Meine alte These dazu ist, dass man von außen meist gar nicht gut beurteilen kann, was für ein bestimmtes Kind das richtige ist. Nur die Eltern wissen (im Idealfall) ob ein Kind, wenn es etwas falsch gemacht hat, ob es jetzt Konsequenzen erleben oder in den Arm genommen werden muss. Oder ob es mit Kriegsrealität konfrontiert oder in Watte gepackt werden muss. Das bezieht sich aber nur auf „beobachte im Umfeld“, nicht auf die Schule. Die muss ja einen Mittelweg finden, allen gerecht zu werden.
Zitat von burnedcake im Beitrag #417Wir könnten dann auch noch, ähem, zum Umweltthema wechseln, wo auch die pragmatischen Erwachsenen DAS Hindernis eines Wandels waren und sind?
Und waren die Erwachsenen als Kinder auch schon böse? Glaubst Du wirklich, dass Deine Kinder, wenn sie mal Erwachsene sein werden, weniger Scheiße bauen werden als die bisherigen Erwachsenen? Grönemeyers "Kinder an die Macht" ist zwar nett, aber dummerweise werden die Kinder Erwachsene bis sie an die Macht gekommen sind.
Was die Erziehung angeht: ich denke, dass ich zu einem Friedensliebenden und sehr macht- und gewaltkritischen Menschen wurde, weil meine Eltern und Großeltern mir nicht die Realität vorenthalten haben; sie haben aber auch nie gewertet. Die berichtete Realität genügte. Mein einer Großvater (Jahrgang 1893) war in Verdun und hatte einen privaten Fotoapparat dabei (ein 16-Bilder-Film für 3 Jahre Fronteinsatz). Ich habe die Bilder mit neun das erstemal gesehen; 15 Bilder von "Kameraden", ein Bild von einer kaputten Dorfstraße in der ein Baum steht in dem ein halbes Pferd hängt. Da war kein Kommentar für den Neunjährigen nötig. Mein Vater war im Februar 1945 mit 16 noch Flakhelfer geworden, und hat davon immer berichtet, dass sie nie was getroffen haben und dass das für Ihn wie ein Zeltlagerausflug war. Und dass er erst 10 Jahre später in der Koreakrise realisiert hat, dass er ja auch hätte Menschen töten können, und dass ihm da erst mal der Boden unter den Füßen wegsackte. Und dann hab ich immer mit meinem Eltern Nachrichten geguckt, und da war halt der Filmbericht vom Sechs-Tage-Krieg mit einem brennenden Panzer, und ich (acht Jahr alt) frage meine Eltern, wie die Panzerfahrer das machen, dass sie vor dem Schuß der Kanone aussteigen, und meine Eltern antworten nur, dass die nicht aussteigen.
Ich musste keine Lennon-Songs hören, um Kriegsdienstverweigerer zu werden.
Ich bin aber auch Realist genug, dass ich akzeptiere, dass man in segregierten Gesellschaftssystemen - aus denen unsere Welt nun mal besteht - ein Frieden nur zu geringem Teil durch das Absingen von John Lennon Songs und T-Shirts mit Picasso-Friedenstaube herbeigeführt werden kann.
@LFB: Deine Haltung in puncto Kindererziehung war bei mir gar nicht so falsch angekommen, hatte dich auch eh nicht als Absolutisten der Realpolitik in der Schule verstanden.
@fanwander: Auf mich wirkt es etwas wohlfeil, Pazifismus mit dem Wissen um den Schrecken des Krieges zu begründen, denn im Umkehrschluss bedeutet das ja, dass diejenigen, die nicht den Wehrdienst verweigert haben oder Wehrhaftigkeit für eine Voraussetzung von Frieden halten, einfach zu doof sind, zu kapieren, wie schlimm Krieg ist. Die Realität ist da doch komplexer, für mich ist nicht "Frieden um jeden Preis" die Lektion aus zwei verheerenden Weltkriegen, sondern eben dass man sich im Zweifel auch mit Entschlossenheit und Waffengewalt Aggressoren in den Weg stellen muss, wenn alle anderen Mechanismen versagen (deren Schaffung ein weiterer Schwerpunkt von Friedenspolitik ist). Ich halte diese Schlussfolgerung für genauso legitim, auch in moralischer Hinsicht.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #421Meine alte These dazu ist, dass man von außen meist gar nicht gut beurteilen kann, was für ein bestimmtes Kind das richtige ist. Nur die Eltern wissen (im Idealfall) ob ein Kind, wenn es etwas falsch gemacht hat, ob es jetzt Konsequenzen erleben oder in den Arm genommen werden muss. Oder ob es mit Kriegsrealität konfrontiert oder in Watte gepackt werden muss.
