Zitat von Quork im Beitrag #117Und letztendlich ist das eben leider keine reine Stilkritik, denn der Stil trägt ja Inhalt mit sich. Wenn ich die Diskussion über Geschlechternormen und die Fluidität von Geschlechterrollen als Kampf oder Krieg - ja den wichtigsten Krieg überhaupt - bezeichne, dann ist das eben nicht nur abschreckend, sondern auch ein anderes Verständnis der Debatte, als ich es mir wünschen würde. Letztendlich ist das nämlich von ähnlicher Aggressivität, wie die konservative Gegenposition. Ich bin ja ganz dafür, für sexuelle Selbstbestimmung und die auflösung starrer Geschlechterrollen einzutreten, aber der Weg dorthin kann in meinen Augen nur sein, dass mehr und mehr Leute aus Eigeninteresse heraus wahrnehmen, dass die Auflösung starrer Rollen sie aus erdrückenden Corsagen befreit. Und das macht der Text in meinen Augen eben gerade nicht besonders gut: aufzuzeigen warum sein Weltbild für alle Menschen besser wäre und nicht nur für eine Teilgruppe.
Richtig, das ist auch gar keine Stilkritik, sondern eine inhaltliche. Dein Ansatz hier ist die Diskussion um die Mittel, wenn ich das richtig verstehe. Mir ist das übrigens gar nicht so aufgefallen, ich habe das grade nochmal nachgelesen, das ist ja der Absatz:
ZitatDie dominante, männliche und heterosexuelle Klasse wird ihre Privilegien nicht einfach aufgeben, weil wir hie und da einen Aufschrei anzetteln oder eine Unmenge von Tweets versenden. Seit die sexuelle und antikoloniale Revolution des vergangenen Jahrhunderts ihre Welt erschüttert hat, arbeiten die Heteropatriarchen an einer Gegenrevolution – neuerdings zusammen mit Frauen, die gerne weiterhin "behelligt" oder "bedrängt" werden wollen. Es ist ein Krieg, der tausend Jahre dauern wird, es ist der längste aller Kriege, denn er wird auch um die Politiken geführt, nach denen wir uns reproduzieren und nach denen der menschliche Körper sich als ein eigenständiges Subjekt konstituiert. Es ist der wichtigste aller Kriege, denn auf dem Spiel steht nicht irgendein Geländegewinn oder die Einnahme einer Stadt. Es geht um den Körper, die Lust, das Leben.
Wenn er von einer sexuelle[n] und antikoloniale[n] Revolution des vergangenen Jahrhunderts spricht und der Gegenrevolution dazu, dann ist der Begriff Krieg wohl schon leider angebracht. Das soll wohl untermauern, dass es sich um ein Gewaltverhältnis handelt.
Im weiteren Fortgang des Textes ist aber Gewalt als Durchsetzung der Ziele kein Thema mehr. Das spricht er von Normen, die sich ändern müssen, von langsam und verschlungen, von lernen, die sexuelle Freiheit zu begehren, unsere politische Praxis besteht darin, dass wir die Normen von Geschlecht und Sexualität missachten. Also alles nicht gewalttätig.
Und am Ende ist es sogar fast zu zahm: Macht ruhig so weiter, aber lasst uns doch bitte auch einfach unsers machen:
Liebe Vertreter und Vertreterinnen des sexuellen Ancien Regime, macht mit eurer Schattenexistenz doch, was ihr wollt. Have fun, aber lasst uns unsere Opfer beklagen. Genießt eure Herrschaftsästhetik, aber hört endlich auf, euren persönlichen Stil zu einem allgemeinen Gesetz zu erklären. Lasst uns nach unserer eigenen Politik des Begehrens vögeln, ohne Mann und Frau, ohne Penis und Vagina, ohne Axt und Gewehr. http://www.zeit.de/kultur/2018-01/metoo-...reciado/seite-2
Das ist ja fast schon Hippie-esk!
"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug." Stefan Zweig
als jemand, der seine zuhörerschaft gerne abholt, um sie dann auf eine reise mit meinen schlussfolgerungen zu schicken, frage ich mich nach wie vor, wer die zielgruppe dieses textes sein soll, und welche wirkung dem verfasser vorschwebt. das mag stilkritik sein, aber ich glaube ziemlich fest daran, dass die form das vehikel des inhalts ist. und in ein rostiges, mit anarchistischen parolen besprühtes auto steigen meist nur die, die das eh schon gut finden.
Ich wollte auch nicht LFB oder seine Reflexe besprechen, sondern habe ihn nur als Beispiel genutzt, weil er hier im Thread verkündet hatte, nicht weitergelesen zu haben. Ein Reflex, den ich schon verstehen kann.
Und ich stimme dir zu, das zahme Ende stört mich auch: Soll sich nun alles ändern oder nicht?
Crundsätzlich finde ich allerdings durchaus, dass sich - vor allem professionelle - Schreiber durchaus Gedanken um ihr anvisiertes Publikum machen und ihren Ton dem Publikum anpassen sollten. Das kann geschehen, indem man sich vorsichtig in Richtung des Publikums neigt - wenn man überzeugen will. Oder indem man auf Konfrontationskurs geht, wie der Autor, den wir hier diskutieren. Das trägt dann aber in den allermeisten Fällen nicht dazu bei, dass Leser bei der Stange bleiben, geschweige denn zustimmen. Und da stellt sich dann eben doch wieder die Frage, was mit diesem Text eigentlich gewollt wurde.
