Beim Kauf wusste ich nichts Näheres über das Buch, ich verließ mich einfach darauf, dass es mir gefallen würde, wenn es von Jarvis Cocker und das hat geklappt. Ich hätte eher ein Buch über Popmusik erwartet. Die kommt natürlich auch vor. Aber in erster Linie erzählt er anhand von auf dem Dachboden gefundenen Gegenständen aus seinem Leben (plus Ausführungen zu Kultur und Politik) und das auf sehr unterhaltsame Weise. Ich habe es sehr schnell gelesen, obwohl ich notorischer Langsamleser bin.
Mein Kollege Joachim Körber hat den Roman übersetzt und sehr davon geschwärmt. Weil Körber meistens recht hat, musste ich zugreifen und siehe: Es ist wirklich ein ziemlich spannender, rasanter Thriller. In einer unbestimmten Zukunft wird die Überbevölkerung recht kreativ unter Kontrolle gebracht: Die gängige Währung ist Zeit, Lebenszeit. Mit 17 Jahren muss jeder Mensch sich für eine Art des Weiterlebens entscheiden. Man kann als Hedonist*in im Überfluss schwelgen, stirbt aber mit 42 Jahren. Man kann als Arbeiter*in gegen Zeit malochen gehen und stirbt, wenn man nicht mehr genug verdient. Man kann sein Bewusstsein in einen Androidenkörper versetzen lassen, sodass man so gut wie keine Ressourcen verbraucht, und lebt 80 Jahre. Oder - die Wahl unserer Protagonist*innen - man kann sich einen Körper mit vier anderen Menschen teilen. Jeder bekommt vier Stunden pro Tag die Kontrolle, die anderen kriegen das dann nicht mit. Interne Kommunikation ist möglich, sonst gibt es keinen Kontakt. Das Leben in dieser Form ist sehr lang, bis zu 125 Jahre sind möglich. Dumm nur, wenn einer der fünf ausflippt und zu morden beginnt. Genau das scheint unserer kleinen Menschengruppe zu passieren. Und genau das muss aufgehalten werden. Aber wie macht man das, wenn der Mörder - oder die Mörderin - im selben Körper steckt? Manch eine Kritik moniert das Ende, das ich persönlich nun aber auch nicht soooo vorhersehbar fand. Eine spaßige Lektüre und unbedingte Empfehlung für Sci-Fi-Thriller-Fans.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
Klingt zumindest schonmal interessant. Kommt auf die Liste.
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen
Zitat von Mory im Beitrag #2281Es wird dir auf den Sack gehen. Ich tippe auf drei Kapitel, dann hast du die Schnauze voll ;-)
Du könntest dich vertippen, habe auf einen Rutsch 60 Seiten gelesen. Es ist übrigens von Vorteil, vorher das "Porträt des Künstlers als junger Mann" gelesen zu haben, da der Hauptprotagonist am Anfang von Ulysses auftaucht und man deswegen nicht ganz so ahnungslos ist, was gewisse Anspielungen angeht. Erinnert mich an Arno Schmidt (beziehungsweise umgekehrt), der sich nicht ohne Grund als Joyce - Übersetzer versucht hat.
Ich habe bisher zweimal mit Ulysees angefangen. Das erste Mal sogar im Rahmen eines neu gegründeten Buchclubs – wir waren zu dritt – der sich daraufhin auch sofort wieder aufgelöst hat haha. War wohl ein schlechte Wahl für den Start, da keiner von uns über die ersten Kapitel hinaus kam.
Aber irgendwo wohnt in mir doch auch der „Ehrgeiz“ das irgendwann nochmal hinzubekommen. Dann halt vielleicht mit Sekundärliteratur parallel.
Deshalb les ich gerade erst mal den Zauberberg nochmal, um etwas durchzuatmen. Und den „Fluch des Lono“ von Hunter S. Thompson (das aber wirklich als etwas zum bisschen durchatmen:).
Zitat von aalpaca im Beitrag #2299Deshalb les ich gerade erst mal den Zauberberg nochmal, um etwas durchzuatmen.
Muahaha. Den möchte ich nie wieder lesen. Habe ihn immerhin einmal geschafft, aber bei den Dialogen zwischen Naphta und Settembrini verließ es mich komplett. Bekanntermaßen verliere ich bei philosophischen Texten schnell das Interesse, dementsprechend war ich da auch passagenlang komplett raus. Zudem finde ich Manns Namensgebung für seine Figuren grandios unkomisch, obwohl sie das offenbar sein soll. Bei Ulysses habe ich immerhin die ersten 100 Seiten geschafft. Das kann noch dauern, aber ich mag es bis jetzt. Die Figur Leopold Bloom finde ich großartig.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Das ist über zwei Drittel ein interessanter Roman, der sehr von seinem Setting lebt. Im Jahr 1929 besteigen etliche Menschen ein Schiff von Marseille nach Maskat, säuberlich nach gesellschaftlichen Schichten getrennt. Im weiteren Verlauf entspannt sich ein Kriminalfall, dessen Auflösung vollkommen schnurz und auch langweilig ist, weshalb das letzte Drittel leider abfällt. Aber ich bin auch kein Krimi-Leser, andere mögen damit mehr anfangen können. Es riecht natürlich alles nach Agatha Christie, da fehlen mir die Vergleichsmöglichkeiten. Dennoch ein Buch, das ich gerne und schnell gelesen habe.
Tom Saller: Wenn Martha tanzt
Eine Familiengeschichte, erzählt aus dem 21. Jahrhundert, rückblickend vor allem in die Zeit der Weimarer Republik und im Speziellen zum Bauhaus. Hat mir gut gefallen, allerdings hätte dieser Schlussteil auch nicht sein müssen, den man die ganze Zeit anhand der Jahreszahl vermutet. Bekommt einen Bonus, weil der Autor zwei Kleinstädte weiter lebt. Werde sicher noch was anderes von ihm lesen.
Jack Ketchum - Versteckt Dan erzählt rückblickend die Geschichte seiner ersten großen Liebe - Casey - und wie grausam sie endete. Sein Leben lang saß Dan mehr oder weniger in Dead River fest, einer Kleinstadt, deren Name schon alles sagt. Als er Casey und ihre Freunde kennenlernt, die hier mit ihren Eltern den Sommer verbringen, lichtet sich die Langeweile endlich ein wenig. Aber Casey ist von der eher abenteuerlustigen Sorte, auch gefährliche Aktionen schrecken sie nicht. Ganz im Gegenteil. Ein eigentlich harmloses nächtliches Versteckspiel in einem verlassenen Haus wird dann auch gefährlicher als erwartet.
Jack Ketchum war ein begnadeter Schriftsteller. Horror in der Hauptsache, aber er konnte auch "zahm" sein, poetisch. Hier vermischt sich das ein wenig: der Roman beginnt mit der Sommerromanze einer unglücklichen jungen Frau und eines verzweifelten Mannes, die in der aufkeimenden Liebe so etwas wie Erlösung finden, wandelt sich dann vom Drama zum Krimi, um schließlich fast schon ins Übernatürliche zu kippen. Blut ist auch im Spiel, und nicht wenig, dennoch würde ich diese Geschichte eindeutig Ketchums zahmeren Werken zuordnen. Ich fühlte mich gut unterhalten, auch wenn ich Casey nicht leiden konnte.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
Zitat von aalpaca im Beitrag #2299Deshalb les ich gerade erst mal den Zauberberg nochmal, um etwas durchzuatmen.
Muahaha. Den möchte ich nie wieder lesen. Habe ihn immerhin einmal geschafft, aber bei den Dialogen zwischen Naphta und Settembrini verließ es mich komplett. Bekanntermaßen verliere ich bei philosophischen Texten schnell das Interesse, dementsprechend war ich da auch passagenlang komplett raus. Zudem finde ich Manns Namensgebung für seine Figuren grandios unkomisch, obwohl sie das offenbar sein soll. Bei Ulysses habe ich immerhin die ersten 100 Seiten geschafft. Das kann noch dauern, aber ich mag es bis jetzt. Die Figur Leopold Bloom finde ich großartig.
Da bin ich noch nicht wieder angelangt – obwohl schon zu einem Drittel durch. Ich hab für den ersten Durchgang des Buchs damals etwa sieben Jahre gebraucht – also solange wie Hans Castorp im Sanatorium ist. Eine witzige Parallele zur Buchhandlung. Soweit ich mich erinnere war da aber eine mehrjährige Pause dazwischen. Ich fand es dann doch auf irgendeine Art beeindruckend gen Ende hin damals.
Dennoch finde ich andere Sachen von Mann besser und die 1000 Seiten sind schon wirklich etwas in die Länge gezogen. Ich kann mir auch kaum vorstellen, wieso das zu einem solchen Bestseller wurde. Waren wohl einfach andere Zeiten:)
Zur Namensgebung habe ich mich noch nie erkundigt tatsächlich. Hab das einfach mal so hingenommen, dass sie heißen wie sie heißen. Wenngleich da ja doch auch „komsiche“ Namen dabei sind.
PS: Den „Fluch des Lono“ von HST finde ich derweil ja mal wirklich sehr durchschnittlich. Ich bin fast durch und es ist inhaltlich wirklich superdünn. Außer Spesen nix gewesen beim guten alten Hunter – verstehe da auch nicht die größtenteils positiven Bewertungen im Internet.
Paul Murray: Der Stich der Biene Tragikomische Saga über die irische Familie Barnes, bei der alles den Bach runtergeht. Das familieneigene Autohaus-Imperium steht vor dem Ruin, die Ehe der Eltern bröckelt, die älteste Tochter zählt die Tage bis zur Flucht auf die Uni und der Sohn versucht, alle irgendwie wieder zusammenzubringen. In Rückblicken erfährt man, warum alles so ist, wie es ist, und wann das Scheitern angefangen hat. In der NY Times war der Roman eines der besten zehn Bücher 2023 und ich kann die Begeisterung absolut verstehen. Mir hat zwar Murrays Vorgängeroman „Skippy stirbt“ noch etwas besser gefallen, aber ich hab auch „Der Stich der Biene“ sehr gern gelesen. Tolle und glaubhafte Figuren, clever konstruiert - es entwickelt nach und nach einen unheimlichen Sog und gipfelt in einem wirklich furiosen Finale.
