Ich würde auch sagen, dass es keine Antwort gibt, die auf alles passt. Ein Beispiel, dass viel diskutiert wurde war Pippi Langstrumpf. Ihr werter Papa wurde in vergangenen Ausgaben noch „Negerkönig“ genannt, was in neueren Ausgaben durch „Südseekönig“ ersetzt wurde. Dass es dagegen Proteste gab, hat mich ehrlich gesagt sprachlos gemacht. Dieses Buch richtet sich an eine Zielgruppe, die weder Vorworte, noch Fußnoten liest, noch etwas mit historischer Einordnung etwas anfangen kann. Wenn jemand heutzutage seinen Kindern etwas von „Negern“ vorliest, ohne sich dabei mindestens komisch zu fühlen, befremdet mich das außerordentlich. Dass einige dann noch quasi ihr Recht einfordern, ihren Kindern etwas von „Negern“ zu erzählen, treibt mich geradezu die Wände hoch. Und das nicht nur, weil ihnen dieses Recht nicht einmal genommen wird, da alte Ausgaben nicht durch neue ersetzt werden, sondern antiquarisch oder in Bibliotheken weiterhin erhältlich sind. In diesem speziellen Fall kann ich mir auch nicht Vorstellen, dass Astrid Lindgren, wenn sie noch leben würde, irgendwelche Einwände gegen diese Korrektur hätte.
Völlig unabhängig von Debatten über Ausgrenzung, ist Nachlektorierung oder Überarbeitung von Übersetzungen eine völlig normale Sache. Teilweise wird damit die Lesbarkeit erhalten, wenn zahlreiche Vokabeln benutzt werden, die Jahrzehnte später nicht mehr gebräuchlich sind. Auch da ist der Zugang zu früheren Fassungen noch immer möglich.
Es gibt zahlreiche Bestrebungen Aspekte aus der Vergangenheit auszulöschen, die dem heutigen Menschenbild tatsächlich oder vermeintlich widersprechen, die ich für problematisch halte, weil eine Auseinandersetzung mit vergangenem damit eher behindert wird. Dass diese Diskussionen heutzutage geführt werden, halte ich dafür aber für absolut positiv. Aktuell gibt es eine Debatte um den ersten Otto-Film, wo Otto eine alte Dame übers Ohr haut, indem er ihr einen farbigen Mann als Sklaven verkauft. Unabhängig davon, wie man heute damit umgehen möchte, ist es doch erstmal positiv zu wissen, dass diese Szene heutzutage in diesem Land so nicht mehr gedreht werden würde.
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Wie ich schon mehrfach schrieb, war der Begriff "Neger" früher auch nicht zwingend rassistisch, sondern bezeichnete einfach nur einen schwarzen Menschen, zumal das Wort etymologisch auch einfach nur "schwarz" bedeutet. Wenn man während meiner Kindheit einen Schwarzen rassistisch beleidigen wollte, nannte man ihn anders. Ein Neger war halt einfach ein Neger, völlig wertfrei. Das Wort wurde nun halt umgedeutet, wird als rassistisch auch von Schwarzen wahrgenommen, deswegen läßt man es halt bleiben. Punkt. Aber man sollte den "Negerkönig" und ähnliches auch mal aus diesem Blickwinkel betrachten. Nur, weil irgendwo" Neger" oder "Mohr" steht, sind es nicht gleich rassistische Stereotypen, unabhängig davon, ob das heute noch geht.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
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Doch. Es waren damals rassistische Stereotype und sind es heute noch. Dass diese Stereotype heute hinterfragt werden, begrüße ich und verstehe nicht, warum ich die Perspektive und Haltung meiner Großeltern einnehmen soll, wenn ich sowas sehe oder lese.
Zitat von beth im Beitrag #183Doch. Es waren damals rassistische Stereotype und sind es heute noch. Dass diese Stereotype heute hinterfragt werden, begrüße ich und verstehe nicht, warum ich die Perspektive und Haltung meiner Großeltern einnehmen soll, wenn ich sowas sehe oder lese.
