Ich lebe oft mit Trauer. Über Personen, die nicht mehr in meinem Leben sind, über Entscheidungen der Vergangenheit, über so einiges. Ich würde sogar sagen, das ist inzwischen ein Teil meiner Persönlichkeit.
Aber wie du sagst, in unserer Kultur ist das oft schwierig und Menschen können damit nicht umgehen.
Gestern auf Netflix gestreamt: Das Wunder (2022) Eine Elfjährige irgendwo in Irland isst nicht mehr - seit vier Monaten schon. Nun sollen eine Nonne und ein Krankenschwester unabhängig voneinander die Echtheit dieses Wunders bestätigen. Aber die Wahrheit will sowieso niemand hören und Krankenschwester Lib wird vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt. Ein ruhiger Film mit schönen Bildern und einer großartigen schauspielerischen Leistung von Florence Pugh, die die Lib spielt. Es passiert überraschend wenig, bleibt aber konstant mitreißend und spannend. So etwas hab ich schon lange nicht mehr erlebt. Unbedingte Empfehlung.
Uuuund Freitag im Kino: Crimes of the Future (2022) Saul Tenser wachsen immer wieder neue Organe, die er von seiner Künstlerfreundin Caprice noch in seinem Körper tätowieren und dann als große Performance vor Publikum entfernen lässt. Aber Saul und Caprice sind nicht die Einzigen, die Geld mit dem "Beschleunigte Evolution-Syndrom", das die Menschheit befallen hat, verdienen - und auch eine Untergrund-Bewegung von vermeintlichen Freiheitskämpfern wendet sich an ihn. Ein schräger, ästhetischer, nachdenklicher Film, den ich gar nicht richtig zusammenfassen kann, weil so viel passiert und so viele Leute so viele seltsame Ziele verfolgen. Und weil so viel drinsteckt, das man sich erst mal klarmachen muss. Ich bin noch am Nachdenken, aber das Bild vom Menschen, dem etwas zustößt, das eigentlich schlimm ist, und der, statt dran zu verzweifeln, Kunst draus macht, das blieb aus mehreren Gründen dann doch hängen. Und der Porno-Aspekt, der aber dem Body-Horror schon ein Stück weit innewohnt. Und die wunderschönen Menschen, die ihren Job ausnehmend gut machen: Viggo Mortensen, Léa Seydoux, Kristen Stewart, Scott Speedman. Wer Cronenberg nicht komplett abstoßend findet und mit der Darstellung von Operationen kein Problem hat, sollte sich den Film ansehen.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
Zitat von Mory im Beitrag #5087Gestern auf Netflix gestreamt: Das Wunder (2022) Eine Elfjährige irgendwo in Irland isst nicht mehr - seit vier Monaten schon. Nun sollen eine Nonne und ein Krankenschwester unabhängig voneinander die Echtheit dieses Wunders bestätigen. Aber die Wahrheit will sowieso niemand hören und Krankenschwester Lib wird vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt. Ein ruhiger Film mit schönen Bildern und einer großartigen schauspielerischen Leistung von Florence Pugh, die die Lib spielt. Es passiert überraschend wenig, bleibt aber konstant mitreißend und spannend. So etwas hab ich schon lange nicht mehr erlebt. Unbedingte Empfehlung.
der wurde mir gerade schon von anderer seite nahegelegt. da werd ich mir das wohl mal geben. :)
The Menu (USA 2022, R: Mark Mylod, D: Ralph Fiennes, Anya Taylor-Joy, Nicholas Hoult) In Erwartung eines kulinarischen Hochgenusses fahren zwölf höchst unterschiedliche Menschen auf eine Insel, um dort von Maitre Slowik (Fiennes) bekocht zu werden. Slowik baut auf dieser Insel seine exklusiven Zutaten an. Schon die Ankunft der Gäste zeigt: Die Bediensteten von Slowik leben eher wie in einer Sekte zusammen und folgen ihrem Chef bedingungslos. Und auch das Essen wird anders werden, als gedacht. "The Menu" ist eine bitterböse schwarze Komödie mit einigen Thriller und Horrorelementen. Sie wirkt nicht immer bis ganz zu Ende gedacht, die Figuren etwas konstruiert und Ralph Fiennes ist dann jetzt als Bösewicht immer Voldemort. Aber der Film ist stimmig, überrascht und ich wollte dann schon wissen, wie es ausgeht. 7/10
Die letzten Sechs in der Playlist: Honeyglaze - Real Deal || Laura Marling - Patterns In Repeat || Nieve Ella - Watch It Ache and Bleed || Dawn Richard & Spencer Zahn - Quiet In a World Full of Noise || Flip Top Head - Up Like a Weather Balloon || Haley Heyndericks - Seed of a Seed
Zitat von victorward im Beitrag #3665Nico, 1988 von Susanna Nicchiarelli
Die letzten zwei Lebensjahre von Christa Päffgen als geschauspielerte Biografie. Trine Dyrholm spielt das unglaublich eindrucksvoll und intensiv. Es ist teilweise richtig schmerzhaft zu beobachten, wie die dargestellte Christa Päffgen versucht ihre Vergangenheit als Stilikone abzustreifen und als eigenständige Künstlerin akzeptiert zu werden. Man folgt ihr bei der letzten Tour und bei ihrem Kampf gegen diverse Dämonen. Auch die Beziehung zum Sohn spielt eine wesentliche Rolle. Der Film ist spröde und schlicht gehalten, aber ungemein atmosphärisch. Gibt es bis Ende März in der Arte Mediathek zu sehen.