Absolut, wobei ja das Elternsein sowieso ein ständiger Lernprozess ist. Wenn man 70% mehr oder weniger richtig macht, ist das vermutlich eine gute Quote, da muss man realistisch sein.
Wir hatten im Ort letztes Jahr bei einem anderen Thema ein ziemlich emotionales Aufeinandertreffen zweier ähnlich gelagerter Erziehungsschulen, fällt mir gerade auf. Ging darum, ob man die übergroße Fußball-Jugendmannschaft (E-Jugend) so beibehält und versucht, durch viel Rotation auch die schwächeren Kinder immer wieder zu berücksichtigen oder daraus eine stärkere und eine schwächere Mannschaft bildet und beide parallel zum Spielbetrieb anmeldet. Ich war sofort von der zweiten Idee begeistert, weil dann die schwächeren, weniger selbstbewussten Kiddies mehr gefordert werden und auf dem Platz Verantwortung übernehmen müssen. Andere Eltern fürchteten aber (teilweise unter Tränen) eine soziale Stigmatisierung der fußballerisch schwächeren Kinder, den Verlust von Freundschaften und ein hohes Maß an Frustration, wenn die zweite Mannschaft erwartbar erstmal fast nur Niederlagen einfährt. Fand ich sehr interessant, gerade weil der Riss auch durch viele Paare ging (bei uns auch 🙄).
Zitat von LFB im Beitrag #424denn im Umkehrschluss bedeutet das ja, dass diejenigen, die nicht den Wehrdienst verweigert haben oder Wehrhaftigkeit für eine Voraussetzung von Frieden halten, einfach zu doof sind, zu kapieren, wie schlimm Krieg ist.
Das interpretierst Du so. Ich verweigere, weil ich niemanden töten will und ich niemanden töten können will (ich bin mir angesichts entfremdender Waffentechnologien relativ sicher, dass ich jemanden töten könnte - nur mit einem Messer in der Hand wäre das dann wohl schon was anderes). Das ist weder ein politisches Statetement noch ein Vorwurf an andere. Es ist einfach eine Entscheidung, die ich für mich getroffen habe. Die Auslöser für die Entscheidung können ja trotzdem zu einer grundlegend pazifistischen Haltung führen. Insofern mag mein Satz mit den Lennon-Songs eine verkürzende Aussage sein.
Zitat von LFB im Beitrag #424Die Realität ist da doch komplexer, für mich ist nicht "Frieden um jeden Preis" die Lektion aus zwei verheerenden Weltkriegen, sondern eben dass man sich im Zweifel auch mit Entschlossenheit und Waffengewalt Aggressoren in den Weg stellen muss, wenn alle anderen Mechanismen versagen (deren Schaffung ein weiterer Schwerpunkt von Friedenspolitik ist). Ich halte diese Schlussfolgerung für genauso legitim, auch in moralischer Hinsicht.
So sehr ich die Meinung friedliebender Menschen auch respektiere, gehe ich da doch konform. Mir fehlt zu sehr das Vertrauen in die Menschheit, um Pazifist zu sein. Das funktioniert ja nicht mal auf dem kleinsten Nenner. Wenn man absolut keinen Streit sucht und nur seine Ruhe haben will, und an einen extrem aggressiven Typen gerät, kann man noch so sehr seine Friedensliebe betonen, und bekommt trotzdem ein paar auf's Maul. Ich spreche aus eigener Erfahrung. Wie soll man da erst 7 Milliarden Menschen aus völlig verschiedenen Kulturkreisen überzeugen können? Vor allem, solange es noch Religionen gibt, die schon immer der Kriegstreiber Nummer 1 waren?
Nö, in dem Leben wird das nix mehr.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
Persönlich würde ich mich nicht als Pazifisten, aber als "antimilitarisiert" bezeichnen. Das kommt dem am nächsten.
Der momentanen Situation nur diplomatisch und mit Friedenstauben zu begegnen, ist aber leider in der Wirklichkeit nicht anwendbar. Die Gegenseite muss ja auch mitziehen. Und nicht umsonst gibt es bei aller Kritik gegenseitige Aufrüstung in der Politikwissenschaft die Auffassung, nur weil es Atomwaffen gibt, kam es bisher nicht zum Dritten Weltkrieg. Eben weil die Abschreckung jeweils in letzter Konsequenz doch immer eine Tatsache darlegt, die keine Partei ignorieren oder nicht ernst nehmen kann.
