Ein Land, das von einem Angriffskrieg überzogen wird, darf natürlich überreagieren. Die Steinmeier-Ausladung halte ich dennoch für gelinde gesagt wenig zielführend. Der Applaus, den es aus Deutschland von vielen gibt, nützt der Ukraine gar nichts.
Zielführend sicher nicht, vor allem wenn der Wunsch nach einem Besuch von Kanzler Scholz ein ernsthafter ist. Der kann jetzt unter diesen Umständen nicht kommen, ohne seinen Parteifreund und gleichzeitig unser Staatsoberhaupt zu düpieren. Allerdings finde ich dieses Statement nicht verkehrt. Es mutet schon ziemlich komisch an, wenn jemand, der zuvor als Kanzleramtsminister und später als Außenminister die Handelsbeziehungen zu Russland wesentlich mitgestaltet hat, jetzt mit schönen Händeschüttel-Videos vor Ruinen glänzen will. Ich würde vermuten, dass Selenskyj gerade keine Zeit hat für Symbolpolitik. Dass Deutschland sich vor der Welt als einer der großen Unterstützer gerieren möchte, ohne es annähernd zu sein, ist darüberhinaus etwas, was man nicht unbedingt unterstützen muss.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Ich glaube wiederum, dass es Symbolpolitik ist, was Selenski da macht, wenn er demonstrativ Gunst verteilt und abstraft. Wenn er nachhaltige Unterstützung will, auch über die erste Solidaritätswelle hinaus, und wenn er will, dass Deutschland über seinen Schatten springt und schwere Waffen liefert, muss er gerade die Zauderer überzeugen. Das jetzt spaltet, und das ist ganz im Sinne derer, die die Ukraine nicht massiv unterstützen wollen.
Ich denke, Selenskyj hat nicht die Zeit darauf zu warten, dass ewig zadernde Kandidaten wie Deutschland in die Gänge kommen. So wünschenswert eine schnelle Hilfe (sprich: Waffen) aus Deutschland aus seiner Sicht wäre, so wenig ist erwartbar, dass Deutschland sich in absehbarer Zeit zu einer treibenden Kraft wandelt. Dafür sind möglicherweise die Verstrickungen, an denen Steinmeiner maßgeblich mitgewirkt hat, zu groß. Man mag die Ausladung Steinmeiers Symbolpolitik nennen, aber immerhin eine, die zeitsparend und pragmatisch ist. Eine Spaltung kann ich dadurch nicht erkennen, da ich nicht sehe, dass andere unterstützende Nationen sich dadurch mitangesprochen fühlen.
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Ich halte ein „dann halt ohne Deutschland“ für gewagt, egal ob man noch viele Waffenlieferungen braucht oder einen Energieboykott will. Ist nun einmal wirtschaftlich das wichtigste Land in Europa. Wenn der Krieg lange dauert, wird die Hilfsbereitschaft ermüden und es könnten die Oberwasser bekommen, die eh schon meinen, dass die Ukraine viel zu viel und zu forsch fordert.
Deutschland hat sich über Jahrzehnte aus allem rausgehalten und gar keine Waffen in Kriegsgebiete geliefert. Ich würde eher versuchen, den erstaunlichen Wandel in kurzer Zeit zu stützen, statt immer wieder drauf zu hauen.
Aber ich meine das ernst: im Krieg halte ich auch Überreaktionen für völlig nachvollziehbar, ich meine das nicht als „dann bekommen sie halt nix mehr“.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #501Ich halte ein „dann halt ohne Deutschland“ für gewagt, egal ob man noch viele Waffenlieferungen braucht oder einen Energieboykott will.
Ich sehe nicht, dass das die Konsequenz wäre.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #501Deutschland hat sich über Jahrzehnte aus allem rausgehalten und gar keine Waffen in Kriegsgebiete geliefert.
Naja, kriegstreibende Parteien hat Deutschland sehr wohl beliefert, und praktisch nie damit aufgehört.
Zitat von faxefaxe im Beitrag #501Ich würde eher versuchen, den erstaunlichen Wandel in kurzer Zeit zu stützen, statt immer wieder drauf zu hauen.
Ich würde derzeit noch nicht von einem Wandel sprechen. Dass man augenblicklich zu seiner Russland-Politik der vergangenen Jahrzehnte nicht mehr stehen kann, erklärt sich praktisch von selbst. Das sähe einfach schlecht aus. Dass man es überhaupt so lange damit durchgehalten hat, nach den Angriffen auf Tschetschenien, Georgien, der Krim, dem Donbas, den rechtsstaatwidrigen Inhaftierungen von DissidentInnen, den politischen Morden (sogar auf deutschem Boden) und dem Rückbau der Demokratie, spricht für sich schon Bände. Von einem Wandel würde ich erst sprechen, würde man beginnen, die Außen- und Handelspolitik an sich neu zu denken.
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Das Thema digitale Kriegsführung finde ich sehr spannend aber auch etwas beängstigend. Denn solche Sachen können ja viel Schaden anrichten und sind irgendwo in einer Grauzone nicht wirklich offener Aggression. Anders als bei Militäreinsätzen ist der Verursacher ja oft nur zu vermuten und Gegenschläge wären immer Interpretationssache. Das macht diese Akte für mein Gefühl recht gefährlich, weil es keine lange geübten Verhaltensweisen im Umgang dazu gibt.
Zitat von Quork im Beitrag #504Das Thema digitale Kriegsführung finde ich sehr spannend aber auch etwas beängstigend.
Eigentlich war das ja die gedacht "bevorzugte" Kriegsführung. An Panzer hat ja kein Mensch mehr geglaubt. In Deutschland wäre es egal gewesen, weder Cyber noch Konventionell hätten wir was zu bieten.
Ich hätte das zu Beginn des Kriegs nicht für möglich gehalten (dass ich dahin kommen würde), aber ich neige inzwischen dazu, für ein direktes militärisches Eingreifen der Nato in der Ukraine zu sein.