2024 ist echt ein gutes Bücherjahr für mich persönlich. Sowohl was Rhythmus, Menge als auch grundsätzliches Niveau angeht. Und absolute Highlights schmuggeln sich dann auch klammheimlich in den Stapel ungelesener Bücher. Nachdem ich auf der letzten Seite schon The High House von Jessie Greengrass in den Himmel gelobt habe, muss ich das in diesem Fall schon wieder tun.
Irland in nicht allzu ferner Zukunft, ein totalitäres Regime hat die Macht übernommen und beginnt mit Hilfe der von ihr gegründeten Geheimpolizei den Staat und die Bürger auf Linie zu bringen. Immer wieder verschwinden Bürger, die der Partei ungenehm sind spurlos und ohne Kommentar. In diesem Irland leben Eilish & Larry Stack mit ihren vier Kindern (Mark (16), Molly (14), Bailey (12) und dem Baby Ben). Eilish arbeitet als Molekularbiologin, während Larry in seiner Tätigkeit als Gewerkschafter in den Fokus der Machthabenden gerät und schließlich eines Tages bei einer Demonstration spurlos verschwindet.
Lynch beschreibt in teilweise wunderschöner, bildhafter Sprache und mit immer steigender Schlagzahl, wie es sich anfühlt, wenn die bisher als selbstverständlich betrachtete Lebensweise mit all ihren Privilegien und Institutionen immer weiter ausgehöhlt wird, sich der Rost des Regimes immer tiefer in das eigene Familienleben frisst und wie schwer es ist, angesichts der neuen Lebensrealität die "richtigen" Entscheidungen zu treffen.
Tolles Buch, klare Empfehlung!
steht auch auf meiner liste - mit dem buch hat lynch im vergangenen jahr den booker prize gewonnen. ich hab anfang des jahres seinen erstling "grace" gelesen, auch sehr gut.
ich hab endlich mal "die vermessung der welt" gelesen. mir ging der hype damals ziemlich auf die nerven, weswegen ich es erstmal ignoriert hab. aber da kann man nichts sagen - großartiges buch. so leichtfüßig zwei solche persönlichkeiten und ihre lebenswege nachzuzeichnen und gleichzeitig die zugänge zur welt und zur wissenschaft zu beschreiben, das ist schon ganz große kunst.
Zitat von kafkaktus im Beitrag #2311 steht auch auf meiner liste - mit dem buch hat lynch im vergangenen jahr den booker prize gewonnen. ich hab anfang des jahres seinen erstling "grace" gelesen, auch sehr gut.
War mein Erstkontakt mit Lynch, aber sicher nicht das letzte Buch von ihm. Dann werde ich mir wohl mal Grace besorgen.
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen
Die schwer gestörte Fetisch-Fotografin Irina bekommt die Chance, mit einer großen Ausstellung ihre Karriere neu anzukurbeln. Aber schwer gestört ist nun mal schwer gestört und so zieht Irina es vor, sich heillos zu betrinken und massenhaft Drogen zu nehmen, während sie immer neue, durchschnittlich aussehende Männer in ihr Atelier bittet, um krasse Fotos zu machen. Immerhin durchsucht sie auch ihr Archiv nach Material für besagte Ausstellung und füttert uns so mit den Erinnerungen an ein extremes Leben. Ein Rezensent auf Goodreads schrieb "american psycho but for hot girls", was nicht ganz daneben ist. Das Neurotische, Narzisstische der Erzählerin, ihr Umgang mit ihrer Arbeit und im Gegensatz dazu ihr Umgang mit den Menschen in ihrem Leben, das hat schon starke Bateman-Vibes. Ich mochte das Buch sehr, eine möchtig finstere Geschichte mit einer höchst unsympathischen Heldin, der man trotzdem ein ums andere Mal recht geben muss. Brillant geschrieben obendrein; bald erscheint eine deutsche Übersetzung, die hoffentlich die unmittelbare, ungeschönte Sprache passend einfängt.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
Steht bei mir auf der Liste, hat ein OX - Kollege recht begeistert rezensiert. Der kennt den Autor allerdings auch persönlich.
Gib mal bitte Rückmeldung, wenn du durch bist.
Gelesen ist gut, verschlungen trifft es besser.
Sehr kurzweilig geschrieben, mit einem Humor, der mir in seiner teilweise leicht morbiden Art sehr gefällt.
Viele der Fälle sind mir bekannt, wir sind ja idR nah am Thema unterwegs, dennoch spannend, interessant und mit dem einen oder anderen neuen Aspekt versehen. Einige der Stories waren mir aber auch gänzlich unbekannt.
Als sehr toll gemacht, empfand ich das Fading von einem Fall zum nächsten.
Kleiner Wermutstropfen: Ich habe quasi eine Sonderausgabe erhalten, denn es fehlen mittendrin einige Seiten. Habe das bereits beim Ventil Verlag - sehr freundlich - moniert und bekomme direkt Ersatz geschickt, obwohl via Amazon gekauft. Da freue ich mich sehr. *
Und ein etwas besseres Lektorat hätte dem Buch an mancher Stelle gut getan. Aber das ist sehr persönliches Empfinden.
*Wenn jemand das Mängelexemplar geschenkt haben möchte, bitte melden. Versende es gerne gratis, sobald mein Ersatz angekommen ist. Es fehlt die Story von Johnny Rotten und ein Teil von Nirvana Kurt, wenn ich das richtig ermittelt habe.
Empfehlenswerte, kurzweilige Lektüre. Ideales Strandbuch, schnell gelesen, oder aber eben auch zum immer mal wieder in die Hand nehmen. Lese nebenher noch ein englischsprachiges Buch und empfinde dann eine Zwischenlektüre immer als ganz angenehm.
ZitatAls ihr verwitweter Adoptivvater kurz vor ihrem 43. Geburtstag stirbt, nimmt Sally Diamond ihn beim Wort: Sie versucht, ihn mit dem Müll zu verbrennen. So wie er es ihr gesagt hat. Ein Fehler, denn nun interessieren sich plötzlich alle für die seltsame Frau, die sich gerne taub stellt, wenn sie unter Menschen geht und am liebsten für sich bleibt: Polizei, Nachbarn, Medien – und eine unheimliche Stimme aus einer Vergangenheit, an die sie sich nicht erinnert. Während sie nach und nach von den schrecklichen Geheimnissen ihrer frühen Kindheit erfährt, nähert sich Sally zum ersten Mal vorsichtig der Welt. Sie übt sich in Vertrauen, schließt Freundschaften, trifft große Entscheidungen und lernt, dass Menschen nicht immer meinen, was sie sagen und nicht immer sind, was sie vorgeben zu sein.
Läuft unter der Rubrik "Psychothriller", dafür ist es aus meiner Sicht aber zu harmlos und auch ein bisschen zu vorhersehbar. Gegen Ende wird diese Erwartungshaltung aber sowieso durchbrochen, was mir persönlich auch nicht so gut gefallen hat. Der Leser weiß relativ früh, worauf die Geschichte hinausläuft und spätestens mit Beginn des zweiten Teils ist das Setting klar und das Buch läuft auf den erwartbaren "Höhepunkt" zu, der dann aus meiner Sicht eher enttäuschend ist. Davor und dazwischen gibt es aber das eine oder andere gut geschriebene Psychogramm und auch die eine oder andere, manchmal auch schmerzhafte Wendung. Trotzdem habe ich mich irgendwann gelangweilt und war versucht, einzelne Seiten zu überspringen. Die fast einhelligen Lobhudeleien auf das Buch wundern mich ein wenig.