Zitat von fanwander im Beitrag #426(ich bin mir angesichts entfremdender Waffentechnologien relativ sicher, dass ich jemanden töten könnte - nur mit einem Messer in der Hand wäre das dann wohl schon was anderes).
Wenn die Umstände richtig beziehungsweise falsch wären, dann könntest du es auch mit einem Messer.
Ich möchte an dieser Stelle wahnsinnig gern meinen Senf zu Gewaltfreiheit, Pädagogik und Pazifismus dazu geben, aber mir fehlt die Energie. Sehr verkürzt mach ich es aber dennoch: Ich find's total problematisch, wenn in Bildungseinrichtungen zum Thema Krieg singen und klatschen die einzigen Inhalte sind. Ich find's problematisch, wenn Kindern vermittelt wird, alle Probleme dieser Welt ließen sich gewaltfrei lösen. Gewaltfreiheit ist eine Illusion. Ich wende Minimum einmal wöchentlich erzieherische Gewalt an und sei es nur, weil ich einen Jugendlichen zur Tür rausdrücke und aussperre. Gerade in der Schule machen wir uns da häufig was vor und behaupten, ein gewaltfreies Umfeld garantieren zu können und scheitern täglich, ohne es wahrhaben zu wollen. Gewalt ist da. Jeden Tag. Jeder Mensch ist in der Lage, sie anzuwenden. Sie IST eine Lösung für Probleme, eine sehr effektive. Daher bin ich in meiner Pädagogik dazu übergegangen, Kindern und Jugendlichen Gewalt verstehbar zu machen, ihnen zu erklären, welche Prozesse dabei ablaufen, wodurch sie entstehen kann und wann sie gerechtfertigt ist (z.b. in der Staatsgewalt, in der Notwehr, Nothilfe etc.), auf ihre eigenen Gefühle und Grenzen zu achten und empathiefähig zu werden. Jo. Meine 5 Cent in aller Kürze.
Die kommen in die Kaffeekasse. Ich bin tatsächlich nicht so weit weg von deinen Aussagen. Dass es irgendwann bei so einem Thema mal soweit kommt, hätt ich auch nicht gedacht. ;)
Zitat von beth im Beitrag #430... ihnen zu erklären, welche Prozesse dabei ablaufen, wodurch sie entstehen kann und wann sie gerechtfertigt ist (z.b. in der Staatsgewalt, in der Notwehr, Nothilfe etc.), auf ihre eigenen Gefühle und Grenzen zu achten und empathiefähig zu werden.
Das wird vermutlich 99,9999 % der Kinder dieser Welt in keiner Schule vermittelt. Du solltest also alle Kinder dieser Welt unterrichten
Zitat von beth im Beitrag #432Die kommen in die Kaffeekasse. Ich bin tatsächlich nicht so weit weg von deinen Aussagen. Dass es irgendwann bei so einem Thema mal soweit kommt, hätt ich auch nicht gedacht. ;)
Gab es nicht in der Diskussion über das finnische Bildungswesen 2007 mal einige kurze Momente gegenseitiger Zustimmung?
Zitat von beth im Beitrag #430... ihnen zu erklären, welche Prozesse dabei ablaufen, wodurch sie entstehen kann und wann sie gerechtfertigt ist (z.b. in der Staatsgewalt, in der Notwehr, Nothilfe etc.), auf ihre eigenen Gefühle und Grenzen zu achten und empathiefähig zu werden.
Das wird vermutlich 99,9999 % der Kinder dieser Welt in keiner Schule vermittelt. Du solltest also alle Kinder dieser Welt unterrichten
ich kenn mich zu wenig aus, um für deutschland sprechen zu können. aber in österreich gibt es für die primarstufe schon seit langem soziales lernen, das sowas abdecken könnte, in der mittelschule kann das in deutsch, geschichte, bio, reli (ächz) einfließen und in den oberstufen gibt es ethik. also nein, das muss nicht alles ich machen. es wäre aber wünschenswert, wenn sich pädagog:innen intensiver mit gewalt, auch ihrer eigenen über die kinder, auseinandersetzen würden.
ich hab da ja halt echt den vorteil, dass ich neben einer ausbildung zur gewaltpädagogin auch noch 10 jahre berufserfahrung mit gewaltätigen kindern und jugendlichen im gepäck habe. das prägt die sicht auf gewalt ungemein und verzerrt sie vielleicht auch.
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29.03.2022 22:14 (zuletzt bearbeitet: 29.03.2022 22:25)
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