ich arg bezweifeln würde, dass es die mehrheitsmeinung der studierenden widerspiegelt.
Gibt es denn für diese weiter verbreitete Gegenmeinung auch öffentliche Belege? Ansonsten bewegen wir uns im Reich der Spekulationen. Und wo wir beim Spekulieren sind: Ich würde vermuten, dass die Mehrheitsmeinung zu diesem Thema lange Zeit war: "Da steht ein Gedicht an der Wand?"
sicherlich ist das gemutmasst, aber wieviele der studierenden haben sich an dieser diskussion beteiligt? das spricht jetzt qualitativ für keine seite, aber ich glaube, es ist nicht verwegen anzunehmen, dass die mehrheit sich wenig bis gar nicht dafür interessiert haben - sich also auch von diesem gedicht nicht angegriffen gefühlt haben, sonst hätten sie sich interessiert.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
In dem Fall fände ich es weiterhin richtig, auf die Minderheitenmeinung von Menschen einzugehen, die sich von etwas angegriffen fühlen. Denn letztlich muss nicht die Mehrheit von etwas beleidigt sein, damit es beleidigend ist. Und da wäre man dann wieder bei der demokratischen Gesellschaft, die tenno schon ansprach: In einer demokratischen Gesellschaft finde ich es richtig, dass auch auf den Schutz von kleineren Gruppen eingegangen wird, wenn diese sich angegriffen fühlen. Zugegeben, dieses Gedicht ist ein ziemlich niederschwelliges Beispiel für eine solche Grundsatzdiskussion, aber letztlich ist das Level nicht so wichtig.
Zitat von Quork im Beitrag #688In dem Fall fände ich es weiterhin richtig, auf die Minderheitenmeinung von Menschen einzugehen, die sich von etwas angegriffen fühlen. Denn letztlich muss nicht die Mehrheit von etwas beleidigt sein, damit es beleidigend ist. Und da wäre man dann wieder bei der demokratischen Gesellschaft, die tenno schon ansprach: In einer demokratischen Gesellschaft finde ich es richtig, dass auch auf den Schutz von kleineren Gruppen eingegangen wird, wenn diese sich angegriffen fühlen. Zugegeben, dieses Gedicht ist ein ziemlich niederschwelliges Beispiel für eine solche Grundsatzdiskussion, aber letztlich ist das Level nicht so wichtig.
da sind wir auch ganz nah beieinander. ich sehe nur, dass in diesem fall eine einzige lesart sich durchgesetzt hat, und erreicht hat, dass alle anderen, nicht minder legitimen lesarten per fusstritt beseitigt wurden. das meine ich mit pluralität. der schutz von minderheiten heisst nicht, dass alles vermieden werden muss, was irgendjemanden stört oder stören könnte. das hielte ich für gesellschaftlich fatal. es gibt zahlreiche möglichkeiten auf dieses gedicht oder ähnlichem zu reagieren, ohne das recht der andersdenkenden zu beschneiden.
wir hatten vergleichbare debatten, als es um blasphemie ging. vor einigen jahren gab es doch tatsächlich die forderung aus reihen der cdu, blasphemie wieder unter strafe zu stellen. natürlich können menschen in ihren religiösen gefühlen verletzt werden. aber daraus kann man doch nicht ernsthaft fordern, die kunst zu beschneiden in ihrem recht, eben auch die religion anzugreifen. das muss der einzelne aushalten können. er kann dagegen streiten, aber er kann es nicht einfach so aus der welt schaffen.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Schön, dass wir uns grundsätzlich einig sind. Dann bleibt wohl nur noch der Unterschied, dass ich die Entfernung des Gedichts nichts als künstlerische Beschneidung sehe und daher den negativen Effekt für die Gesellschaft nicht sehe. Es fordert ja niemand, das Gedicht zu verbieten. Aber im Sinne der Pluralität kann ich mit dieser Meinungsverschiedenheit gut leben, ohne sie aus der Welt schaffen zu müssen.
ich möchte mich doch noch mal einmischen, und zum wiederholt wiederholten male auf den kontext der hochschule hinweisen, der die betreffende hauswand ja gehört. mir ist dazu ein (hoffentlich) weniger hinkendes beispiel eingefallen: ein freund von mir besaß einst ein t-shirt, das ihm ein bekannter aus china mitgebracht hatte, mit chinesischen schriftzeichen drauf. dieses trug er sehr gerne, bis ihm ein des chinesischen kundiger mensch den text übersetzte, der dort stand. es handelte sich um ein mao-zedong-zitat. nun war dem spruch als solchem nach meiner erinnerung keine besondere brisanz beizumessen; dennoch entschloss sich mein freund daraufhin, dieses t-shirt nicht mehr zu tragen, weil er sich als jeglichem gesinnungsterror abholder mensch nicht von einem kommunistischen massenmörder repräsentiert sehen wollte, und sei es nur mit einem relativ harmlosen zitat auf einem von 99% aller ihm begegnenden menschen nur als dekoration empfundenen shirt. die meisten hätten die reaktion vielleicht auch als überzogen gewertet; ich konnte sie verstehen. ebenso kann ich es verstehen, wenn eine hochschule, die zu recht stolz auf ihre rolle in der geschichte der emanzipationsbewegung ist, sich von einem an sich harmlosen gedicht nicht repräsentiert bzw eher konterkariert sieht, weil es eben im kontext exakt das gegenteil dessen sagt, wofür die institution eigentlich steht. das hat in meinen augen weniger mit ideologie als mit identität zu tun.
die geschichte des t-shirts ist die eines irrtums, der nachträglich korrigiert wurde. ich verstehe die allegorie, sehe aber einige unterschiede. zum einen funktioniert die willensbildung eines institutes anders als die eines einzelnen menschen. jede entscheidung eines einzelnen ist automatisch eine mehrheitsentscheidung, mal flapsig ausgedrückt. zum anderen kann man im fall der hochschule nicht so eindeutlg von einem irrtum sprechen. wie schon beschrieben: unter vielen möglichen und legitimen lesarten hat sich eine durchgesetzt, und diese hat die anderen verdrängt. das gedicht befindet sich im öffentlichen raum, das gebäude mitsamt der baurechtlich vorgeschriebenen "kunst am bau" ist öffentlich finanziert. die entscheidung hat also öffentliche relevanz, ist somit keine reine privatentscheidung.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von Lumich im Beitrag #692die entscheidung hat also öffentliche relevanz, ist somit keine reine privatentscheidung.
aus diesem grund fand sie ja auch in den entsprechenden gremien statt (siehe auch ->"trippelschritte"). als korrektur eines irrtums würde ich sie allemal werten, als ideologisch nur insoweit, als dass das institut natürlich für eine geisteshaltung steht, die durch das gedicht nicht zum ausdruck kommt. je länger ich drüber nachdenke, desto leerer wirkt auf mich das fass, das hier aufgemacht wurde. im prinzip sollte es ein völlig normaler vorgang sein, alle paar jahre bis jahrzehnte die entscheidungen früherer epochen auf den prüfstand zu stellen und kritisch zu bewerten, sei es im großen wie im kleinen. nichts anderes ist hier geschehen. die flächendeckende demontage sozialistischer wandmosaike an ostdeutschen plattenbauten erscheint mir als weitaus ergiebigerer stoff für ideologiekritische debatten.
Das Problem ist für mich weniger, dass jemand sagt: Das Gedicht passt nicht zu uns, weg damit! Sondern, dass schon eine sehr direkte Linie zu sexueller Belästigung gezogen wird. Das bringt ja erst die Brisanz in die Diskussion, tenno.
ich bin unbedingter gegner davon gewesen, dass man in astrid lindgrens pipi langstrumpf im taka tuka land dahingehend zensiert, dass man den negerkönig in den südseekönig umschreibt weil ich finde, dass man es im kontext der zeit zu sehen hat und es für mich eine art verfälschung der literarischen kunst darstellt.
jetzt stelle ich mir aber vor, ich hätte eine kleine tochter, die an eine öffentlich geförderte sophie-scholl-grundschule ginge und die schulleitung hätte sich entschlossen, diesen textauszug an representativer stelle auf die schulwand zu schreiben. meinetwegen als hommage an die kindliche phanatasie.
hätte ich da bedenken? sicher. würde ich mich vielleicht dafür einsetzen, dass man dieses entfernen und durch einen anderen auszug ersetzen würde? ja, könnte ich mir vorstellen. würde ich damit das werk lindgrens infrage stellen? nein, würde ich nicht. würde ich mit der forderung den text zu entfernen gleichzeitig zur bücherverbrennung lindgrens auffordern? lächerlich.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #694Das Problem ist für mich weniger, dass jemand sagt: Das Gedicht passt nicht zu uns, weg damit! Sondern, dass schon eine sehr direkte Linie zu sexueller Belästigung gezogen wird. Das bringt ja erst die Brisanz in die Diskussion, tenno.
da gebe ich dir einerseits recht, andererseits aber auch zu bedenken, dass das bei weitem nicht die erste wichtige debatte ist, in der von vornherein größere geschütze aufgefahren werden als angemessen. und gerade studenten und ihre asten sind nicht unbedingt für wohlabgewogene argumentation bekannt. ich würde mich freuen, wenn man bei all der künstlichen empörung ein bisschen jugendbonus walten ließe, das hülfe enorm bei der sachlichen bewertung des eigentlichen anliegens.
die direkte linie zur sexuellen belästigung wird doch nun aber auch zu einem teil dadurch gezogen, dass man auf dem weg zu uni doch offenbar obskure ubahnhöfe und plätze zu durchqueren hat. fern ab von jeder jugend kann ich mir durchaus vorstellen, dass das gedicht da wie der pure hohn wirken kann.
nagut. dass es quasi dazu aufruft sehe ich jetzt ehrlicherweise auch nicht.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #694Das Problem ist für mich weniger, dass jemand sagt: Das Gedicht passt nicht zu uns, weg damit! Sondern, dass schon eine sehr direkte Linie zu sexueller Belästigung gezogen wird. Das bringt ja erst die Brisanz in die Diskussion, tenno.
da gebe ich dir einerseits recht, andererseits aber auch zu bedenken, dass das bei weitem nicht die erste wichtige debatte ist, in der von vornherein größere geschütze aufgefahren werden als angemessen. und gerade studenten und ihre asten sind nicht unbedingt für wohlabgewogene argumentation bekannt. ich würde mich freuen, wenn man bei all der künstlichen empörung ein bisschen jugendbonus walten ließe, das hülfe enorm bei der sachlichen bewertung des eigentlichen anliegens.
Ich finde nicht, dass in dem Asta-Brief größere Geschütze aufgefahren werden als angemessen, sondern ganz im Gegenteil sehr verständlich und in angemessener Weise die Situation vor Ort und der Zusammenhang mit dem Gedicht an der Hauswand beschrieben wird. Als Unangemessen und als schwere Geschütze würde ich da eher die hier von einigen formulierten Zuspitzungen bezeichnen.
"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug." Stefan Zweig
Zitat von Quork im Beitrag #676Letztendlich läuft es doch in dieser Diskussion auf folgenden Grundsatz hinaus: Es ist das Recht des Beleidigten, zu entscheiden, was ihn beleidigt. Als Beleidigender kann ich das dann zwar albern finden und ignorieren, ich kann aber schlecht sagen "Nein, das ist nicht beleidigend." Daraus ergibt sich dann nicht zwangsläufig die Notwendigkeit, ein Gedicht zu entfernen. Wenn ich aber auf das Wohlempfinden meiner Studentinnen Acht geben will, dann ist eine Möglichkeit, auf die Gefühlsäußerung meiner Studentinnen einzugehen, sie ernst zu nehmen, und zu reagieren. Und das scheint ja auch passiert zu sein. Ich sehe darin kein Problem. Da kann man dann natürlich argumentieren, dass eine zu weit verbreitete "Dünnhäutigkeit" unserer Gesellschaft nicht gut tun würde und sich Sorgen darüber machen, in welche Richtung wir als Menschengruppe uns entwickeln. Ich bin aber nicht der Meinung, dass gerade im Zusammenhang mit Geschlechterdiskriminierung und in Gleichstellungsfragen Dünnhäutigkeit bisher Wurzel des Problems war. Eher anders herum war doch bisher die "Nun hab dich nicht so"-Haltung viel zu weit verbreitet. Insofern doch ein begrüßenswerter Schritt, dass auf die Beschwerden von Studentinnen hier gehört wird.
Danke!!
Zitat von Quork im Beitrag #688In dem Fall fände ich es weiterhin richtig, auf die Minderheitenmeinung von Menschen einzugehen, die sich von etwas angegriffen fühlen. Denn letztlich muss nicht die Mehrheit von etwas beleidigt sein, damit es beleidigend ist. Und da wäre man dann wieder bei der demokratischen Gesellschaft, die tenno schon ansprach: In einer demokratischen Gesellschaft finde ich es richtig, dass auch auf den Schutz von kleineren Gruppen eingegangen wird, wenn diese sich angegriffen fühlen. Zugegeben, dieses Gedicht ist ein ziemlich niederschwelliges Beispiel für eine solche Grundsatzdiskussion, aber letztlich ist das Level nicht so wichtig.