Im Gazastreifen, wo der aktuelle regionale Konflikt eskaliert, hat Israel die Siedlungen gewaltsam geräumt. Mit dem bekannten Ergebnis. Und auch Vertreibungen durch die Siedlungen anderswo finden natürlich in vielen Regionen der Welt statt, ohne dass das ein großes Echo hervorruft.
Hier hängen mehr Länder mit drin, die jeweils ihre politische Agenda mit verbinden, wie bspw. deren Feindschaft zur USA. Deutschland ist durch seine eigene Geschichte mit dem Konflikt verbunden. Da gibt es zig Besonderheiten. Rein religiöse Konflikte, die gewaltsam ausgetragen werden, gibt es in diesem Maßstab kaum bis gar nicht. Wenn man sich nicht gleichzeitig, bzw. vornehmlich um „Lebensraum“, bzw. Territorium oder meinetwegen Bodenschätze streitet, wird da normalerweise kein Krieg daraus.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Hier ein Beitrag zum Thema Ursprung des Konflikts, den ich ganz aufschlussreich finde und der vielleicht hilft bei der Beantwortung der Frage, ob es ein religiöser oder regionaler Konflikt ist.
ZitatAuch wenn Argumente zur Geschichte des Nahost-Konflikts auf viele, zu viele taube Ohren stoßen, möchte ich mich dem um sich greifenden antisemitischen Wahn nicht beugen. Reden wir über Anfänge. Nicht 1948. Sondern drei Jahrzehnte vorher.
Die Karte zeigt die Provinzen (Vilayets) des Osmanischen Reichs 1914, vor dem Ersten Weltkrieg. Welche heutigen Staaten lassen sich darin erkennen? Keine? Richtig. Knapp 400 Jahre zuvor wurde das bunt eingefärbte Gebiet vom Osmanischen Reich erobert. Vier Jahrhundert lang lebten dort Muslime, Juden und Christen (nicht immer friedlich) miteinander. Die Grenzziehungen der Vilayets und Mutessarifliks haben mit den "Nationen" des späteren 20. und des frühen 21. Jahrhunderts nicht zu tun. Kein Jordanien, kein Syrien, kein Libanon, kein Israel, kein Palästina, kein Irak, kein Saudi-Arabien...
Das Osmanische Reich verliert all diese Gebiete infolge des von den Briten unterstützten Arabischen Aufstands bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Welche Staaten werden entstehen? Alles Mögliche ist denkbar, seit Jahrtausenden sind Großreiche in kleinere Staaten zerfallen. Denkbar ist zum Beispiel ein langgezogener arabischer Staat, der im Wesentlichen die Vilayets Damaskus und Hedschas miteinander verbindet. Aus dem Küstenstreifen westlich dieses Staates könnte ein eigener Staat werden, zum Beispiel ein jüdischer Staat (1918 leben rund 66.000 Jüdinnen und Juden vor allem im Küstengebiet der Region Palästina).
Zwei derartige Staaten schweben Faisal Ibn-Hussein (Emir des Hedschas) und Chaim Weizmann (Präsident der Zionistischen Weltorganisation) vor, am 3. Januar 1919 unterzeichnen sie ein entsprechendes Abkommen – "mindful of the racial kinship and ancient bonds existing between the Arabs and the Jewish people". Große Worte. Von Antisemitismus als Staatsräson keine Spur. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hätte hier einen friedlichen Abzweig nehmen können.
Nimmt sie aber nicht: 1920 werden auf der Konferenz von San Remo die Völkerbund-Mandate Palästina, Mesopotamien (beide unter britischer Verwaltung) sowie Libanon und Syrien (unter französischer Verwaltung) beschlossen. Die Trennlinie zwischen britischer und französischer Verwaltung, die 1916 in einer geheimen Vereinbarung beschlossene Syces-Picot-Linie geht mitten durch die Vilayets Beirut und Damaskus hindurch. Reine Willkür. Darin sind die Kolonialmächte immer gut gewesen. Die Briten teilen 1923 ihr Mandatsgebiet, indem sie das halbautonome Emirat Transjordanien gründen. Ein Begriff kolonialer Bürokraten.
Die Franzosen entlassen am 22. November 1943 einen Küstenstreifen ihres Mandatsgebiet als neuen Staat, den Libanon, in die Unabhängigkeit, am 17. April 1946 das restliche Gebiet als weiteren Staat, Syrien. Am 25. Mai 1946 wird aus dem halbautonomen Emirat Transjordanien der unabhängie Staat Jordanien. Für den Rest des britischen Mandatsgebiets nimmt die neugegründete UNO den von einer Kommission vorgeschlagenen Plan an, einen Staat namens Israel und einen Staat namens Palästina in die Unabhängigkeit zu entlassen, Israel konstituiert sich dementsprechend nach Abzug der Briten am 14. Mail 1948 als vierter Staat der Region. Der fünfte vorgesehene Staat konstituiert sich nicht – sondern wird teilweise von jordanischen Armee besetzt, teilweise von der ägyptischen. Palästina entsteht nicht. Arabische Bruderstaaten besetzen Palästina. Was haben diese Armeen in Palästina verloren? Sie bleiben fast 20 Jahre.
Begründung? Israel habe kein Existenzrecht. Eine abenteuerliche Begründung für Staaten, die - bis auf vielleicht Ägypten - Zufallsprodukte des Kolonialismus sind. Selbstverständlich hat Israel das gleiche Existenzrecht wie Jordanien, Syrien, Libanon. Punkt.
Nun halten manche dagegen, Israel sei aber doch ein Kolonialprojekt gewesen. Erstaunlicherweise hört man dies auch von Kritikern des Kolonialismus, die sonst Migrant:innen und Flüchtende, die über das Mittelmeer nach Norden wollen, unterstützen. Ihnen mitunter aufopferungsvoll zur Seite stehen, sie aus Seenot retten.
Warum verstehen sie nicht: Israel ist selbst das Ergebnis einer enormen Fluchtwelle über das Mittelmeer, nur in umgekehrter Richtung, von Norden nach Süden. Die Jüdinnen und Juden, die erst in den osmanischen Provinzen, dann im britischen Mandatsgebiet ankommen, sind Flüchtende. Keine kolonialen Siedler. Sie fliehen vor dem antisemitischen Wahn, der Europa erfasst hat, vor Pogromen, vor Massenmord, vor alltäglichen Drangsalierungen. Wo sie ankommen, haben immer schon Jüdinnen und Juden gelebt. Die Geflüchteten kaufen arabischen Großgrundbesitzern oft genug trockenes unfruchtbares Land ab. Nicht gerade ein Siedlertraum.
Die alten und neuen jüdischen Bewohner:innen im Mandatsgebiet sind eine Minderheit. Ist das der Grund, warum ihnen rückblickend keine Legitimation für eine Staatsgründung zugesprochen wird? Ist dies allen Ernstes eine Frage der Zahl? Geht es jetzt ans kleinliche Rechnen?
Und wollen diejenigen, die Israel ahistorisch als Kolonialprojekt darstellen, sagen, man hätte diese jüdische Flucht übers Mittelmeer nicht zulassen sollen? Ich hoffe nicht. Denn der einzige Grund, ausgerechnet diese Fluchtbewegung als illegitim zu bezeichnen, könnte dann ja nur sein, dass es sich um eine Flucht jüdischer Menschen handelt. Das aber wäre für mich reiner Antisemitismus.
Die afrikanischen Staaten waren später so klug, die Grenzen der neu entstandenen Nationalstaaten, die ebenfalls weitgehend Zufallsprodukte des Kolonialismus waren, nicht in Frage zu stellen. Die Unverletztlichkeit der Grenzen – so widersinnig sie manchmal sein mögen – ist eines der Grundprinzipien der Organisation für Afrikanische Einheit. Sie in Frage zu stellen, würde die Büchse der Pandora öffnen.
Im Nahen Osten ist meines Erachtens die Büchse der Pandora am 15. Mai 1948 geöffnet worden, als Armeen aus fünf arabischen Ländern den einen Tag zuvor konstituierten Staat Israel angriffen. Nicht umgekehrt: Israel hat die fünf anderen Staaten nicht angegriffen. Warum ist das so schwer zu verstehen? Wer den Konflikt 1948 beginnen lässt, hat (noch) nicht viel begriffen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass der hier geschilderte Kontext begriffen werden kann.
Die jüdischen und die arabischen Israelis, die seit langem gemeinsam für Frieden eintreten, sind da viel weiter als etwa die europäische Linke. Sie haben die "ancient bonds existing between the Arabs and the Jewish people", die Faisal und Weizmann 1918 betonten, nicht vergessen.
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http://www.last.fm/de/user/DerWaechter ehemaliger Influencer * Downtown * Radebrecht * "Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen." (Ronja von Rönne) “The sex and drugs have gone and now it’s just the rock ‘n’ roll” (Shaun Ryder)
ich glaube ihr könntet beide recht haben was den ursprung betrifft, in jedem fall ist zu beobachten dass der rest der welt interessanterweise immer mehr antikolonialismus auf die waagschale packt.
Ah, sorry, kommt aus meiner Facebook-Blase. Verfasst wurde der Text von ihm:
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http://www.last.fm/de/user/DerWaechter ehemaliger Influencer * Downtown * Radebrecht * "Die einzige Bevölkerungsgruppe, die man risikolos beleidigen kann, sind die Dummen. Da fühlt sich nie einer angegriffen." (Ronja von Rönne) “The sex and drugs have gone and now it’s just the rock ‘n’ roll” (Shaun Ryder)
ZitatHamas-Funktionäre erklären im NYT-Interview, dass es nicht ihr Ziel sei den Gazastreifen zu regieren Im Interviews mit der „New York Times“ weisen ranghohe Hamas-Funktionäre die Vorstellung zurück, dass sie den Gazastreifen regieren wollen, um die Situation dort zu verbessern. Ziel ihres Massakers am 7. Oktober sei es gewesen, einen dauerhaften Kriegszustand mit Israel zu provozieren.
"Ich hoffe, dass der Kriegszustand mit Israel an allen Grenzen dauerhaft wird und dass die arabische Welt an unserer Seite steht", wird der Hamas-Berater Taher El-Nounou in der Zeitung zitiert.
"Das Ziel der Hamas ist es nicht, den Gazastreifen zu regieren und ihn mit Wasser und Strom zu versorgen", sagt Khalil al-Hayya, ein Mitglied des Politbüros der Terrorgruppe in Katar.
"Dieser Kampf fand nicht statt, weil wir Treibstoff oder Arbeiter wollten", fügt er hinzu. Und: "Es ging nicht darum, die Situation in Gaza zu verbessern. Dieser Kampf dient dazu, die Situation komplett auf den Kopf zu stellen."
das ist ein bisschen wie bei trump oder höcke. dass sie völlig offen und dreist sagen, was sie vorhaben, bringt offenbar kaum jemanden unter ihren unterstützern zum nachdenken.
Sagen wir mal so: Ähnlich wie bei Trump und Höcke, gibt es auch hier sicherlich einen engeren Kreis von Überzeugten und einen weiteren Kreis von weniger überzeugten bis hin zu denjenigen, deren Wunsch nach Veränderung immer diffuser, immer weniger ausformuliert wird. Was die Bekämpfung AfD betrifft, hat man m.M.n. zu lange aufs falsche Pferd gesetzt, indem man deren Nähe zum Nationalsozialismus betont hat. So furchtbar wie das ist, es hat offenbar für viele nicht den Schrecken ausgelöst, den es besser haben sollte. Was möglicherweise eher einen Effekt haben könnte, wäre eine intensivere Kommunikation darüber, was die AfD in seinem Programm stehen hat, was sich massiv nachteilig auf den Großteil seiner WählerInnen auswirken würde. Die AfD ist eben nicht nur fremdenfeindlich, sondern auch marktradikal.
Was die Hamas angeht, könnte ich mir vorstellen, dass einige SympathisantInnen schon geglaubt haben, dass sie sich für die Menschen in Gaza eingesetzt haben. Dass sich dies mit diesem einen Statement ändern wird, wäre natürlich äußerst naiv anzunehmen. Dass die Hamas auf lange Sicht einen Großteil seiner Gunst einbüßen könnte, halte ich jedoch für möglich.
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Zitat von Lumich im Beitrag #267Dass die Hamas auf lange Sicht einen Großteil seiner Gunst einbüßen könnte, halte ich jedoch für möglich.
Das glaube ich nicht. Der Haß auf Israel ist einfach zu groß, da spielt es keine Rolle mehr, wer da noch was sagt. Dann wechselt man unterstützungstechnisch halt zur Hisbollah oder zum islamischen Jihad, hauptsache Ummah.
We don't believe in anything we dont stand for nothing. We got no "V" for victory cause we know things are tougher.
(Iggy Pop/James Williamson: "Beyond The Law")
---------------------------------------------------------------- From the river to shut the fuck up.
"The findings, published here for the first time, reveal that rather than supporting Hamas, the vast majority of Gazans have been frustrated with the armed group’s ineffective governance as they endure extreme economic hardship. Most Gazans do not align themselves with Hamas’s ideology, either. Unlike Hamas, whose goal is to destroy the Israeli state, the majority of survey respondents favored a two-state solution with an independent Palestine and Israel existing side by side."
Heavy Rotation → ◉ Fleetwood Mac - Tango in the Night ◉ Bonobo - Black Sands ◉ The Decemberists - As It Ever Was, So It Will Be Again ◉ Interpol - Our Love to Admire ◉ Skeewiff - Something Like That?