Ein im positiven Sinne sehr eigenartiges Buch. Eine autobiographische Erzählung einer Anthropologin, die in Kamtschatka von einem Bären angefallen wurde und schwer verletzt überlebt hat. Eine miedka ist sie nun in der Sprache der Ewenen, eine, die die Begegnung mit dem Bären überlebt hat und nun von ihm gezeichnet ist (und ein bissl ist er in ihr). Teilweise ist das esoterisch, aber auf eine interessante Art. Die Operationen und die schwierige Genesung und der Erzählstil haben mich an den „Fetzen“ erinnert, das Buch von dem Charlie-Hebdo-Mitarbeiter, dem bei dem Anschlag der Unterkiefer weggeschlossen wurde. Auf Kamtschatka bin ich nun dieses Jahr schon dreimal gestoßen (von Moskau auf die teilweise militärisch gesperrte Halbinsel ist der längste Inlandsflug der Welt). Erst in einem Mountainbike-Buch, da sind sie hoch zu den Vulkanen geradelt. Und dann in dem ebenfalls sehr interessanten Roman „Das Verschwinden der Erde“. Würde da gern mal hin.
Oberflächlich gesehen ein typischer Remarque: zwei Emigranten unterhalten sich eine Nacht lang durch über das Leben des einen, der dem anderen und seiner Frau seinen Platz auf dem rettenden Schiff nach Amerika überläßt. Die einzige Bedingung ist, daß der Begünstigte sich des Schenkers Lebens - und Leidensgeschichte anhören muß. Es gibt typische Elemente, die in fast jedem Remarque - Roman auftauchen: eine große Liebe, die böse endet. Ein Selbstmord aus Verzweiflung. Ein Nazischerge, der ein erfreulich unerfreuliches Ende findet. Und trotzdem ist das wieder dermaßen packend, daß man es in einem Rutsch durchliest (zumindest mir ging es so); auch wenn man meint, nach einigen Büchern gefeit zu sein, geht einem die Schilderung eines Gestapo - Folterverhörs immer noch extrem an die Nieren, wenn man einen Rest Empathie besitzt. Und natürlich wirft er immer wieder denkwürdig zitables in die Runde, so daß man aus jedem Buch etwas für sich herausziehen kann:
Aber hatte er den Menschen, den er liebte, nicht tiefer besessen als die Galerie der stupiden Sieger? Und was besitzen wir wirklich? Wozu so viel Lärm um Dinge, die als bestes nur geliehen sind für kurze Zeit; und wozu so viel Gerede darüber, ob man sie mehr oder minder besitzt, wenn das trügerische Wort "besitzen" doch nur heißt: die Luft zu umarmen?
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Der erste Band der autobiographischen Trilogie der dänischen Schriftstellerin (wieder herausgekommen, geschrieben vor mehr als 50 Jahren). Ist schon so gut, wie alle sagen (erinnert mich aber nicht unbedingt an Knausgard, was immer wieder bemüht wird). Teil eins über ihre Kindheit in sehr einfachen Verhältnissen in Kopenhagen. Es ist auch Sozialstudie, aber es geht mehr um ihr Anderssein, das schwierige Verhältnis zur Mutter, den Weg zur Schriftstellerin. Sehr klar geschrieben.
Teil zwei schließt sich nahtlos an (man hätte auch alle drei Bände, je zweifachen 150 und 200 Seiten lang, zusammen herausbringen können. Der Auszug daheim, das erste veröffentlichte Gedicht, die Suche nach jemandem, den sie lieben kann (bzw. sie sich fragt, ob sie das überhaupt kann).
Die heiligen Regeln des Rennradelns, von Sockenfarbe und -Länge über „das Rad kommt vor der Familie“ bis hin zu „beiß die Zähne zusammen“ (die heiligste Regel, Nummer 5). Auf 300 Seiten sehr unterhaltsam, eingebettet in die Historie. Viel gelernt, auch wenn ich mein Rad immer noch nicht selbst reparieren kann 😬. Gutes Geschenk für jeden, der ein Rennrad hat.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #1639Es ist auch Sozialstudie, aber es geht mehr um ihr Anderssein, das schwierige Verhältnis zur Mutter, den Weg zur Schriftstellerin.
Irgendwie finde ich das immer sehr schräg. Sie beschreibt also den Weg, der dazu führte, daß sie nun ihren Weg beschreiben kann. Das erinnert irgendwie an Rapper, die Tracks machen, deren Inhalt darin besteht, daß sie jetzt rappen und diesen Track gemacht haben.
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(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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Das ist mir schon klar; ich frage mich da aber auch immer nach dem Sinn und Zweck des Ganzen. Was will der Mensch, der anderen seine Biographie um den Bart seift, ohne daß ihn jemand kennt, damit erreichen? Es gibt da diverse Ansätze. Aber allgemein hat das schon etwas von "aus der Not eine Tugend machen".
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Äh, nein. Keinerlei Not. Diese These irritiert mich etwas. Sehr viele Romane sind natürlich zumindest autobiographisch inspiriert. Wie eine Dänin, die aus der untersten Arbeiterklasse kommt und in den 1920er-Jahren aufgewachsen ist, eine der bekanntesten Lyrikerinnen ihres Landes wurde (dabei aber nicht glücklich), ist sehr interessant.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #1646Wie eine Dänin, die aus der untersten Arbeiterklasse kommt und in den 1920er-Jahren aufgewachsen ist, eine der bekanntesten Lyrikerinnen ihres Landes wurde (dabei aber nicht glücklich), ist sehr interessant
Dann rudere ich ein Stück zurück; zumindest ist sie so prominent, daß Leute ihr Werdegang interessieren dürfte.
Mir erscheint es für einen unbekannten Autoren recht vermessen, als Erstling eine Autobiographie rauszuhauen, egal in welchem Jahrzehnt. Das kann funktionieren, muß aber nicht; aber für Einfallsreichtum spricht das nicht zwingend.
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Das ist nicht ihr erster Roman. Aber ein Roman über eine Kindheit in einem dänischen Arbeiterviertel kann doch gut oder schlecht sein, egal, ob der Autor berühmt ist oder nicht?
Zitat von faxefaxe im Beitrag #1648Das ist nicht ihr erster Roman.
Ich hab's kapiert. "Die Asche meiner Mutter" fand ich zum Beispiel auch sehr gut zu lesen. Wie gesagt, sowas kann funktionieren, muß aber nicht. Mir als Schriftsteller wäre derartiges als Erstling zu billig gewesen, aber das ist Geschmackssache.
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(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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Zitat von faxefaxe im Beitrag #1648Das ist nicht ihr erster Roman.
Ich hab's kapiert. (...) Mir als Schriftsteller wäre derartiges als Erstling zu billig gewesen, aber das ist Geschmackssache.
Hahaha!
http://www.last.fm/de/user/DerWaechter ehemaliger Influencer * Downtown * Radebrecht * "Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen." (Ronja von Rönne) “The sex and drugs have gone and now it’s just the rock ‘n’ roll” (Shaun Ryder)