sehr treffend beschrieben. Ein intensives Seh- und Hörerlebnis. Ich bereue, und meine Frau ebenso, dass wir Nico nie Live gesehen haben. Mein Interesse erlosch nach der "The End" LP, und meine Frau hat in den 90s immerhin noch eine Nico-Special auf Radio St. Paula (FSK) gemacht.
Zitat von victorward im Beitrag #3665Nico, 1988 von Susanna Nicchiarelli
Die letzten zwei Lebensjahre von Christa Päffgen als geschauspielerte Biografie. Trine Dyrholm spielt das unglaublich eindrucksvoll und intensiv. Es ist teilweise richtig schmerzhaft zu beobachten, wie die dargestellte Christa Päffgen versucht ihre Vergangenheit als Stilikone abzustreifen und als eigenständige Künstlerin akzeptiert zu werden. Man folgt ihr bei der letzten Tour und bei ihrem Kampf gegen diverse Dämonen. Auch die Beziehung zum Sohn spielt eine wesentliche Rolle. Der Film ist spröde und schlicht gehalten, aber ungemein atmosphärisch. Gibt es bis Ende März in der Arte Mediathek zu sehen.
sehr treffend beschrieben. Ein intensives Seh- und Hörerlebis. Ich bereue, und meine Frau ebenso, dass wir Nico nie Live gesehen haben. Mein Interesse erlosch nach der "The End" LP, und meine Frau hat in den 90s immerhin noch eine Nico-Special auf Radio St. Paula (FSK) gemacht.
Dafür ist der neuste Film von Susanna Nicchiarelli über Klara von Assisi christlich fundamentaler Schund und inszenatorisch eine Katastrophe, unerträglicher Dreck. Wer also die Möglichkeit hat "Chiara" zu sehen (läuft auf diversen Festivals): Tut es euch nicht an!!
The Artist Vor einigen Tagen habe ich diesen Film zum ersten Mal seit der Kinoaufführung damals gesehen. Und was soll ich sagen? Ich fand ihn noch genauso großartig. Diese liebevolle Machart (mit vermutlich hundert Anspielungen, die ich aufgrund mangelnder Kenntnis der Originale nicht bemerkt habe), die fantastischen Schauspieler, die verschiedenen Emotionen, einfach toll. Hatte den lange vor mir hergeschoben, weil ich dachte, dass ich beim zweiten Sehen bestimmt enttäuscht bin. (10/10)
huch! für bresson-verhältnisse ist dieser film fast schon zugänglich ... aber dann auch wieder nicht. er konzentriert sich - angelehnt an den tatsächlichen gerichtsprotokollen - wirklich nur auf den prozess, den die kurie unter der fuchtel der engländer gegen jeanne d'arc führte und das hat fast schon dokumentarischen charakter. aber die leisen untertöne, die er und - kongenial - seine hauptdarstellerin florence delay darin unterbringen, zieht einem mal wieder komplett die füße weg und ich hab auf einmal keine probleme mit all dem religiös-philosophischen diskurs, der sich da entspinnt und den ich normalerweise nicht für voll nehmen würde, aber bresson macht's möglich. was für ein genie!
sans toit ni loi (agnes varda, 1985)
die erfrorene leiche einer jungen landstreicherin wird am rande eines weinbergs in südfrankreich gefunden. retrospektiv wird ihre geschichte erzählt - einerseits anhand der tatsächlichen ereignisse, andererseits mittels interviews mit leuten, die sie vor ihrem tod erlebt hatten. der hammer - einerseits wie varda diese story erzählt - mit all seiner tragik, komik und der unvermeidlichen konsequenz - und dann ist da sandrine bonnaire, die in dieser figur die absolute unabhängigkeit verkörpert, aber auch die verletzlichkeit und den hang zur selbstzerstörung, der dann zum unvermeidlichen führt. meisterhaft!