Zitat von Quork im Beitrag #123 Und ich stimme dir zu, das zahme Ende stört mich auch: Soll sich nun alles ändern oder nicht?
Crundsätzlich finde ich allerdings durchaus, dass sich - vor allem professionelle - Schreiber durchaus Gedanken um ihr anvisiertes Publikum machen und ihren Ton dem Publikum anpassen sollten.
Ich habe mich weiter oben vielleicht unverständlich ausgedrückt: mmn hat der autor das getan.
Tja, das Ende... Klar soll es das, das macht der Text ja unmissverständlich klar, aber das wie ist ja immer so eine Sache. #metoo scheint er ja gut zu finden, das ist dann ja eine Methode. Die andere, die er anspricht, ist ja das:
ZitatSeit vielen Jahren ist die queere Kultur ein Labor, in dem neue sexuelle Ästhetiken ausprobiert werden. (...) Es gibt allerdings zwei Dinge, die eine neue queere Ästhetik von der alten, heteronormativen unterscheiden: das Einvernehmen und der Verzicht auf die Naturalisierung sexueller Rollen. Die Körper sind gleichwertig, die Machtverhältnisse werden neu gemischt.
Also eine Praxis, die es einfach vormacht - wahrscheinlich mit dem Hintergedanken, dass es sich dann ausbreitet. Das ist ja eine durchaus gängige Praxis in verschiedenen feldern: Man macht es einfach, macht es sichtbar, schreibt und redet darüber. Die einen essen kein Fleisch mehr und die anderen jagen sich gegenseitig durch den Wald.
Als Anleitung zur Revolution der Verhältnisse, die der Text am Anfang vermeintlich verspricht, kann das allerdings enttäuschen.
"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug." Stefan Zweig
Es gibt Debatten, die höchst interessant und für alle Beteiligten erhellend und lehrreich sein könnten, die dann aber durch "Hysterie! Untervögelung! Zensur! Bücherverbrennung! "- Schreier völlig verdorben werden. Das nervt mich nicht, es macht mich auch nicht wütend, es ist nur wirklich sehr, sehr traurig. (Und, ja, auch beängstigend: Ich beziehe mich auf die unsägliche Diskussion um Eugen Gomringers "Avenidas". Wenn man sich die hasserfüllten Kommentare - auch in den Medien - dazu ansieht, traut man sich ja kaum noch, die Objektifizierung der Frau in der Gesellschaft auch nur anzusprechen. Auflösen wird man sie dann wohl erst recht nicht.)
Zitat von faxefaxe im Beitrag #587Hm, da stoße selbst ich an meine Grenzen bei der Avenidas-Debatte. Berechtigte Anliegen werden dadurch diskreditiert.
ich weiß nicht genau, was du meinst - diskreditiert die art der debatte berechtigte anliegen? oder tut es die aktion an sich? (sind ja unter den gegebenen umständen fast schon gegensätzliche aussagen.)
Hui! Da müssten dann ja langsam auch die Filmfirmen ein Interesse daran haben, dass sexuelle Belästigung durch Mitarbeiter unterbleibt.
Nach den vielen Anschuldigungen der sexuellen Belästigung und den Ermittlungen in inzwischen über 30 Fällen, hatte sich recht früh auch der Streamingdienst von Schauspieler Kevin Spacey distanziert. Und das kostete ordentlich Geld: 39 Millionen Dollar. https://www.rollingstone.de/kevin-spacey...dollar-1442691/
Das ist ja meist der eigentliche Grund, das sich etwas ändert. Es muss ordentlich monetaren Schaden anrichten.
"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug." Stefan Zweig
Zitat von faxefaxe im Beitrag #587Hm, da stoße selbst ich an meine Grenzen bei der Avenidas-Debatte. Berechtigte Anliegen werden dadurch diskreditiert.
ich weiß nicht genau, was du meinst - diskreditiert die art der debatte berechtigte anliegen? oder tut es die aktion an sich? (sind ja unter den gegebenen umständen fast schon gegensätzliche aussagen.)
Fühlen sich Frauen tatsächlich dadurch herabgewürdigt, wenn sie (und das ist nur eine Interpretation des Inhalts des Gedichts) in einer Reihe mit Blumen und Alleen genannt werden? Ist es also schon herabwürdigend, wenn sie bewundert werden? Dabei steht noch nicht mal da, wofür bewundert. Oder ist es das Lesen des Gedichts nicht wie ein Blick in den Spiegel (nicht das Magazin)?
Interessiert mich wirklich. Und nein, ich höre mir gerne andere Interpretationen an. Vielleicht übersehe ich ja etwas.
Ansonsten, es stimmt, die Diskussionskultur in diesem Land ist völlig am Arsch.
http://www.last.fm/de/user/DerWaechter ehemaliger Influencer * Downtown * Radebrecht * "Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen." (Ronja von Rönne) “The sex and drugs have gone and now it’s just the rock ‘n’ roll” (Shaun Ryder)