Zitat von beth im Beitrag #183warum ich die Perspektive und Haltung meiner Großeltern einnehmen soll, wenn ich sowas sehe oder lese.
Eben das tust du eben nicht, sondern nur, wenn es unkommentiert bleibt. Und eben weil Kinder das nicht können, soll man es ihnen erklären. Wobei ich kein Problem hätte, von manchen Büchern kindgerechte Versionen zu veröffentlichen, wie es mit Klassikern der Weltliteratur oder der Bibel auch schon Gang und Gäbe ist. Die könnte man dann bereinigen.
Aber dafür, daß manche Leute - auch wenn es gutgemeint ist - nachträglicher Zensur das Wort reden, habe ich absolut kein Verständnis. Was geschrieben wurde, wurde geschrieben, und wer nicht in der Lage zu kritischer Auseinandersetzung ist, soll es halt bleibenlassen.
Aber Zensur ist eine rote Linie. Und Bücher, die nicht dem momentanen Zeitgeist entsprechen, einfach nicht mehr zu veröffentlichen, ebenfalls. Ich finde schon diese latente Forderung ungeheuerlich.
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Ich war früher rigoros gegen die Änderung alter Bücher, und habe dabei weiterhin Bauchschmerzen. Gleichwohl sehe ich, dass die Abwägung Anderer (insbesondere der von den als rassistisch empfundenen Bezeichnungen Betroffenen) anders ausfällt, und dass deren Stimme diesbezüglich schwerer wiegen sollte als meine. Meine zwei Cent: Erwachsenenliteratur ist ein Kunstwerk und ein Kind ihrer Zeit. Noch dazu wird sie von reflexionsfähigen Erwachsenen rezipiert. Wer heute mit 40 noch "Neger" sagt, hat dafür nicht Dickens verantwortlich zu machen. Finger weg von Änderungen oder Veröffentlichungsverbot. Kinderliteratur ist für mich ein anderes Thema. Sowas hier ("Negerweibchen Schwarz-Mama und Schoko-Sam der Mohr" sammeln überall Kinder ein, essen Wassermelone und Maiskolben etc. pp.) wurde mir von meinen Eltern noch vorgelesen (vermutlich aus nostalgischen Gründen, heute verstehen sie das auch nicht mehr), ist aber definitiv nicht zu retten. Kein Verlust, sowas gehört aussortiert. Aber was macht man mit "Pippi Langstrumpf", einem insgesamt durchaus zeitgemäßen und von mir sehr geliebten Buch, das ich nicht aussortieren mag, auch wenn im Original (respektive in der Originalübersetzung) Pippis Papa ein Negerkönig ist? In unserer Ausgabe wird das Wort beim ersten Auftauchen per Fußnote thematisiert ("heute würde man 'Schwarze' sagen" - auch das wird man bald überarbeiten müssen), und ich habe mit meiner damals dreijährigen Tochter drüber gesprochen, und ich glaube, sie hat verstanden, worum es im Kern der Sache geht. Da könnte ich im Zweifel aber auch damit leben, wenn einfach allgemein "Negerkönig" ersetzt würde. Wie so oft: Sprechen hilft, im Zweifel sogar mit Kindern.
"Happy Holidays... is what terrorists say. Merry Christmas, from Avery and Jack."
Zitat von King Bronkowitz im Beitrag #187Aber dafür, daß manche Leute - auch wenn es gutgemeint ist - nachträglicher Zensur das Wort reden, habe ich absolut kein Verständnis. Was geschrieben wurde, wurde geschrieben, und wer nicht in der Lage zu kritischer Auseinandersetzung ist, soll es halt bleibenlassen.
Aber Zensur ist eine rote Linie. Und Bücher, die nicht dem momentanen Zeitgeist entsprechen, einfach nicht mehr zu veröffentlichen, ebenfalls. Ich finde schon diese latente Forderung ungeheuerlich.