99 homes (raman bahrani, 2015)
die immobilienkrise - man kapiert als verhältnismäßig gepamperter europäer kaum, wie unfassbar grausam das gebaren in dieser branche in den usa ist. die verkörperung all dieser niedertracht ist michael shannon, ein immobilien-hai, der einen alleinerziehenden vater (andrew garfield), seinen sohn und seine mutter (laura dern) aus dem geliebten familienanwesen wirft, weil gerade mal ein paar raten nicht gezahlt wurden. dann entspinnt sich zwischen shannon und garfield ein faustischer plot, der natürlich nicht gutgehen kann und das ist genauso unangenehm wie großartig geschrieben und gespielt.
lords of chaos (jonas akerlund, 2018)
metal ist ja überhaupt nicht mein genre. aber diese extreme entwicklung der norwegischen black metal-szene um mayhem und burzum übt durchaus eine gewisse faszination auf mich aus. allerdings empfand ich die figuren, hauptsächlich euronymus und varg vikernes, als ziemlich eindimensional gezeichnet und die story, bei all dem tatsächlichen chaos, das diese leute angezettelt haben, ein bisschen zu brav runtererzählt. ich hab gehofft, dass akerlund ein bisschen mehr in die tiefe gehen würde. na ja, immerhin, inszenierung und schauspiel waren gut und gelangweilt hab ich mich auch nicht.
Zitat von BadBrain im Beitrag #5094Hast du die unfassbar gute Doku „until the light takes us“ gesehen?
jepp, und der spielfilm nimmt sich so seine freiheiten, die mir nicht gefallen haben, z.b. dass euronymus so dargestellt wird, als hätte er den ganzen satanismus-kram nur veranstaltet, um seine band besser vermarkten zu können und dass die rivalität zwischen ihm und varg vikernes allein darin bestand, dass dieser sich für den wahren black metal-propheten hielt und ihm den ausverkauf übel nahm. das spielte wohl bestimmt auch eine rolle, aber es ging halt auch um die schnöde kohle und v.a. die politische gesinnung. euronymus war ja eher ein stalinismus-fan (einziger hinweis im film darauf: ein erich honnecker-foto in seinem büro), während vikernes ein handfester neonazi war und ist.
In diesem Zusammenhang empfehle ich die Doku Helvete vom norwegischen Sender NRK. Gefällt mir gut, wichtige Akteure kommen zu Wort und die Doku widmet sich auch Projekten, die weniger im Fokus stehen oder standen wie Snorre Ruchs Thorns. Gibt es komplett auf Youtube.
Der neue Luca Guadagnino und leider sein Schwächster, ich kam gestern sehr ernüchtert aus dem Kino. Es geht um eine junge Frau, die ihr Elternhaus verlässt, weil sie seit ihrer Kindheit die Tendenz zum Kannibalismus in sich trägt und ein paarmal zu oft ausgelebt hat. Auf ihrer Reise durch das Land, sucht sie ihre Mutter und dazu Antworten auf Fragen, die sie sich nicht traut zu stellen. Unterwegs trifft sich auf Gleichgesinnte, sogenannte "Eater". Einer von ihnen ist Timothee Chalamet, mit dem sie eine Romanze beginnt.
Ich mag es, wie fantastisch und märchenhaft er manchmal wirkt und sich dementsprechend anfühlt, das ist nicht unsere Realität, die wir da sehen. Die Ansätze dieser, naja, Mythologie sind vorhanden, aber das war es dann auch. Keine Idee wird wirklich fertig gedacht, nie wird so richtig hinterfragt, wie diese Sub-Society funktioniert, auch moralische Fragen werden kurz angepinselt und dann liegen gelassen. Nur durch eine Figur wird das alles annähernd greifbar und wie schon letzte Woche bei The Menu (zu dem hab' ich noch nix geschrieben), ist auch das Drehbuch ein bisschen sehr faul. Die fragwürdige Ernährungsform ist also auch wieder austauschbar und es fehlt die Konsequenz. Der Score ist übrigens gurkig und zwei tolle needle drops gibt es, aber beide sind für mich zu sehr mit anderen Filmen verwurzelt.
Ich verehre seinen Suspiria, der ist wirklich meilenweit weg von dem.
The Filth And The Fury Nachdem mir Danny Boyles Serie über die Sex Pistols extrem gut gefallen hat, dachte ich mir, es ist an der Zeit, mich mal Julien Temples Dokumentation zu widmen. Temple kann sowas, seine Doku über Joe Strummer von The Clash gehört immer noch zu den besten Musikdokumenationen, die es gibt. Und die über Shane MacGowan soll ja auch sehenswert sein. "The Filth And The Fury" ist eine überzeugende Collage von montierten Originalaufnahmen und Interviews mit den überlebenden Mitgliedern der Gruppe. Lohnt sich auch, aber im direkten Vergleich fand ich die Spielserie besser, weil die mehr Spaß in den Backen hat. (8/10)
Zu sehen ist das Ding hier, das Englisch ist allerdings nicht ganz einfach zu verstehen: