Diese Debatten sind oft so scheinheilig. Lumich wirft berechtigte Fragen auf. Solche Probleme sind oft systemisch: Ein Typ inszeniert sich als psychisches Wrack, schneidet sich mit einer kaputten Flasche die Brust auf (in den 90ern hab ich Manson mal auf einem Festival gesehen, wo er das gemacht hat), betitelt sich selbst als "God of fuck". Plattenfirmen und Medien nehmen es begeistert auf, damit ist schließlich Geld und Auflage zu machen. Der Typ wird also reich, und anstatt sich in psychologische Behandlung zu begeben, kann er mit dem neu gewonnenen Reichtum und einem hohen Bekanntheitsgrad sexuelle und psychische Machtspielchen mit anderen Leuten, hier Frauen, abziehen.
Und hinterher wieder alle so: Also das hat nun wirklich keiner kommen sehen.
Um es zu konkretisieren: Was mich an der Art und Weise stört, mit der Evan Rachel Wood an die Öffentlichkeit ging, ist die Inszenierung, mir der sie zuerst über den an ihr begangenen Missbrauch berichtet hat, um später zu enthüllen, wer der Täter war. Auch das ist für mich eher ein Nebenschauplatz. Die Reaktionen der Firmen, die Manson gefeuert haben, interessieren mich an dieser Stelle mehr.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Aber das meinte ich auch. Ich finde es nachvollziehbar, ihn fallenzulassen; aber seine Platten werden nicht vom Erdboden verschwinden, denn sie wurden millionenfach gepreßt. Man kann sogar noch Gary Glitter ohne Probleme erstehen. Ob jemand sich das daheim nach wie vor anhören will, bleibt jedem selbst überlassen, und das muß auch jeder mit sich selbst ausmachen.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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Was ich wiederum nicht verstehe: wie kann man mit solch einem Arschloch freiwillig zusammenbleiben? Wenn das wirklich Machtausübung seinerseits war, kann ich dieses Ausmaß null nachvollziehen. Hätte ich jemals einer meiner Expartnerinnen - egal, wie toll sie mich fanden - auch nur ein Haar gekrümmt, wären sie fünf Minuten später weggewesen, ohne daß ich danach jemals wieder auch nur einen Zeh in die Tür gekriegt hätte.
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Zitat von Lumich im Beitrag #543Um es zu konkretisieren: Was mich an der Art und Weise stört, mit der Evan Rachel Wood an die Öffentlichkeit ging, ist die Inszenierung, mir der sie zuerst über den an ihr begangenen Missbrauch berichtet hat, um später zu enthüllen, wer der Täter war. Auch das ist für mich eher ein Nebenschauplatz. Die Reaktionen der Firmen, die Manson gefeuert haben, interessieren mich an dieser Stelle mehr.
Ich finde das auch immer schwierig, weil ja eigentlich die Unschuldsvermutung gilt (und das zunächst auch mal aus gutem Grund, wenn man sieht, wie schnell auch Karrieren zerstört werden können). Aber wenn man sich mit dem Fall befasst, sieht man, dass Wood sich schon 2010 das Leben nehmen wollte, weil sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge mehrerer Vergewaltigungen litt.
Natürlich kann man sich fragen: Warum bleibt jemand an der Seite eines Arschlochs, das einen misshandelt? Aber eine 19-Jährige, die einen 18 Jahre älteren Mann kennenlernt und von ihm auch fasziniert ist - ich kann das ein Stückweit nachvollziehen. Und es entsteht in solchen toxischen Beziehungen ja auch oft eine Art Abhängigkeit. Wie Olsen schon sagte: Man hätte früher darauf kommen können, dass Manson vermutlich Dreck am Stecken hat.
Edit: Ich habe das geschrieben, bevor ich das Videoclips aus Freemans Post gesehen habe - da wird ja erklärt, warum sie geblieben ist.
Die letzten Sechs in der Playlist: Honeyglaze - Real Deal || Laura Marling - Patterns In Repeat || Nieve Ella - Watch It Ache and Bleed || Dawn Richard & Spencer Zahn - Quiet In a World Full of Noise || Flip Top Head - Up Like a Weather Balloon || Haley Heyndericks - Seed of a Seed
Zitat von JackOfAllTrades im Beitrag #546Und es entsteht in solchen toxischen Beziehungen ja auch oft eine Art Abhängigkeit.
Wie oben geschrieben: objekiv weiß ich das. Nachvollziehen kann ich das trotzdem nicht, in meinem Umfeld noch weniger als wenn es sich um Prominente handelt. Kannte mal eine sehr hübsche junge Frau, die beste Freundin meiner damaligen Mitbewohnerin. Nett, lustig, intelligent. Die war mit einem Kommilitonen zusammen, der sie wie Scheiße behandelt hat, und zwar derart, daß meine Mitbewohnerin fast heulte, als sie es mir erzählte. Und sie kam nicht von ihm los. Unfaßbar.
Wollte damit sagen: es hängt nicht immer nur am Prominentenstatus des "Unterdrückers".
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Zitat von JackOfAllTrades im Beitrag #546Ich habe das geschrieben, bevor ich das Videoclips aus Freemans Post gesehen habe - da wird ja erklärt, warum sie geblieben ist.
OK, da ich ja ohne Ton bin: wäre jemand so freundlich, mir die Essenz des Ganzen kurz zu schildern?
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Zitat von Lumich im Beitrag #543Um es zu konkretisieren: Was mich an der Art und Weise stört, mit der Evan Rachel Wood an die Öffentlichkeit ging, ist die Inszenierung, mir der sie zuerst über den an ihr begangenen Missbrauch berichtet hat, um später zu enthüllen, wer der Täter war. Auch das ist für mich eher ein Nebenschauplatz. Die Reaktionen der Firmen, die Manson gefeuert haben, interessieren mich an dieser Stelle mehr.
Wer hat eigentlich die Rechte an seinen großen Erfolgen? Die kamen ja über Universal heraus. Gab es von denen auch eine Reaktion? Ich habe bislang nichts entdeckt und auf der Universal Seite wird er auch weiterhin noch als Künstler geführt.
Dass das Mediengeschäft zum Teil scheinheilig ist, ist auch keine große neue Erkenntnis. Ich unterstelle mal, dass die Parteien, die aktuell mit ihm zusammen arbeiten letztlich überwiegend so handeln, dass ihr Image gewahrt bleibt um im Geschäft zu bleiben. So ein sonderlich reflektiertes Verhalten, wie mit so einem Künstler umzugehen ist, würde ich zumindest nicht erwarten.
Eine Sache, die mich nachdenklich machte, ist die Serie „American Gods“, deren dritte Staffel ich gerade verfolge. Aus dieser wird Manson jetzt entfernt. Ich weiß nicht, was in den nächsten Folgen gekommen wäre, aber bisher war er in einem recht kurzen Ausschnitt zu sehen, wie er mit einer düsteren Metalband performt. Zumindest bis jetzt war er kein Charakter der Serie, sondern eher ein Komparse, der durch seine Verkleidung kaum identifizierbar ist. Ich hätte ihn gar nicht bemerkt, wenn er nicht bei IMDb gelistet gewesen wäre (möglicherweise stand er auch im Vorspann). Deshalb frage ich mich, ob da nicht überreagiert wurde - womit ich jetzt nicht die Schwere der Vorwürfe meine, sondern die Konsequenzen, die die Produktionsfirma der Serie zu befürchten hätte. Oder ist es vielleicht so, dass betreffende Firmen sich sogar einen Imagegewinn erhoffen, dadurch, dass sie sich medienwirksam von Manson distanzieren?
