In welcher Stadt lebst du denn? Kommt ja auch sehr auf den Wohnsitz an.
Mahala Rai Banda 03.10.17, Dortmund, Domicil
Konzerte mit Balkan-Brass-Musik sind für mich Seelenreinigung pur. Das versteht so gut wie niemand um mich rum, macht aber nichts. Gestern Abend war wieder ein Paradebeispiel. Ich hatte nicht den besten Tag mit schwankenden Stimmungen, aber eine halbe Stunde nach Beginn des Konzertes hatte ich das alles vergessen und tanzte mit den anderen Leuten vor mich hin. Bei diesen Auftritten passieren Dinge, die man im Rockbereich einfach nicht sieht: Leute bilden Tanzketten oder Tanzkreise quer durch den Raum, alte Menschen stehen auf und reißen begeistert die Arme in die Luft, alles tanzt, kaum jemand bewegt sich nicht irgendwie ein bisschen, sogar der Rollstuhlfahrer in meiner Nähe. Kinder laufen herum, Menschen bekommen vom Sänger (einem der Sänger, um genau zu sein) ein Mikrofon in die Hand gedrückt und singen wunderschön eine Strophe eines Balkan-Standards, es ist ein riesiges Fest für alle. Aurel Ionitas Ansagen in feinstem Englisch-Romani-Irgendwas-Kauderwelsch, die niemand außer ihm selbst versteht, sind eine Liebeserklärung an den modernen Dadaismus. Und hinterher geht man zufrieden nach Hause. Mit diesem Gefühl, dass es so etwas wie Internationalismus gibt und wir alle nur Menschen sind, egal aus welchem Land wir stammen.
Jetzt könnte man vom technischen Standpunkt her meckern, dass die Besetzung mit nur drei Bläsern etwas mager für ein Blekorkestar ist und dass der Sound teilweise nur mäßig war. Aber das spielt alles keine Rolle mehr, wenn man mit diesem Gefühl heimgehen gehen kan
Nick Cave & The Bad Seeds Frankfurt, Jahrhunderthalle, 07.10.2017
Der Meister in der Gegend, da müssen der King und ich natürlich hin. Es war unser erstes Mal mit Nick Cave - und es war unfassbar! Vorab: Die Jahrhunderthalle in Frankfurt-Höchst hat genau die richtige Größe: es ist kein Club, aber auch kein Stadion, die Ränge bestuhlt, der Stehbereich ausreichend groß und die Lüftung super, der Sound glasklar. Für den entspannten Konzertbesuch ausgezeichnet geeignet; kann ich nur empfehlen. (Wie viele Leute reinpassen, konnte ich leider nicht abschätzen und spontan auch nicht recherchieren.) Um halb neun ging es los - leider ohne Hinweis, sodass wir uns ab acht Uhr, dem angegebenen Beginn, nicht mehr wirklich aus der Halle getraut haben, um aufs Klo oder ein Getränk erwerben zu gehen. Halb so schlimm, sobald die Band die Bühne betrat, wollte sich sowieso niemand mehr vom Fleck bewegen: Die Präsenz und Intensität aller Beteiligten zog das Publikum sofort in ihren Bann. Wenn ich mich nicht sehr irre, wurde bis auf "Rings of Saturn" (schnüff!) die gesamte "Sleleton Tree" gespielt, was sehr gut funktioniert hat. Manch einer, der im Vorfeld skeptisch war, eine so langsame, schräge Platte präsentiert zu kriegen, konnte nach ein paar Liedern gar nicht mehr genug davon kriegen. Mein Freund Olli, anfangs auch einer der Skeptiker, wollte nach "Jesus Alone" am liebsten gar nix Schnelles mehr. Der King sah das anders, aber auch der kam auf seine Kosten. Mit der extralangen, extrageilen Version von "From Her to Eternity" zum Beispiel. (Eines der ewigen Lieblingslieder übrigens.) Mit dem "Mercy Seat". Mit "Red Right Hand", das seitdem wieder auf meiner imaginären Halloween-Playlist den Anfang macht, nachdem ich es eine Weile lang totgehört hatte. Mit dem "Ship Song" & dem "Weeping Song". Mit "Stagger Lee", bei dem Cave - es war die Zugabe - haufenweise Publikum auf die Bühne zog, das teils feierte, teils wie hypnotisierte Kaninchen den Meister anstarrte, als sei er gerade einem UFO entstiegen. Ein bewegendes, ein stellenweise viel zu krasses Ereignis. Meine Wenigkeit war an manchen Stellen den Tränen fast ein bisschen ZU nah. ("Girl in Amber" - heult da irgendjemand NICHT??), aber Nick versteht sich darauf, ein gutes "Mixtape" zu machen und kühlte an den richtigen Stellen runter. Einmal sogar ZU weit: "Into My Arms", sowieso nicht gerade ein Liebling von mir, dauerte mir zu lang, war zu gemächlich. Gut zum Luftholen und sich fangen, mehr aber auch nicht.
Nick Cave ist einer der überragenden, wenn nicht der größte Künstler unserer Zeit & es war ein Fest, ihn live zu erleben.
Ich war auch in Frankfurt! Wo standet ihr denn? Wir waren genau mittig ca. 10m vor der Bühne.
Kann dem Ganzen eigentlich nicht groß was hinzufügen. Der Sound war große Klasse, die Setlist ebenfalls (auf der ganzen Tour bisher gleich). Ich hab mich besonders über die knackige Version von "Jubilee Street" gefreut! Um mich rum haben übrigens tatsächlich einige Damen ab und an geweint. Kann ich verstehen.
Die Jahrhunderthalle ist auch echt eine großartige Location und ich freue mich schon auf Samstag bei Sigur Rós. Dann allerdings oben auf den Sitzplätzen.
#619 | RE: So war's09.10.2017 13:32 (zuletzt bearbeitet: 09.10.2017 13:34)
Mory
(
gelöscht
)
Zitat von RegularJohn im Beitrag #624Ich war auch in Frankfurt! Wo standet ihr denn? Wir waren genau mittig ca. 10m vor der Bühne.
Wir standen eher rechts, recht weit hinten, vielleicht fünf, zehn Meter vor den Rängen. Der Blick auf die Bühne war aber super, insofern war hinten sein nicht schlimm. (Und, wie gesagt, die Jahrhunderthalle ist nicht allzu groß; laut deren Homepage haben bei Teilbestuhlung insgesamt 4.800 Leute Platz.)
Wir standen eher links, ungefähr da, wo die linke Kamera stand. Ich sage jetzt nicht, dass wir uns zur Zugabe weiter nach links außen bewegten, nur um festzustellen, dass Nick Cave bei seinem anschließenden Ausflug ins Publikum ziemlich genau da landete, wo wir vorher standen.
Ebenfalls eine Wucht, abgesehen vom Meister, war Warren Ellis, der öfter mal den Derwisch gab.
http://www.last.fm/de/user/DerWaechter ehemaliger Influencer * Downtown * Radebrecht * "Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen." (Ronja von Rönne) “The sex and drugs have gone and now it’s just the rock ‘n’ roll” (Shaun Ryder)
the jesus and mary chain, 15.10.17, theaterfabrik, münchen
erst mal musste ich zwei tickets loswerden, was ganz schön gedauert hat, weil a) fast alle, die kamen, schon eins hatten und ich b) den armen studenten vorgelassen habe, der die kohle sicher nötiger hatte als ich.
dadurch hab ich zwar ein paar stücke der vorband (cold cave) verpasst, aber als ich dann endlich drin war, stellte sich schnell heraus, dass das kein großer schaden war. hatte ich schon vermutet. sporadisch hab ich verfolgt, was die so machen und was ich hörte, bestätigte mich in meinem urteil. ziemlich generisches geballer, etwaige nuancen gingen im klangbrei unter. das gespräch mit der vermutlich flammendsten jamc-fannin luxemburgs (extra fürs konzert angereist) war auf jeden fall interessanter.
erstaunlich war, dass es nicht gerade brechend voll war und die theaterfabrik ist gewiss keines der größten venues der stadt. egal, war ne gute mischung aus alt-fans und newbies da, die stimmung hervorragend, ausgelassen und ohne agressionen. als sie auf die bühne kamen war der jubel groß. im nebel sieht jim reid immer noch aus wie damals, william ist schon eher gealtert, versteckt sich aber gekonnt hinter seinem lockenvorhang. los ging's mit einer mischung aus songs vom neuen album und hits von "darklands" bis "munki" ... und das haben sie leider bis auf das eingestreute "some candy talking" beibehalten. nicht, dass ich was gegen ihre hits zwischen album 2 bis 5 habe ("munki" kann mir eher gestohlen bleiben), aber kein "never understand", "upside down" oder "you trip me up"? "reverence" in einer sehr exzessiven version als letztes stück des hauptteils war eindeutig der vorläufige höhepunkt. innerhalb der zwei zugaben gab es dann immerhin noch "just like honey" und "in a hole", aber hey, was haben die gegen ihr meisterwerk? finden die das inzwischen scheiße? immerhin, "sidewalking" war dann nochmal ein highlight, aber irgendwie hatte ich mir doch etwas mehr erwartet. schade.
Tja, Mogwai, kann es sein, dass sich die Musik auf der Bühne so langsam auslutscht oder habe ich sie inzwischen einfach zu gut von früher in Erinnerung?
Der neue Drummer und der neue Gitarrist passten mir nicht, weiß auch nicht ob es Einbildung war, aber für meine Ohren klangen die früheren Experten an diesen Instrumenten besser ins Gefüge integriert. Hinzu kam ein sehr volles Haus, weswegen manche Zurufe und "Yuhuu" Publikums-Bekundungen fehl am Platz wirkten, aber geschenkt.
Wenn man aber auch so Probleme mit dem neuen Album hat, wie ich, fällt es der Setlist halt auch schwer. Einzig der Album-Closer "Every country's sun" war live eine schiere, erhabene Wucht und zauberte lang vermisste Gänsehaut auf den Rücken.
Die letzten Zugaben "Helicon Pt.1" und vor allem "Batcat" (und nicht We're no here, wie es ein fehlinformierter Mensch auf setlist.fm schreibt), donnerten dann nochmal das DOCKS in Grund und Boden. Selbst für Mogwai-Verhältnisse war die Intensität und Lautstärke beeindruckend, man fühlte jeden Bass-Zupfer und jede Welle in den Organen. Daher holte das Ende einiges raus, aber alles in allem für über 35€ ein wenig wenig. Und doch werde ich wohl wiederkommen, wie ich mich kenne. ;)
Da wäre ich auch gern gewesen. Immer schön dann hier ein Review zu lesen, danke! Habe Mogwai über all die Jahre auch schon mehrfach gesehen. Unvergessen 1998 im alten Knust, falls Du den noch kennst. Da waren sie aber noch nicht so laut. Batcat als Zugabe, hach.
Die Anleihen bei alten Trip Hop Größen, James Blake und den Jazz-Sachen von Matin Eberle waren zwar unüberhörbar, aber in Summe war das ein sehr sphärisches Konzert mit viel Emotion und Klang. Der Dummer war fantastisch, Martin himself wie immer ein Virtuose an der Trompete und der Synthi-Mann zum Dahinschmelzen leidenschaftlich. Dass sowas Gutes aus Österreich kommt, packe ich immer noch kaum.
hat doch 11 jahre gedauert, dass sie mal wieder in münchen zu sehen und hören waren. damals in der registratur waren gut 5 mal so viel leute da. so weit ich mich erinnern kann, war's rammelvoll und eher unangenehm. da war das doch heute ein angenehmer kontrast. gut gefüllt, aber nicht überlaufen. kein doofes hipsterpublikum, sondern leute, die von der ersten minute an tanzen wollten und sich angenehmerweise mit inzwischen konzerttypischen aktivitäten (filmen, twittern, instagrammen und über den aufregenden tag an der uni palavern) zurückhielten. sie sind tatsächlich nur noch zu zweit unterwegs, aber ihren sound bekommen sie so auch so ausgezeichnet hin (johnny blake: gesang, gitarre; adam blake: synths, percussion). das set war perfekt ausbalanciert. schwerpunkt natürlich auf den neuen stücken, die live toll funktionieren; höhepunkte von den älteren alben eingestreut (die hitdichte ist inzwischen schon ziemlich beachtlich); die gangart wurde zunehmend angezogen und die stücke gingen mehr und mehr ineinander über, so dass das fast wie ein dj-set funktionierte. zum abschluss gab's natürlich "living in a magazine". was will man mehr. hätte mir gerne noch ein t-shirt gekauft, aber die mädels hatten leider schon alles in größe s aufgekauft.
auf den tipp einer guten bekannten hin ging ich gestern abend (trotz ausklingender minigrippe und anderweitigen verpflichtungen) zur record release party von REEMA im prachtwerk. ein sehr angenehmer ort - wie sagte auch gleich lianne hall, die als opener schon sehr schön die sanft-düster-melancholische stimmung einläutete: "what a beautiful venue! I can't believe I am in neukölln!" direkt danach kam port almond, ein norweger, der so unbekannt ist, dass ich ihn bislang noch nicht mal googlen konnte, der aber stimmlich wie auch atmosphärisch seiner vorgängerin kaum nachstand. ich war schon ganz verzückt und verzaubert, als plötzlich diese sehr sehr hübsche frau, die die ganze zeit neben mir genauso verzückt und verzaubert zugehört hatte, aufstand und auf die bühne ging. okay, das ist dann wohl also reema. im anschluss erfuhr ich dann noch mal neue höhen der verzückung und verzauberung, schon allein durch die anwesenheit eines bassaxophonisten samt instrument, der den zu sparsamer gitarre vorgetragenen düsteren balladen eine außergewöhnliche komponente verlieh. irgendwann dann kamen mal eben noch eine querflöte, eine klarinette und eine posaune auf die bühne, und begleiteten eine handvoll songs mit zum teil bis ins atonale reichenden, aber dabei so geisterhaft schönen arrangements, dass ich tatsächlich kurz das gefühl hatte, jemand hätte mir eine endorphinspritze in die vene gejagt. natürlich musste ich gleich die platte haben (und die von lianne gleich mit); und zuhause angekommen, wurden gleich die hintergründe recherchiert. also: reema ist eigentlich londonerin, wohnt jetzt aber in berlin, und hat diese platte bei und mit guy sternberg aufgenommen, live samt "orchester", und so streng analog, dass diese musik tatsächlich noch nie das innere eines computers gesehen hat. es gibt nicht mal einen downloadcode, weil es gar keine mp3s o.ä. davon gibt.
Zitat von Mory im Beitrag #623Nick Cave & The Bad Seeds Frankfurt, Jahrhunderthalle, 07.10.2017
jetzt auch in berlin, max-schmeling-halle.
eigentlich ist den (unterm link nachzulesenden) worten morys wenig hinzuzufügen. you want intense, you got intense. ein beeindruckendes konzerterlebnis, und ich bin froh, den mann endlich abgegriffen zu haben (nachdem ich in den späten 80ern jahrelang bei ihm um die ecke wohnte, und die ganze zeit zu blöd war, ihn mal live zu sehen). der sound war fantastisch (insbesondere, wenn man den ort bedenkt), und keine band der welt spielt auf so sensible weise verstolpert, und macht anschließend solch einen kathartischen krach von so wundersamer schönheit. ich kann es noch nicht ganz in worte fassen, warum trotzdem ein kleiner stachel in diesem konzerterlebnis steckt. vielleicht nur diese komische sängerin, die plötzlich von der videoleinwand kam, mich unangenehm an cathy berberian und ihre bemühten beatles-covers erinnerte, und außerdem dieses romantische bild von einer band ohne clicktrack auf dem ohr in scherben schmiss. und vielleicht auch diese fans-auf-die-bühne-hol-aktion, die schlichtweg nicht nötig gewesen wäre, und irgendwie einfach zuviel soße über sein jesusparodistisches charisma kippte. aber maybe it's just me, not him. die anderen fanden das nämlich alles toll, und wer wäre ich, mich da nörgelnd reinzuhängen. abgesehen davon war es nämlich schon ein highlight; wie dieses jahr überhaupt meine persönliche lebens-top-ten an großartigen konzerten tüchtig durcheinandergewirbelt hat. und da klopft dieses ereignis durchaus an.