Zitat von Nachtkrabb im Beitrag #742 Hab aber weiterhin keine Vorstellung davon wie das als Stehkonzert im Palastzelt funktionieren wird
keine angst, das funktioniert hervorragend.
heute:
die nerven, münchen, strom, 28.04.18
zunächst kam der roadie auf die bühne und schraubte ein bisschen herum, ging dann aber ans mikro - eine blockflöte in der hand - und sagte "hallo, ich bin die lore". die lore ist ein mitteljunger, trainingshose und rote socken in adiletten sportender slacker, der fortan das vorprogramm gestaltete. und das bestand darin, dass er zunächst mal seine offensichtlich nicht programmierbare rhythmusmaschine "friedolin" in den griff kriegen musste und dann sich selbst als human beatbox loopte und das hat er ziemlich gut drauf. kurzes blockflötensolo und dann eingesungene und wieder geloopte synthie-melodien und lustig-dämliche ein- bis zweizeiler ("zum klinikum großhadern - zurückbleiben bitte" - echt funky). klingt doof, hat aber toll funktioniert. höhepunkt war eine coverversion von "trans europa express" welches dann in einem "inshallah europa"-mantra mündete. danach baute er ein wenig ab, aber insgesamt war das schon ein ziemlich amüsanter und vor allem sehr ausgefallener anheizer.
tja, und was soll ich dann zu den nerven sagen, außer dass das genau das war, das ich von der derzeit besten deutschsprachigen band erwartet habe. zwei bis drei songs haben sie gebraucht bis sie drin waren, aber dann war das richtig tight ... und es formierte sich der befürchtete mosh-pit. ich war raus, hab aber auf einer bank auf der merchandising-empore den perfekten platz gefunden. der sound war super - man hat wirklich jedes wort, das max rieger und julian knoth gesungen haben, verstanden, der bass knallte, das schlagzeug war prominent, aber nicht alles übertönend und max rieger spielt eine virtuose, aber ganz und gar nicht angeberische gitarre. und das repertoire war schön abwechslungsreich, so dass sich die meute zwischendurch auch mal wieder beruhigte, um dann beim nächsten stück wieder ausgelassen herumzupogen. meine assoziationen reichten von sonic youth über die feelies zu trio und einmal sogar b-52's. die lakonischen ansagen, zwischenkommentare und v.a. seitenhiebe auf die sich daran anschließende visions-party sorgten für heiterkeit. zum schluss gab's ganz viel lärm, herumgealber und keine zugabe, aber das war vollkommen in ordnung. großartig, wirklich großartig!
Zum Tourauftakt im Wiesbadener Schachthof gab es sogar Vorband und Zugabe und das trotz Hecker-Idioten ("Spiel und halt's maul"). Leider war das ein Tag bevor FAKE rauskam, sodass natürlich einige Songs dem Publikum gänzlich unbekannt waren und die Band noch nicht zu 100% eingegrooved war. Trotzdem war's ein super Auftritt, der beste vll den ich bisher von den Nerven gesehen habe.
Chick Corea Solo in der Apostel-Paulus-Kirche in Berlin
Wie spielfreudig dieser Mann mit Mitte 70 ist, muss man bewundern. Er spielte locker zwei Stunden, mit einer kurzen Verschnaufpause in der Mitte, und unterhielt sich nett mit dem Publikum auf den harten Kirchenbänken. Wenn das auch zum Sitzen auf Dauer anstrengend wurde, entlohnte doch großartige Akustik und ein wunderschönes Ambiente. Corea spielte sich erst einmal 45 Minuten durch alle möglichen Stücke von Bach über Gershwin bis Monk und kam langsam in Fahrt. Nach dieser Einlage, die ein bisschen wie eine Kreuzung aus Musikunterricht und "Chick beim Üben zuhören" anmutete, kamen dann mehr eigene Stücke und Improvisationen, die noch ein wenig mehr lohnten. Zwischendurch lud er Menschen aus dem Publikum zu sich an den Flügel, um musikalische Porträts von ihnen zu improvisieren oder mit mutigen Hobbie-Pianisten vierhändig zu spielen. So interaktiv habe ich noch kein Konzert erlebt - und tatsächlich waren letztere Improvisationen dann auch die besten Momente dieses Konzerts. Ich hatte ein bisschen befürchtet, dass das in eine etwas elitäre Veranstaltung für fortgeschrittene Fahrstuhljazz-Liebhaber abdriften würde. Das trat aber Gott sei Dank nicht ein. Hängen geblieben sind vor allem die große Virtuosität dieses angegrauten Herrn und eine tolle, unprätentiöse Haltung.
es verschlug mich gestern aus verschiedenen gründen auf das musikfest in schöneiche, einem lauschigen dorf im umland. man ist ja von selbstorganisierten dorffesten böses gewohnt, daher waren meine erwartungen niedrig. allerdings war ich dann doch ganz schön platt ob des generell sehr hohen niveaus, das von verschiedenen bühnen zu hören war. getoppt wurde alles jedoch vom langschlenderer, der so ziemlich der begnadetste looper ist, den ich je die freude hatte zu hören (und die kombination mit seinem tanzenden bruder ist irgendwie ungemein knuffig).
teil eins (also die ersten drei acts) implizierte als festival-motto eher "panta dröhn". als ich die muffathalle betrat wähnte ich einen presslufthammer auf der bühne, aber das waren nur metroscan, ein musiker aus lettland mit seinem kumpan der live computergraphik dazu generiert. das war schön anzusehen, jedoch erstmal unerträglicher krach - nach dem presslufthammer minutenlanges nur leicht moduliertes - genau - dröhnen. daraus schälte sich aber als erlösendes moment endlich so was wie ein beat, es wurde zusehends rhytmischer, zugänglicher und dann ging die reise wieder zurück zum krach. live erlebt war das recht interessant, als konserve kann ich mir das nicht so recht vorstellen. dazu ist es dann doch etwas zu langatmig.
an einem tisch mitten in der halle hatte inzwischen eine dame namens tara transitory ihre geräte aufgebaut, mit denen es dann lustig weiterdröhnte. ich hatte es mir auf dem hallenboden gemütlich gemacht und genoss den einsetzenden trance-artigen zustand, als dann leider gekröse-zerschmetterndes gestampfe einsetzte, woraufhin ich fluchtartig den saal verlassen musste, da gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen werden konnte. als zeitvertreib gab es in den mir bisher unbekannten studios des muffatwerks zwei videoinstallationen zu bewundern, eine davon langweilig (die üblichen übereinandergestapelten monitore, die flackernd irgendwelche nichtssagende artsy-fartsy manipulierten filmschnipsel, standbilder und videospielausschnitte zeigten), die andere jedoch fas-zi-nie-rend. eine künstlergruppe namens quadrature hatte dazu anhand der daten der umlaufbahnen aller, die erde umkreisenden objekte (minus weltraumschrott) eine auf drei leinwände projizierte simulation angefertigt, die einen - inmitten auf kissen auf dem boden sitzend, begleitet von (wie könnte es anders sein) ambient-gedröhne - ganz schön reinzog. hier gibt's ein paar - leider nicht so wahnsinnig repräsentative - ausschnitte davon:
zurück in der halle hatten gerade emptyset mit ihrem ... set begonnen. und es dröhnte und stampfte wieder, und dazu gab es auch wieder computergraphik in nicht ganz so beeindruckend. (flackernde geometrische formen und figuren sind halt nicht per se superinteressant). aber die herren sind nicht zu unrecht die einzigen des bisherigen line-ups, die es zu einem gewissen bekanntheitsgrad gebracht haben (man veröffentlicht mittlerweile auf raster-noton und thrill jockey). das dröhnen und stampfen wurde nämlich zusehends variantenreicher, stimmungen und klangfarben änderten sich und es wurde sogar annähernd tanzbar. ganz klar mein bisheriger favorit des abends. da werde ich auch mal in die verfügbaren alben reinhören.
zu teil 2 später. jetzt muss ich erst mal in die sonne.
nach dem ganzen gedrone kamen die sleaford mods gerade recht. breaking news: sie trinken kein bier mehr (zumindest nicht auf der bühne; williamson: "i don't do that anymore. my body is my temple."), wirken irgendwie gesünder, fitter und williamson so, als hätte er zuletzt nicht unbeträchtliche zeit im fitness-studio zugebracht. vielleicht möchte er nicht unbedingt das schicksal eines mark e. smith teilen, mit dem er ja immer wieder verglichen wird. was geblieben ist, ist der sound. fearn drückt aufs knöpfchen und startet das geballer, williamson spuckt gift und galle (im gegenlicht konnte man das gut sehen; er war praktisch ständig von einem spuckenebel umgeben). war natürlich nix neues, wenn man sie schon mal live gesehen hat, neue songs gab's auch nicht, aber spaß macht das allemal. der saal war zum ersten und einzigen mal an diesem abend voll und kochte. williamson war voll des lobes für das publikum und obwohl eigentlich keine zugaben vorgesehen waren, kamen sie noch mal für 3 stücke auf die bühne.
für viele war der abend damit gelaufen - ein fehler! denn danach kamen diese beiden hübschen jungen damen aus südafrika namens desire marea und fela gucci aka FAKA samt soundmann auf die bühne:
allerdings in etwas geänderten outfits: beyoncé-löwenmähnen, knappe bodys und netzstrümpfe. zunächstmal gab es einen länglichen monolog über gqom-beats (die südafrikanische spielart des house), was ein wenig langweilte, da in einer unverständlichen afrikanischen sprache, aber dann wurde ein beat-feuerwerk abgefackelt, das direkt in die beine ging und bei dem keiner still stehen konnte. dazu rappten die beiden abwechselnd und tanzten perfekte choreographien. leider war ihr auftritt ein bisschen kurz. von mir aus hätte das gerne noch ein bisschen weiter gehen können, aber ich denke, so groß ist das repertoire noch nicht. auf jeden fall eine sache an der ich dranbleiben werde.
hauptgrund, warum ich unbedingt da hin wollte, war mykki blanco. und er gab mir mit seinem auftritt vollkommen recht. was für ein unfassbares energiebündel. er tritt zwar ebenso wie seine vorgänger in drag auf, hat aber er im gegensatz zu deren ganz und gar anmutigen bewegungen eine ganz spezielle mischung aus femininer gestik und typischem hip hop-macho-gepose drauf und verkörpert damit im besten sinne das festival-motto. die musik machte eine junge dame, deren name ich nicht verstanden habe (liz oder so), aber sie war großartig - eine mischung aus hip hop und house - sehr tanzbar und die ideale untermalung für mykkis raps. und der war ständig am rumturnen, fuchtelte gefährlich mit dem mikroständer herum, zertrümmerte fast einen stuhl und war die hälfte der zeit im publikum unterwegs, denn er wollte "paaarty". und die bekam er und die bekamen wir. was für ein spaß! liz oder so spielte dann noch weiter, aber ich konnte nicht mehr und setzte mich sehr glücklich in ein taxi nach hause.
tolle sache. nach "alien disko" und "la ritournelle" ein weiteres festival, das sich hoffentlich etablieren kann.
Ich bin immernoch ganz platt vom gestrigen YO LA TENGO-Konzert im berliner Heimathafen Neukölln…
auch wenn ich recht müdigkeitsgeplagt dort eintraf, glücklicherweise ganz vorn am Bühnenrand, an dem ich mich abstützen konnte. Das Programm ging von kurz nach 21 bis um 0:00 Uhr, mit einer ca. 20 min. Unterbrechung nach der ersten Stunde des Sets. Ich habe YLT mindestens zum achten mal gesehen, aber dieses war das beste Konzert, an das ich mich erinnern kann, und das obwohl ich das aktuelle Album, trotz gewohnt hohem Standard, nicht zu ihren besten zählen würde. Tatsächlich machten die neuen Songs einen Grossteil des Sets aus, in dem es mehr denn je Feedbackorgien über sonst entspannt und stoisch dahinplätschernde Grooves zu bestaunen gab. Ira Kaplan schien bestens gelaunt. In den wenigen Ansagen zeigte er sich humorvoll und zugewandt. Neben den neuen Stücken wurden auch die Klassiker nicht vergessen, wie Autumn Sweater und Deeper Into Movies (diesmal halbakustisch) und vielen anderen, deren Namen mir nicht einfallen. Anders als sonst, gab es diesmal nur einen Publikumswunsch bei den Zugaben, aber dieser war Today is the Day. Wer würde da meckern?
Klar ist es auch belastend in der Arbeitswoche erst kurz nach Mitternacht den Konzertsaal zu verlassen, um nach kurzer Taxifahrt doch wieder zu wenig Schlaf für den nächsten Tag abzubekommen. Allerdings habe ich das selten so gern in Kauf genommen wie dieses mal.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
ui, da bin ich ja mal gespannt auf morgen. bei uns ist das ja in den kammerspielen und bestuhlt. das könnte sich bei so einer dauer auszahlen - zumal ich heute nach der arbeit so kaputt war, dass ich für ne stunde ins koma gefallen bin - und es fängt auch schon um 20 uhr an. na ja, egal, donnerstag ist ja eh frei.
Zitat von Lumich im Beitrag #752Ich bin immernoch ganz platt (...) dieses war das beste Konzert, an das ich mich erinnern kann (...) mehr denn je Feedbackorgien über sonst entspannt und stoisch dahinplätschernde Grooves(...)
genau so und doch ganz anders. morgen schreibe ich vielleicht noch ein bisschen mehr dazu. auf jeden fall war es absolut fantastisch.
ich zitiere mal aus einer pn die mir eine last.fm-bekanntschaft schickte, die extra fürs konzert aus ankara angereist kam:
Zitat(...) I am still under the influence of the concert. It was just perfect, the sound, the variety of instruments, songs, vocals, their attitude… I was so filled with emotions i thought I will scream or something at some point. Sitting doesn't help at all also :) they played andalucia and satellite at the end. such an appropriate closure! I loved it. Yeah, I saw yo la tengo, i can die now.
was soll ich da noch viel schreiben - ihr wisst alle, dass ich mit dieser band verheiratet bin, und jedes konzert ist wie nach hause kommen. nur dass ich jedesmal wieder von den socken bin, wie meine gatten nach 32 jahren mich immer noch überraschen, sozusagen mit schicker neuer unterwäsche, neuen tricks und moves, und immer noch diesem kindlichen blitzen in den augen. so stelle ich mir glück vor.