http://www.last.fm/de/user/DerWaechter ehemaliger Influencer * Downtown * Radebrecht * "Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen." (Ronja von Rönne) “The sex and drugs have gone and now it’s just the rock ‘n’ roll” (Shaun Ryder)
"Millie kann ihr Glück kaum fassen, als die elegante Nina ihr die Stelle als Haushaltshilfe inklusive Kost und Logis bei ihrer Familie auf Long Island anbietet. Schließlich hat sie eine Vergangenheit, von der niemand etwas wissen soll. Doch kaum ist Millie eingezogen, zeigt Nina ihr wahres Gesicht: Sie verwüstet das Haus und unterstellt ihr Dinge, die sie nicht getan hat. Ihre verwöhnte Tochter behandelt Millie ohne jeden Respekt. Nur Ninas attraktiver Mann Andrew ist nett zu ihr. Wäre da nur nicht Ninas wachsende Eifersucht. Hat sie Millie nur eingestellt, um ihr das Leben zur Hölle zu machen? Oder hat auch sie ein dunkles Geheimnis, von dem niemand etwas erfahren darf?"
Auf Empfehlung gekauft und eigentlich auch nicht enttäuscht. Das Buch liest sich fluffig und ziemlich schnell weg, aber die Erzählerin Millie nervt mich sehr. Ständig wiederholt sie sich, was mir anfangs wie schlechter Stil erschien, sich dann aber als Absicht andeutete. Außerdem ahnt man sehr schnell, in welche Richtung das Ganze geht, was für einen Thriller ja meist kein gutes Zeichen ist. Zum Glück sind die Details der Auflösung dann doch überraschend und spannend genug, dass die Enttäuschung nicht besonders groß ist. Klingt wie eine schlechte Kritik, dabei hatte ich durchaus ein paar vergnügliche Stunden mit dem Buch ... Schwer zu sagen, ob ich es empfehlen würde oder nicht. Wer Thriller mag und sich ein paar Stunden vor der Welt verstecken möchte, der soll es ruhig lesen.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
Das ist mal ein eigenartiges Buch. Setz erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich als "Drittentdecker der Hohlwelt" bezeichnete und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirklich gelebt hat. So chaotisch wie dessen Gedankenwelt, so auch der Roman, der etwas Anstrengung beim Lesen erfordert. Setz schreibt irgendwie sperrig, aber auch mit Hingabe zur Sprache, ohne angeberisch zu werden. An was Peter Bender konkret glaubt, erschließt sich dem Leser allerdings nie so richtig, was sicher auch beabsichtigt ist. Auch wenn das Ende die ganze Zeit absehbar ist, berührt es dann doch.
Da wo Remarque am Ende des Ersten Weltkrieges endet, setzt Loest in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges fort. Sinnloser Drill, sinnlose Schinderei. Ein Übriggebliebener schildert dann seine Flucht vor der Front und dem Feind. In der Nachkriegszeit erst schieben und sich dann doch für den Sozialismus der DDR engagieren.
Loest's Roman wurde nach Anfangserfolgen in der DDR wegen "Standpunktlosigkeit" verboten. Das Buch erschien erstmalig 1985 in der Bundesrepublik. Loest wurde 1957 zu sieben Jahren Haft in Bautzen verurteilt.
Lesenswert für alle, die den Realismus von Remarque mögen.
Auch gelesen und für gut befunden. Könnte was für @King Bronkowitz sein (falls du es nicht schon kennen solltest).
I'm a septic tank half full kind of guy / got a twinkle in my eye / that I've been told is just astigmatism / I've got a s-skip in my step like / the undead half risen
Ich verstehe nicht so ganz, warum ein deutscher Autor einen Jugendroman aus komplett amerikanischer Perspektive schreibt, der in den USA spielt und von amerikanischen Jugendlichen handelt. Damit begibst du dich automatisch in geborgte Gefühlswelten und von Popkultur geprägten Bildern. Zumal Wells den Roman auch noch im Jahr 1985 ansiedelt und damit auf den großen "Stranger Things"-und-Konsorten-Zug aufspringt. Wie dem auch sei: Die Geschichte funktioniert. Sie hat genug Raum für Entwicklung, besitzt interessante Figuren, dramatische Wendungen und ist ziemlich berührend. Mal sehen, was der Typ sonst noch so geschrieben hat.
