Zitat von tenno im Beitrag #723wenn ich mir überschriften wie "der traurige sieg eines bauchgefühls" oder "die ASH entscheidet gegen die kunst" unterm artikel finde, sehe ich a) den erhobenen vorwurf, die debatte sei übersachlich geführt worden, zumindest für diese publikation nicht bestätigt, und b) mich selbst aber erleichtert, dass die "berliner zeitung" sich ja schon vor jahren zielgerichtet in die irrelevanz geführt hat, und besagte artikel daher wohl kaum noch bei irgendwem wellen schlagen werden.
"der traurige sieg eines bauchgefühls" ist tatsächlich ein recht lesenswerter kommentar, unabhängig davon, was man über die berliner zeitung denken mag. am meisten mochte ich die formulierung "hermeneutik des verdachts", die sich im fall der fassaden-debatte durchgesetzt hat. die gleiche "hermeneutik des verdachts" lese ich auch hier heraus:
Zitat von Quork im Beitrag #722Die merkwürdige Doppelbotschaft, die diese Trotzreaktion sendet, ist schon ein Ding. Was #metoo und alles darum herum ausmacht, ist ja gerade die Tatsache, dass endlich mal nicht mehr über Probleme geschwiegen wird, die millionenfach auftreten. "Jetzt seid halt endlich wieder still." Das muss jetzt nicht gewollt sein, ist aber doch ganz schön schief.
auf die gefahr, dass auch dieses gedicht wieder seiner mehrdeutigkeit zum opfer fallen könnte, weisst der zeitungsartikel bereits hin. ich kann nur appellieren, gedanklich mal einen schritt zurück zu gehen, und sich nochmal zu überlegen, wie wahrscheinlich es ist, dass die akademie der künste tatsächlich zum schweigen aufruft, gerade im bezug auf die sexismus-debatte.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
ZitatDie Akademie der Künste ist mehr als besorgt über den von kunstfernen Begriffen geprägten Diskurs, der um das Gedicht ciudad (avenidas) ihres Mitglieds Eugen Gomringer entstanden ist.
Das Wesen und die Freiheit der Kunst sind bedroht, wenn man sie zu instrumentalisieren versucht. Eugen Gomringer ist der Begründer und einer der bedeutendsten Vertreter der Konkreten Poesie.
Die Akademie der Künste ehrt an exponiertem Ort, der Fassade ihres Gebäudes am Pariser Platz, Eugen Gomringers Arbeit und stellt sein Gedicht schweigen in den öffentlichen Raum.
Die Kunstfreiheit muss über eine unsachliche Debatte jederzeit erhaben bleiben.
eben diese adresse (die ich in den meisten anderen zusammenhängen unterschreiben würde), finde ich fragwürdig, wenn sie den kontext so wenig achtet wie die verhältnismäßigkeit. wie anderswo schon erwähnt, ist weder das gedicht als solches in gefahr, noch ihr verfasser. es hat sich lediglich eine institution dazu entschlossen, es aus gründen einer, sagen wir, rezeptiven diskrepanz nicht länger als aushängeschild zu nutzen. wenn die debatte irgendwo unsachlich wird, dann an stellen wie diesen. um mal die große keule zurückzuschwingen: demnächst taucht frau meerapfel dann bei mir auf, und hindert mich im namen der kunstfreiheit daran, den furchtbaren schinken im wohnzimmer abzuhängen. und um wieder sachlicher zu werden: die kunstfreiheit ist bei uns mit sicherheit andernorts weitaus ernsthafter bedroht als an der hausfassade einer bildungsanstalt.
Zitat von tenno im Beitrag #726und um wieder sachlicher zu werden: die kunstfreiheit ist bei uns mit sicherheit andernorts weitaus ernsthafter bedroht als an der hausfassade einer bildungsanstalt.
ebenso wie frauen anderswo deutlich mehr bedroht werden (bzw. überhaupt bedroht werden), als von diesem gedicht an der hausfassade. der vergleich mit dem häusslichen bild zeigt mir aber noch einmal, dass offenbar nicht verstanden wird, dass es etwas völlig anderes ist, wenn ein gedicht oder bild in der öffentlichkeit nach protesten entfernt wird. hier wird einer völlig verzerrten wahrnehmung auch noch brief und siegel gegeben. den wünschen und bedürfnissen derjenigen, deren gefühlte oder tatsächliche bedrohungslage eine derartige omnipräsenz in deren bewusstsein einnimmt, hätte man anders begegnen können und auch müssen, als dieser sehr speziellen deutung nachzugeben.
natürlich ist die kunstfreiheit als solche nicht bedroht. es sind allerdings kleine stellschrauben, an denen man sich jedes mal aufs neue entscheiden muss, welchen stellenwert man der kunst einräumt. und ich fürchte auch folgeeffekte, wenn derart niedrige schwellen angelegt werden können, um kunst aus dem öffentlichen raum zuentfernen, rein mal abgesehen davon, dass ich die aktuellen sexismusdebatten in ihrer ernsthaftigkeit in den bereich der lächerlichkeit gerückt sehe, wenn ein derart harmloses gedicht zum sündenfall erklärt wird. so fällt es noch einmal schwerer, menschen zu überzeugen, denen bisher die strukturellen benachteiligungen von frauen in unserer gesellschaft in ihrer tragweite nicht so bewusst sind.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von Lumich im Beitrag #727[quote=tenno|p116546]der vergleich mit dem häusslichen bild zeigt mir aber noch einmal, dass offenbar nicht verstanden wird, dass es etwas völlig anderes ist, wenn ein gedicht oder bild in der öffentlichkeit nach protesten entfernt wird. hier wird einer völlig verzerrten wahrnehmung auch noch brief und siegel gegeben. den wünschen und bedürfnissen derjenigen, deren gefühlte oder tatsächliche bedrohungslage eine derartige omnipräsenz in deren bewusstsein einnimmt, hätte man anders begegnen können und auch müssen, als dieser sehr speziellen deutung nachzugeben.
mein eindruck ist, dass sich beide seiten voneinander nicht verstanden fühlen. mein standpunkt dazu ist (momentan, aber gefestigt): auch öffentlichkeit ist relativ, und eine zu einem institut gehörende hausfassade ist eben auch von jenem nicht zu trennen. die debatte sähe für mich anders aus, wenn es sich um ein kunstwerk handelte, das a) im tatsächlich öffentlichen raum steht und auch gewissermaßen repräsentant des öffentlichen raumes ist (wie zB das holocaust denkmal oder ein reiterstandbild im park), das b) als singuläres stück nur an diesem ort existiert und somit bei entfernung in seiner existenz bedroht wäre, und c) dem nach seiner entfernung womöglich keine adäquates objekt nachfolgt. alle drei punkte treffen auf den gomringer nicht zu.
Ich habe mal - wie angesprochen - die beiden Themen/Threads vereint und es vorerst schlicht #metoo genannt. Vorschläge zur Umbenennung sind freilich jederzeit möglich bis umsetzbar.
Zitat von tenno im Beitrag #275mein eindruck ist, dass sich beide seiten voneinander nicht verstanden fühlen. mein standpunkt dazu ist (momentan, aber gefestigt): auch öffentlichkeit ist relativ, und eine zu einem institut gehörende hausfassade ist eben auch von jenem nicht zu trennen. die debatte sähe für mich anders aus, wenn es sich um ein kunstwerk handelte, das a) im tatsächlich öffentlichen raum steht und auch gewissermaßen repräsentant des öffentlichen raumes ist (wie zB das holocaust denkmal oder ein reiterstandbild im park), das b) als singuläres stück nur an diesem ort existiert und somit bei entfernung in seiner existenz bedroht wäre, und c) dem nach seiner entfernung womöglich keine adäquates objekt nachfolgt. alle drei punkte treffen auf den gomringer nicht zu.
a) nicht nur das gebäude ist öffentlich und teil eines öffentlichen bildungssystems, das wandbild ist sogar strassenseitig sichtbar. viel öffentlicher geht es in meinen augen nicht.
b) wie (einer) der artikel bereits schrieb, ist das gedicht als solches auch beschädigt, weil dieser völlig irrige sexismus-vorwurf jetzt an ihm haftet. dieser vorgang ist jetzt teil der geschichte dieses gedichtes, ebenso wie bei einem physisch beschädigten gemälde.
c) was ist bitte adäquat? und das gerade in diesem zusammenhang, wo nicht einmal "alle meine entchen" noch sicher zu sein scheint. ist adäquat ein irgendwie ähnliches gedicht, dass nur das thema "frauen" vermeidet?
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Ich sage nicht, dass irgendwer aktiv zum Schweigen aufruft. Ich finde es im Kontext einer offensichtlichen Trotzreaktion dennoch eigenartig, dass da nicht so weit über mögliche Deutungsebenen nachgedacht wird. Oder es wurde eben doch darüber nachgedacht. In jedem Fall finde ich aber die Trotzreaktion unnötig, egal mit welchem Hintergedanken sie ausgeführt wurde.
Schön finde ich, wie die Werbeschaltung unter diesem Thread mir jetzt hochdotierte Dichterwettbewerbe zeigt. Vielleicht sollte ich auch mal eins schreiben.
Jean-Claude Brisseau selbst erlitt keinen Schaden bei dem Dreh seines skandalträchtigen Erotik-Dramas „Heimliche Spiele“. Vielmehr wurde er danach von einigen Darstellerinnen des Filmes angezeigt und später der sexuellen Belästigung schuldig befunden. Er soll sie dazu gezwungen haben, vor ihm und an öffentlichen Orten zu Masturbieren. Außerdem soll er seine Autorität ausgenutzt haben, um sexuelle Gefallen von den Frauen zu erzwingen. Er selbst sagt, dass das alles Teil des künstlerischen Prozesses gewesen sei.
Danke. Ich geh mal brechen.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Endlich nimmt auch mal einer von der AfD Stellung zum Thema:
"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug." Stefan Zweig