Das kann aber ein gefährliches Spiel sein. Praktisch jede/r der DarstellerInnen könnte unappetitliches zu verbergen haben. Ich frage mich, wohin das führt, wenn immer so panisch auf Enthüllungen reagiert wird, und ob es nicht nur bessere, sondern auch klügere Möglichkeiten gegeben hätte. Zumindest glaube ich, dass wir in Zukunft klügere Lösungen brauchen. Zu welchen Gegenbewegungen würde das führen, wenn jemand zu Unrecht an den Pranger gestellt und dies nachträglich bewiesen würde? Wäre das nicht der Sieg, auf den die noch nicht entlarvten Weinsteins dieser Welt warten?
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Ich finde, Du verrennst Dich gerade etwas. Das Thema sollte mMn bei den Opfern sein und nicht bei irgendwelchen Komparsen-Rollen. Auch finde ich deine Wortwahl zu dem Thema manchmal grenzwertig ("Inszenierung" z.B.), wenn man die Timeline im Auge behält und wie mit z.B. Wood umgegangen wurde, als sie erstmals darüber sprechen wollte (alles in dem Thread zu lesen). Es gibt Dinge, die sollten eher nachdenklich machen. Zum Beispiel wie es sein kann, dass so viele Leute Manson auf ein unumstößliches Podest gehoben haben und jetzt mit Anfeindungen in Richtung der Opfer schießen.
Wie gesagt: Die Labels hätte natürlich schon im Sommer reagieren können und betreiben vermutlich nur noch Schadensbegrenzung.
Ich glaube, Du missverstehst mich an dieser Stelle. Man kann sich mit mehr als einer Seite derselben Geschichte beschäftigen, und ich finde, das sollte man auch tun. Dass mir nicht sonderlich viel an Manson oder seiner „Komparsenrolle“ liegt, habe ich bereits ausgedrückt.
Es kann sein, dass Evan Rachel Wood nachvollziehbar und richtig gehandelt hat, in dem Sinne, dass sie die Macht und den Einfluss, welche Manson gegen sie verwendete, neutralisierte, indem sie seine Karriere (zumindest zeitweilig) zerstörte. Ich kenne aber nur ihre Version der Geschichte. Verstehen wir uns nicht falsch: Wenn nur irgendwas davon stimmt, ist es bereits sehr, sehr schlimm. #metoo hat uns einiges über Macht und Machtmissbrauch gelehrt. Eine Gegenmacht zu entwickeln, mithilfe von Öffentlichkeit, war die Strategie dagegen. Mit dieser Gegenmacht muss am Ende ebenso verantwortlich umgegangen werden, wie mit jeder anderen Form von Macht auch.
Wie ich vielfach in diesem Thread erklärt habe, bin ich ein großer Befürworter der #metoo-Bewegung. Die Art und Weise, wie Strukturen offengelegt wurden, indem die Taten einzelner Personen mit der Macht eines Gatekeepers in die Öffentlichkeit gebracht wurden, finde ich nach wie vor richtig. Ich finde aber, dass man an diesem Punkt nicht stehenbleiben kann. Die Maßnahmen müssen sich ändern, und der Umgang muss sich ändern. Ansonsten befürchte ich, dass das Pendel irgendwann wieder zurückschlägt.
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Zitat von Lumich im Beitrag #555Verstehen wir uns nicht falsch: Wenn nur irgendwas davon stimmt, ist es bereits sehr, sehr schlimm. #metoo hat uns einiges über Macht und Machtmissbrauch gelehrt. Eine Gegenmacht zu entwickeln, mithilfe von Öffentlichkeit, war die Strategie dagegen. Mit dieser Gegenmacht muss am Ende ebenso verantwortlich umgegangen werden, wie mit jeder anderen Form von Macht auch.
Es ist halt auch so, daß das ein Vorwurf ist, den man nie wieder los wird, siehe Jörg Kachelmann. Ich hoffe auch für Christoph Metzelder, daß er schuldig ist, damit es sich wenigstens rentiert, daß sein Ruf ruiniert ist, weil er auch im Fall eines Freispruchs nie wieder einen Fuß auf den Boden kriegen wird und sich höchstens noch erhängen kann.
Von daher gesehen bin ich da ganz bei Lumich, obwohl ich metoo ebenfalls gut und sinnvoll finde.
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