Die letzten Sechs in der Playlist: Honeyglaze - Real Deal || Laura Marling - Patterns In Repeat || Nieve Ella - Watch It Ache and Bleed || Dawn Richard & Spencer Zahn - Quiet In a World Full of Noise || Flip Top Head - Up Like a Weather Balloon || Haley Heyndericks - Seed of a Seed
Schulman: Endstation Malma. Die Bücher von Schulman sind immer sehr gut geschrieben, sehr kunstvoll konstruiert (ich überlege dann zuweilen, ob zu sehr) und haben oft ein wuchtiges Ende (diesmal auch 🥹). Das hier hat mir sehr gut gefallen. Drei Zugreisen von unterschiedlichen Personen zur selben Station zu unterschiedlichen Zeiten, nach und nach wird klar, wie alles zusammenhängt. Es geht um Familie, das nicht geliebt oder gewollt werden, Einsamkeit und traumatische Erlebnisse.
Ich habe mir kurze Notizen gemacht unterwegs mit Stichworten zu den Personen, um den Überblick nicht zu verlieren. Aber das braucht sicher nicht jeder, tolles Buch. Und traurig.
Zitat von Marla Singer im Beitrag #1016Robert Menasse - Die Hauptstadt
Am Anfang hatte ich meine Schwierigkeiten, mich in das Buch reinzufinden, aber nach ca. 100 Seiten hat es mich dann doch ziemlich gefesselt. Es gibt sehr viele Erzähltstränge, die Menasse im Verlauf ineinander verwebt. Es geht viel um Schweine, Auschwitz und Friedhöfe - eine verrückte Mischung, die trotzdem funktioniert und Sinn ergibt. Nur das Ende war mir leider etwas zu abrupt.
Habe es jetzt auch durch und finde es ziemlich großartig. War auch ziemlich schnell drin, obwohl mir der Detailreichtum schon an den "Bleichen König" grenzt und manchmal zu anstrengend ist. Das Ende finde ich diskutabel, aber zumindest im Falle David de Vriends ziemlich plausibel (vor allem in Verbindung mit dem "Jubilee Project"). Trotzdem hätte es mir besser gefallen, er hätte alle Erzählstränge zuende geführt. Da er das Buch mit "a suivre" abschließt, habe ich allerdings die vage Hoffnung, daß das noch nicht alles war.
Mit der üblichen Verspätung habe ich es jetzt auch gelesen und zwar recht schnell. Empfehlung auch von mir: Ernste Themen unterhaltsam erzählt, unterschiedliche Stränge gelungen verbunden. Aber ich frage mich: Bin ich der einzige, der es stellenweise klamaukig und an anderen Stellen kolportagehaft fand? Z.B. dass eine Altenpflegerin den Patienten durchgehend mit "wir" anredet (passt eher in die deutschsprachigen Länder der 1970er als ins Belgien der 2010der Jahre), einem EU-Beamten erklärt werden muss, was die EVP ist, dass einer Griechin zypriotischer Herkunft erklärt werden muss, dass Zypern seit ein paar Jahren EU-Mitglied ist... Übrigens zumindest in diesem Jahrhundert das erste mal, dass ich im Biergarten auf ein gelesenes Buch angesprochen und um eine Einschätzung gebeten wurde. Also auch Empfehlung für Leute, die Kontakt suchen.
Edit; In der ursprünglichen Fassung hatte ich den Namen der Schweinefleischlobby "European Pig Producers" als unglaubhaft kritisiert. Die heißen aber wirklich so.
Komisch, dass es so lange gedauert hat, bis jemand den großen Europa-Roman schreibt. Oder gab es da vorher welche, von denen ich nichts mitbekommen habe?