„Skippy dies“ hat mich anhaltend begeistert, ohne dass ich so richtig sagen könnte, wieso. Die Atmosphäre war einfach extrem dicht. Der Nachfolger ist notiert.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
Micajah Henley - The Clash's Sandinista! (2024, aus der Reihe 33 1/3)
Der 182. Band der hier bereits gelobten Reihe. Wenn ich es richtig sehe, der erste, der sich mit einem Clash-Album befasst. „Sandinista!“ ist nicht die erste Platte, die den meisten Leuten einfallen würde, wenn man über The Clash schreiben will. Aber gerade das ist es ja, was den den Reiz von „ 33 1/3“ ausmacht, dass nicht immer das Offensichtlichste gemacht wird. Das kann auch mal daneben gehen, z.B. im Fall von „Rum, Sodomy and the Lash“ von Jeffrey T. Roesgen, der wenig über die Pogues-Platte schrieb, sondern sich zu eigener Prosa inspirieren ließ. Die Einführung liest sich wie von einem Erstsemesterstudenten, der damit prahlen will, welche Fachliteratur er gelesen hat. Sein Lieblingsphilosoph ist der 1972 verstorbene Österreicher Ernst Fischer, der logischerweise The Clash nicht kannte, umgekehrt auch nicht. „Sandinista!“ stieß zur Veröffentlichungszeitpunkt auf gemischte Reaktionen, viele fanden, dass statt einer Triple-LP eine einfache LP oder eine EP die bessere Idee gewesen wäre. Später sahen es immer mehr Leute als Meisterwerk. Der Autor vertritt eine sowohl-als-auch-Auffassung und ist besessen vom Thema, was so weit geht, dass er zunächst die 12-Track US-Promo-LP „Sandinista Now“ bespricht, dann erst die anderen 24 Tracks der Original-3LP und am Schluss verschiedene Wunsch-12-Track-Versionen von Musikern und der Internet Community abdruckt. Die Beiträge zu den einzelnen Tracks sind aber informativ und auch als möchtegern-Clash-Experte kann man noch dazulernen. Fazit also: Empfehlenswert.
Vor ein paar Tagen an einem Tag durchgelesen. Die Grundidee und die Welt, von der das Buch erzählt, haben mir sehr gut gefallen und die Tatsache, dass ich es an einem Tag durch hatte, zeigt ja, dass mich das Buch durchaus fesseln konnte und ich meinen Spaß am Lesen hatte.
Das Ende fand ich aber tatsächlich recht früh absehbar und die Motivation für die Morde dann doch ziemlich klischeehaft, fast schon faul. Auch zwischendrin fand ich manche Entwicklungen nicht richtig zu Ende erzählt bzw. manche Handlungen der Hauptpersonen nur schwer nachvollziehbar (aber das ist in diesem Genre fast immer der Fall).
Unter'm Strich aber ein absolut positives Fazit. In der Welt könnte man noch die ein oder andere Geschichte spielen lassen.
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen
2024 ist echt ein gutes Bücherjahr für mich persönlich. Sowohl was Rhythmus, Menge als auch grundsätzliches Niveau angeht. Und absolute Highlights schmuggeln sich dann auch klammheimlich in den Stapel ungelesener Bücher. Nachdem ich auf der letzten Seite schon The High House von Jessie Greengrass in den Himmel gelobt habe, muss ich das in diesem Fall schon wieder tun.
Irland in nicht allzu ferner Zukunft, ein totalitäres Regime hat die Macht übernommen und beginnt mit Hilfe der von ihr gegründeten Geheimpolizei den Staat und die Bürger auf Linie zu bringen. Immer wieder verschwinden Bürger, die der Partei ungenehm sind spurlos und ohne Kommentar. In diesem Irland leben Eilish & Larry Stack mit ihren vier Kindern (Mark (16), Molly (14), Bailey (12) und dem Baby Ben). Eilish arbeitet als Molekularbiologin, während Larry in seiner Tätigkeit als Gewerkschafter in den Fokus der Machthabenden gerät und schließlich eines Tages bei einer Demonstration spurlos verschwindet.
Lynch beschreibt in teilweise wunderschöner, bildhafter Sprache und mit immer steigender Schlagzahl, wie es sich anfühlt, wenn die bisher als selbstverständlich betrachtete Lebensweise mit all ihren Privilegien und Institutionen immer weiter ausgehöhlt wird, sich der Rost des Regimes immer tiefer in das eigene Familienleben frisst und wie schwer es ist, angesichts der neuen Lebensrealität die "richtigen" Entscheidungen zu treffen.
Tolles Buch, klare Empfehlung!
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen