was tun in essen, wenn das anvisierte konzert als ursprünglicher grund der reise ausfällt, und man aber - vom tagesprogramm mit müden füßen versehen - auf kulturgenuss im sitzen geprimt ist? der sohn sagt: kino. und zufällig läuft dort gerade in mehreren programmkinos die empfehlenswerte reihe "film 74", die - wer hätte es gedacht - klassiker serviert, die heuer ihren 50sten geburtstag feiern. uns erwartete
chinatown (roman polanski, 1974)
passte mir super: den hatte ich vor jahrzehnten mal zur hälfte auf einer semifunktionalen schwarzweißglotze genossen, was kein spaß war. darum hatte ich ihn schon lange auf der "endlich-mal-vollständig-sehen"-bucketlist. und ich wurde nicht enttäuscht - ein großartiger plot mit schön geschliffenen dialogen (den oscar fürs beste drehbuch gab es zu recht), jack nicholson darf den halben film lang mit verbundener nase rumlaufen, die ihm polanski persönlich aufgeschlitzt hat, und faye dunaway ist das schönste undurchsichtige good-bad-good-girl seit lauren bacall. die beiden werden bis in die kleinste nebenrolle von ebenbürtigen kollegen flankiert, und einen haufen metaebenen hält der film als kritische hommage an hollywoods schwarze serie auch noch bereit (allein dass john huston den jovialen endgegner gibt, macht mir schon einen genussvollen knoten ins hirn). allerdings liegt im gewagtesten plot-twist des films auch der moment, an dem ich innerlich ziemlich zusammenzuckte:
man hat es sich gerade in den reminiszenzen an die zynische chandlersche weltsicht gemütlich gemacht, da setzt der film mit dem thema inzest sehr heftig einen drauf. das ist in meinen augen erst mal ein konsequenter und spannender, wenn auch verstörender aspekt. dass aber evelyn auf gittes' frage "did he rape you" den kopf schüttelt, und polanski damit das thema im selben moment schon wieder verharmlost, indem er - zumindest in gewissem grade - einvernehmlichkeit suggeriert, lässt dann doch ein sehr unangenehmes gefühl aufkommen. am ende bleibt diese monströse tat im film nur ein zusätzlicher dunkler fleck auf der weste des bösewichts, der in diesem fall sicherlich nur zu wenig gewissen hatte, um der blutsverwandten lolita zu widerstehen. kotz. dass dies aufgrund der bekannten vergewaltigungsgeschichte der letzte film war, den polanski in den USA drehte, gibt dem ganzen noch mal ein besonders widerwärtiges gschmäckle.
Zitat von Mory im Beitrag #6645Hätte ich nicht sowieso schon große Lust, "The Substance" zu sehen, spätestens JETZT hätte ich sie! Danke für eure Einschätzungen!
Ich rate ausdrücklich dazu, den Film auf der großen Leinwand zu sehen. Dementsprechend solltest du fix sein, die meisten Kinos in der Region haben den Streifen bereits aus dem Programm genommen.
Wenn das hier ein Kulturkreis ist, bin ich wohl ein Quadrat.
CTRL (2024) Indisches Drama um ein junges Influencer-Pärchen, das nach riesigem Erfolg eine Trennung und damit unweigerlich eine Social-Media-Bruchlandung hinlegt. Nella leidet unter dem Betrug ihres Ex Joe und beschließt, mittels einer App zumindest sämtliche digitalen Spuren zu tilgen. Die integrierte KI der Systems bietet ihr die Chance, sich neu zu erfinden und allein durchzustarten. Es klappt, Nella ist nach wenigen Monaten wieder obenauf! Dann wandelt sich das Liebesdrama plötzlich zum Thriller, denn Joe verschwindet spurlos und wird schließlich tot aufgefunden - hat die Firma, die besagte App und KI entwickelt, etwas damit zu tun? Der Film ist gut gemacht und sehr, sehr weit weg von Bollywood-Schmonzetten mit Tanzeinlagen. Zwar kann er sich nicht recht entscheiden, was er denn nun sein will - Liebesdrama oder Thriller - aber im Endeffekt gelingt die Balance meines Erachtens recht gut, zumal das Ende besonders unerwartet kommt. Allein die Hauptfigur Nella ist mir bei aller Liebe einfach zu dämlich - das nimmt der Aussage des Films die Schärfe.
Zeig mir, wer du bist (2024) Am Abend vor Reubens gigantischer Hochzeit lädt der Bräutigam in das abgefahrene Haus seiner verstorbenen Künstlerinnenmutter ein, um mit seinen sieben besten Collegefreunden - die er trotz aller Liebe acht Jahre lang nicht gesehen hat - zu feiern. Kumpel Forbes bringt eine Maschine mit, mit der die jungen Leute ihre Körper tauschen können - er will ein Partyspiel draus machen und jeden raten lassen, in welchem Körper die anderen gerade stecken. Klingt riskant und ist es auch! Die Story klingt hanebüchen, wird aber gut vermittelt und wenn man sich drauf einlässt - auch auf die extrem aufgedrehten Figuren -, kriegt man anderthalb Stunden ziemlich großartige Unterhaltung. Die Kameraeinstellungen sind sehr geschickt, die Farbpalette interessant und die Skulpturen überall im Haus tun ihr Übriges, das Setdesign zu einem Genuss zu machen. Auch die schauspielerische Leitung ist nicht ohne, denn gerade während des Spiels und damit in den "fremden" Körpern überzeugen die Darsteller*innen. Würd ich jedem empfehlen, der kein Problem mit ein bisschen Sex und moderater Gewalt hat.
Das Tagebuch (2024) Olga und Victor haben sich getrennt und Olga zieht nun mit Tochter Vera in ein neues Haus. Bald schon geschehen seltsame Dinge, die Olga annehmen lassen, dass es spukt. Als sie auf dem Speicher eine alte Spielkiste mit verstörendem Inhalt findet, die sich nicht loswerden lässt, ist sie davon sogar überzeugt. Aber es kommt alles ganz anders, wie das unheimliche Tagebuch enthüllt, das in der Kiste liegt. Ein ruhiger, spannender und verstörender mexikanischer Film um Familie, Vorahnungen und was sie womöglich anrichten können - und ob man seinem Schicksal entkommen kann. Man erfährt relativ rasch, was Sache ist, ist dann aber umso neugieriger, wie die Figuren mit diesem Wissen umgehen. Der Film ist nicht perfekt, dazu wird ein bisschen allzu sprunghaft erzählt, aber ich hatte viel Spaß damit und habe mich durchaus gegruselt.
You all want the whole world to be changed so you will be different.
Werk ohne Autor (D/I/USA 2018, R: Florian Henckel von Donnersmarck, D: Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer, Saskia Rosendahl, Oliver Masucci, Hanno Koffler, Cai Cohrs, Ina Weisse, Jeanette Hain, Jörg Schüttauf, Hans-Uwe Bauer, Ulrike C-Tscharre, Evgeniy Sidikhin, Ben Becker, Lars Eidinger) Die Länge von drei Stunden habt mich immer ein wenig abgeschreckt. Aber dann flutschte des doch ganz gut. Erzählt wird die Geschichte von Gerhard Richter, der hier Kurt Barnert heißt, und dessen Schwiegervater Heinrich Eufinger (hier Carl Seeband). Seeband war es, der Barnerts geliebte Tante in der Nazi-Zeit vergast hat, weil ihr Leben wegen einer Schizophrenie nicht lebenswert sei. Barnert verliebt sich, von der Geschichte Seebands nichts wissend, in dessen Tochter Ellie. Parallel wird auch die Geschichte des Künstlers Barnert erzählt. Wie er in der DDR in einer bestimmte künstlerische Richtung gepresst wird, die ihm keine Freiheit gewährt. Von der Fluch nach West-Deutschland. Von seiner Studienzeit in Düsseldorf. Und wie er sich am Ende dann mit den Werken "Herr Heyde" und "Tante Marianne" selbst gefunden hat. Grundsätzlich ist "Werk ohne Autor" kein schlechter Film. Aber der Oscar-Kandidat krankt dann an ein paar Dingen, um ein sehr guter zu sein. Allen voran ist da der von Sebastian Koch dargestellte Seeband, der mir ein zu allwissender Arzt ist. Quasi ein Dr. House der Nazizeit, dazu aber ein großes Arschloch. Diese Darstellung war mir einfach zu drüber. Die restlichen Figuren sind da besser gezeichnet, auch wenn die Tante Elisabeth (wie sie im Film heißt) stereotyp ist: Wer sich auszieht und nackt rumläuft ist verrückt. An manchen Stellen merkt man dem Film dann auch an, dass er "typisch deutsch" ist, gerade was die Komposition der Bilder angeht. Und erst im Nachhinein habe ich gelesen, dass die dahinplätschernde Musik von Max Richter ist. Nun ja. 7/10
Die letzten Sechs in der Playlist: Honeyglaze - Real Deal || Laura Marling - Patterns In Repeat || Nieve Ella - Watch It Ache and Bleed || Dawn Richard & Spencer Zahn - Quiet In a World Full of Noise || Flip Top Head - Up Like a Weather Balloon || Haley Heyndericks - Seed of a Seed
es gibt filme, die einen in ihrer selbstverliebtheit zuerst blenden, so dass man meint, sie seien gut. aber schon ein paar tage später fühlt man sich wie nach schlechtem sex mit einer schönen, aber sehr unsympathischen person. so ein film ist das.
Wenig originelle und nur leidlich spannende Fortsetzung des Klassikers von John Carpenter.
"Halloween II" ist zwar weit davon entfernt, das unterste Ende der Fahnenstange im Bereich der Slasher-Filme zu sein, aber angesichts seines Stammbaums kann man zu Recht ein höheres Maß an Qualität erwarten, als hier geliefert wird.
Dr. Loomis ist zweifelsohne die melodramatischste Bitch auf diesem Planeten ...
"It's time, Michael." (Sam Loomis)
Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen. (Blaise Pascal)
Zitat von Olsen im Beitrag #6653Ach, die dargestellten Menschen fühlen sich von Filmen doch meistens unzureichend porträtiert.
Was jetzt nicht bedeuten soll, dass man sich diesen prätentiösen Filmhaufen anschauen sollte, ich selbst habe ihn nach einer Stunde abgebrochen.
Ich kenne nur Ausschnitte, aber die Darstellung von Joseph Beuys (Name bestimmt auch verfremdet, aber der war offensichtlich gemeint) war dort bereits dermaßen klischeehaft und daneben, dass ich den Ärger von Richter sofort verstehe. Wenn sich jemand mit der Kunstszene von damals gar nicht auseinandersetzen mag, ist ausgerechnet einen Film zu drehen, der sich thematisch aus dem Leben des bedeutendsten deutschen Künstlers der Gegenwart speist, keine sehr glückliche Wahl.
☟ smog in berlin. nichts wie hin. weil du mich küsst, bin ich kein tourist.
Zitat von CHX im Beitrag #6613Låt den rätte komma in (Tomas Alfredson, 2008)
Ein bemerkenswerter Horrorfilm, der die Schrecken des Erwachsenwerdens auf kühle, unnachgiebige Weise einfängt. Mit kompromissloser Schönheit und Zärtlichkeit lässt Regisseur Tomas Alfredson seine beiden gegensätzlichen Charaktere in einer unwirtlichen Welt zueinander finden und sich gegenseitig stärken.
"Let The Right One In" (dt. Titel: "So finster die Nacht") ist eine bezaubernde Gothic-Fabel, seltsam charmant und gleichzeitig unverschämt makaber.
"I'm twelve. But I've been twelve for a long time." (Eli)
unvergessen Ein großartiger Film über die komplexen Themen (platonische) Liebe, Abhängigkeit und Beziehung (auch die zu den Eltern/Umwelt). Hart zu wissen wie es für Oskar endet. Vom Remake "Let Me In" erinnere ich leider nichts mehr, war dann wohl nicht so eindrucksvoll wie das Original.
Dass sich vorkommende nicht korrekt dargestellt fühlen, spricht nicht notwendigerweise gegen einen Film. Der Grund meines Desinteresses an "Der Untergang" z.B. ist nicht die Kritik Hitlers. Aber Henckel & Donnersmarck ist einfach ein Garant für übelsten Trash, genauso wie Ferdinand Schirach.
Das ist einfach nur ein typischer Anorak-Twin-Rant.
Die letzten Sechs in der Playlist: Honeyglaze - Real Deal || Laura Marling - Patterns In Repeat || Nieve Ella - Watch It Ache and Bleed || Dawn Richard & Spencer Zahn - Quiet In a World Full of Noise || Flip Top Head - Up Like a Weather Balloon || Haley Heyndericks - Seed of a Seed
Der Schacht 2 (2024) Der erste "Schacht" war ja schon ausnehmend gut, aber jetzt wurde noch mal was draufgepackt. Man erinnere sich an das simple Setting: Ein vertikaler Schacht mit x Stockwerken, auf jedem Stockwerk zwei Personen, alle mehr oder weniger "freiwillig" hier; jeden Tag fährt eine Plattform von ganz oben nach unten, beladen mit allen möglichen Köstlichkeiten, die sich die Insassen im Vorfeld wünschen durften - aber Vorsicht: jeder nur ein Gericht! Weil Menschen nun mal Menschen sind, lebt man in den oberen Stockwerken gerne mal in Saus und Braus, weiter unten kommt dafür nur selten überhaupt noch Essen an. Allerdings nicht, wenn es nach den "Gesalbten" und ihren Vorstellungen einer gerechten Verteilung geht ...
Was ist ein System wert, das zwar alle am Leben halten will, aber grausamste Mittel dafür einsetzt? Was, wenn neben sinnvollen Regeln auch völlig unverständliche Pseudo-Philosophie durchgesetzt werden soll? Was, wenn die, die Frieden und Gleichheit predigen, sich über alle anderen erheben - mit Gewalt? Und ist Freiheit am Ende wirklich das höchste Gut und wert, dafür zu töten? Viele Fragen, die nicht zum ersten Mal gestellt werden, aber in diesem Fall sehr unmittelbar und mit gnadenlosem Fokus auf die (möglichen) Konsequenzen daraus. Obendrein gut gefilmt und mit fast surrealistischem Anklang gegen Ende. Ich war schwer beeindruckt.
Achtung: Wer mit exzessiver, explizit dargestellter Gewalt nicht umgehen kann oder will, sollte diesen Film unbedingt meiden. Er ist sehr, sehr hart.
You all want the whole world to be changed so you will be different.