Zitat von Quork im Beitrag #1950Der Rassismus wird zwar auch mal gebrochen, bleibt aber auch oft mal unwidersprochen oder unreflektiert (zum Beispiel wenn er im inneren Monolog des Helden auftaucht). Bisschen anstrengend manchmal.
Ich denke, es sind nicht Bücher, darüber wie wir aus heutiger Sicht die Gedanken der Leute damals beurteilen, sondern einfach Bücher, die damalige Geschichten über damalige Menschen mit damaligen Reflektionen erzählen. Die heutige Reflektiertheit des durchschnittlichen Kutscher Lesers geht m. E: schon soweit, dass er beim Lesen diese Differenzierung hinbekommt. Es geht ja auch darum, eben gerade die unterschiedlichen Positionen von handelnden Personen zu beschreiben, die sich im Lauf des Buches ändern (in welche Richtung auch immer). Z. B. in Luna Park die durchaus mühsame Änderung der Einstellung von Rath zu dem Schwarzen, der sich als Vertrauter, seiner Verlobten rausstellt. Aber auch die des schwulen Mitbewohners, der beim S.A.-Massaker seinen Exlover erschießt.
PS: Ich habe bis auf den letzten Band alle auf Papier gelesen.
Ich empfinde die Bücher schon so, dass sie sich zum Teil explizit mit diesen Themen (aus heutiger Sicht) auseinandersetzen und nicht nur zeigen, wie es damals so war. Wenn es in der "Akte Vaterland" zum Beispiel um Sexismus geht, wird viel aus Charlotte Ritters Sicht geschildert, was den Machismo von Gereon Rath bricht. Meist funktioniert das auch ziemlich gut, dass die jeweiligen Positionen auf relativ unaufdringliche Weise einsortiert werden. Insofern glaube ich schon, dass Kutscher die Reflektiertheit heutiger Leser*innen im Blick hat. Und klar kann man die Einschätzung dessen, was gut und was schlecht ist, den Leser*innen überlassen. Deshalb werfe ich es dem Autor auch nicht grundsätlich vor, dass er solche Sprache verwendet (und dass ich nun schon bei Buch 5 bin spricht ja auch dafür, dass ich die Bücher jetzt so schlecht auch nicht finde). Manchmal bleibt es eben beim Abbilden des Rassismus/Sexismus dieser Zeit. Das stößt mir vor allem dann auf, wenn es von den Helden der Story kommt, auf deren Seite man sich eigentlich sieht und die man - trotz ihrer vielfältigen großen und kleinen Verfehlungen - irgendwie als moralisch auf der richtigen Seite bewertet. Da ist es dann unangenehm, wenn diese Figuren zwischendurch mal kurz unkommentiert krass rassistisch sind. Und dann frage ich mich halt immer mal wieder, wie viele Chinesen-Witze so ein historischer Roman wirklich braucht, um ein realistisches Zeitporträt abzugeben...
Das fand ich sehr interessant. Entstanden aus einer sehr persönlichen Poetik-Vorlesung, in der sie sehr offen über ihr Leben (zb die Kindheit in einer Familie, in der der Vater unter Depressionen litt) und den Zusammenhang mit ihrem Werk gesprochen hat. Irgendwo zwischen autobiographisch und autofiktional (manches lässt sie bewusst offen). Unterhaltsames wie ein zufälliges Treffen mit ihrem Psychtherapeuten in einer Bar, aber vor allem eher melancholisch im Ton. Das tatsächliche Sommerhaus zb hat auch in ihrem Leben eine wichtige Rolle gespielt.
Der Autor hatte mich gefragt, ob er es mir schicken soll, und ich ein paar Zeilen auf Twitter darüber schreibe. Vielleicht werde ich doch noch Influencer! (habe es mir dann aber brav gekauft). Ein charmanter Coming-of-Age-Roman. Die Geschichte - zwei junge Männer und eine Frau, einer bekommt einen Gehirntumor, noch einmal eine Reise auf den Spuren seines Idols Falco - ist nicht wirklich neu. Aber der Autor greift das sehr elegant auf, in dem er ein Kapital mit "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" überschreibt.
Wieder was von meinem "Nachttischstapel", in der identisch aufgemachten deutschen Ausgabe. Ein großformatiges, informatives und liebevoll aufgemachtes Buch (400 Seiten und 700 Photos), das nur einen Nachteil hat: es ist zum Großteil grauenhaft trocken und langweilig geschrieben. Man merkt, daß da viel Liebe drinsteckt: Richard Havers (der vermutlich den Großteil der Arbeit erledigt hat) und Bill Wyman sind wirklich sehr große Fans dieser Musik, und man nimmt ihnen ihre Begeisterung ab ... wenn man allerdings weiß, was für verrückte Bastarde viele alte Bluesmusiker waren (Zocker, Säufer, Schläger, Hurenböcke und nicht wenige davon Mörder und Totschläger), wäre da viel mehr dringewesen als abgespulte Biographien im freundlichen Finanzbeamtensprech. Man kann sich das immer nur wenige Seiten lang zu Gemüte führen, dann schläft einem entweder das Gesicht ein, oder es sind einfach zuviele Namen auf einmal. Darum habe ich auch geschmeidige neun Jahre daran herumgelesen, bis ich die letzten 80 Seiten jetzt endlich mal konsequent durchgedroschen habe. Zumindest habe ich mir einige der Sachen mal angehört; der Blues spielt für mich zwar nicht mehr die Rolle wie noch vor 25 Jahren, aber einige Künstler (Howlin' Wolf, Muddy Waters, John Lee Hooker...) liebe ich nach wie vor. Darum ist es auch schön, das im Regal stehenzuhaben. Jetzt endlich mal.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Letzter in sich geschlossener Teil der "Wartesaal"- Trilogie (neben "Erfolg" und "Die Geschwister Oppermann!, das ich auch gelesen habe).
850 Seiten, die zwar manchmal einige Längen aufweisen, die man trotzdem nicht wieder aus der Hand legen kann. Inhalt bitte nachgoogeln, ich hasse es ja, Inhaltsangaben zu verfassen; hier nur kurz was zur Gestaltung:
das Buch spielt 1935 im Emigrantenmilieu in Paris und ist in einem sehr einfach zu lesenden Stil geschrieben; störend ist, daß manche Sprüche und Redewendungen redundant verwendet werden. Aber zumindest gibt es einige überraschende Wendungen, und spannend erzählt ist es auch (trotz erwähnter Längen) Doch ist die Zeichnung und Charakterisierung der Figuren, die exakte Schilderung ihres Innenlebens samt aller Irrwege und innerer Widersprüche absolut brilliant. Meisterhaft. Zum Niederknien. Keine Figur ist waschecht gut, so leidgeprüft sie auch sein mag, und kaum eine waschecht böse, so sehr sie auch die neuen deutschen Machthaber repräsentiert. Es gibt Opportunisten, Zweckbündnisse, innere Grabenkämpfe: Feuchtwanger vermeidet eine plumpe Schwarz - Weiß - Zeichnung, und für jemanden, dem von den Nazis dermaßen übel mitgespielt wurde wie ihm, ist das schon eine Leistung. Das richtig Schlimme ist - wie auch bei den "Geschwistern Oppermann" - daß das Buch zeitnah vor Beginn des II. Weltkriegs entstand. Das heißt: die ProtagonistInnen haben noch Hoffnungen, Pläne und Ziele; auch der Holocaust ist noch ein Stück weit weg. Den Figuren zuzuschauen, wie sie dermaßen lebensfroh in ein Verderben laufen, von dem auch der Autor noch nicht ahnen konnte, welches Ausmaß dieses annehmen würde, ist merkwürdig verstörend.
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(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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Ob es daran lag, dass ich eine längere John Irving-Pause eingelegt hatte oder der Roman einfach gut ist: mir hat er gefallen. Es kommen überraschend wenige Ringer vor, dafür aber einige Bären. Natürlich ist der Umfang wie immer bei Irving diskutabel, aber ich hätte höchstens 50 bis 100 Seiten gekürzt. Denke, dass ich die anderen Romane von ihm auch nachholen werde, die mir noch fehlen. Vielen Dank noch mal an den edlen Spender, Herrn Bronkowitz.
Zitat von Olsen im Beitrag #1957Vielen Dank noch mal an den edlen Spender, Herrn Bronkowitz.
Gerne doch. Wie geschrieben, mit Irving bin ich wohl durch. Dafür habe ich auch genug von ihm gelesen, wovon einiges für mich in jungen Jahren essentiell war. Dafür bin ich ihm dankbar. Leider ändert das nichts daran, daß das hier IMHO grauenhaft langweilig und belanglos ist.
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So hab's durch und es ist schwer, das Ganze losgelöst von der Realität, als Literatur, zu beurteilen. Deswegen nur mal kurz Eindrücke: Es hat schon sehr viele Ebenen, die da mitschwimmen: natürlich #MeToo, Springer, die Rolle des Autors, die persönliche Ebene und Freundschaft, öffentliche Aufmerksamkeit... Da muss man viel sortieren. Und dass das prinzipiell – auch aus der Innenansicht – ziemlich schockierend ist, was da passierte und hier nochmal kompakt erzählt wird, das ist völlig klar.
Es ist auf jeden Fall gut geschrieben, atemlos, mit Witz, wie man das von SB kennt, und gut erzählt. Auch die Dramatik finde ich insgesamt gut, aber es lebt schon sehr davon, dass man die realen Geschehnisse und Personen einigermaßen vor Augen hat. Dadurch bleibt die Spannung aus und das Personal etwas blass. Und ich weiß nicht, ob es durch diese Nähe zur Realität nun zulässig ist, den Roman auch auf anderen Ebenen zu bewerten oder nicht. Ich finde zb, dass diese ganze toxische Atmosphäre bei Springer zu sehr auf „den Chefredakteur“ abzielt und das Systemische dahinter vernachlässigt wird. Andererseits ist es für eine Erzählung natürlich praktischer.
Am spannendsten fand ich tatsächlich zu erleben, wie der Erzähler in das ganze Thema #MeToo reinfällt, eher ungewollt, und wie das seine kleine Welt anscheinend erschüttert hat. Wenn SB diese Rolle tatsächlich so zugefallen ist, dann ist das schon sehr interessant (hab aber das Spiegel-Interview noch nicht gelesen). Man merkt dem Buch auf jeden Fall die Entrüstung und Wut an, mit der er das Buch geschrieben hat. Und man hat das Gefühl, dass SB geradezu ein eine moralische oder politische Position gezwungen wurde, was bisher ja nicht unbedingt sein Thema war. (Insofern finde ich den FAZ-Blurb auf dem Buch auch etwas seltsam, geradezu ironisch – als Reporter ist er tatsächlich immer schon ein sehr guter Beobachter, keine Frage, aber in diesem Fall erscheint er ja auch ein Stück weit naiv gewesen zu sein.)
Ich war mitten in einer längeren Antwort. Aber ganz ehrlich: Eine Meinung zu Büchern zu haben, die man nicht gelesen hat, finde ich schon schwierig, dass die Meinung dann aber gleich „Dreck“ lauten muss, ist Auswuchs einer Entwicklung, die mich z.B. von Twitter vertrieben hat. Drunter geht’s eben nicht mehr, je wackeliger das Fundament der Meinung, desto knalliger die Formulierung.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
ich find's halt schäbig und darüber darf ich sehr wohl eine meinung haben. und bei springererzeugnissen (an denen bvsb ja lang genug beteiligt war) mach ich's nicht unterhalb von "dreck". sorry.
Das kann man so sehen, verstehe ich absolut. Ich bin mir der Springer-Problematik voll bewusst und lese aus Desinteresse auch nichts aus dem Verlag. Für mich ist aber das Buch gesellschaftlich, politisch und kulturell zu relevant und zu wichtig, als das ich es ignorieren könnte.