Ich habe als Kind/Jugendlicher die Bücher von Jules Verne geliebt. Mag sie auch heute noch. Interessehalber habe ich kürzlich nach laaaaanger Zeit Die Kinder des Kapitäns Grant zur Hand genommen. Es war faszinierend, wieviel ich davon fast wörtlich noch wusste. Und fast ohne es zu bemerken habe ich an vielen verschiedenen Stellen mindestens 20mal "Neger" gelesen. Kenne keine neuen Ausgaben des Buches. In jedem Fall war bzw. ist es harte Arbeit, das Werk auf den neuesten Stand zu bringen.
Das Wort „Zensur“ ist in diesem Zusammenhang völlig unangebracht. Es wurde weder vom Staat etwas verordnet, noch wurde irgendwas verboten. Die Verlage sind frei in ihrer Entscheidung, wie sie ihre Werke veröffentlichten wollen. Ebenso steht es jedem frei, deren Entscheidungen zu kritisieren. Dass ein Buch in einer früheren Form nicht neu aufgelegt wird, hat wirklich nichts mit Zensur zu tun.
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Zitat von Berthold Heisterkamp im Beitrag #188Kinderliteratur ist für mich ein anderes Thema. Sowas hier ("Negerweibchen Schwarz-Mama und Schoko-Sam der Mohr" sammeln überall Kinder ein, essen Wassermelone und Maiskolben etc. pp.) wurde mir von meinen Eltern noch vorgelesen (vermutlich aus nostalgischen Gründen, heute verstehen sie das auch nicht mehr), ist aber definitiv nicht zu retten. Kein Verlust, sowas gehört aussortiert.
Wie ich schrieb: im Zweifelsfall auf den Müll.
"Trau keinem Fuchs auf grüner Heid..." von Elvira Bauer ist mit Sicherheit auch nicht zu retten und kein großer Verlust. Bei manchen Sachen muß man einen Schnitt machen, die sind dann halt zurecht verfemt. Auch ohne daß man nachträglich darin herumfuhrwerkt.
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Zitat von Lumich im Beitrag #190Dass ein Buch in einer früheren Form nicht neu aufgelegt wird, hat wirklich nichts mit Zensur zu tun.
Wenn in einem Film herumgeschnipselt wird, auch wenn es um unpolitische Gewaltszenen geht, sprach man von jeher von Zensur. Wenn ich aus meinem Buch selbst etwas herausstreiche, spricht man von "Selbstzensur". Irgendein Unterschied dazu? In jedem der Fälle wird etwas geändert was man glaubt, der Allgemeinheit nicht zumuten zu können oder zu wollen.
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Nichts zum Thema, fällt mir aber gerade so ein: Bei mir am Ort gibt es ein paar Familien mit dem Namen "Neger". Wobei sich das hier scheinbar von "Näher" ableitet, also der Berufsbezeichnung einer mit Näharbeiten betrauten Person. Aber mit dem Namen möchte ich dennoch nicht herumlaufen
Bei uns gibt es das Bier "Mohrenbräu", das sich ebenfalls aus dem recht verbreiteten Nachname Mohr ableitet. Das Logo ist das Konterfei eines stereotyp dargestellten schwarzen Menschen. Vor allem ausländische Bands sind immer wieder schockiert davon, WIZO haben auf der Festivalbühne sehr deutlich gemacht, was sie vom von Mohrenbräu gesponserten Festzelt mit dem Namen Mohrenzirkus halten. Das ist eine Vermischung von Nachnamentradition und Rassismus. Das eine darf sein, das andere nicht. Was meiner Meinung nach aber nicht geht, ist das rassistische Logo und Wortspiele wie Mohrenzirkus mit der Nachnamentradition zu rechtfertigen.
Da geb ich dir recht. Es gab ja auch Ernst Neger, den "singenden Dachdeckermeister", und die Dachdeckerei Neger ist nach wie vor in Mainz ansässig. Ich möchte auch nicht Himmler, Göring oder Goebbels heißen, die begegnen mir auch ständig noch. Wenn man schon so einen belasteten Nachnamen trägt, sollte man im Umgang damit etwas sensibler sein.
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